Theorie: Normsetzung und Devianz
Die Begriffe "Dissenter", "Nonkonformist" oder auch "Separatist" sind allesamt relationale Begriffe, die aus der Betonung der Devianz, der Abweichung von durch gesellschaftlich dominante Kräfte gesetzten Normen, gebildet sind.1 Es geht also um Selbst- und Fremdzuschreibungen, die häufig mit einem Werturteil verbunden sind und sich auf Prozesse der Normenbildung und Normendurchsetzung zu einem bestimmten Zeitpunkt beziehen. Im neuzeitlichen Europa war es in religiöser Hinsicht zumeist eine Staatskirche oder zumindest eine obrigkeitlich privilegierte Kirche, die entsprechende Normen – sowohl, was die zu adaptierenden Glaubensinhalte als auch, was die zu befolgenden Verhaltensnormierungen betraf – vorgab. Zum Teil wird in der Forschung daher terminologisch unterschieden zwischen dem eher mit der Orthodoxie im Konflikt stehenden Dissent und einem stärker auf eine Abweichung in der Orthopraxie bezogenen Nonkonformismus.2 Die Erforschung abweichenden Verhaltens hat von der Soziologie ausgehend auch in der Geschichtswissenschaft Einzug gehalten und sich hier v.a. mit Fragen der Kriminalität und der Erfassung sozialer Randgruppen beschäftigt. Nonkonformismus – v.a. religiöser Art – stellt grundsätzlich ein Element der Destabilisierung kultureller und sozialer Ordnung dar, das durch die Wertsetzung des Betrachters entweder als produktive Innovation oder als destruktive Gefährdung wahrgenommen werden kann.3
Vorgeschichten: Religiöser Nonkonformismus und Dissent in Spätmittelalter und Reformation
Das Interpretationsmuster der destruktiven Gefährdung ist in der Kirchengeschichte in Form der Ketzerprozesse wirksam geworden, mit Hilfe derer versucht wurde, Formen der Abweichung von der kirchlichen Lehre nach Möglichkeit zu eliminieren und die Gefährdung der Sozialgestalt der Kirche zu minimieren. Von besonderer Bedeutung für die britischen Verhältnisse ist in dieser Hinsicht die vorreformatorische Bewegung der Lollarden. Diese sich an die Lehren John Wyclifs (ca. 1330–1384) anschließende und mit dem Wunsch nach Reformen in der Kirche sowie antiklerikalen Ressentiments verbindende Bewegung betonte die Gleichheit von Priestern und Laien, eine Abwertung der Sakramente gegenüber der Bibel, zu deren Auslegung jeder Gläubige befähigt sein sollte, und das Neue Testament als Maßstab auch für die äußere Gestalt der Kirche. Die Lollarden selbst gründeten keine eigene Kirchenstruktur, sondern sammelten sich in Hauskreisen. Sie wurden bis in die 1530er Jahre als Häretiker verfolgt und gelten als "Wegbereiter der Reformation" in England.4
In der auf dem Kontinent früher als in England einsetzenden Reformation waren es dann v.a. Täufer und Spiritualisten, die aufgrund ihrer von den schließlich normsetzenden Instanzen abweichenden Positionierung an den Rand gedrängt wurden und in der Historiographie als 'deviante' Formen des reformatorischen Aufbruchs begegnen. Die durchaus heterogenen täuferischen Bewegungen, die jedoch als gemeinsames Merkmal – mit unterschiedlichem Gewicht – die Mündigentaufe aufweisen, sind seit 1525 im oberdeutschen Sprachraum, seit 1530 im niederdeutsch-niederländischen Sprachraum, seit ca. 1540 in Italien und seit 1565 in Form der täuferisch-antitrinitarischen polnischen Brüder nachweisbar. Diese Auflistung zeigt bereits, dass die traditionelle Engführung sowohl der normativen Benderschen als auch der revisionistischen Täuferforschung,5 unter "Täufertum" ausschließlich Phänomene des deutschen und niederländischen Bereichs zu fassen, überwunden werden sollte – gerade wenn man nach wirkungsgeschichtlichen Zusammenhängen in verschiedene Richtungen fragt.6 Als politisch brisant wurden Konzeptualisierungen einer Freiwilligkeitskirche wahrgenommen, da durch diese sowohl die Grundlagen der spätmittelalterlichen Gesellschaftsordnung als auch die volkskirchlichen Ansätze der Reformatoren in Frage gestellt wurden. In den Niederlanden wurde den Täufern – hier in Gestalt der Mennoniten – seit 1570 begrenzte Toleranz gewährt. Und auch in einigen Reichsterritorien sowie im Königreich Polen erhielten Mennoniten bereits im 16. Jahrhundert einen außerständischen Rechtsstatus, der den Obrigkeiten aufgrund der ökonomischen Potenz der TäMichael Driedger (geb. 1967) als "conforming nonconformity" bezeichnet hat, also als ein Verhalten, das das Rubrum religiöser Devianz durch eine intensivierte Erfüllung gesellschaftlicher und obrigkeitlicher Normen und Erwartungen kompensierte.7 Auch wenn die täuferische Historiographie zum Teil Zusammenhänge zu vorreformatorischen Bewegungen, die mitunter – wie die Böhmischen Brüder – eine Übertrittstaufe kannten, konstruiert, lassen sich dafür keine sicheren historischen Belege finden.8 Sehr viel stärker als in der um klare Klassifizierungen bemühten Forschung der 1960er Jahre werden in der neueren Forschung die Übergänge und Unschärfen zwischen Täufertum und Spiritualismus betont.9
Dissenter und Nonkonformisten in Großbritannien – und den Niederlanden: eine Beziehungsgeschichte
