Einleitung
Noch heute, ein knappes Jahrhundert nachdem die Monarchie im Umfeld des 1. Weltkriegs als Staatsform in weiten Teilen Europas (Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland, Portugal) zu ihrem Ende gekommen und von demokratisch(er)en Systemen abgelöst worden war und Finnland den Weg zum Königreich dann doch nicht (mehr) beschritten hatte, faszinieren die bewegten und unbewegten Bilder vom Zusammentreffen des europäischen Hochadels aus Anlass einer Hochzeit, einer Taufe oder einer Beisetzung breite Bevölkerungsschichten. Zwischen den Dynastien der skandinavischen Staaten, der Niederlande, Belgiens, Großbritanniens und Spaniens, Monacos, Luxemburgs und Liechtensteins, aber auch den entthronten ehemaligen Herrscherfamilien Deutschlands, Österreichs, Bulgariens, Italiens, um nur die wichtigsten herauszugreifen, bestehen unverändert allerengste familiäre Beziehungen, und auch wenn die Heiraten innerhalb dieser Hochadelsfamilien inzwischen eher zur Ausnahme geworden sind, ist der Eindruck bis heute dominant, dass hier nach wie vor eine europäische "Familie der Dynastien" besteht. Auch in den Förmlichkeiten der Anrede kommt dieses Familiale zum Ausdruck: Jeder Angehörige dieser sozialen Kohorte ist irgendwie wenigstens der Cousin jedes anderen Mitglieds.
Von einer solchen "Familie der Dynastien" konnte man sicher in der Vormoderne deswegen mit noch größerem Recht sprechen, als von einer dynastischen Eheschließung weit mehr als das private Glück (oder Unglück) zweier junger Menschen abhing, weil damit vielmehr auch das Schicksal ganzer Staaten vorgezeichnet werden konnte (und wurde). Entsprechend rege ist die Forschung zu diesem europäischen Dynastizismus, den man sehr häufig eben mit familialen Metaphern bedenkt, oder auch, wie ein französischer Historiker das formuliert hat, mit der der "société des princes".1 Fragt man nach den Gründen für den Aufschwung dieser am Hochadel orientierten Forschungsrichtung – dem eine am Niederadel orientierte parallel läuft2 –, so kommen hier sicher verschiedene Faktoren zusammen: ein generelles neues Denken in europäischen Zusammenhängen, die Erkenntnis, dass mit dem Medium der Heirat ganz große und nachhaltige Politik gemacht wurde, ein Forschungstrend, der nach Rang und Zeremoniell in der europäischen Staatengemeinschaft fragt, nicht zuletzt im Rahmen des cultural turn der Ansatz, das Potential an kulturellem Transfer auszuloten, das jeder grenzüberschreitenden Heirat innewohnte. So ist in letzter Zeit u. a. für das ausgehende Mittelalter das Sozialgefüge von Fürstenhäusern in den Blick genommen3 oder die symbolische Außenpolitik der europäischen Monarchien, wie sie sich in den Herrscherbegegnungen manifestierte,4 erhellt worden, und in beiderlei Hinsicht sind die Brücken hin zur dynastischen Verwobenheit der europäischen Dynastien evident. Dabei gilt ein ganz expliziter Interessenstrang dem 19. Jahrhundert, als die Dynastien neue Wege suchten, um sich in den bürgerlichen Gesellschaften zu behaupten,5 was unter Umständen auch ein Umdenken in ihrem konnubialen Verhalten erforderte oder doch nahelegte. Die einschlägigen Studien, die in letzter Zeit zur Heiratspolitik mächtiger regierender Häuser in der Vormoderne und im 19. Jahrhundert vorgelegt wurden, sind deshalb auch besonders zahlreich; nur beispielshalber sollen die Arbeiten von Pierre Lamaison,6 Alfred Kohler7 und ein rezenter Sammelband von Karina Urbach, der den deutsch-britischen Heiratsverbindungen im 19. Jahrhundert nachgeht, genannt werden.8 Auch in der für ein breiteres Publikum bestimmten Literatur stößt die Thematik der grenz- und kulturübergreifenden dynastischen Heiraten, kaum zufällig, immer wieder auf Interesse.9
Wenn man Dynastien als übergenerationelle Personenverbände versteht, die sich durch territorialen Besitz und durch hoheitliche Rechte konstituierten und sich durch Heiraten, die ihrem Standesbewusstsein und ihrem exklusiven Rang entsprachen, die Voraussetzung für den Erhalt der sozialen Stellung oder den mächtepolitischen Aufstieg schufen, dann wird der Zusammenhang von dynastischen Ehen und staatspolitischer Funktion sofort und ohne Weiteres deutlich. Eheschließungen waren die unabdingbare Voraussetzung für den Fortbestand des Hauses und – wenigstens in der Zeit, in der Dynastie und Staat faktisch zusammenfielen – auch des "Staates". Eheschließungen, in der Praxis oft mit Friedensschlüssen einhergehend, auf jeden Fall aber in Vertragsform gegossen, konnten Ansprüche auf den Besitz anderer Dynastien begründen und konnten so – optional und tatsächlich – erhebliche territoriale Veränderungen auf der politischen Landkarte Europas nach sich ziehen. Von daher war mit jeder dynastischen Heirat nicht nur der Wille verbunden, den exklusiven Rang des eigenen Hauses zu bewahren, sondern immer auch der des möglichen politischen und geographischen Zugewinns. Erst in zweiter Linie interessierte die Akteure das, was für die moderne Geschichtswissenschaft zu einer Leitfrage geworden ist: das Potential an Kulturtransfer.
