Einleitung
Unter dem Neopalamismus ist eine Ausprägung der orthodoxen Theologie im 20. Jahrhundert zu verstehen, die eng mit Gregorios Palamas (ca. 1296–1357)[], Theologe und Erzbischof der Byzantinischen Kirche, verbunden ist. Seine asketisch-theologische Lehre – in der wissenschaftlichen (ursprünglich westlichen) Literatur "Palamismus" genannt – geht auf einen Streit mit einigen rationalistisch gesinnten orthodoxen Theologen zurück. Auseinandersetzungen gab es um die dogmatischen Grundlagen der mystischen Erfahrungen, die die Mönche auf dem Berg Athos machten. Im Zustand vollkommener geistiger Ruhe und kontemplativer Stille – hesychia (ἡσυχία) – sammelten sie unterschiedliche, jedoch meist von Lichterscheinungen begleitete Erfahrungen. Die damit verbundene Gebetspraxis war im östlichen Christentum keine Neuheit. Anhand der alten asketischen Literatur lässt sich ein ähnliches Phänomen in den ägyptischen, palästinischen, konstantinopolitanischen und syrischen monastischen Traditionen nachzeichnen und somit von einem "Hesychasmus vor dem Hesychasmus" sprechen. Nach der spätbyzantinischen Periode bestand die hesychastische Praxis in allen Teilen der Ostkirche bis heute weiter.1 Bereits im 14. Jahrhundert waren die dogmatischen Vorstellungen des Gregorios Palamas durch mehrere Synoden in Konstantinopel (vor allem in den Jahren 1341, 1347 und 1351) für richtig, als der Tradition entsprechend und verbindlich erklärt worden. Obwohl diese Beschlüsse nie auf der gesamtkirchlichen Ebene durch ein Ökumenisches Konzil bestätigt wurden und demnach rechtlich lediglich einen lokalen Status innehatten, konnte sich die palamitsche Lehre in der Orthodoxie durchsetzen.
Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert war Gregorios Palamas in der akademischen Theologie in Vergessenheit geraten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte seine Lehre jedoch dank orthodoxer Theologen, die auf der Suche nach einer eigenen Identität waren und sich von westlichen Einflüssen befreien wollten, eine Renaissance. Als Ausgangspunkt für eine theologische Neuausrichtung diente ihnen der "Neopalamismus" (der neue Palamismus). Modernen Theologen, die dieser Ausrichtung verpflichtet sind, gilt die palamitische Lehre als essentieller Bestandteil der heiligen Überlieferung. Darüber hinaus betonen sie die allgemeine, "ökumenische" Signifikanz der palamitischen Synoden des 14. Jahrhunderts, die für alle orthodoxen Theologen obligatorisch seien, besonders aufgrund ihrer Rezeption in der liturgischen Praxis (die Bannflüche beim Fest der Orthodoxie am ersten Sonntag der Großen Fastenzeit).2 Manche orthodoxe Wissenschaftler empfinden den Terminus "Palamismus" allerdings als unpassend, da er suggeriere, dass es sich um eine gesonderte theologische Richtung in Abgrenzung von der Tradition der Kirchenväter handle.3
Die Grundlagen der palamitischen Lehre
Die Impulse für Palamas' Reflexionen gingen von der mystischen Gebetspraxis aus, und sein Hauptanliegen war es, deren Inhalt und Struktur theologisch zu begründen.4 Zu Palamas' Hauptwerk gehören die sogenannten Triaden zur Verteidigung der heiligen Schweiger (λóγοι ὑπὲρ τῶν ἱερῶς ἡσυχαζόντων). Für ihn galt als Axiom, dass das Sehen des himmlischen Lichtes sowie die Gesamtheit dieser geistig-physischen Erlebnisse wahrhaftig5 und als Form der Teilhabe an der göttlichen Natur bzw. als Begegnung mit Gott zu verstehen seien. Palamas stellte die Frage nach der prinzipiellen Partizipations- und Kommunikationsfähigkeit Gottes: Wie ist es dem Menschen möglich, Gott unmittelbar zu begegnen und sich mit ihm am tiefsten zu vereinigen? Außerdem versuchte er, der anthropologischen Komponente dieser Kommunikation nachzugehen und aufzuzeigen, inwiefern der Mensch zur Wahrnehmung der göttlichen Realität fähig und mit ihr kompatibel ist.