Es hat eine gewisse Plausibilität, dass die zuvor skizzierten Strömungen – neben dem sich erst später ausprägenden Calvinismus – für die Entstehung des englischen Dissentertums nicht ohne Bedeutung waren. Naheliegend, aber im Einzelnen schwer nachzuweisen ist die Kontinuität lollardischer Traditionen; mit großer Wahrscheinlichkeit kam es hier aber zu einer Verbindung mit täuferischen Ansichten. Hinweise auf die Verbreitung täuferischer Gedanken in England sowie Zeugnisse für die Verfolgung von Täufern gibt es bereits für die 1530er Jahre,10 dann schließlich umfangreichere Quellen ab der Mitte des 16. Jahrhunderts, die belegen, dass nicht nur niederländische Glaubensflüchtlinge, sondern auch Engländer Elemente speziell melchioritischer Theologie vertraten bzw. adaptierten. In besonderer Weise beobachten lässt sich das in Regionen mit älteren lollardischen Traditionen – was für die These vom Zusammengehen der beiden Traditionsstränge spricht.11 Außerdem ist am zeitgenössischen häresiologischen Sprachgebrauch auffällig, dass mit dem Begriff "Anabaptists" solche Personen bezeichnet wurden, die 'radikale' Anschauungen vertraten, die denen der Lollarden nahe waren, und die von 'heterodoxen' Ansichten aus den Niederlanden inspiriert waren – ohne dass dies notwendig mit einem Fokus auf der Glaubenstaufe verbunden sein musste.12
Damit ist bereits angeklungen, dass die Niederlande in besonderer Weise einen Raum darstellten, mit dem Großbritannien in mehrfacher Hinsicht verbunden war. Dies betraf zum einen die wirtschaftlichen Beziehungen, zum anderen spielten aber auch Wechselbewegungen im religiösen Bereich eine Rolle, die im 16. Jahrhundert zunächst v.a. in der gegenseitigen Aufnahme von Glaubensflüchtlingen bestanden. Zunächst waren es Reformationsanhänger unterschiedlicher Couleur aus den südlichen Provinzen der Niederlande, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts Zuflucht in England suchten, woraus – zusammen mit Flüchtlingen aus anderen Teilen des Kontinents nach dem Augsburger Interim von 1548 – eigene Ausländergemeinden entstanden. Die Niederländer konzentrierten sich v.a. in London, Norwich, Canterbury, Colchester, Yarmouth, Southampton, Maidstone und Sandwich.13 Unter Maria Tudor (1516–1558) verließen wiederum englische Protestanten, meistens Angehörige der Oberschicht, um ihres Glaubens willen das Land und suchten primär Zuflucht in reformierten Städten des Kontinents (Emden, Basel, Aarau, Zürich, Genf, Antwerpen).14 In größerem Stil wurden die Niederlande erst etwas später zum potentiellen Zufluchtsort, da in deren sich zwischen 1566 und 1585 vollziehender Teilung die Utrechter Union von 1579, die die Grundlage der Republik im Norden bildete, Gewissensfreiheit proklamierte. Privilegiert wurde die Reformierte Kirche; insgesamt waren die nördlichen Niederlande konfessionell aber pluriform, während die südlichen Niederlande katholisch wurden bzw. blieben.15
Über die von Johannes à Lasco (1499–1560) organisierte Ausländergemeinde in London ist gesagt worden, dass sich "hier [...] ein puritanisches Kirchenmodell im Kleinformat" entwickelt habe.16 Damit ist eine zweite, sehr viel besser greifbare Strömung als die lollardisch-täuferische genannt, die für das spätere Dissentertum von Bedeutung werden sollte, nämlich der Puritanismus. Diese Bewegung, der die 'Reinigung' des Gottesdienstes und der Kirchenverfassung von katholisierenden Elementen ein zentrales Anliegen war und die von 1560 bis 1660 "die stärkste geistige Kraft in England" darstellte,17 bewegte sich zunächst innerhalb der 1534 von Rom gelösten Church of England und wollte diese von innen reformieren. Obwohl Elisabeth I. (1533–1603)[] in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Übereinkunft (settlement) zwischen den einander innerhalb der Church of England widerstreitenden Kräften erreicht hatte, gingen einzelne Puritaner, denen die Reinigung von katholisierenden Tendenzen nicht weit genug gegangen war, seit den 1570er Jahren in die Separation und gründeten Gemeinden in London, Norwich, Gainsborough und Southwark. Eine Verhaftungswelle in den 1580er und -90er Jahren18 veranlasste zahlreiche separatistische Puritaner zur Auswanderung in die nun religiöse Freiheit gewährenden Niederlande, wo sich puritanische Gemeinden in Middelburg, Leiden und Amsterdam bildeten. Die erste Gemeinde, die diesen Weg ging, war die von Robert Browne (ca. 1550–1633) und Robert Harrison (ca. 1545–1585) in Norwich gegründete, die 1582 nach Middelburg in den Niederlanden auswanderte, wo Browne sein programmatisches Treatise of reformation without tarying for anie veröffentlichte. Nach Browne bestand die wahre Kirche aus der freiwilligen Gemeinschaft von Gläubigen, die sich in einem Covenant (Bund) zum Gehorsam gegenüber Gottes Geboten und gegenseitig zu geschwisterlicher Gemeindezucht verpflichteten. Unter seiner Leitung und der John Robinsons (ca.1575–1625) wurden so erstmals die ekklesiologischen Grundsätze des Kongregationalismus formuliert.19 Von nun an gab es mit "Brownisten" bzw. "Separatisten" erste Bezeichnungen für außerhalb der englischen Staatskirche stehende Gruppierungen.