Faktoren der Heiratsstrategie
Das politische Kalkül von (potentiellem) Braut- und Bräutigamvater engte den Kreis möglicher Partnerinnen und Partner erheblich ein, aber zu den Fragen der Hierarchie und der Wahrung (oder gar Steigerung) des exklusiven Rangs und der politischen Perspektiven, die sich mit einer dynastischen Eheschließung verbanden, traten auch noch andere Faktoren hinzu, die in dem Entscheidungsprozess zu gewichten waren.
Der nach der Reformation wichtigste Gesichtspunkt war die Konfession. Konfessionsübergreifende Eheschließungen im europäischen Hochadel waren in der Vormoderne so gut wie ausgeschlossen und blieben, wie etwa die Heiratspolitik der Hohenzollern veranschaulicht,10 auch im 19. Jahrhundert noch die große Ausnahme von der Regel. Von der Braut wurde in diesen (wenigen) Fällen die Konversion zur Konfession des Bräutigams erwartet, oder es wurde, wenn das nicht zu erreichen war, eine Lösung gefunden, die ihr den Gottesdienst in ihrer Konfession in ihrer Privatkapelle erlaubte. Das aber war schon ein Kompromiss, der nur schweren Herzens eingegangen wurde, weil die Privatkapelle einer Fürstin dann auch zum Anlaufpunkt anderer Personen, die nicht der "Staatsreligion" anhingen oder sich mit Konversionsabsichten trugen, werden konnte, und dergleichen wurde einem Sicherheitsrisiko gleichgesetzt. Der "Normalfall" war also die dynastische Heirat zwischen jungen Leuten derselben Konfession, und das schränkte die Heiratskreise selbstredend drastisch ein. Man wird grosso modo von einem (protestantischen) britisch-norddeutsch-nordeuropäischen Heiratskreis sprechen können und davon den französisch-süddeutsch-südeuropäischen absetzen können, der katholisch geprägt war. Die Grenzen zwischen beiden Heiratskreisen wurden in der Vormoderne höchst selten einmal überschritten, und wenn, dann mussten gravierende politische Überlegungen dafür sprechen, etwa wenn Kaiser Karl VI. (1685–1740) sich mit einer (protestantischen) Welfenprinzessin vermählte, deren Dynastie er sich politisch versichern wollte.
Einen Sonderfall in konfessioneller Hinsicht stellte das orthodoxe Russland dar.11 Nachdem erst in der petrinischen Zeit, also im beginnenden 18. Jahrhundert, ein dynastischer Austausch mit "westlichen" Hochadelsfamilien betrieben zu werden begann – Spiegel eines generellen Prozesses der Öffnung Russlands gen Westen –, war die Regel, dass die (meist aus deutschen regierenden Fürstenfamilien geholten) Ehepartnerinnen der russischen Kaiser bzw. Großfürsten vor ihrer Vermählung in jedem Fall zum orthodoxen Glauben zu konvertieren und dabei auch einen russifizierten neuen Namen anzunehmen hatten; aus der anhaltischen Prinzessin Sophie wurde dann eben eine "Katharina" (1729–1796)[] und aus Sophie Dorothea von Württemberg (1759–1828), der Gemahlin Zar Pauls I. (1754–1801), die den dynastischen Öffnungsprozess der Romanows in Richtung Deutschland energisch vorantrieb, wurde "Marija Fjodorowna", um nur zwei Beispiele anzuführen.
