Genderräume in der Forschung
"Es entsteht der Eindruck, 'die Zeit schreitet fort', während der Raum nur herumlungert."1 Mit dieser pointierten Beobachtung kritisierte die Geographin Doreen Massey (1944–2016) schon Anfang der 1990er Jahre die in den Sozial- und Geisteswissenschaften weit verbreitete Vorstellung vom Raum als einer starren Kulisse für historisches Geschehen. Denn Raum ist kein starrer Behälter, sondern als Ergebnis von Konstruktionsprozessen dynamisch – und vor allem relational. Relationaler Raum entsteht durch die Verbindung verschiedener Objekte, Personen, Vorstellungen, Regeln und Orte. Er hat also physische und soziale bzw. kulturelle Komponenten. Mit einem relationalen Raumverständnis lassen sich die kulturellen Dimensionen von Räumen erfassen, denn "räumliche Strukturen sind eine Form gesellschaftlicher Strukturen."2 Eine dieser kulturellen Dimensionen von Raum ist die Kategorie Gender, anhand derer sich viele gesellschaftliche Strukturen ausrichten. Räume sind "durch und durch geschlechterspezifisch bestimmt … auf tausend verschiedene Arten …, die je nach Kultur und Zeit variieren."3 Damit spielte Massey den Ball auch den Geschichtswissenschaften zu, die zögerlich ins Spiel einstiegen.
Die Relationalität von Räumen und damit die genuine räumliche Beschaffenheit von sozialen Zusammenhängen und kulturellen Konfigurationen wurde von den Geschichtswissenschaften lange nicht oder nur am Rande wahrgenommen. Von vereinzelten Arbeiten abgesehen gibt es erst in jüngerer Zeit eine historische Raumforschung,4 die Raum als relational begreift und nicht nur als "Behälter", in dem sich das Geschehen abspielt. Zwar wurde um die Jahrtausendwende der spatial turn ausgerufen, aber nicht konsequent vollzogen. Mit (relationalen) Genderräumen haben sich daher die Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaften schon deutlich früher systematisch beschäftigt, insbesondere Geographie, Soziologie, Architekturtheorie, Stadtplanung, Ethnologie und Kulturanthropologie. Es entstand ein interdisziplinäres Forschungsfeld zu Genderräumen, das sich oft auf Wissensbestände der Frauen- und Geschlechtergeschichte stützte, auch wenn diese die räumlichen Dimensionen nicht im gleichen Maße berücksichtigten. So gilt es von geschichtswissenschaftlicher Seite, mit dem Verständnis von relationalem Raum noch fehlende Grundlagenforschung nachzuholen, die auch für jene Nachbardisziplinen wichtig ist. Zur Geschichte von Raum und Gender finden sich zwei Schwerpunkte: einmal für das lange 19. Jahrhundert, stark interdisziplinär geprägt mit literaturwissenschaftlichen und kunsthistorischen Beiträgen, sowie zahlreiche genuin geschichtswissenschaftliche Arbeiten zur Frühen Neuzeit. Insgesamt sind Gender und Raum ein eher randständiges Thema in den Geschichtswissenschaften mit großen Forschungslücken. Zudem liegen mehr Studien zu normativen Diskursen als zu konkreten Praxen der Raumkonstruktion vor. Überblickswerke und Synthesen, gerade mit einer vergleichenden europäischen Perspektive, sind ein Desideratum. Insbesondere ländliche Räume oder urbane Unterschichten sind mit Quellen schwer zu fassen. Auch nationale, regionale oder lokale Unterschiede wurden bisher nur punktuell behandelt oder sind das Nebenergebnis von eigentlich anders ausgerichteten Forschungsunterfangen.