Damit bildeten sie aber nur einen Teil der puritanischen Bewegung, denn die Mehrheit verblieb innerhalb der Church of England und lehnte den Schritt in die Separation ab. Allerdings konnten diese Puritaner durchaus als "Nonconformists" bezeichnet werden, insofern sie unter Elisabeth I. zwar in der etablierten Kirche verblieben, sich bestimmten als 'römisch' angesehenen Praktiken, wie sie im Act of Uniformity von 1559 verlangt wurden, aber verweigerten.20 Der Klerus teilte sich in Konformisten und Nonkonformisten; letztere suchten ihr Auskommen – um den entsprechenden Zwängen zu entgehen – häufig als Privatkapläne puritanischer Adeliger, Lehrer oder Lektoren.21
Diese Spannungen bildeten sich auch dort ab, wo in den Niederlanden englische Ausländergemeinden bestanden, denn in einigen Städten mit englischer Population gab es nicht nur eine Engelse Kerk, sondern gleich mehrere; so in Amsterdam, Rotterdam und Leiden und für kurze Zeit auch in Middelburg. Während der Großteil der Gemeindeglieder sich jeweils aus Händlern, Handwerkern, Soldaten und Studenten zusammensetzte, waren die Prediger zumeist nonkonformistische Puritaner, die sich den für sie unerträglichen Zuständen in England entzogen. Religionsflüchtlinge unter den Gemeindegliedern waren eher in den separatistischen Gemeinden anzutreffen. Die puritanischen Gemeinden konnten daher entweder ein presbyterianisches Gepräge haben, das ihnen sowohl die Anerkennung der städtischen Magistrate als auch der niederländischen Reformierten Kirche einbrachte, oder aber ein dezidiert separatistisches, das die städtischen Obrigkeiten nicht an der Anerkennung hinderte, wohl aber die etablierte Reformierte Kirche. So gab es im bereits erwähnten Middelburg neben der Gemeinde der separatistischen Brownisten auch eine presbyterianische Gemeinde der englischen Merchant Adventurers. Allerdings beschränkten sich die Beziehungen des Puritanismus zu den Niederlanden in elisabethanischer Zeit nicht allein auf diese personalen Austauschprozesse. Die Niederlande wurden auch außerordentlich wichtig für die puritanische Publizistik. In mehreren Städten wurden puritanische Schriften veröffentlicht, besonders die Presse von Richard Schilders (ca. 1538–1634) in Middelburg brachte zahlreiche puritanische Werke hervor, die in England nicht hätten gedruckt werden können, aber gleichwohl dorthin gelangten; unter ihnen sowohl Schriften von Browne und Harrison als auch Thomas Cartwrights (1535–1603) Brief Apologie oder Walter Travers' (ca. 1547–1635) Defence of the Ecclesiastical Discipline.22 "Many chapters of the Puritan story happened in the Low Countries"23 – und so verschob sich auch der Nukleus englischsprachiger religiöser 'Abweichung' zwischen dem Ende des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in die Niederlande. Von dort wurde das kongregationalistische Hauptanliegen der Autonomie der Einzelgemeinde aufgrund der Emigration einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Angehörigen der Leidener Exilgemeinde auf der Mayflower im Jahre 1620 in die nordamerikanischen Kolonien getragen.24
Zugleich stellten die Entwicklungen in den Niederlanden den Rahmen für die Entstehung einer weiteren großen protestantischen Kirchenfamilie dar. John Smyth (1554–1612) hatte 1606 eine separatistische Gemeinde in Gainsborough um sich gesammelt, in deren Umfeld noch eine weitere freie Gemeinde entstand. Aufgrund der Unterdrückung suchte man ab 1608 Zuflucht in den Niederlanden. Dort wuchs bei Smyth die Überzeugung von der Schriftgemäßheit allein der Glaubenstaufe. Smyth taufte sich zunächst selbst und dann seine Anhänger. So entstand 1609 in Amsterdam die erste Baptistengemeinde – englischsprachig, aber auf niederländischem Boden.25 Wenngleich man Kontakt mit holländischen Mennoniten hatte und sich ein Teil der Anhänger Smyths nach dessen Tod den Mennoniten anschloss, war die Gemeinde nicht aus dem kontinentaleuropäischen Täufertum, sondern aus dem separatistischen Puritanismus Englands hervorgegangen. Ein Teil der Gemeinde kehrte nach Smyths Tod nach England zurück und gründete dort die erste Baptistengemeinde in England. Handelte es sich bei dieser Gründung um eine arminianisch ausgerichtete Gemeinde – eine Ausrichtung, die später als General Baptists bezeichnet wurde –, so entstand aus dem Kongregationalismus ab 1641 die calvinistische Richtung der Particular Baptists.26