Außerhalb des europäischen Heiratskreises blieb in der gesamten hier in den Blick genommenen Epoche das Osmanische Reich. Eine Eheschließung zwischen einem/einer europäischen Hochadligen und einem prominenten Funktionsträger des islamischen Imperiums überstieg die Vorstellungskraft der Zeitgenossen noch bei Weitem.
Zweiter Gesichtspunkt: Auch die Geographie engte die Heiratskreise ein. Dynastische Heiraten über sehr große Entfernungen hinweg waren in der Vormoderne und auch noch im 19. Jahrhundert eher die Ausnahme. Sieht man einmal von den innerdynastischen Heiraten im Haus Habsburg ab, bei denen es immerhin eine Entfernung von Madrid nach Wien zu überbrücken galt, finden sich long distance matrimonies ausgesprochen selten; zwischen schwedischen und neapolitanischen Fürstenkindern ist es, und zwar nicht nur aus konfessionellen Gründen, nie zu einer Eheschließung gekommen, und auch für die Prinzessinnen, die im 18. und 19. Jahrhundert nach Russland vermählt wurden, waren das in allen Fällen schwierige Entscheidungen, weil der Kontakt zur Heimat nur mit größter Mühe aufrechterhalten werden konnte und es für die Betroffenen letztlich doch darum ging, sich mit einer ganz anderen Welt zu akkommodieren. Schon eine Eheschließung einer spanischen Prinzessin (Beatrix von Aragón, 1457–1508) mit dem ungarischen König Matthias Corvinus (1443–1490)[] im Jahr 1475 zählte zu den Ausnahmen ebenso wie die Sigismunds I. von Polen (1467–1548) mit der Mailänderin Bona Sforza (1494–1557). Typisch waren stattdessen regionale Heiratskreise, von denen man wenigstens einen ostmitteleuropäischen, einen norddeutsch-skandinavischen, einen habsburg-italienischen12 und einen westeuropäischen konstruieren könnte. Um das Gesagte mit einem einzigen Beispiel zu illustrieren: Die aus der Ehe des polnischen Königs Kasimir III. (1310–1370) mit einer Litauerin hervorgegangenen Kinder heirateten einen Pommernherzog (Elisabeth) und einen brandenburgischen Markgrafen (Kunigunde). Aus der Ehe mit Hedwig von Sagan (gest. 1390) hatte Kasimir eine Tochter, die einen Grafen von Cilli heiratete. Die aus der Ehe Elisabeths und ihres pommerschen Gemahls erwachsenen Kinder waren mit litauischen und masowischen Prinzessinnen (Kasimir IV.) bzw. mit dem böhmischen König und römisch-deutschen Kaiser Karl IV. (Elisabeth) verheiratet. Die Internationalität der dynastischen Heiratsbeziehungen fand ihre Grenzen in der Geographie; noch die Hohenzollern des 18. Jahrhunderts sind nur ausnahmsweise über einen "traditionellen" Heiratskreis, der sich mit Hessen, mit dem ein Erbbündnis bestand, Sachsen, Hannover und Oranien definierte, einmal hinausgegangen – Schweden, wohin eine Schwester Friedrichs des Großen (1712–1786) verheiratet wurde, war eine prägnante, freilich in letzter Instanz auch wieder nicht überraschende Ausnahme. Erst im 19. Jahrhundert scheinen sich dann die Heiratskreise ausgedehnt zu haben. Von den Kindern des sächsischen Königs Johann (1801–1873) war ein Sohn (Albert) mit einer Wasa-Prinzessin verheiratet, die Tochter Elisabeth mit einem Herzog von Genua und dann mit einem bürgerlichen Italiener, der Sohn Georg mit einer portugiesischen Infantin, die Tochter Anna mit dem Großherzog von Toskana, die Tochter Margarethe mit einem österreichischen Erzherzog und die Tochter Sophie schließlich mit einem bayerischen Herzog.13 Traditionelle Heiratsgrenzen wurden nun, aber eben auch erst jetzt, leichter übersprungen.