Die großen Forschungslücken vermag dieser Beitrag nicht zu schließen. Sein Ziel ist es, mit einem exemplarischen Vorgehen die Konstruktionsmechanismen von relationalen Genderräumen offen zu legen und die wichtigste thematische Achse, entlang derer über Genderräume geforscht wird, einzubeziehen. Es handelt sich um die Dichotomie privat/öffentlich und das Paradigma der getrennten ''Sphären'' von Frauen und Männern. Einem Überblick über die Wurzeln und Reichweite des Sphärenmodells als normativem Element von Genderräumen folgen zwei Beispiele, die jeweils einen Frauenraum und einen Männerraum5 vor diesem Hintergrund analysieren. Der genauere Blick soll die Konstruktionsmechanismen offen legen und nimmt den Raum selbst mit seinen physischen Komponenten als Quelle. Das unterscheidet diesen Artikel von der Mehrheit der Beiträge zu Genderräumen, die oft den Diskurs über Räume oder soziale Praxen, aber nicht den Raum selbst als Quelle thematisieren. Zeitlich und örtlich liegen die beiden Beispiele nahe beieinander, um vergleichbar zu sein. Beide – der Frauenpalast auf der Pariser Weltausstellung 1900 und das Pariser Panthéon – haben europäische Bezüge und stehen exemplarisch für einen europäischen Diskurs, aber haben einen Schwerpunkt in Paris. Paris als ''Hauptstadt des 19. Jahrhunderts'' bietet sich an, weil es für den europäischen Kulturtransfer eine herausragende Rolle als Impulsgeber spielte. Der Architektur in den beiden Beispielen gilt eine besondere Aufmerksamkeit, da sich generell an Architektur und Kunstwerken Kulturtransfers und das Handeln ihrer Akteurinnen und Akteure gut nachvollziehen lassen. So diente beispielsweise der Pariser Louvre als zu übertrumpfende Vorlage für das Wiener Kaiserforum. Das Nachzeichnen dieser Kulturtransfers würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, doch ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Architektur eines der Medien des Kulturtransfers war, das Genderräume maßgeblich mitgestaltete. Dass die Architektur eine so wichtige Rolle spielte, liegt nicht zuletzt daran, dass sich gesellschaftliche Machtverhältnisse immer auch räumlich ausdrücken, wie beispielsweise höfische Repräsentationsräume zeigen.
Privat und öffentlich – auf der Spur einer gesellschaftlich relevanten Dichotomie?
Die idealisierte Dichotomie von privatem Leben und Öffentlichkeit, von Haushalt und Familie der weiblichen ''Sphäre'' und der politisch-ökonomischen ''Sphäre'' außerhalb als männlicher Domäne, beinhaltete jeweils unterschiedliche Räume, Aufgaben und Verhaltensnormen für Männer und Frauen. Das Modell steht am Ende einer langen Entwicklung. Man kann davon ausgehen, dass es sich mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts europaweit und bei großen Teilen der Bevölkerung als kulturelles Leitbild etabliert hatte, getragen vom aufstrebenden Bürgertum.6
Schon für das 15. Jahrhundert lässt sich eine Form dieser Sphärenzuschreibung festmachen.7 Sehr deutlich hervor tritt sie etwa im moralistischen Diskurs im England der Frühen Neuzeit ab dem späten 16. Jahrhundert.8 Wie Amanda Flather für das lange 17. Jahrhundert zeigen konnte, sah die Praxis aber viel diverser aus: Sie variierte lokal stark und wurde von Faktoren wie Zeit, Ort, Beruf oder sozialem Status beeinflusst, so dass sich das Sphärenmodell nur bedingt für die Erklärung der Geschlechterverhältnisse im England der Frühen Neuzeit eignet – auch, weil es in sich widersprüchlich war.9 Raum war eine Grundlage für die Herausbildung der Genderidentitäten. Status und Gender wurden im Alltag konstant physisch zur Schau gestellt und ausverhandelt, beginnend beim Bett, in dem eine Person schlief, ihrem Platz am Tisch und dem Essen, in der Kontrolle des Zugangs zu verschiedenen Zimmern im Haus, in Kleidung, Gestik und Sprache. Beispielsweise war lautes Sprechen und eine aufrechte Körpersprache mit ausladenden Gesten eine Art, sich persönlich Raum anzueignen, die idealerweise dem Mann mehr Raum zugestand als seiner Ehefrau, die sich ihm unterordnen sollte. Gleichzeitig traten in der Praxis Frauen ebenso resolut auf, was die Moralisten geißelten.