In der Gotteslehre unterschied Palamas theoretisch klar zwischen dem göttlichen Wesen und der göttlichen Wirkung. Diese Unterscheidung diente ihm dazu, die Erkennbarkeit Gottes zu behaupten und gleichzeitig dessen Transzendenz zu wahren. Der in sich selbst unveränderliche, einfache, ewige und absolut unbegreifliche Schöpfer, so Palamas, wirke auf die ihm geschaffene Natur (φύσις) ein, durchdringe sie, sei also der Welt und den Menschen gegenüber offen und lasse an sich teilhaben. Das göttliche Wirken – die Energie (ἐνέργεια) – sei die unmittelbare Folge des Daseins Gottes, sie sei seinem ungeschaffenen Wesen (οὐσία) eigen, untrennbar von ihm, und deshalb auch ewig, ungeschaffen und göttlich,6 also "Er selbst" außerhalb seines Wesens, in Erscheinung ad extra. Von diesem Standpunkt her sei der essentiell transzendente, unzugängliche und unbenennbare Gott energetisch der Kreatur immanent und auf diese Weise gewissermaßen erkennbar und benennbar,7 wobei sich alle Bezeichnungen, Begriffe und Namen lediglich auf Gottes Wirkungen bezögen und keineswegs sein "überwesentliches Wesen" zu fassen und auszudrücken vermögen.8 Das biblische Zeugnis für die wahrnehmbare Erscheinung der göttlichen Energie sah Palamas im Bericht über das Licht auf einem Berg (in der späteren Tradition als Berg Tabor identifiziert) – Schauplatz der sogenannten "Verklärung Christi", in deren Verlauf die menschliche Natur Christi von seiner göttlichen Natur verklärt und durchleuchtet wurde (Lukas 9,28–36).
Die in sich eine, wesenhafte,9 unteilbare und ungeschaffene Kraft (δύναμις) Gottes werde bei ihrem Abstieg zur raum-zeitlichen Realität und entsprechend der Vielfalt aller Partizipierenden und nach deren Fassungsvermögen verteilt und multipliziert.10 Dies erkläre die Mehrzahl der Namen Gottes und lasse es zu, von der göttlichen Energie im Plural zu sprechen.
Der Mensch ist nach Palamas so geschaffen, dass in ihm alle Elemente eng zusammenhängen und er eine hierarchische Einheit von Geistigem und Materiellem darstellt. Dabei soll die Seele bzw. der Geist aufgrund ihrer überweltlichen Herkunft und ihres mental-kontemplativen Charakters11 über den Körper herrschen und ihm das Himmlische vermitteln. Durch den menschlichen Geist, in dem der Heilige Geist wirken kann,12 komme die göttliche Gnade über den Körper und werde somit auch sinnlich, körperlich erfahren. Dies sei allerdings eine noetische, verklärte Sinnlichkeit, die sich von der irdisch-naturhaften unterscheidet. Der von der Geistigkeit (νοῦς, λóγος, πνεῦμα) geleitete asketische und fromme Christ begegne beim Übersteigen seines Ichs (ἔκστασις) Gott, der ihm entgegenkomme.13 Er vereine sich mit ihm, werde von der göttlichen lichtförmigen Energie erfüllt und so je nach Erfahrungsintensität und Stufung vergöttlicht.14 Das Licht, das christliche Mystiker sehen, erstrahle aus der eschatologisch realen Präsenz Gottes, seines himmlischen Reiches, an dem sie damit Anteil haben. Somit weisen die palamitische Anthropologie und Gotteslehre einen klaren soteriologischen, also die Erlösung des Menschen betreffenden Zweck und eine praktische Dimension auf.
Die neue Rezeption des Palamismus
Obwohl im 19. Jahrhundert einzelne Publikationen zu Palamas' Werk und Leben erschienen waren,15 nahm seine theologische Lehre keinen zentralen Platz in den akademischen Diskursen der Orthodoxie ein. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Palamas' Lehre schließlich von den russischen Athosmönchen im Streit über die Verehrung des Namens Gottes aufgegriffen. Die Namensverehrer glaubten daran, dass Gott sich in den Worten des Herzensgebets, genauer in dessen sakralen Kern – den Namen Jesu Christi –, real und energetisch offenbare. Durch die ständige Rezitation des Gebets strebten sie zur Einigung mit Gott.16
Unter den bedeutenden orthodoxen Theologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt Erzpriester Sergij Bulgakov (1871–1941) als der erste Gelehrte, der sich ernsthaft mit den palamitischen Ideen befasste und diese als Anregungen für seine theologisch-systematischen Ausführungen nutzte. Bulgakovs theologischer Ansatz kann keineswegs als Neopalamismus betrachtet werden, einige Elemente seiner Sophiologie weisen ihn aber als dessen Wegbereiter aus.17