Dritter Gesichtspunkt bei den dynastischen Heiraten der Hochadelsfamilien war die Exklusivität, anders formuliert: die Parität. Ein Mitglied eines Herrscherhauses heiratet in der Regel keinen Niederadligen, eine habsburgische Erzherzogin, um es zu beleuchten, keinen Reichsritter oder landsässigen Grafen. Zwar kam es im regierenden Hochadel in der Regel nicht auf eine förmliche Ahnenprobe an, die bei einer Aufnahme eines Familienmitglieds in ein Domkapitel zu erbringen wäre, aber Missheiraten, die das soziale Prestige beeinträchtigten und damit das soziale Kapital verminderten, waren eben doch tunlich zu vermeiden. Wenn das Familienmitglied aber doch auf einer unstandesgemäßen Ehe beharrte und sich gegen Sanktionsdrohungen des Familienoberhaupts resistent zeigte, verblieb das Institut der morganatischen Ehe, die den nicht standesgemäßen Partner – in der Regel die Frau – vom offiziellen Hofleben fernhielt und Kinder, die aus einer solchen Verbindung entsprangen, vom dynastischen Erbe, also insbesondere von einer etwaigen Sukzession, ausschlossen. Illustrativ für das intensive Nachdenken über die Standesgemäßheit eines Partners ist der "Fall" des preußischen Prinzen Wilhelm aus den frühen 1820er Jahren, des späteren deutschen Kaisers (Wilhelm I., 1797–1888). Dieser beabsichtigte, eine Angehörige der litauischen Hochadelsfamilie Radziwill zu heiraten, drang damit aber gegenüber dem Hof und seinem eigenen Vater (Friedrich Wilhelm III., 1770–1840) nicht durch – und das, obwohl zeitgleich, seit 1796, eine Tante (Luise von Preußen, 1770–1836) mit Anton Fürst Radziwill (1775–1833) vermählt war. Die Argumentation der Minister und der Geheimen Räte, denen sich der Monarch am Ende anschloss, war, dass die Radziwill nicht ebenbürtig seien, weil sie – obschon sie den Fürstentitel führten – weder über eine Landeshoheit verfügten noch über Sitz und Stimme im Reichstag. Der Fall exemplifiziert geradezu paradigmatisch, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts bei etlichen regierenden Familien eher eine Verschärfung der Ebenbürtigkeitskriterien denn ihre Abschwächung Platz griff. Freilich darf man das nicht verallgemeinern; im dänischen Königshaus beispielsweise hat es schon in der Vormoderne und dann auch im 19. Jahrhundert eine relativ "liberale" Heiratspolitik gegeben, die sogar Ehen mit Niederadligen und Bürgerlichen nicht eo ipso ausschloss, ohne dabei auf das Mittel der morganatischen Ehe zurückzugreifen.
Dynastische Heirat und Kulturtransfer
Aus dynastischen Eheschließungen konnte ein bemerkenswerter Kulturtransfer erwachsen, der die Braut auf ihrem Weg von ihrem Stammland in ihre neue Heimat begleitete. Man könnte solche Prozesse an vielen Beispielen demonstrieren; hier soll eine einzige Dynastie herausgegriffen werden, auch deswegen, weil sie in jüngster Vergangenheit verhältnismäßig gut aufgearbeitet worden ist.14
1518 vermählte sich der polnische König Sigismund I. aus der Jagiellonendynastie mit der aus der dynastisch eher zweit-, wenn nicht drittrangigen Familie der Sforza stammenden Bona Sforza, einer Tochter des Mailänder Fürsten Giangaleazzo (1469–1494). Die Überlegung, ob diese Eheschließung eine Folge einer bereits gegebenen kulturellen Italienorientierung des Jagiellonenfürsten war oder sie erst auslöste, ist reizvoll, aber für unsere Fragestellung letztlich wenig belangvoll. Bona Sforza setzte jedenfalls nach ihrer Vermählung und ihrer Installierung am Krakauer Hof alles daran, künstlerisches Potential und Personal aus Italien in die Weichselstadt und nach Polen zu ziehen, also aus jener Region, die in kultureller Hinsicht führend war im gesamteuropäischen Vergleich. Das galt etwa für den Goldschmied und Graphiker Giovanni Jacopo Caraglio (ca. 1498–1570), der dann bis zu seinem Tod für den Hof tätig werden sollte, das galt aber auch