Mit der Aufklärung wurde das Sphärenmodell zum allgemeingültigen Ideal erklärt und von den Akteurinnen und Akteuren der Aufklärung persuasiv verbreitet. Das zeigt sich beispielsweise mit Blick auf den ländlichen Raum und die deutschsprachige Aufklärung. Während die kulturellen Normen vor dem 18. Jahrhundert zwar unterschiedliche, aber aktive wirtschaftliche Rollen für Frauen und Männer vorsahen, kam mit der Modernisierung der Landwirtschaft langsam ein anderes Verständnis zum Tragen.10 Die aufgeklärten Ökonomen entwickelten ihre Entwürfe einer zeitgemäßen, reformierten Agrarwirtschaft immer mehr zum Modell der getrennten Sphären, in dem die Frau nicht mehr als Partnerin und Stellvertreterin ihres Mannes, sondern als Hausfrau einen vergleichsweise engen Wirkungskreis haben sollte. Auch ist hier von einem Unterschied zwischen dem gelehrten Diskurs und der lokalen Praxis auszugehen. Trotzdem zeigt das Beispiel, wie sich der Diskurs über Geschlecht im Laufe der Zeit in allen Lebensbereichen änderte. Mit der Einführung des Code Napoléon und den sich daraus ableitenden Gesetzen wurden im 19. Jahrhundert europaweit die rechtlichen Standards verändert und das Sphärenmodell schlug sich auch in den rechtlichen Rahmenbedingungen nieder.
Das Sphärenmodell als Ideal wirkte sich je nach lokalen, regionalen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen unterschiedlich aus.11 Für Frauen aus dem Bürgertum – das Träger dieses Modells war – hatte es in Mittel- und Westeuropa eine starke normative Wirkung. Es war ihnen nicht ohne weiteres möglich, sich außerhalb der eigenen Wohnung zu bewegen. Für den Besuch von Familie, Freunden oder der Pfarrkirche brauchten sie keine Begleitung, fü12 Ein bürgerlicher Mann konnte im 19. Jahrhundert eine Stadt vollkommen anders erleben und nutzen als eine Frau aus demselben Milieu. Eine Arbeiterin hatte dagegen mehr Freiheiten, aufgrund des ökonomischen Drucks musste sie sich allein im Stadtraum bewegen können – im durch das Bürgertum geprägten Diskurs wurden Arbeiterinnen daher auch als moralisch zweifelhaft angesehen. Das Geschlecht hatte nicht nur Auswirkungen auf die Nutzung von Räumen, sondern auch auf deren Gestaltung. Ein großbürgerliches Boudoir als ''Frauenzimmer'' war ein extra für Frauen geschaffener Raum, wohingegen für den Neubau des Pariser Rathauses 1874 nur Toiletten für Männer eingeplant wurden. Die Architekten rechneten nicht mit weiblichen Verwaltungsangestellten oder mit Frauen, die dort ihre Amtsgeschäfte erledigten, weil diese dafür einen männlichen Vormund benötigten.
Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein wirkte das Modell der getrennten Sphären, auch da, wo man es zunächst nicht vermuten möchte: beispielsweise im Roten Wien, dem sozialdemokratisch regierten Wien der Zwischenkriegszeit. Hier wurde ein groß angelegtes kommunales Wohnbauprogramm realisiert, das sozialistische Reformideen umsetzen sollte. Allerdings wurden keine – der Ideologie eigentlich besser entsprechenden – Einküchenhäuser errichtet, die über die Frauen entlastenden Serviceeinrichtungen für Hausarbeit und Kinderbetreuung verfügten, sondern kleine Einzelwohnungen mit Küche, groß genug für die Kernfamilie.13 Öffnungszeiten von Waschküchen etc. waren so angelegt, dass sie nur von Hausfrauen benutzt werden konnten, nicht von berufstätigen Personen. Auf zu Werbezwecken erstellten Photographien der Waschküche waren dementsprechend auch nur waschende Frauen zu sehen.14 Auch die Sozialdemokratie hielt an einer vergeschlechtlichten Trennung von Lohn- und Hausarbeit fest, die sich durch die Wohnbauoffensive in tausenden Wohnungen manifestierte. Wie die hier angesprochenen Beispiele verdeutlichen, war das Sphärenmodell wichtig für die Herausbildung moderner Genderräume – es dominierte den Diskurs zu Gender und Raum und strukturierte die gebaute Umwelt. Gleichzeitig war es ein oft nicht erreichtes Ideal, während die Praxen je nach Kontext stark variierten.