Besonders in Bulgakovs theologischem Frühwerk zeigt sich der Einfluss der palamatischen Denkweise. Im Werk Das abendlose Licht finden sich Exkurse zur Lehre des byzantinischen Theologen über die Wahrnehmung Gottes. Dieser gebe sich mithilfe der energetischen Manifestationen des göttlichen Wesens in der Welt zu erkennen.18 Der palamitische Ansatz kam dem Anliegen Bulgakovs in erster Linie insofern entgegen, als in ihm die Möglichkeit postuliert wurde, dass das Transzendente von den Menschen wahrgenommen werden könne. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung der russischen religiösen Philosophie mit der Erkenntnistheorie von Immanuel Kant (1724–1804)[] und dem scholastischen Intellektualismus des Westens wurden der antinomische, also die Gegensätze zulassende Ausgangspunkt und das damit zusammenhängende praktisch-apophatische, d.h. das nicht rationalistische Wissen vom Göttlichen als die Hauptkarte ausgespielt. Im Zusammenhang mit dem oben bereits erwähnten Streit auf dem Berg Athos lehnte Bulgakov ein rein nominalistisches Verständnis der Sprache ab und wies in seiner Philosophie des Namens auf die energetische Herkunft der Namen Gottes hin. In diesem komme das göttliche Wesen zum Ausdruck: "Der Name Gottes" ist nicht nur ein Wort…, sondern auch die göttliche Kraft und das göttliche Wesen. "Der Name Gottes ist Gott" im Sinne der Gegenwart Gottes, der Energie Gottes."19 Auch die aus palamitischer Sicht unabdingbare Beteiligung des Sinnlichen an der Erkenntnis und innerweltlichen Entfaltung der geistigen Dinge trug dazu bei, dass Bulgakov alle kulturell-kreativen Aktivitäten des Menschen, einschließlich der wirtschaftlichen Tätigkeit, aus der christlich-religiösen Sicht legitimierte.20
Palamas' Behauptung von der immanenten Gegenwart Gottes in der Welt in Form des energetischen Modus inspirierte zudem die Bulgakovsche Lehre über die Sophia. Bulgakov selbst glaubte daran, dass seine Theologie und die dogmatische Lehre des Palamas im Kern übereinstimmten, wobei er allerdings die Exaktheit der palamitischen Termini "Ousia" und "Energie" anzweifelte.21 Mehrere Ähnlichkeiten lassen sich feststellen: Die Sophia ist nach Bulgakov der Bereich zwischen dem transzendenten Gott und seiner Kreatur; sie sei Gott von Ewigkeit eigen, sie sei sein Leben selbst, schließe in sich den Inhalt der göttlichen Natur ein22 und sei ungeschaffen. Diese Eigenschaft habe die Sophia aber nicht essentiell, sondern energetisch inne.23 Darum sei sie "Gott außer sich", seine "extra-sich Offenbarung";24 in der Sophia und durch sie geschehe der Schöpfungsakt Gottes.25 Die Sophia wirke in der Kreatur, durchdringe sie ständig und gelte aus diesem Grund auch als ihr Paradigma, ihre göttliche Unterlage,26 ohne sie dabei Gott gleichzusetzen.27 Dadurch versuchte Bulgakov die prinzipielle Möglichkeit der "positiven Alleinheit", also der ontischen, erfahrbaren relationalen Verbindung zwischen dem Ewigen und Zeitlichen, zwischen dem absolut Einfachen und dem Komplexen, zwischen Gott und Welt theologisch-philosophisch darzustellen. Eben der sophiologische Ansatz (wiederum mit Querverweis auf die Lehre des Palamas) wird in Bulgakovs Reflexionen über das altkirchliche Ikonendogma als Hauptargument angeführt, um die bildliche Darstellung des Undarstellbaren zu begründen: "Diese Beziehung zwischen dem dreihypostatischen Gott und seinem Abbild, der Weisheit Gottes, welche gerade das Urbild der Welt in der Gottheit selber ist, und die Beziehung des Urbilds zur Welt als seinem kreatürlichen Abbild ist überhaupt das Fundament jeder Ikonizität. Sie muss sich durch die ganze Lehre über die Ikone durchziehen."28 In späteren Werken veränderte Bulgakov seine Sophiologie auf eine Art und Weise, die nicht viel mit dem Palamismus gemein hatte. Sergij Bulgakov war von den Grundgedanken des Palamismus inspiriert und integrierte dessen dogmatische Elemente in sein eigenes theologisches System, so dass man hier kaum von der Weiterentwicklung der palamitischen Tradition im eigentlichen Sinne reden kann.
Der Aufstieg des Neopalamismus geht dagegen auf das Erscheinen patrologischer Studien zur Theologie von Gregorios Palamas zurück. Der wichtigste Ansporn dazu kam im Jahr 1936 von hesychastischer Seite: Der russische Athos-Mönch und spätere Erzbischof von Brüssel, Vasilij Krivošein (1900–1985), legte mit der Abhandlung Die asketische und theologische Lehre des hl. Gregorius Palamas29 einen der ersten Versuche vor, die palamitische Lehre in ihrer Gesamtheit und mit Blick auf die östliche Patristik und Praxis zu analysieren und systematisch darzustellen. Diese Arbeit kann gewissermaßen als die orthodox-theologische Antwort auf die Kritik betrachtet werden, die einige katholische Autoren (vor allem Martin Jugie (1878–1954))30 an den Grundlagen des Palamismus geäußert hatten.