für Francesco Fiorentino, Antonio da Fiesole oder Giovanni Maria Mosca (ca. 1493–1574). Freilich gelang es – Künstler wissen ihren "Wert" sehr wohl einzuschätzen! – nicht in allen Fällen, italienische Künstler, die von der Malerei bis zur Architektur, von der Musik bis zur Bildhauerei als führend eingeschätzt wurden, nach Krakau zu ziehen; im Fall des Sebastiano Serlio (1475–1554) misslang das Vorhaben der Königin beispielsweise, einem herausragenden Künstler aus ihrer Heimat ein Überwechseln in ihre engere Entourage schmackhaft zu machen. Aber wie auch immer: Bona wurde 1518 von einem an die 300 Personen zählenden Gefolge von Italienern begleitet, und obwohl ein Großteil von ihnen nach einer geraumen Zeit wieder auf die Apenninenhalbinsel zurückkehrte und nur ca. 60 Personen in ihrer unmittelbaren Umgebung blieben: Das Potential von Italienern am Krakauer Hof war und blieb beeindruckend – und es blieb nicht auf den Hof beschränkt. Die Orientierung an der italienischen Kunst wurde bewusst und gezielt auch in die Provinz hinausgetragen, die höchsten Würdenträger des Landes machten von den Diensten der beim Monarchen beschäftigten Künstler Gebrauch, etwa denen Bartolomeo Berreccis (1480–1537) und seiner Mitarbeiter. Die eigentliche "Explosion" der "Kulturrevolution" in Polen setzte auf jeden Fall erst mit der Ankunft Bona Sforzas ein, und man kann sich ohne sie auch kaum vorstellen, dass der König an so vielen Stellen architektonisch Hand angelegt und eine so große Bibliothek mit über 4000 prachtvoll gebundenen Bänden aufgebaut hätte. Nein, der Einfluss der Italienerin am Hof ist überall zu spüren; ihm verdankt sich z. B. auch das erste gemalte Porträt einer polnischen Königin.
Zum weiten Feld des "Kulturtransfers", der durch eine dynastische Heirat ausgelöst oder doch erheblich intensiviert wurde, zählt nicht zuletzt auch das, was Bona Sforza auf geistig-religiösem Gebiet mit anstieß: Ihr Beichtvater, der Franziskaner Francesco Lismanino, und ihr Leibarzt, Giorgio Biandrata (1515–1588), müssen zu den frühen Protagonisten des polnischen Luthertums gezählt werden, die im Auftrag der königlichen Familie sich auch um den Erwerb ausländischer theologischer Literatur zu kümmern hatten. Das Königspaar hat sie und andere Protestanten in ihrer engsten Entourage auch immer wieder vor Anschuldigungen der Häresie in Schutz genommen und dadurch ganz sicher ein Klima der geistig-konfessionellen Offenheit geschaffen, das unter den Nachfolgern freilich dann bald einer strammen "Gegenreformation" weichen musste.
Heirat und Jus Publicum Europaeum
Sieht man einmal von den innerdynastischen Hausgesetzen und Erbvereinigungen ab, die immerhin – im Fall des frühneuzeitlichen deutschen Reichs – den obersten Zentralgerichten notifiziert und von ihnen approbiert wurden, also dem Reichshofrat und dem Reichskammergericht, ging auch sonst der Trend eindeutig in Richtung einer Verrechtlichung all dessen, was mit dynastischen Heiraten und ihren Konsequenzen zu tun hatte. Aus den Erfahrungen des desaströsen Spanischen Erbfolgekrieges heraus, der ausgebrochen war, obwohl die Mächte sich angesichts des nicht behebbaren Fehlens eines männlichen Erbens bi- und multilateral jahrzehntelang um eine politische Lösung bemüht hatten, versuchten die österreichischen Habsburger ihre Erbfolgeordnung, die sogenannte Pragmatische Sanktion, im Völkerrecht zu verankern und damit unter eine Art Garantie der Staatenfamilie zu stellen. Es ist bekannt, dass dieses Vorhaben letztlich nach dem Tod von Karl VI. (1740) auf der ganzen Linie scheiterte und auch die Ehepartner von Erzherzoginnen, die bei ihrer Eheschließung ihren Erbverzicht erklärt hatten, nun ihren Hut in den Ring warfen. Das war also nicht der Königsweg gewesen und wurde deswegen, wenigstens von den großen Dynastien, nicht mehr dupliziert.