Eine gänzlich neue Situation brachten für Nonkonformisten und Separatisten Revolution, Bürgerkrieg und englische Republik zwischen 1640 und 1660. In der Zeit zuvor war es unter Jakob I. (1566–1625) für den Puritanismus als innerkirchliche Reformbewegung zunehmend schwierig geworden zu agieren, sodass um 1630 eine weitere Auswanderungswelle von England in die Niederlande und nach Nordamerika zu verzeichnen ist.27 Allerdings hatten sich angeregt durch Henry Jacob (1563–1624) seit 1616 v.a. in London sowie in Süd- und Ostengland Gemeinden nach einem neuen semi-separatistischen Modell gebildet. Die Mitglieder sollten sich nicht völlig von ihren anglikanischen Ortsgemeinden trennen, aber ihr christliches Leben durch einen Covenant an eine nach biblischen Maßgaben strukturierte Gemeinde binden. Auch wenn dies von König und Bischöfen mit dem Separatismus der elisabethanischen Zeit in eins gesetzt und entsprechend bekämpft wurde, ist für diese Zeit in gewissem Sinne von fließenden Übergängen zwischen Staatskirche und einem vollendeten Separatismus auszugehen. Und schließlich waren es auch unterschiedliche Kirchenmodelle, die im Kampf der Parlamentsarmee gegen Karl I. (1600–1649) von 1642 bis 1645 das puritanische Lager spalteten. Presbyterianer, die in Anlehnung an das verbündete Schottland eine nationale Kirche mit der Möglichkeit der Disziplinierung des ganzen Volkes erstrebten, standen Independenten gegenüber, die das Modell freiwilliger und unabhängiger Personalgemeinden vertraten ("gathered churches") und allgemeine Glaubensfreiheit forderten. In der Folgezeit sollte sich zeigen, dass auch nach der Hinrichtung Karls I. 1649 diese innere Spaltung letztlich eine umfassende Reform des Kirchenwesens und auch anderer gesellschaftlicher Bereiche verhinderte.28 Mit Blick auf die Niederlande bereiteten die Entwicklungen ab 1640 aber den Weg für die Rückkehr der exilierten Puritaner. Nun waren es die Royalisten, die von England aus Zuflucht in den Niederlanden suchten.29 Die in dieser Zeit gewährte freie Religionsausübung in England führte dazu, dass puritanische Kreise Zulauf erhielten; gleichwohl stießen die Abschaffung volkstümlicher Festivitäten und die Beschränkungen der Brauchtumspflege in der Bevölkerung vielfach auf Ablehnung. Der englische Bürgerkrieg und die damit einhergehende Notsituation der unteren Bevölkerungsschichten hatten Forderungen nach Reformen im politischen und sozialen Bereich von Seiten der Nonkonformisten laut werden lassen, begünstigten aber auch das Auftreten von Endzeit-Propheten und die Entstehung libertinistischer Ideen. Allerdings erhielten auch die eher gemäßigten Quäker Zulauf, die sich seit 1652 unter der Leitung von George Fox (1624–1691) sammelten und das Ideal der Gewissensfreiheit vertraten, das schließlich von William Penn (1644–1718) in die in den Jahren 1674 bis 1682 von ihm erworbenen Ländereien in Nordamerika getragen wurde.30
Nach dem Tod des Lord Protector Oliver Cromwell (1599–1658)[] begann unter Karl II. (1630–1685) die Restauration. Durch die intoleranten Bestimmungen des Clarendon Code (1661–1664) wurden alle Nonkonformisten – auch royalistische Presbyterianer – von sämtlichen städtischen Ämtern ausgeschlossen und Konventikel verboten. Alle Pfarrer, Lehrer und Professoren hatten sich unverkürzt an das Book of Common Prayer zu halten. In diesem Zusammenhang – der Einführung der Uniformitätsakte von 1662 – kam es schließlich auch terminologisch zur Entstehung der "Dissenter", denn so wurden diejenigen Pfarrer und ihre Anhänger bezeichnet, die sich der Uniformitätsakte widersetzten und die anglikanische Staatskirche verließen.31
Auch wenn der Puritanismus als innerkirchliche Bewegung damit im Niedergang begriffen war, kam es noch einmal zur Produktion beachtlicher literarischer Werke, zu denen u.a. John Miltons (1608–1674)[] Paradise Lost (1667) und John Bunyans (1628–1688) Pilgrim's Progress (1678) gehören – Werke, die wie die schon vorhergehenden Schriften des Puritanismus auch gesamteuropäisch Resonanz fanden. Wesentliche Resonanzräume für puritanische Schriften scheinen dabei wiederum die Niederlande und Deutschland gewesen zu sein.32 Umfangreich ist die Zahl der Übersetzungen puritanischer Werke ins Niederländische, die bereits vor der Wende zum 17. Jahrhundert begannen und eine erste Konjunktur bis etwa 1620 hatten. Danach nahm in den Niederlanden die eigene Produktion von sich mit der praktischen Frömmigkeit beschäftigenden Erbauungsbüchern zu, während zwischen 1640 und 1660 mit dem durch die äußeren Rahmenbedingungen erleichterten größeren Angebot erneut eine Konjunktur englischer Erbauungsbücher verzeichnet werden kann. Bei niederländischen Buchhändlern und Verlegern dürften für ihr Angebot jeweils sowohl wirtschaftliche als auch ideelle Motive ausschlaggebend gewesen sein.33 Eingebettet ist diese Übersetzungstätigkeit in Frömmigkeitsbestrebungen in den Niederlanden, die sich das ganze 17. Jahrhundert hindurch beobachten lassen und die gewisse Parallelen zum englischen Puritanismus und zum deutschen Pietismus aufweisen – sowohl innerhalb der Reformierten Kirche ("Nadere Reformatie") als auch bei für den niederländischen Kontext als 'Dissenter' zu bezeichnende Gruppierungen (Taufgesinnte, Kollegianten, individualistische oder sich vergemeinschaftende Mystiker; zum Kreis der Dissenter gehören hier außerdem auch Lutheraner und Remonstranten). In der Forschung wird mit unterschiedlicher Akzentuierung betont, wie sehr neben dem Calvinismus