Pantheons und der Kult der Großen Männer
Ähnlich weit wie das Sphärenmodell reicht eine andere Vorstellung zurück, die des "Großen Mannes". "Der große Mann zeichnet sich aus durch allerlei außergewöhnliche Qualitäten; er verfügt über ein großes Können, einen umfassenden Weitblick, er ersinnt große Pläne, er tut Großes."15 So definierte Mitte des 19. Jahrhunderts das Lexikon Larousse den "Großen Mann" oder grand homme. Er hatte kein weibliches Gegenstück. Frauen brachten es zur Berühmtheit, zur femme illustre, aber sie waren nicht ganz auf Augenhöhe und es gab keinen vergleichbaren Kult um sie. Wichtig war am "Großen Mann", dass er seine überragenden geistigen und moralischen Qualitäten zum Wohle der (oft national definierten) Allgemeinheit einsetzte, besonders auf dem Felde der Politik, Wissenschaft oder Kunst. Auch Feldherren konnten "Große Männer" sein, obwohl das Konzept zu seiner Hochzeit bürgerlich und zivil geprägt war, man denke etwa an die ungezählten Goethe- und Schillerdenkmäler in Deutschland. Seine stärkste Ausprägung erlebte das Konzept des "Großen Mannes" in Frankreich, von wo aus es in Deutschland aufgegriffen wurde.16 Das Konzept war europaweit so erfolgreich, dass von einem regelrechten Kult um den "Großen Mann" gesprochen werden kann. Dieser Kult manifestierte sich nicht nur in Denkmälern sehr deutlich, sondern insbesondere in den europäischen Pantheons.
Egal ob Westminster Abbey in London, das Pantheon in Paris oder in Rom – die Pantheons sind Touristenmagneten. Sie gelten als sehenswürdig, weil sie sich in Bauwerken mit großartiger Architektur befinden und weil die dort bestatteten berühmten Persönlichkeiten anziehend wirken. Ihre Berühmtheit adelt den Ort ihrer Grabstätte. Heute ist mit Pantheons meist eine solche Grabstätte "Großer Männer" gemeint, jedoch sind Funktion und Bezeichnung historisch nicht immer eindeutig. Das Pantheon in Rom entstand im zweiten Jahrhundert n.Chr. als ein spiritueller Raum und Kultort zu Ehren aller Götter und wurde nach seiner Christianisierung der Mutter Gottes geweiht. Mit der Beerdigung des Malers und Architekten der italienischen Hochrenaissance, Raffaello Sanzios (1483–1520), 1520 wurde es zum Prototyp eines enger gefassten Verständnisses von der Funktion eines Pantheons als Begräbnisstätte illustrer Künstler und Männer.
Europaweit keimte der Kult um den grand homme auf, wenngleich große Pantheons selten waren. Auffällig sind bei deren Errichtung die lange Zeitspanne, das West-Ost-Gefälle und die Vorreiterrolle Renaissance-Italiens. Nach der Umfunktionierung des römischen Pantheons im 16. Jahrhundert folgte kurz darauf England mit Westminster Abbey. In der berühmten Abtei, in der vormals vor allem Mitglieder des Königshauses bestattet wurden, war zwar schon 1400 der Diplomat und Schriftsteller Geoffrey Chaucer (ca. 1340–1400) beigesetzt worden. Aber erst 1555 wurde ihm sein heute noch zu sehendes, auffälliges Grabmonument gesetzt und die Neudefinition der Abtei als Pantheon begann. Mit dem zweiten, in unmittelbarer Nähe begrabenen Poeten Edmund Spenser (ca. 1552–1599) wurde 1599 der Poets' Corner begründet, wo seither gefeierte Künstlerinnen und Künstler beigesetzt oder mit einem Denkmal geehrt werden.
Das Pariser Panthéon war von 1758 bis 1790 als Kirche Sainte-Geneviève geschaffen worden. Im Zuge der revolutionären Ereignisse 1791 wurde es entsakralisiert und als starker symbolischer Akt zur Grabstätte "Großer Männer" umgewidmet. 1842 entstand die Walhalla bei Regensburg, eine Ruhmeshalle deutscher Geistesgrößen mit Denkmälern statt Gräbern. Im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts kamen Pantheons verstärkt als Gedächtnisstätten für "Große Männer" in Mode, gemeinsam mit dem Aufstieg des Konzepts vom grand homme. Das Konzept des Pantheons entfernte sich dabei so weit von seinen Wurzeln als architektonischer Ort, dass es im frühen 20. Jahrhundert sogar Praxis war, ein Stück Papier mit den aufgedruckten Namen berühmter Männer als Pantheon zu bezeichnen.17 Das funktionierte, weil das papierne Pantheon Teil eines Diskurses über "Große Männer" war und auf die bekannten architektonischen Vorbilder referenzieren konnte.