Krivošein ging es darum, zuerst das zentrale Prinzip der asketischen Gnoseologie – also des Wissens, das Palamas aus der mystischen Erfahrung ableitete – und ihr anthropologisches Fundament – die Teilnahme des Leibes an der geistigen Aktivität und Begnadung mit der Perspektive der tatsächlichen Überwindung der kreatürlichen Beschränkung – zu erhellen. Zudem analysierte er Palamas' ontologische Begründung der unmittelbaren und wahren Erfahrbarkeit von Gottes Wesen und kam schließlich zur dogmatischen Erschließung der alten kirchlichen Wahrheit durch Palamas. Das Unverständnis des Westens läge demgegenüber an der ihm eigenen "kataphatischen" Methode, die Gott einseitig den logischen Normen unterziehe und so jede Zurechnung zum absolut einfachen göttlichen Sein anderer ontologischer Kategorien als contradictio in adjecto ablehne. Für die östliche Tradition, so Krivošein, sei die unaussprechliche Unterscheidung in Gott zwischen der Essenz und der Energie, zwischen der Einfachkeit und der Komplexität kein Widerspruch, sondern die reale, den Gesetzen der Logik entsprechende Antinomie, wie der transzendente und zugleich sich öffnende, der Schöpfung immanent werdende Gott selbst antinomisch sei. Die Schwierigkeit, die hesychastische Vorstellung von dem ungeschaffenen göttlichen Licht im Westen zu akzeptieren, liege in der Unfähigkeit, dieses Phänomen weder materiell noch subjektiv-psychologisch zu denken. Hier handle es sich um die Offenbarung der ewigen Schönheit Gottes, die gewissermaßen auch in Erscheinungen natürlichen, physischen Lichtes als eines "realistischen Symbols" seines unvergänglichen Prototyps vorzuahnen sei. Die Energie und das Licht Gottes setzte Palamas laut Krivošein mit der göttlichen Gnade gleich.31 Dementsprechend sei die Begnadung als reale Einwirkung der göttlichen Kraft auf die menschliche Natur zu verstehen, die sich daraufhin verändere.
Im Jahr 1960 berief sich Krivošein in einem Aufsatz wieder auf die Person und Theologie von Palamas.32 Krivošein lag vor allem daran, die monastische Grundlage der palamitischen Gedankenwelt zu erhellen. In all seinen theologischen Ausführungen bleibe Palamas, so Krivošein, immer "der Praktiker des Jesusgebets". Die geistliche Erfahrung, die Mystik des göttlichen Lichtes und der Vergöttlichung, nicht abstrakte rationale Spekulationen seien die treibenden Kräfte seiner Apologetik und theologischen Synthese gewesen, die sowohl neu als auch traditionell sowie der biblischen Offenbarung, der christlichen Anthropologie und dem Heilswerk Christi treu sei.33
Zum Aufkommen des Neopalamismus in den 1930er Jahren trug auch der 1936 in Athen veranstaltete Kongress orthodoxer Theologen bei. Das theologische Programm für die neuere orthodoxe Theologie, die nicht mehr den seit einigen Jahrhunderten herrschenden westlichen Schulmethoden blind folgen wollte, lässt sich mit der Devise des Erzpriesters aus der russischen Diaspora Georges Florovsky (1893–1979) zusammenfassen: "Zurück zu den Vätern!" – und somit weg von den für die Orthodoxie fremden scholastischen Formen des Theologisierens.34 Die Figur des Gregorios Palamas sollte in der von Florovsky geforderten "neopatristischen Synthese" schon deswegen eine wichtige Rolle einnehmen, weil dessen mystisch-theologische Methode bestens zur angestrebten Distanzierung vom lateinischen Westen passte und der Suche nach einer eigenen Identität entsprach. Darüber hinaus stand Palamas als "der letzte große Theologe von Byzanz" chronologisch den modernen Theologen am nächsten. Seine Lehre wurde von den Neopalamiten nicht nur als authentische Auslegung des östlich-väterlichen Denkens, sondern auch als "kreative Entwicklung der alten Tradition"35 im Sinne einer Synthese empfunden, die "das ganze System der Theologie, den ganzen Korpus der christlichen Dogmatik betrifft".36 Da die palamitische Theologie von der "personalen" Begegnung zwischen Gott und Mensch, von der kraftvollen Realpräsenz der unerschaffenen Gnade und der Erlösung als erfolgender "Erneuerung" – nicht bloß Vergebung – des Menschen spricht, konnte sie nach Meinung von Florovsky in gewisser Weise als existenzialistisch und personalistisch bezeichnet werden.37 Stark soteriologisch motiviert, biblisch und heilsgeschichtlich verwurzelt ist diese "Theologie der Ereignisse" damit "die einzig echte orthodoxe Theologie".38