puritanische Einflüsse für diese Frömmigkeitsbestrebungen bedeutsam geworden sind.34 Diese wurden zum einen literarisch vermittelt, zum anderen aber auch durch persönliche Kontakte, die sich sowohl durch die Präsenz der bereits geschildertern puritanischen Ausländergemeinden in niederländischen Städten ergeben konnten als auch durch Reisen. Willem Teellinck (1579–1629), der an den Anfang der "Nadere Reformatie" gehört, war während eines Aufenthaltes in England von Lebensstil und Frömmigkeit eines puritanischen Kreises so beeindruckt worden, dass dieser ihm zum Vorbild für seine eigene kirchliche Tätigkeit in den Niederlanden wurde.35 Der ebenfalls für die "Nadere Reformatie" bedeutsame Godefridus Udemans (ca. 1581–1649) hatte zwar keine persönlichen Beziehungen zu englischen Puritanern, in seiner Bibliothek befanden sich aber diverse englische und schottische puritanische Werke. Das Phänomen der Übersetzung englischer Erbauungsliteratur lässt sich im übrigen auch für den deutschsprachigen Raum verfolgen: in einer bibliographischen Erhebung Mitte der 1980er Jahre zu den Anfängen des Pietismus werden für diese Zeit insgesamt 1661 englische Traktate in deutscher Übersetzung verzeichnet.36
Die geschilderten frömmigkeitlichen Strömungen des 16. bis 17. Jahrhunderts in England, von denen sich – wie angedeutet – auch Verbindungslinien zum entstehenden deutschen Pietismus ziehen lassen, brachten den sogenannten "Old Dissent" hervor: Presbyterianer, Kongregationalisten, Baptisten und Quäker. Im 18. Jahrhundert entstand mit dem sogenannten "New Dissent" eine weitere Richtung, die wiederum Impulse aus dem deutschen Pietismus empfing und mit dem Evangelical Revival verbunden ist. Durch die aus der Glorious Revolution resultierende Toleranzakte war den Dissentern 1689 die freie Ausübung des Gottesdienstes garantiert worden; Staatsämter und Universitätsbesuch blieben ihnen aber weiter verwehrt. Man kann davon ausgehen, dass der Anteil der Dissenter an der Gesamtbevölkerung an der Wende zum 18. Jahrhundert bei ca. 6 Prozent lag.37 Die zu dieser Zeit entstehenden religious societies (Society for Promoting Christian Knowledge 1695, Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts 1701) stellten zusammen mit dem Puritanismus den Wurzelboden für die Erneuerungsbewegung des Evangelical Revival dar, das sich v.a. in Entstehung und Ausbreitung der von kontinentaleuropäischen pietistischen Impulsen geprägten methodistischen Bewegung äußerte, die von der Mitte des 18. Jahrhunderts an als innerkirchliche Erneuerungsbewegung die englische Staatskirche zu beleben versuchte, am Ende des Jahrhunderts aber schließlich – auch wenn der Hauptstrom der wesleyanischen Methodisten (anders als die Methodist New Connexion, Primitive Methodists, Wesleyan Methodist Association) lange zögerte, sich den Dissentern zuzurechnen (und sie das Book of Common Prayer ja auch befolgten) – in eine eigene Kirchenbildung mündete.38 Eben bei diesen Gruppen spricht man vom "New Dissent". Theologisch kennzeichnend für das frühe 18. Jahrhundert war, dass die presbyterianischen Gruppen der Dissenter im Kontext der trinitätstheologischen Debatten zunehmend zum Unitarismus tendierten.39 Das Evangelical Revival selbst belebte aber auch die Gruppen des "Old Dissent".40 Unter Philip Doddridge (1702–1751) entstand eine vermittelnde Theologie, die Independenten und Particular Baptists den Übergang vom Calvinismus zu einer eher arminianischen Theologie möglich machte.41 Auf diese Weise wurden auch überdenominationelle Vereinigungen begünstigt, die schließlich zur "wichtigsten Verkörperung evangelikaler Christlichkeit in England und zu einem einflußreichen Faktor des Wandels" werden sollten.42
Die im Zuge der Industrialisierung einsetzende massive Verstädterung stellte das kirchlich verfasste Christentum vor Herausforderungen, denen der in seiner institutionellen Ausgestaltung im Vergleich mit der Staatskirche sehr viel flexiblere und mit einer gewissen Nähe zu Voluntarismus und freiem Unternehmertum versehene Nonkonformismus – nun wurde auch dieser Begriff für dieses Spektrum des Protestantismus verstärkt gebraucht – sehr viel besser begegnen konnten, sodass der Zuwachs an Kirchengliedern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts v.a. bei den Dissentern lag.43 Erst ab den 1830er Jahren gelang es der anglikanischen Kirche, effektiv auf die neuen gesellschaftlichen Bedingungen zu reagieren.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts gehörten etwa 20 Prozent der Bevölkerung Großbritanniens Freikirchen an,44 was bedeutet, dass etwa die Hälfte aller regelmäßigen Gottesdienstbesucher zu dieser Zeit Gottesdienste der Nonkonformisten besuchte.45 Der sich durchsetzende Begriff der "Nonconformists" bezeichnete im zeitgenössischen Sprachgebrauch schließlich genau dies (Personen, die Gottesdienste außerhalb der Staatskirche besuchen) und verdrängte nach und nach den der "Dissenters".