Die Pantheons sind wie auch die Denkmäler für "Große Männer" räumliche Marker für den Kult um den grand homme, der aufs Engste mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gendervorstellungen als gesellschaftliches Leitbild verknüpft ist. Da er allein durch sein eigenes Verdienst und nicht aufgrund seiner Herkunft berühmt wurde, verkörperte der "Große Mann" die idealisierte bürgerliche Männlichkeit, unterstützte er doch den Gedanken des Aufstiegs durch Meriten und damit den Wandel zur bürgerlichen Gesellschaft. Wie kein anderes Bauwerk illustriert dies das Pariser Panthéon, das je nach Regierungsform des Landes ent- und resakralisiert wurde, bis es ab 1884 ein republikanischer Kultort blieb. Dort erhalten verdienstvolle französische Persönlichkeiten seitdem ein Staatsbegräbnis und es finden wichtige politische Zeremonien statt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts, mit einem Höhepunkt um 1900, wurde der Kult um die grands hommes für die politische Kultur Frankreichs, aber auch für die Genderidentitäten, essentiell. "Aux grands hommes la patrie reconnaissante" steht in großen Lettern auf dem Giebel der Hauptfassade – das Vaterland gedenkt seiner "Großen Männer". Man berief sich auf die kulturellen Leistungen der Nation, verkörpert durch Geistesgrößen wie Voltaire (1694–1778)[], und stellte die grands hommes in Wort, Schrift und Bild als ideale Männer dar. Auf großformatigen Wandmalereien reitet beispielsweise Chlodwig (466–511) in die Schlacht, Karl der Große (747–814) wird gekrönt, Ludwig IX. (1214–1270) sitzt zu Gericht. Große, um 1900 aufgestellte Denkmäler dominieren den Innenraum: Gruppen von tapferen Soldaten feiern den französischen Kampfgeist und die revolutionäre Armee, Redner und Publizisten werfen sich in Pose, in der ehemaligen Apsis schwören auf monumentalen 6,4 mal 9,5 Metern bekannte Abgeordnete der Nationalkonvention einer Allegorie der Republik die Treue, während hinter eben jener eine Gruppe Soldaten in die Revolutionskriege aufbricht. Weibliche Allegorien sind zahlreich in den Wandgemälden und an den Denkmälern zu finden. Die einzigen Frauen, die geehrt werden, sind die Heiligen Genoveva (ca. 422–ca. 502) und Jeanne d'Arc (1412–1431) auf Wandmalereien, die aus der Zeit stammen, als das Gebäude noch Kirche war. Wäre das Pantheon nicht zwischenzeitlich als Kirche genutzt worden, hätte es vermutlich keine Frau zu einer Ehrung im Innenraum gebracht. Auch die Inschriften aus dem 20. Jahrhundert ehren Männer, Résistancekämpfer, Schriftsteller und Philosophen. Die grands hommes, sofern sie mit Gemälden oder Skulpturen in Szene gesetzt werden, sind dargestellt als Männer im ''besten Alter'', von guter Statur, mit markanten Gesichtern, gerader Haltung und in tatkräftigen Posen, gestikulierend oder in die Arbeit vertieft. Bei den im Panthéon bestatteten Personen zeigt sich ein ähnliches Verhältnis: Intellektuelle, Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte, Politiker machen insgesamt 32 Geehrte aus. Das Panthéon wird von der Zurschaustellung idealisierter Männlichkeit dominiert. Als Ort mit großer symbolischer Bedeutung für die Republik Frankreich markiert es die kulturellen Leistungen, die wichtig für die französische Identität sind, sowie die Politik an sich als Männerdomäne, die Öffentlichkeit als männliche Sphäre.