Ein Gutteil der interdynastischen Heiratsverabredungen wurde in bilateralen Verträgen – insbesondere Friedensverträgen – niedergelegt und auf diese Weise integraler Teil des Jus Publicum Europaeum. Bekannte Beispiele sind etwa der kaiserlich-französische Friede von Cambrai 1529,15 der die Heirat von Karls V. Schwester Eleonore (1498–1558) mit dem französischen König Franz I. (1494–1547) vorsah, oder der Pyrenäenfriede von 1659,16 in dem die Vermählung des jungen französischen Königs Ludwig XIV. (1638–1715) mit der spanischen Infantin Teresa (1638–1683) verabredet wurde, wenn man so will der Urgrund des Spanischen Erbfolgekrieges vier Jahrzehnte später. Nichts kann die Funktion der dynastischen Eheschließung für die "große Politik" und die internationalen Beziehungen deutlicher veranschaulichen als der "Ort", wo sie öffentlichkeitswirksam beschlossen wurden. Im Fall des "Damenfriedens" von Cambrai muss man sogar zu der Einschätzung gelangen, dass die verabredete Heiratsverbindung als eine Bekräftigung des ganzen Vertragswerks gedacht war.
Die dynastische Hochzeit als Medienereignis
Und zu dieser Öffentlichkeitswirksamkeit trug nicht zuletzt bei, wie die Hochzeiten begangen wurden. Sie waren Medienereignisse, die in vielen Schriften und noch mehr Kupferstichen einem aufnahmebereiten Publikum – und vor allem den in Bezug auf Prestige und Rang konkurrierenden Höfen! – vermittelt wurden. Das konnten kunstvolle, mit vielen humanistischen Beilagen versehene Berichte von den Hochzeitsfeierlichkeiten sein, wie sie etwa von der Vermählung des bayerischen Herzogs Wilhelm V. (1548–1626) mit der lothringischen Prinzessin Renata (1544–1602) im Jahre 1568[] auf uns gekommen sind.17 Ein weiteres Zeugnis sind eindrucksvolle Kupferstiche, wie sie beispielsweise von der Hochzeit des sächsischen Kurprinzen Friedrich August (1696–1763) mit der österreichischen Kaisertochter Maria Josepha (1699–1757) 1719 herausgegeben wurden, zum Teil nach Zeichnungen von Carl Heinrich Fehling (1683–1753) gestochen.18 Diese Hochzeit wurde im Übrigen als ein grandioser Erfolg der sächsischen Diplomatie empfunden und mit einem Prachtaufwand gestaltet und von Bautätigkeiten flankiert, wie sie im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa ihresgleichen suchten. Bei diesem punktuellen Ereignis, das sich, freilich einschließlich etlicher Nachfeiern, über Wochen hinzog, kam es durchaus auch zu einem begrenzten Kulturtransfer, ließ doch der Vater des Bräutigams, Kurfürst-König August der Starke (1670–1733), eigens zum Zweck der Innenausstattung des Opernhauses die Gebrüder Alessandro und Girolamo Mauro aus Venedig verpflichten. Von den Fürstenhochzeiten gingen Signale in die Öffentlichkeit hinaus, die politischen Anspruch, dynastisches Selbstbewusstsein, gelegentlich auch Größenwahn spiegelten. Erhellend für dieses ganze Geflecht von Beweggründen, die dynastischen Hochzeiten besonders glanzvoll zu gestalten, ist etwa noch die tiefe Spuren in der zeitgenössischen (Bild-)Publizistik ziehende Vermählung des dänischen Kronprinzen Christian (1603–1647) mit der kursächsischen Prinzessin Magdalena Sibylla (1617–1668) im Jahr 1634, also mitten im Dreißigjährigen Krieg. Die Krone, die in der Anfangsphase des Krieges politisch und militärisch wenig glücklich agiert hatte, versuchte, mit dieser Vermählung die Blicke ganz Europas wieder auf sich zu ziehen und sich als potentielle Vormacht des europäischen Protestantismus in Erinnerung zu bringen. Auch hier ist im übrigen das Moment des (begrenzten) Kulturtransfers mit den Händen zu greifen: Sieht man einmal von der Mitwirkung des (aus Sachsen erbetenen) Komponisten und "Chefdramaturgen" Heinrich Schütz (1585–1672) ab, die man eher der Normalität zurechnen könnte, gab der dänische König für das Ereignis 26 Gobelins in einer renommierten Delfter Tapisseriemanufaktur (Frans Spierincx, 1551–1630) in Auftrag; englische Musiker wurden zu einer Hofkapelle verpflichtet, und seine Bibliothek spiegelt wider, dass er mit allen Facetten der französischen und italienischen Hofkultur aufs allerengste vertraut war und sie in die Regie des "Great Wedding" von 1634 umzusetzen suchte.19