Die Rivalität der Denominationen war eines der Hauptmerkmale der religiösen Situation im viktorianischen Zeitalter, das durch die Aufhebung der Diskriminierung von Katholiken und Dissentern, den Aufstieg der zum Dissentertum neigenden Mittelschichten, eine Konversionswelle in Oxford und die irische Einwanderung befördert wurde. Der Nonkonformismus festigte seine Stellung weiter und vertiefte durch seine Verbindung mit der liberalen Partei die Kluft zur Staatskirche.46 Gesellschaftlich akzeptiert und mit eigener kultureller Prägung bildete er ein wesentliches Milieu des späten 19. Jahrhunderts in England und Wales,47 das im 20. Jahrhundert aber einen rapiden Niedergang erlebte, so dass eine Studie über die "Nonconformists" im 19. und frühen 20. Jahrhundert den Untertitel trägt: "In search of a lost culture".48
"Dissenter" auf dem restlichen Kontinent? Zur Verflechtungen devianter Gruppierungen mit den englisch-niederländischen Entwicklungen
Denkt man an Phänomene religiösen "Dissentertums" auf dem europäischen Kontinent in der Frühen Neuzeit, so kommt neben den bereits geschilderten Phänomenen v.a. der Antitrinitarismus in den Blick, der in einem italienisch-osteuropäischen Transferprozess Gestalt gewann und in Siebenbürgen und Polen sogar das Feld der Dissidenz verließ.49 Einen Haftpunkt in den hier zu verhandelnden Zusammenhängen hat er dadurch, dass 1656 im als "Irenopolis" bezeichneten Amsterdam die Werke Fausto Sozzinis (1539–1604) in den Druck gelangten.50 Dies macht erneut deutlich, dass die Niederlande bis ins 18. Jahrhundert hinein wegen der dort herrschenden religiösen Toleranz das europäische Zentrum 'heterodoxer' Literaturproduktion auch in anderen Sprachen waren.51 Derartige Literatur war es wiederum auch, die in anderen europäischen Ländern rezipiert wurde – so z.B. die Erbauungsschriften der Nonkonformisten Baxter und Bunyan in Deutschland.52 Ebenfalls in Amsterdam erschien 1682 die erste Gesamtausgabe der Schriften Jakob Böhmes (1575–1624), die v.a. über die böhmistischen Philadelphier in England für die 'radikalen' Strömungen des deutschen Pietismus von Bedeutung werden sollten. Denn seit Mitte der 1690er Jahre erschienen die Schriften Jane Leades (1624–1704), John Pordages (1607–1681) und Thomas Bromleys (1629–1691) auch in deutscher Übersetzung und fanden eine breite Rezeption,53 nachdem erste Kontakte deutscher Pietisten mit englischen Philadelphiern durch Englandreisende und über böhmistische Kreise um Johann Georg Gichtel (1638–1710) in den Niederlanden bereits in den 1680er Jahren zustande gekommen sein dürften.54 Es waren v.a. endzeitliche Spekulationen und die Bildung philadelphischer Zirkel, die durch diese Kontakte und Rezeptionsvorgänge initiiert wurden und für den gesamten radikalen Pietismus prägend werden sollten.55 1702 gab sich die Londoner philadelphische Sozietät als Signum der nun aufziehenden Heilszeit in der Form von Statuten eine feste Verfassung sowie ein ausformuliertes Glaubensbekenntnis und suchte durch die Entsendung eines Emissärs nach Deutschland auch die dortigen Gesinnungsfreunde in einem länderübergreifenden Zusammenschluss zu vereinigen. Diese ließen sich dazu allerdings nicht bewegen – nicht zuletzt, weil in Deutschland eine neue 'Sektengründung' mit erheblichen politischen Risiken verbunden gewesen wäre.56 Eine andere sich dem niederländischen Kontext verdankende und separatistische Tendenzen befördernde Strömung war der Labadismus, der zu in Gütergemeinschaft lebenden Gruppenbildungen in den Niederlanden und Norddeutschland führte.57 Während diese Gruppenbildungen im 18. Jahrhundert zum Erliegen kamen, war den Freikirchenbildungen des 19. Jahrhunderts eine dauerhafte Existenz beschert.
Britische Dissenter und kontinentaleuropäische Freikirchenbildung: Zusammenhänge
Auf dem europäischen Kontinent entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts kongregationalistische, baptistische und methodistische Gemeinden – wobei sich beobachten lässt, dass von Großbritannien mitunter nur erste Impulse ausgingen, während dauerhafte Gemeinschaftsbildungen erst durch Unternehmungen von den USA aus entstanden. In gewisser Weise den Boden für die Entstehung dieser Gemeinden bereitet haben Pietismus und Herrnhutertum und schließlich die kontinentaleuropäischen Erweckungsbewegungen des frühen 19. Jahrhunderts, während mennonitische Gemeinden eher nicht so stark nach außen gewirkt haben, dass sie zum unmittelbaren Wurzelboden gerechnet werden könnten. Das sich damit verbindende Vereins- und Sozietätswesen war ein international ausgerichtetes, über das sich viele Kontakte v.a. in die englischsprachige Welt ergaben.