Mit einem kurzen Blick auf die Zeremonien, die im und um das Panthéon herum stattfanden, wird dieses Bild noch deutlicher. Das gigantisch inszenierte Begräbnis von Victor Hugo (1802–1885)[], das am 1. Juni 1885 mehr als eine Million Zuschauerinnen und Zuschauer auf die Straßen von Paris zog, gibt einen Eindruck von der Wichtigkeit des Panthéons als Gedenkort und symbolischem Tempel der Nation. Der Trauerzug führte quer durch die Stadt und endete am Panthéon. Über ihn wurde in der illustrierten Presse ausführlich berichtet. Als Teilnehmer am Trauerzug wurden überwiegend Männer und (damals nur männliche) offizielle Würdenträger dargestellt, auch wenn Frauen teilnahmen, etwa in der Abordnung ausländischer Studenten. Das zeigt beispielsweise diese Abbildung aus L'Illustration vom 6. Juni 1885. Militärs und Zivilisten gehen Seite an Seite auf das Panthéon zu, demonstrieren dabei nationale Einigkeit. Soldaten halten die Straße für den Trauerzug frei, Frauen sind nur bei den Zusehenden zu finden.
An der Konstruktion der Öffentlichkeit als männliche Sphäre im Panthéon änderte sich erst in jüngster Zeit durch die Ehrungen für Frauen etwas. Fünf wurden im Pariser Panthéon bestattet. Sophie Berthelot (1837–1907) wurde zwar schon 1907 begraben, aber nur, weil ihr Mann dort seine letzte Ruhe fand. Mit Marie Curie (1867–1934)[] kam erst 1995 die erste Frau aufgrund ihrer anerkannten Leistungen mit einem Staatsbegräbnis ins Panthéon, seit 2015 drei weitere. Zum Vergleich: Ein ähnliches Bild ergibt die Geschlechterverteilung des Poets' Corner in Westminster Abbey. Drei von 53 hier begrabenen Personen sind weiblich, zehn Frauen – und 59 Männer – wurden mit einem Denkmal geehrt. Dabei wurden fast alle Denkmäler für Frauen seit den 1950er Jahren errichtet – wie insgesamt die Hälfte aller Denkmäler. Dies ist ein Zeichen für die gesellschaftlichen Bestrebungen hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit, das dem Kult um den "Großen Mann" aber keinen Abbruch tut und deutlich nach seinem Höhepunkt liegt.
Der Kult der "Großen Männer" ist nicht auf das Pariser Panthéon beschränkt. Hunderte Statuen für grands hommes stehen im Pariser Stadtgebiet, die meisten Straßen sind nach ihnen benannt, sie finden sich zuhauf an Fassaden und Prunkräumen staatlicher Repräsentationsarchitektur – und von dieser wird Paris insbesondere im Stadtzentrum symbolisch und strukturell dominiert.18 Diese Ehrungen machen sichtbar und greifbar, wie der ''öffentliche'' städtische Raum in Paris als männlicher Bereich konstruiert und gedacht wurde. Auch in anderen europäischen Städten findet sich dieses Schema – die moderne Stadt schien nicht ohne es auszukommen.
Palais de la femme auf der Pariser Weltausstellung von 1900
So wie das Pantheon als expliziter Männerraum gedacht war, gab es auch explizite öffentliche Frauenräume. War es beim Pantheon die Dominanz der Vorstellung vom öffentlichen Raum als Männerraum, der zur selbstverständlichen Konzeption des Pantheons als Kultstätte der "Großen Männer" führte, so war es bei den Weltausstellungen der Mangel, der zu Frauenpavillons führte. Um es nochmals zu sagen, Öffentlichkeit(en) war(en) nur in der Idealvorstellung männerexklusiv, in der Praxis nie. So wie die französische Nation und ihre Identifikationsfigur grand homme im Pariser Panthéon gefeiert wurde, feierten sich die Nationalstaaten auf den Weltausstellungen. Darüber hinaus wurde der Fortschritt insbesondere in Gestalt der technischen Innovation als zivilisatorische Leistung gefeiert. ''Fortschritt'' als ein wichtiges Thema des 19. Jahrhunderts war eng mit Männlichkeit verknüpft, da Männer als geniale Erfinder und Forscher als Träger dieses Fortschritts wahrgenommen wurden. Das ist jener Personenkreis, der auch im Panthéon geehrt wurde.