Dynastische Hochkonjunkturen
Es gab zu allen Zeiten bestimmte Familien, die wegen des besonderen "Reichtums" an Kindern, also letztlich aus biologischen Gründen, für die europäische "Familie der Fürsten" von besonderer Bedeutung waren. Das waren – das Diktum "Bella gerant alii, tu felix Austria nube" verweist darauf – im 16. Jahrhundert die Habsburger, vor allem wenn man die beiden spanischen und österreichischen Hauptlinien als eine Einheit sieht und die damals noch üblichen österreichischen Nebenlinien mit in den Blick nimmt. Freilich trat im Gesamthaus Habsburg dann nach der Mitte des 17. Jahrhunderts das genaue Gegenteil ein: ein eklatanter Mangel an Kindern, der zeitweise das Haus nur noch auf ganz wenigen Augen stehen ließ und, nachdem die spanische Linie bereits 1700 aus Mangel an Söhnen erloschen war, auch in der österreichischen Linie schon Jahrzehnte vor 1740 mehr als einmal die Sorgen um die Fortexistenz der Dynastie wachsen ließ. Umso wichtiger im Sinn der politischen Visionen von Heiratskandidaten wurden deswegen dann auch die Töchter Kaiser Josephs I. (1678–1711) und Kaiser Karls VI. Im beginnenden 18. Jahrhundert hatte eine Zeitlang das Gesamthaus der Welfen, aus dem Prinzessinnen auf den Kaiserthron und auf die Königsthrone von Kopenhagen und Berlin gelangten, eine gewisse dynastische Konjunktur. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gab es eine Phase, in der der Darmstädter Zweig des Hauses Hessen für den europäischen Heiratsmarkt von besonderem Interesse wurde, als die Töchter der "großen Landgräfin" Caroline Henriette (1721–1774) zu Objekten von Heiratsverhandlungen an vielen Orten in Europa wurden.
Alles in den Schatten stellte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts dann allerdings das kleine Haus Sachsen-Coburg-Gotha.20 Im 18. Jahrhundert noch, was das Konnubium betrifft, mit einer arg begrenzten "Reichweite" ausgestattet, die über den Thüringer Raum und über Heiratspartner, deren Familien "am Ende der Skala fürstlicher Geltung und Machtentfaltung standen",21 nicht hinaus ging, hatte sich die Situation noch verschärft, als gegen Ende des Jahrhunderts eine kaiserliche Debitkommission zur Sanierung der fürstlichen Finanzen eingesetzt werden musste. Mit der Verheiratung einer coburgischen Prinzessin 1796 nach Russland (Großfürst Konstantin, 1779–1831) setzte freilich eine eher überraschende "dynastische Revolution" ein, die noch dadurch an Dynamik gewann, dass sich nun ein katholischer Zweig herausbildete, der den Heiratskreis auch in den katholischen Südosten und Süden öffnete und z. B. erst die Möglichkeit schuf, dass 1836 ein Spross dieses (ungarischen) Zweigs der Familie die junge portugiesische Königin Maria II. da Glória (1819–1853) ehelichte (und damit zum Stammvater des Königshauses Coburg-Bragança wurde, das bis zur Proklamierung der Republik 1910 auf dem portugiesischen Königsthron saß). Aus der katholischen Linie Sachsen-Coburg-Koháry ging zudem noch eine zweite Dynastie hervor, die der Großfürsten bzw. (seit 1908) Könige von Bulgarien. Wichtig wurde insbesondere dann aber die Prinzessin Victoire (1786–1861), die in zweiter Ehe mit dem Herzog Edward von Kent (1767–1820) verheiratet war, einem der Anwärter auf den englischen Thron. Aus dieser Verbindung ging 1819 die Tochter Victoria (1819–1901) hervor, seit 1837 englische Königin, die 1840 den Coburger Prinzen Albert (1819–1861) heiratete, einen jüngeren Sohn Herzog Ernsts (1784–1844). Das dynastische Band zwischen London und Coburg-Gotha wurde dann erst im 1. Weltkrieg förmlich und symbolisch wieder gelöst. Neben diesem englischen "Netzwerk" ist schließlich noch auf den Coburger Prinzen Leopold (1790–1865)[] zu verweisen, der, nachdem er in den späten 1820er Jahren auch für den griechischen Thron "gehandelt" worden war, in Belgien nach dessen Verselbständigung 1831 mit einer französischen Prinzessin eine Dynastie begründete und fortan Brüssel zum Zentrum der coburgischen Hauspolitik machte, so dass sogar das etwas emphatische Diktum vom "Weltgebäude Koburger Familienmacht" aufkommen konnte. Die von Leopold begründete Dynastie besetzt den belgischen Thron bis heute.