Große Ausstrahlung auf den Kontinent hatte das Wirken der wohlhabenden Brüder Robert (1764–1842) und James Haldane (1768–1851) aus Edinburgh. Sie stammten aus der schottischen presbyterianischen Kirche – in Schottland war das die Staatskirche, die Anglikaner gehörten hier zu den 'Dissentern' –, hatten diese jedoch nach ihrer Bekehrung Ende der 1790er Jahre verlassen und eine kongregationalistische Gemeinde gegründet.58 Die Brüder waren an der Gründung verschiedener Gesellschaften beteiligt, von denen mannigfache Impulse für die Entstehung von Freikirchen auf dem europäischen Kontinent ausgingen; von besonderer Bedeutung sollte in diesem Zusammenhang die überkonfessionelle Continental Society for the Diffusion of Religious Knowledge over the Continent of Europe werden.59
Im Herbst 1816 kam Robert, der schon länger eine Evangelisationsreise auf den Kontinent geplant hatte, nach Genf und fand im Kontext des dort beginnenden Réveil Zugang zu Kreisen einer der rationalistischen Theologie gegenüber kritisch eingestellten Studentenschaft, die sich dort in den letzten Jahren gesammelt hatten. Er hielt Versammlungen, in denen er den Römerbrief auslegte, die nachhaltigen Eindruck hinterließen. Nach seinem Weggang 1817 und einem Reglement der Compagnie des Pasteurs aus dem selben Jahr, wonach bestimmte theologische Themen wie die Erbsünde oder die zwei Naturen Christi nicht mehr auf der Kanzel zu erwähnen waren, war es dann der sich auf der Durchreise befindende, der Scottish Free Church angehörende Henry Drummond (1786–1869), der die erweckten Theologen – es hatte sich mittlerweile eine Art Kanzelstreit entzündet, von dem nicht mehr nur die Studenten betroffen waren – zur Separation anstieß. Es bildete sich die "Nouvelle Église", aus der sich die independente Gemeinde am Place de Bourg-de-Four entwickelte. "Zweifellos formte das Herrnhutertum Frömmigkeit und antirationalistische Haltung der oppositionellen jungen Theologen, doch erst die Begegnung mit dem britischen Evangelikalismus" – und genauer müsste man sagen: mit britischen Dissentern – "ermöglichte die organisatorische Verselbständigung des Réveil."60 Es bildeten sich weitere independente Gemeinden, und die Bewegung griff auf die Schweiz auch in ihren deutschsprachigen Teilen aus.61 Von der Schweiz gelangten die mit kongregationalistischen Vorstellungen verbundenen erwecklichen Ansätze nach Frankreich, sodass sich auch hier selbstständige Gemeinden bildeten. Von frankophonen Vorbildern einer "Eglise libre" angeregt entstand schließlich auch 1854 in Elberfeld eine erste "Freie evangelische Gemeinde" in Deutschland.62 In den publizistischen Auseinandersetzungen, die sich mit den Entwicklungen in Genf verbanden, wird von staatskirchlicher Seite interessanterweise der Vorwurf des "Methodismus" erhoben, obwohl dieser im engeren Sinn an den Entwicklungen in Genf völlig unbeteiligt war.63 Hier wird deutlich, dass der Terminus als eine Art Chiffre für einen erwecklichen Protestantismus angelsächsischer Prägung verwendet werden konnte.
Mehrere Studenten wurden von der bereits erwähnten Continental Society angestellt, unter ihnen auch Henri Pyt (1796–1835), der als Evangelist in den französischsprachigen Ländern wirkte. Da er von der Richtigkeit der Glaubenstaufe überzeugt war, in dieser Hinsicht – um keinen Konflikt mit der Reformierten Kirche heraufzubeschwören – aber nicht offensiv agierte, bedurfte es eines erweckten Kreises in Frankreich, der von sich aus die Taufe von Pyt begehrte, und woraus um 1820 die vermutlich erste baptistische Gemeinde auf dem Kontinent nach derjenigen Smyths entstand. Neben dieser Gemeinde in Nomain entstand eine zweite in Aix. Es bildeten ich weitere baptistische Gemeinden in Frankreich, die sowohl durch die American Baptist Missionary Union – "attempting to diffuse among that oppressed people the blessings of an enligthened Christianity"64 – als auch durch die British Baptist Continental Society unterstützt wurden.65 Als eigentlicher "Vater des kontinentaleuropäischen Baptismus" wird zumeist Johann Gerhard Oncken (1800–1884) bezeichnet, der vielfältige Beziehungen nach Großbritannien hatte und selbst als Agent sowohl für amerikanische als auch für britische Traktat- und Bibelgesellschaften wirkte und auch von der Continental Society angestellt war.66 Unter ihm wurde eine erste baptistische Gemeinde in Hamburg gegründet und durch sein Wirken verbreitete sich der Baptismus in weiten Teilen Europas.67