Auch Vladimir Losskij (1903–1958), ein weiterer russischer Exiltheologe, teilte diese Ansicht. Er beschäftigte sich nicht nur in einigen Artikeln direkt mit der Lehre des Palamas, sondern griff den mystisch-theologischen Ansatz des großen byzantinischen Kirchenvaters als "Stimme der ganzen orthodoxen Überlieferung" auf und arbeitete seine Grundansichten auch in eigenen dogmatischen Schriften aus. Die These, im Fundament aller dogmatischen Arbeit liege die mystische Erfahrung,39 gehört zum Kern der theologischen Methode Losskijs. Die mystische Erfahrung Gottes, so Losskij, sei nicht rational erfassbar, weshalb jedes richtige und fromme Theologisieren mit antinomischen Begriffen operieren müsse. Damit können einerseits erfahrene Begegnungen mit Gott begründet werden und bei der Schau der göttlichen Geheimnisse weiterhelfen, andererseits können die unnahbaren Abgründe des Göttlichen nicht mittels logischer Konstruktionen und in scholastischen Formeln erfasst werden. Der Antinomismus sei kein künstliches Instrument, kein theologischer Trick, sondern komme aus Gott selbst, aus unterschiedlichen Modi ad intra und ad extra seines unzerreißbar einheitlichen Seins, und zeige die endgültige Überwindung des platonischen Dualismus zwischen "sinnlich Wahrnehmbarem und Intelligiblem, von Sinnlichem und Intellektuellem, von Materie und Geist" im Denken der Kirche.40 Die Gnade des transzendenten Gottes sei nicht bloß eine Funktion bzw. ein Resultat seiner Wirkung in der menschlichen Seele, sondern vielmehr Er selbst, dessen Natur größer als das eigene Wesen sei,41 der sich mitteile, mit dem Menschen unaussprechlich eine und so dessen Heil bewirke.42 Dementsprechend wird der Mensch in der orthodoxen Anthropologie als ein offenes Wesen angesehen, und die Asketik hat einen positiven Charakter.
Typischerweise hebt Losskij nachhaltig hervor, dass die Energien Gottes allen drei göttlichen Personen (Hypostasen) gehören und sowohl im ewigen Sein als auch in der zeitlichen Ökonomie vom Vater durch den Sohn im Heiligen Geist ausgehen.43 Aus diesem Grund besteht Losskij auf der Unmöglichkeit, das Filioque-Problem44 mit der Formel über den Ausgang des Geistes "durch den Sohn" lösen zu können. Diese betreffe im orthodoxen Verständnis ausschließlich den ad-extra-Seinsmodus (den ewigen wie den ökonomischen, heilsgeschichtlich bezogenen), was von den westlichen Theologen zwangsläufig die reale Unterscheidung Gottes in Energie und Wesen verlange.45
Jede Energie zeige uns die Trinität, so Losskij, sei eine lebendige personale Kraft, weil sie die Erscheinung des personalen Gottes repräsentiere.46 Deshalb habe die gott-menschliche Kommunikation durch die Energien immer einen personalen Charakter als Einigung der Personen,47 und die Schau des göttlichen Lichtes sei das Sehen des lebendigen, ausstrahlenden personalen Gottes von Angesicht zu Angesicht.48 Dies sei ein gnadenvolles, unerschaffenes Wissen der eschatologischen Realität, das nur im Heiligen Geist und in der Kirche Christi möglich werde.49 Dass Losskij die soteriologische und ekklesiologische Rolle der dritten Hypostase der Dreifaltigkeit – des Geistes als des unmittelbaren Gnadengebers im Unterschied zur eher christozentrischen Konzentration in der Epoche der ökumenischen Konzilien – ausdrücklich hervorhebt, ist ein weiteres Merkmal seines theologischen Denkansatzes, dessen Extreme sogar innerhalb des neopalamitischen Kreises auf Kritik stießen.50
Die palamitische Lehre weckte zeitgleich die Aufmerksamkeit von Dumitru Stăniloae (1903–1993), Theologe der rumänischen orthodoxen Kirche, der Palamas' Werke ins Rumänische übersetzte und eine Monographie zu dessen Leben und Theologie verfasste.51 In Stăniloaes systematischem Hauptwerk – der Orthodoxen Dogmatik (1978) – werden an vielen Stellen die Grundgedanken des Palamismus aufgegriffen, die in seiner Interpretation mehrere neue Nuancen bekommen. So vermeidet er die statischen Ausdrücke bezüglich des göttlichen Wesens und stellt es fast ausschließlich in dynamischen Kategorien dar: "Gottes ganzes Leben ist Handeln und Kraft."52 Des Weiteren akzentuiert Stăniloae besonders die Ansicht, die Energien bzw. Werke Gottes seien seine Eigenschaften bzw. Attribute in Bewegung, in denen er als der personale Eine wirksam ist. Ähnlich wie Bulgakov, begreift Staniloae die ungeschaffenen Energien Gottes als tief in das Geschöpf eingebettete Aspekte. Denn die Geschöpfe "besitzen ihre Attribute ausnahmslos durch Teilhabe an seinen [Gottes] Attributen mittels seiner Werke."53 Die Welt wird nicht nur mit analogen Eigenschaften ausgestattet, sondern befindet sich in Bezug auf die ihr zugrundeliegende göttliche Dynamik in einer andauernden Entwicklung: "Von Gott selbst gehen Wirkungen aus, die der Welt neue und unterschiedliche Eigenschaften verleihen";54 den Geschöpfen "teilt Gott indessen in zunehmendem Maß seine unerschaffenen Werke oder Attribute mit."55 Stăniloae fasst Gottes Wirkungen in der geschichtlichen Perspektive als Heilswerke auf, in deren Fokus die Menschwerdung und Auferstehung Christi stehen. Ihre stete Novität als "immer neue Aktionen"56 erschließe das Wesen Gottes auf vielfältige Art und Weise. Ziel sei die volle Vereinigung der Kreatur mit dem Schöpfer und deren Vergöttlichung. Um jede ontologische Determinierung der gott-weltlichen Beziehung zu vermeiden (wozu z. B. das sophiologische Modell Bulgakovs neigt), hebt Stăniloae (ähnlich wie Vladimir Losskij) die Tatsache hervor, dass die göttliche Energie bzw. Dynamik nicht bloß einen essentiellen, sondern einen personalen Ursprung hat und deshalb "keiner Notwendigkeit unterworfen ist".57