Fest in Männerhand lag die offizielle Organisation von Weltausstellungen – wenngleich es bei allen Weltausstellungen viele Arten der Beteiligung von Frauen gab. Besonders wichtig waren hier die lokalen Frauenkomitees, die mithalfen, für die Ausrichtung der Weltausstellungen privat Geld zu lukrieren. So engagierte sich für die Weltausstellung in Philadelphia 1876 das Women's Centennial Executive Committee. Als offenbar wurde, dass die Organisatoren der Ausstellung kaum die Arbeit von Frauen in der Ausstellung berücksichtigen wollten, sammelte das Women's Committee erfolgreich Geld für ein eigenes Ausstellungsgebäude der Frauen. Generell waren Frauen auf Weltausstellungen indirekt vertreten durch die Produkte, an deren Herstellung sie beteiligt waren. Wie ihre männlichen Kollegen blieben sie dann anonym – mit Ausnahme von Kunstwerken, bei denen stets die Künstlerin oder der Künstler genannt wurden. Auf den Weltausstellungen waren Künstlerinnen, wenn auch selten, in den Pavillons ihrer Nationen vertreten, um für ihre Werke zu werben. Öfter traf man Frauen an als Angestellte in den zahlreichen Restaurationen und anderen Amüsierstätten sowie als "leicht bekleidete Bewohnerinnen exotischer Dörfer".19 Als Ausstellerinnen schließlich waren sie in den unterschiedlichsten Branchen vertreten, jedoch – wenn man von der Wiener Weltausstellung von 1873 ausgeht – eher im einstelligen prozentualen Bereich, bis auf die Ausnahme der kunstgewerblichen textilen Zulieferindustrie.20
Neben Philadelphia 1876 gab es in Chicago 1893 ein weiteres Ausstellungsgebäude für Frauen, ebenso auf der Pariser Ausstellung 1900. Die Idee, die Leistungen von Frauen sichtbar zu machen oder etwas eigens für das weibliche Publikum der Weltausstellung zu schaffen, wurde übernommen. Für Paris 1900 wurde das 'Palais de la Femme' errichtet, für das sich ein Frauenkomitee eingesetzt hatte.21 Zunächst wurde dem Frauenkomitee von der Weltausstellungskommission die Finanzierung eines offiziellen Ausstellungspalastes zugesagt. Aus finanziellen Erwägungen wurde dann aber wieder Abstand davon genommen. Daraufhin organisierten sich die Frauen selbst und trieben die finanziellen Mittel auf. Planung und Ausführung des Bauwerks selbst lagen wieder fest in Männerhand, zwei Architekten waren damit betraut.22 An seine Bestimmung angepasst wurde die Gestaltung des Palais, wie die Journalistin Anne St. Cère (alias Anna Lindau, ca. 1853–1940) es in Worte fasste: "Der Architekt, M. Pontremoli, hat es verstanden, die Grazie und den Reiz liebenswürdiger Weiblichkeit in Stuck und Stein zu verkörpern."23
Es handelte sich in den Augen der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen um ein elegantes Gebäude, das sich schon durch seine architektonische Gestaltung im Einklang mit dem zeitgenössischen Geschlechterdiskurs befand. Im Gegensatz zu seinem Vorbild in Chicago war es nicht errichtet worden, um die Teilhabe von Frauen am kulturellen, künstlerischen und technischen Fortschritt hervorzuheben. Das Palais sollte vielmehr als ein Schutz- und Rückzugsraum für Weltausstellungsbesucherinnen dienen und vermittelte die ''private'' Atmosphäre eines Clubs: "diesen elegantesten aller Frauenklubs, der ganz besonders für die fremden ohne männlichen Schutz reisenden Damen ein fast unentbehrlicher Zufluchts- und Erholungsort sein wird."24
Frauen wurden in der Planung des Palastes stark als Konsumentinnen wahrgenommen und als schutzbedürftige Wesen, die einen Erholungsraum brauchten. Dazu gehörten Toilettezimmer, ein Lesesalon (mit Werken von Autorinnen) sowie Produkte, die als typisch weiblich angesehen wurden, beispielsweise Toilette- und Hygieneartikel, feine Textilerzeugnisse oder kunstgewerbliche Gegenstände. Ein Teil dieser Artikel wurde vor den Augen der Besucherinnen und Besucher von Frauen hergestellt. Im ersten Stock wurden ''neue'', für Frauen schickliche Berufe vorgestellt wie Telefonistin, Druckerin oder Schreibfräulein. Zwar wurde die Frauenfrage insofern behandelt, als Frauen als berufstätige Personen dargestellt wurden. Doch bewegte sich dies bewusst im Rahmen des bürgerlichen Genderdiskurses. Nicht Fabrikarbeiterinnen oder Anwältinnen wurden als Vorbilder hingestellt, sondern Frauen, die Spitzen herstellten und klöppelten oder in geschlossenen Räumen, geschützt vor der Öffentlichkeit, Assistenzarbeiten übernahmen. Sie sollten die Besucherinnen animieren, falls nötig, eine Erwerbstätigkeit zu wählen, die ihrem Geschlecht angemessen sei, wie eine vom Frauenkomitee herausgegebene Broschüre klarstellte:
Quant aux femmes qui demandent au travail manuel les ressources de leur existence, on leur démontrera, en faisant exécuter devant le public … qu'elles auraient avantage à les faire chez elles. Il n'est que temps de lutter contre la tendance … qui attire la femme vers l'atelier, vers l'usine, où sa santé et sa moralité courent les plus grands dangers.25
Die Heimarbeit als weibliche Einkommensquelle für Arbeiterinnen26 wurde propagiert, indem man deren Vorteile aufzeigte. Im Gegensatz dazu stand nahezu jede andere Beschäftigung, es sei "höchste Zeit, gegen die Tendenz zu kämpfen, … die die Frau ins Atelier zieht, in die Fabrik, wo ihrer Gesundheit und Moral größte Gefahr drohen". Einen bürgerlicheren Blick auf die Arbeitswelt hätte man wohl kaum formulieren können. Wie die Betonung der Vorteile von Heimarbeit zeigt, wurden Frauen von den Organisatorinnen als Wesen der Privatsphäre verstanden, für das verschiedene Formen der Öffentlichkeit sogar gefährlich sein konnten. Der bürgerliche Diskurs von privat und öffentlich strukturierte die Konzeption des Palais, die Nutzung, die Berichterstattung und die Botschaften, die die Besucherinnen mit auf den Weg bekamen. Für die Übermittlung dieser Botschaften sorgten die verschiedensten Medien. Im Palais wurden Theaterstücke und Musik von Künstlerinnen vorgestellt, tableaux vivants27 demonstrierten Szenen aus dem Leben von femmes illustres – Penelope, Kleopatra (69–30 v.Chr.), Cornelia (ca. 300), Madame Pompadour (1721–1764), Kaiserin Josephine (1763–1814)[]– und vorbildliche Alltagsszenen. "Nichts ist vergessen worden, das die Frauen interessieren, unterhalten und belehren kann."28 Die tableaux vivants zeigten die femmes illustres in Szenen, die auch den modernen Frauen zugetraut wurden: musizierend wie Kleopatra, als matronenhafte Kaiserin Josephine zu Hause oder als Inbegriff der ehelichen Treue wie Penelope. Frauen wurden als zu belehrendes und erziehendes Publikum verstanden – technologieinteressierte Männer im Maschinensaal im Vergleich dazu weit weniger. Es fanden Kongresse zur Frauenfrage im Palais statt, sowie "Vorträge über Kindererziehung, Hygiene und Medizin" und "Koch- und Haushaltungskurse".29
Schon der erste Frauenpavillon in Philadelphia hatte sich der häuslichen Sphäre als Wirkungsbereich von Frauen verschrieben und zeigte neben Erfindungen von Frauen – die oft den Haushalt betrafen – arbeitssparende Haushaltsutensilien, Möbel, Reformkleidung und Handarbeiten. Alle Frauenpavillons entsprachen dem gängigen Geschlechterdiskurs, die einzelnen Pavillons setzten lediglich Akzente, die der jeweiligen nationalen Situation der Ausrichtenden entsprachen. In den Frauenpavillons überschnitten sich zudem die verschiedenen Dimensionen der räumlichen Konstruktion von Geschlecht: es gab einen physischen Raum, ein Gebäude, das als Palast der Frauen konzipiert wurde. Die Möglichkeiten, diesen zu gestalten (kleiner, weil weniger Geld vorhanden war) und die Regeln, nach denen dies geschah (elegant und ''weiblich'') verweisen auf die kulturellen Strukturen, nach denen Weiblichkeit konstruiert wurde. Der Raum, welcher Frauen in den Frauenpavillons als für sie angemessen zugewiesen wurde, war der Raum des Privaten und Häuslichen – in praktischer wie ideeller Hinsicht. An diesem Beispiel zeigt sich die Vielschichtigkeit von relationalem Raum besonders deutlich.
Fazit
Die Frauenpavillons verdeutlichten die bürgerliche Idee von der privaten Frau, die sich idealerweise im eigenen Heim aufhalten sollte und illustrieren, wie dieses Ideal gesamtgesellschaftlichen Gü