Auch in Skandinavien sind Wirkungen der Haldane-Brüder zu erkennen. 1809 begann in Schweden eine Arbeit mit zwei 'Missionaren', die aus dem Umfeld der Brüder Haldane stammten, woraus eine freie Gemeinde nach schottisch-englischem Muster in Göteburg erwuchs.68 In Stockholm fasste – nachdem es schon vorher Berührungen mit dem Methodismus gegeben hatte – seit 1826 eine englisch-wesleyanische Mission Fuß, die zunächst auf die englischsprachigen Arbeiter eines britischen Fabrikanten bezogen war, aber schon bald darüber hinausreichte und in der Gründung zweier methodistischer Klassen Gestalt gewann.69 Durch publizistische Tätigkeiten und die Gründung einer Missionsgesellschaft aus diesem Kontext heraus erhielt nicht zuletzt die ältere, pietistisch geprägte Läsare-Bewegung neues Leben und wurden spätere für die Erweckung innerhalb der Lutherischen Kirche maßgebliche Gestalten wie Carl Olof Rosenius (1816–1868) angeregt. Nach kritischen Äußerungen über die schwedische Staatskirche musste der die Arbeit leitende Wesleyaner George Scott (1804–1874) das Land 1842 verlassen.70 Mit seinem Weggang kam auch die dortige methodistische Mission zum Erliegen71 und wurde erst zwanzig Jahre später von Amerika aus wieder aufgenommen.72 Auch die Anfänge des Baptismus in Schweden waren amerikanisch geprägt.73
Die ersten Missionstätigkeiten britischer Methodisten auf dem europäischen Festland waren allerdings nicht durch die geplante Wirksamkeit einer Missionsgesellschaft, sondern durch private Initiativen zustande gekommen. Ein Kaufmann von den Kanalinseln, wo seit 1775 Methodisten lebten, wurde um 1790 bei einer Handelsreise auf den Mangel an reformierten Pastoren in der Normandie aufmerksam und bemühte sich in der Folgezeit darum, 'Missionare' zur Stärkung des Protestantismus nach Frankreich zu holen. Bis 1815 gab es keinen geplanten Aufbau der Mission, aber einzelne Persönlichkeiten ließen sich für diesen Dienst gewinnen, als Methodisten – dem ursprünglichen englischen Modell folgend – innerhalb der offiziellen protestantischen Kirche zu wirken. Sie wurden später zum Teil Pastoren der Reformierten Kirche.74
Das durch den Genfer Réveil auch in Frankreich spürbar erwecklich geprägte Klima führte dort zu einem Neueinsatz der methodistischen Mission nach 1818. Charles Cook (1787–1858) begann zusammen mit anderen Missionaren in Rückkopplung an die methodistische Missionsgesellschaft in England mit dem systematischen Aufbau einer methodistischen Arbeit in Frankreich, durch die methodistische Gesellschaften innerhalb der Reformierten Kirche entstanden. Die Identitätsfrage, vor die man sich mit der Zeit gestellt sah, lautete – wie später in ähnlicher Weise in Deutschland –, ob die Methodisten eine religiöse Vereinigung innerhalb der Landeskirche oder eine eigenständige Kirche waren.75 Die Abhängigkeit von der englischen Missionsgesellschaft blieb bis 1852 bestehen, erst dann bildete sich eine eigene Konferenz und damit auch eigenständige Kirche, die aber weiter auf finanzielle Hilfe aus England angewiesen blieb bzw. später auch von methodistischen Kirchen aus Amerika unterstützt wurde.76 Auch in Gibraltar, Spanien und Italien gab es von England aus methodistische Missionsbemühungen.77 In Deutschland gab es zunächst in Hamburg, ab 1830 auch und v.a. ausgehend vom württembergischen Winnenden wesleyanische Kreise, die sich ihrem Selbstverständnis nach nicht außerhalb der Landeskirche befanden und nur lose organisiert waren. Erst die nach 1849 beginnende Mission von Nordamerika aus führte schließlich zur Bildung methodistischer Kirchen in Deutschland.78
Anders als im Baptismus, wo es zumeist ein Mit- und Ineinander von britischen und amerikanischen Einflüssen gab, lässt sich im Methodismus eher eine Zweiphasigkeit von englischen und amerikanischen Einflüssen beobachten, die nicht selten mit bestimmten Rivalitäten verbunden war. Die Lage dieser 'Dissenter' in den unterschiedlichen Ländern und Territorien des Kontinents differierte, allgemein waren mit dem Ausscheiden aus den etablierten Kirchen aber zumeist staatsbürgerliche Benachteiligungen und Repressionen bis hin zu öffentlichen Anfeindungen verbunden.79
Wirkungen
Auch wenn die Dissenter in der englischen Gesellschaft immer nur eine Minderheit darstellten, sind ihre Wirkungen auf die Länder der britischen Inseln und ihre weltweite Ausstrahlung nicht zu unterschätzen. Sowohl was den Kampf für individuelle Freiheitsrechte als auch die Vorstellung von Gemeinschaftsformen, die durch die gegenseitige Bundesverpflichtung und demokratische Prozesse der Entscheidungsfindung konstituiert werden, betrifft, wurden ihre Ansätze zusammen mit aufklärerischen staatsphilosophischen Konzepten für den politischen Bereich wirksam. Max Weber (1864–1920)[] und Ernst Troeltsch (1865–1923) schrieben zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem "Sektentypus" – zu dem sie das Dissenter- und Freikirchentum zählten – eine wesentliche Funktion in der Hervorbringung der Moderne zu.80 In England selbst wurde durch die Tradition des sich nicht von einer Staatskirche reglementieren lassenden Dissent deutlich früher als in vielen anderen europäischen Nationen eine pluralistische Gesellschaft eingeübt und kultiviert. Dadurch dass die Dissenter durchaus politisch aktiv waren, kam es auf der Insel angesichts von Industrialisierung und Bevölkerungsexplosion nicht zu den gleichen in die Irreligiosität führenden Zügen wie auf dem Kontinent. Damit trugen sie wesentlich zur inneren Stabilität der englischen Gesellschaft bei. Schließlich waren die Dissenter häufig federführend in den Anfängen und dem Ausbau der weltweiten Mission.81