Auch Archimandrit Kiprian Kern (1899–1960), Theologe, Patrologe und Professor russischer Abstammung am Theologischen St. Sergius Institut in Paris, setzte sich Mitte des 20. Jahrhunderts – angelehnt an die Studie von Krivošein und zugleich in ausdrücklicher Distanz zur "lateinischen konfessionellen Voreingenommenheit" westlicher Forscher (etwa eines Martin Jugie) – dafür ein, dass der Palamismus wieder in die neuere orthodoxe Theologie aufgenommen wurde. Kerns Interesse am Palamismus könnte auf Bulgakovs Denken zurückzuführen sein, von dessen Theologie er inspiriert wurde. Zu seinem besonderen Verdienst gehörte es, erstmals eine spezielle Untersuchung zur palamitischen Lehre über den Menschen vorgelegt zu haben.58 Im Zeitalter der sogenannten "anthropologischen Wende" in der westlichen Theologie und der spannenden Suche nach dem wahren (christlichen) Menschenbild bekam diese Studie eine besondere Aktualität.
Kern bettete die palamitischen Vorstellungen in einen breiteren patristischen Kontext ein und kam zu dem Schluss, dass es in den wichtigsten anthropologischen Fragen in der kirchlichen Überlieferung Kontinuität und Konsens gebe. Zu den zentralen Ideen, auf die sich Kern konzentrierte, gehörten die symbolische Natur des Menschen, in der sich das Göttliche widerspiegele, die Ganzheit seiner geist-leiblichen Existenz und die ewige, im Blick auf die Inkarnation Gottes in Jesus Christus vorausgesetzte Bestimmung zur gott-menschlichen Einheit und Vergöttlichung. Letztere, verstanden als Teilhabe am Taborlicht und an den unerschaffenen Energien, sei auf dem asketischen Weg bereits im diesseitigen Leben möglich.59 Die Vorstellung des Palamas von der "heiligen Leiblichkeit" des Menschen, die ihn ins Zentrum des Universums und somit über die Engel erhebe, korrelierte nach Kerns Meinung mit dem "freudigen Kosmismus" der Orthodoxie und dem Glauben an den Menschen bzw. dem Anthropozentrismus ihrer Theologie. Dieser nämlich mache das ethische Emporsteigen sinnvoll und heiße das menschliche Schöpfertum gut.60
Als einen Meilenstein in der Verbreitung der palamitischen Ansichten im 20. Jahrhundert kann die patrologisch-theologische Tätigkeit von John Meyendorff (1926–1992) angeführt werden. In seiner Introduction à l'étude de Grégoire Palamas61 sowie der kritischen Ausgabe und Übersetzung der Triaden62 bettete er die palamitischen asketisch-theologischen Anschauungen ebenso umfassend wie detailliert und systematisch in den kulturell-historischen Kontext jener Epoche ein.63
Nach Meyendorff bestand die besondere historische Rolle und Stellung des Palamas darin, dass sich die byzantinische Kirche aufgrund der palamitischen Gottes- und Menschenlehre von dem aufkommenden "nominalistischen Humanismus" und dem hellenisierenden Anthropozentrismus der Renaissance Westeuropas entschieden abwandte. Basierend auf Meyendorffs Urteil wurden die neopalamitischen Konzeptionen von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit der neuzeitlichen westlichen und der traditionsgetreuen östlichen Weltanschauungen schließlich weiter ausgearbeitet.64
Meyendorffs Werk beinhaltet einen der wenigen Versuche, die Grundlinien der palamitischen Lehre über die Kirche zu rekonstruieren: Es handle sich um eine "kommuniale Ekklesiologie" der durch die Taufe Wiedergeborenen, die in der Eucharistie den einen Leib Christi bildeten; nur in der liturgischen Gemeinde geschehe die wahre Kommunikation mit Gott und werde die gnädige Metamorphose der menschlichen Natur möglich. So werden die Sakramente zum Grund des kirchlichen Seins und zugleich zum Ausgangspunkt aller kontemplativen Erfahrungen. Nur das kirchliche Ganze, das die Engel und Frommen aller Zeiten einschließe, bewahre die von Gott offenbarte Wahrheit.65 Meyendorff spitzte den palamitischen Ansatz ekklesial zu. Sein Ziel war es, die Vorwürfe eines latenten Messalianismus mit seiner Tendenz zum Verzicht auf jede sichtbare Kirchlichkeit und Sakramentalität zu widerlegen, die gegen die Hesychasten erhoben wurden.