Zusammenfassung und Ausblick
Die dynastische Heirat war eine Angelegenheit zum einen der Dynastie des vorgesehenen männlichen Partners, die seit dem 16./17. Jahrhundert generell Hausgesetze erlassen hatte, um Landesteilung und Zersplitterung zu vermeiden, zum anderen – selbstredend – der Familie der Braut. Außerdem immer aber auch der großen Politik; nicht zufällig wurden viele fürstliche Ehen in Dokumenten verankert, die bilaterale Fundamentalkrisen – also Kriege – beendet hatten, und nicht zufällig gingen manchen Eheschließungen mehrjährige Verhandlungen voraus. Diese hatten zwar immer auch etwas mit der Ausstattung und Versorgung der Braut, aber immer auch etwas mit den politischen Perspektiven zu tun, die sich aus einer solchen Ehe ergaben oder ergeben konnten und die in der Regel bei beiden Parteien gegeben waren. Aus dynastischen Ehen konnten, wenn die Ehebestimmungen unpräzise gefasst waren – aber auch, wenn sie präzise gefasst waren! –, Kriege hervorgehen, eben jene Erbfolgekriege, die geradezu als eine Art Strukturelement des Zeitalters des Barock und der Aufklärung interpretiert worden sind (Devolutionskrieg, Spanischer Erbfolgekrieg, Österreichischer Erbfolgekrieg).22 Die beiden letztgenannten (europäischen) Konflikte demonstrierten zugleich, dass aus der (biologischen) Schwäche einer Dynastie unabsehbare Konsequenzen erwachsen konnten, weil wegen der weitgehenden Versippung der europäischen regierenden Familien immer eine Mehr- oder gar Vielzahl von Bewerbern sich glaubte Hoffnungen machen zu können, mit Rekurs auf frühere Eheschließungen erhebliche Gewinne erzielen zu können. Insofern war jede dynastische Eheschließung auch eine Art Wechsel für die Zukunft, freilich ein ungedeckter. In der Vormoderne, als Dynastie und Land noch gleichsam zusammenfielen, konnte jede Krise einer Dynastie – auch eine, die aus dem Mangel an Ehepartnerinnen erwuchs! – sich zu einer Krise des Staates auswachsen. Im 19. Jahrhundert, als Dynastie und "Staat" auseinander traten, wich diese Gefahr zwar, aber deswegen verlor die dynastische Ehe noch nichts von ihrer Relevanz, weil sie nun verstärkt als ein Indikator für dynastischen Anspruch und dynastischen Ehrgeiz eingesetzt wurde. Erst mit dem Ersten Weltkrieg und dem weitgehenden Ende des europäischen Dynastizismus sollte die dynastische Ehe aus ihrer politischen und gesamtgesellschaftlichen Schlüsselrolle heraustreten. Aufbauend auf eine "Privatisierung" und Emotionalisierung monarchischer Selbstdarstellung im 19. Jahrhundert konnte sie seither in den Medien einer gewissen Aufmerksamkeit sicher sein. In dieser Hinsicht lässt sich jetzt vielleicht von einem europäischen Phänomen sprechen, während bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unterschiedliche Heiratskreise, verschiedene Hofkulturen und häufig rivalisierende politische Interessen einzelner Dynastien die Ehebeziehungen zu anderen Herrscherfamilien einzelstaatlich oder später nationalstaatlich prägten.23