Darüber hinaus wies Meyendorff auf die einzelnen Themen im Denken von Palamas hin, die auch in heutigen ökumenischen Diskussionen relevant erscheinen, etwa die Frage nach dem Ausgang des Heiligen Geistes (das Filioque-Problem) und die Mariologie. Zum Filioque-Problem konstatierte Meyendorff bei Palamas – im Vergleich zu anderen damaligen griechischen Theologen – eine größere Offenheit gegenüber der westlichen Position, was besondere Aufmerksamkeit verdiene.66 Diese Beobachtung kontrastierte mit den scharfen anti-filioquistischen Positionen der Neopalamiten.67
Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie die Tradition des Theologisierens in der hesychastischen Praxis und aus der mystischen Erfahrung heraus in neuerer Zeit fortgesetzt wurde, stellen die Schriften von Archimandrit Sophronij Sacharov (1896–1993) dar. Seine Spiritualität wurde tief von der engen geistlichen Beziehung zum hl. Starez Siluan (Semen I. Antonov (1866–1938)) vom Berg Athos geprägt. Er eignete sich dessen asketisch-kontemplative Lehre an und versuchte diese mithilfe des palamitischen Ansatzes zu systematisieren.68 Außerdem übte Vladimir Losskij, mit dem er persönlich in Kontakt stand, auf Sacharovs theologische Denkweise Einfluss aus.69 Das Neopalamitische wird im Werk Sacharovs besonders an der nachhaltigen und expressiven Bezugnahme auf die Lichterlebnisse offenkundig. Zwar werde das Sehen des Lichtes durch den physischen Gesichtssinn des Menschen ermöglicht; es sei jedoch kein üblicher Akt der sinnlichen Wahrnehmung, sondern ein Ereignis der mystischen Ordnung, der realen Erfahrung von Gottes unerschaffener Energie. Auch die Befolgung von Normen der christlichen Ethik diene im Grunde nicht bloß der moralischen Vervollkommnung des Menschen, sondern ebne vielmehr den Weg zur gnädigen Vereinigung mit Gott, denn seine Gebote seien seine Energien. Eine solche Ethik diene somit dem einzig sinnvollen Zweck – der Vergöttlichung des Menschen.
Hinsichtlich der Lehre von Christus, ging es Sophronij Sacharov in erster Linie darum, die Gottheit Christi hervorzuheben und daraus auf die Möglichkeit der Kommunikation mit der ganzen Trinität zu schließen. Denn das Licht Christi sei die Energie der dreihypostatischen Gottheit, d.h. das unerschaffene, anfanglose Leben des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Archimandrit Sophronij unterschied nicht zwischen den göttlichen Personen (bzw. in seiner Terminologie – Hypostasen) und dem göttlichen Wesen und verwendete "hypostatisch" und "personal" synonym. Die energetische Durchdringung des Menschen führt für ihn zur ganzheitlichen, nicht diskursiven Erfahrung der Personalität Gottes und so zu einer existenziellen, "seinshaften" (im Gegenzug zu einer bloß intellektuellen) und vergöttlichenden Gotteserkenntnis. Dieser Sichtweise entsprechend sei es dem Menschen letztendlich möglich, "Gott zu sehen, wie er ist".70
Das heutige Problem- und Themenfeld des Neopalamismus
Die personalistische Fokussierung von Sacharovs Lehre lässt sich als Versuch begreifen, neopalamitische Tendenzen zu korrigieren, die Gottes hypostatisch-personale kommunikative Offenheit zugunsten einer ontisch-essentiell vorbestimmten energetischen Präsenz vernachlässigen. In diesem Zusammenhang wurde der Ansatz Sacharovs manchmal als "hypostatischer Palamismus" bezeichnet.71 Das Streben danach, die personalistischen Aspekte der Lehre Palamas' zu erhellen, genauer die Möglichkeit der Mitteilbarkeit der göttlichen Hypostasen an die Menschen durch die Energien zuzulassen, gehört inzwischen zu einem wesentlichen und aktuellen Anliegen des Neopalamismus.72
Die existenziell-personalistische Zuspitzung betrifft nicht allein die Anthropologie und Theorie der Gotteserkenntnis, sondern auch die Gotteslehre. Diese von Florovsky angedeutete "Metaphysik der Person", im Gegensatz zu den "essentiellen Theologien" des Westens, ist in den Texten von Chrēstos Giannaras (Yannaras) (geb. 1935) und Metropolit Ioannis (John) Zizioulas (geb. 1931) zu bemerken.73
Beide gehen grundsätzlich davon aus, dass die Kategorie der Person die absolute ontische Priorität besitzt. Grund dafür sei die Tatsache, dass das ganze Sein von der göttlichen Personalität des Schöpfers bestimmt sei, welche ihrerseits den ontologischen "Anfang" bzw. die "Ursache" in der Person von Gott-Vater habe.74 Demnach seien das trinitarische Leben und die Personalität Gottes in sich unabdingbar beziehungshaft und frei. Zudem manifestiere sich das personal-kommunikative Wesen Gottes in ihrem Wirken ad extra und beziehe dadurch die ganze Schöpfung, vor allem die freie menschliche Existenz, in einen Prozess der Kommunikation ein. All dies bilde eine "relationale Ontologie",75 die generelle sozial-anthropologische, gnoseologische, ekklesiologische und ökologische Konsequenzen habe:
- eine Differenzierung zwischen dem Mensch-Sein als an der göttlichen Existenz teilnehmende Person und als biologisch geprägtem, selbstgenügsamem Individuum;
- die Erlangung theologischer Wahrheit aufgrund der apophatischen Erkenntnis Gottes aus der existenziellen Erfahrung ("erotische Kommunikation")76 bzw. aufgrund der sakramentalen (eucharistischen) Partizipation;
- das Verständnis der Kirche und ihrer Ämter als eine lebendige Communio innerhalb und zwischen den eucharistischen Gemeinden und als eschatologisch bezogene Realität.77
Zudem werde der materielle Kosmos als "the substantiation of the will of God, the result of the personal energy of God"78 und deswegen als der Ort betrachtet, an dem die lebendige Begegnung mit Gott und dem Objekt der Vergöttlichung erfolge.
Chrēstos Giannaras zieht daraus auch politische und allgemein weltanschauliche Schlüsse, indem er diese Aussagen nicht nur dem juridischen Institutionalismus des christlichen Westens, sondern auch dem Rationalismus, Individualismus und ideologischen Totalitarismus der westlichen Kultur und Zivilisation gegenüberstellt.79 Auf diese Weise unterstreicht Giannaras besonders die identitätsstiftende Funktion des Neopalamismus in der Orthodoxie.80
Aktuelle Themen des gegenwärtigen Neopalamismus sind vor allem die Vergöttlichung – insbesondere im Rahmen theologischer Diskurse – und die Gotteserkenntnis – oftmals bezüglich philosophischer Fragestellungen. Als Anregung dafür dienen zumeist kritische Anfragen seitens westlicher Theologen an die palamitische Lehre, die ihre strukturellen Grundlagen betreffen.81 Bei der Verteidigung der orthodoxen Ansicht legt Metropolit Kallistos Ware (geb. 1934), langjähriger Professor für Orthodoxe Studien an der Universität Oxford, ein besonderes Gewicht auf die methodisch konstitutive und legitime Rolle des antinomischen Vorgehens in der Rede über Gott. Das Paradoxe und Apophatische sei hierin durch die gnoseologische Voraussetzung der direkten personalen Erfahrung zu erklären. Völlig adäquat und harmonisch sei es nicht der diskursiven Ratio und analytisch-experimentellen Dialektik, sondern dem spirituellen Intellekt (Nous) und durch die liturgisch-asketische Anstrengung zugänglich.82
Neben Ware83 gehören Panayiotis Nellas (1936–1986) und Georgios Mantzarides (geb. 1935) zu den bedeutenden Vertretern im Bereich der neopalamitischen Anthropologie und Soteriologie. Sie haben sich u. a. mit den sakramentalen, ethischen und ekklesialen Dimensionen der Theosis beschäftigt.84 Sie halten daran fest, dass es im Palamismus darum geht, den Fokus auf das Werk des Heiligen Geistes (Pneumatozentrik) zu richten – im Gegensatz zur Konzentration auf Christus (Christozentrik) in der früheren Tradition.85 Der französische Theologe Olivier Clément (1921–2009) hat versucht, die palamitisch-orthodoxe Sicht des Menschen in Bezug zum modernen Leben zu setzen.86 Eine philosophische Herangehensweise an die asketischen Kategorien des Hesychasmus wählte dagegen der Russe Sergej Choružij (geb. 1941) im Rahmen des Konzeptes einer "synergetischen Anthropologie".87
Die Debatten und thematischen Reflexionen der letzten Jahrzehnte haben dazu beigetragen, die Frage nach dem Novitätsprinzip des Neopalamismus klarer zu beantworten. Mit den Worten von Kallistos Ware besteht dieses neuheitliche Prinzip in der kreativen Freiheit, die im Umgang mit dem palamitischen Erbe herrscht – bei der gleichzeitigen Bewahrung der genuinen theologisch-spirituellen Kontinuität. Ein solches Verhältnis bestand auch zwischen der Theologie des Palamas, die neue Horizonte eröffnete, und der Tradition der früheren Kirchenväter.88