Einleitung
Ende des 17. Jahrhunderts erstreckte sich der Einflussbereich der europäischen orthodoxen Kirche hauptsächlich über die Territorien zweier Staaten: des Osmanischen Reichs und des zaristischen Russland. Auf dem Gebiet der Osmanen bildeten die orthodoxen Christen eine eigene Konfessionsnation (das Rum-Millet) unter dem Vorsitz des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel.1 Diesem waren auch die anderen beiden autokephalen Kirchen des Balkans – das serbische Patriarchat von Ipek-Peć und das bulgarische Erzbistum von Ohrid – kirchenpolitisch unterstellt. Unter der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchen standen abgesondert die de facto unabhängigen rumänischen Metropolitanprovinzen von Bukarest (in der Walachei), Iaşi (in der Moldau) sowie Alba Iulia (dt. Weissenburg) im Fürstentum Siebenbürgen (wobei die siebenbürgische Metropolitanprovinz laut mancher Kirchenhistoriker ein Suffraganbistum der Bukarester Metropolitanprovinz darstellte).2
Im Jahre 1686 gelang es dem russischen Zarentum, fast die gesamte ostslawische Orthodoxie im eigenen Reich zu vereinigen, nachdem die zweite ostslawische Metropolitanprovinz von Kiew, welche sich bis 1654 auf dem Gebiet der Republik Polen-Litauen befand, angeschlossen wurde.3 Das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel stimmte dem Anschluss der Kiewer Metropolie an das russische Patriarchat von Moskau zu, nachdem die Übergabe der ostukrainischen Territorien von Polen an Russland im Ewigen Frieden (Moskau, den 6. Mai 1686) festgelegt worden war. In Polen verblieben nur noch drei Bistümer (Przemyśl, Lemberg, Luzk), die bis 1702 uniert wurden. Das Bistum Weißrussland (in Litauen) war unbedeutend.4 Erst im Jahre 1720 kam es durch den Vertrag zwischen Peter dem Großen (1672–1725)[] und August II. von Polen (1670–1733) zur Gründung eines orthodoxen Bistums in Mogilew, das dem Hl. Synod der russischen Kirche unterstellt wurde.5
Was das Verhältnis von Staat und Kirche betrifft, hatte das Modell der byzantinischen "Symphonia" im russischen Zarenreich bis zur Zeit der Regierung Peters des Großen weiter Bestand (trotz der Streitereien zwischen den Zaren und den Patriarchen, die im Byzantinischen Reich bekannt waren). Peter der Große konnte die Macht des Kaisers über die Kirche durchsetzen. Durch seine staatskirchlichen Maßnahmen hob Peter das Patriarchat in Russland auf und beendete das Paradigma der byzantinischen Symphonia. Anstelle des Patriarchen setzte Peter einen Hl. Synod ein, welcher den staatlichen Ministerien zugeordnet wurde. Damit wurde die Kirche der Kaiserlichen Regierung unterstellt. Als Modell dieser sogenannten "petrinischen Reform" diente die Konsistorialverfassung der deutschen und skandinavischen lutherischen Kirchen. Sie wurde im 19. Jahrhundert auch in den neuen Nationalkirchen Südosteuropas (Griechenland, Serbien und Rumänien) umgesetzt. Diese Art der Regulierung der kirchlichen Angelegenheiten durch die staatliche Regierung (mittels des Hl. Synods) bestimmte Ende des 19. Jahrhunderts das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in den mehrheitlich orthodoxen Staaten Osteuropas.
Es gab aber an der Grenze zwischen Mittel- und Südosteuropa auch Länder mit orthodoxen Bevölkerungsgruppen, in denen die Machthaber anderen Konfessionen angehörten. In dem den Osmanen unterstellten Fürstentum Siebenbürgen befand sich die Orthodoxie in einem protestantischen Umfeld reformatorischer Prägung, wodurch der Einfluss auf die orthodoxe Kirchenorganisation geschmälert wurde. Weiter westlich gab es noch Orthodoxe in dem von den Osmanen besetzten Ungarn, Kroatien und Nordserbien.
Nach der zweiten Belagerung Wiens durch die Osmanen (1683) kam es zur Eroberung ganz Ungarns durch die Habsburger; im Jahre 1688 besetzten diese auch das Fürstentum Siebenbürgen. Das Königreich Ungarn und das Fürstentum Siebenbürgen blieben im Habsburgerreich weiter bestehen. Das Schicksal der orthodoxen Christen entwickelte sich in Siebenbürgen und Ungarn jedoch unterschiedlich.
Nach der Eroberung Siebenbürgens durch die Habsburger endete der Einfluss der Reformierten auf die orthodoxen Rumänen, was zu einer Union mit der römischen Kirche (1697–1701) führte. Die orthodoxe Kirche der Rumänen Siebenbürgens war für den Wiener Hof durch die Union mit der römischen Kirche erloschen; erst im Jahre 1761 wurde sie wieder zugelassen. Im 19. Jahrhundert wurde sie zur autonomen rumänischen Volkskirche, wobei Einflüsse des Reformkatholizismus aufgenommen wurden.
In Ungarn ließen die Habsburger zwischen 1690–1695 die Entwicklung einer privilegierten orthodoxen Kirchenprovinz zu, die durch den Metropoliten von Karlowitz regiert wurde. Erst nach 1770, insbesondere aber während der Regierung Kaiser Josephs II. (1741–1790) (daher auch der Name "josephinische Kirchenreform"), ergriff der Wiener Hof Maßnahmen, um die Willkür der Metropoliten zu beenden. Anders als in Russland führte man aber keinen Hl. Synod ein, sondern verfügte die Einrichtung von Konsistorien in allen Suffraganbistümern der Karlowitzer Metropolitanprovinz. In diesen Konsistorien und in der Bischofssynode auf Metropolitanebene nahmen Regierungskommissare an Sitzungen teil und setzten die Politik des Wiener Hofs durch.
Nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 blieb der Einfluss der josephinischen Kirchenreform in den österreichischen Teilen der Donaumonarchie weiter bestehen. In den ungarischen Teilen der Monarchie entstanden zwei de facto selbstständige Kirchen: die serbische Metropolitanprovinz von Karlowitz und die rumänische Metropolitanprovinz von Siebenbürgen und Ungarn. Beide Kirchen entwickelten sich hin zu mehr Autonomie von der Staatsregierung.
Der Einfluss des Calvinismus auf die "geduldete" Rumänisch-Orthodoxe Kirche Siebenbürgens (16.–17. Jahrhundert)
Als Teil des mittelalterlichen ungarischen Königreichs entwickelte sich Siebenbürgen nach 1541 zum Fürstentum, das von der osmanischen Pforte abhängig und innenpolitisch als Bundesland der drei Ständenationen – des (ungarischen) Adels, der Szekler und der Sachsen – organisiert war. Im 16. Jahrhundert verbreitete sich die Reformation, und ab 1568 galt Siebenbürgen als einzigartiges Beispiel für religiöse Toleranz. Neben der römisch-katholischen Konfession (der Ende des 17. Jahrhunderts nur eine Minderheit von 30.000 Szeklern angehörten) existierten das Luthertum (der deutschen Sachsen), der Calvinismus und der Unitarismus (der Ungarn) als anerkannte privilegierte Konfessionskirchen (in der siebenbürgischen Rechtsterminologie als "rezipierte Konfessionen" bezeichnet). Die Orthodoxie, der die rumänische Bevölkerung angehörte, wurde nicht als privilegiert anerkannt, sondern lediglich geduldet (sie war also keine "rezipierte Konfession"; das Statut einer "rezipierten Konfession" erhielt die orthodoxe Kirche erst im Jahr 1848). Nicht anerkannt, also illegal, waren extreme Unitarier, Nonadorantisten, welche die Anbetung Christi ablehnten, die Sabbatharier und die Täufer, deren Anhänger entweder des Landes verwiesen oder zum Tode verurteilt wurden.6
Die konfessionelle Landschaft des Fürstentums Siebenbürgen war eine besondere, wobei auch die Volksangehörigkeit eine bedeutende Rolle spielte. So entwickelte sich die lutherische Kirche als eine Volkskirche der deutschsprachigen Siebenbürger Sachsen; die reformierte und die unitarische Kirche blieben ungarisch-sprachige Kirchen und die Mehrheit des rumänischen Bauerntums blieb der orthodoxen Kirche treu. Dazu muss man noch erwähnen, dass die verschiedenen Konfessionen des Landes auch hinsichtlich ihrer jeweiligen Organisationsformen Besonderheiten aufwiesen. Die siebenbürgisch-sächsischen Lutheraner wählten schon 1553 einen Bischof und elf Jahre später auch die ungarisch-sprachigen Reformierten erstmals einen reformierten Superintendenten. Die katholische Kirche (die als "rezipiert" galt, der aber nur etwa 30.000 Gläubige im ostsiebenbürgischen Szeklerland angehörten) durfte keinen Bischof haben, sondern nur einen Vikar. Die geduldeten orthodoxen Rumänen aber hatten das Recht, einen eigenen Bischof zu wählen.
Im 17. Jahrhundert entwickelte sich in Siebenbürgen eine Art reformiertes Staatskirchentum. Zwischen 1604 und 1690 waren alle Fürsten reformiert. Ihre Stellung entsprach quasi derjenigen von obersten "Kirchenpatronen", mit dem Recht, die Bischöfe der Konfessionsgemeinschaften und die Vikare der Katholischen Kirche zu ernennen.7 Wie Fata schildert, führte das Bündnis zwischen Fürst und reformierter Kirche zur Stärkung der bischöflichen Macht (oft als willkürlich angesehen). Dagegen erhoben sich verschiedene Prediger, beeinflusst von den Kämpfen der englischen Puritaner gegen die episkopale anglikanische Kirche. Der Konflikt zwischen den reformierten Bischöfen und den siebenbürgischen calvinistischen Puritanern dauerte das gesamte 17. Jahrhundert über an. In fast allen von Reformierten bewohnten Orten wurden Laienpresbyterien gegründet. Im Jahre 1682 wurde endlich die Kirchenverfassung der reformierten Kirche Siebenbürgens geändert. Neben der existierenden Synode der Geistlichen existierte nun ein neues Kirchengremium, die politica-ecclesiastica mixta congegratio, zusammengesetzt aus fünf Geistlichen und fünf weltlichen Mitgliedern.8
Die Entwicklungen innerhalb der reformierten Kirche Siebenbürgens prägten auch die orthodoxen Rumänen. Die reformierten Superintendenten unterstützten die Politik der Fürsten und versuchten sogar, die Rumänische Orthodoxie mit der Reformierten Kirche zu vereinigen.9 Interessant ist, dass die calvinistischen Puritaner ihre Anliegen früh in der rumänischen Kirchenverwaltung durchsetzen konnten. Im Jahre 1667 wurde der orthodoxe Hierarch Siebenbürgens unter die Aufsicht eines Gremiums (bestehend aus zwei Laien und zwei Pfarrern) gestellt. Diese vier sogenannten "Epitropen" übernahmen die Verwaltung der Kirchengüter, mussten den Hierarchen zu allen Pastoralbesuchen begleiten und hatten die Pfarrkandidaten zu prüfen. Zwei Jahre später unterlag der orthodoxe Hierarch in geistlichen Angelegenheiten und auch im Eherecht der Kontrolle des reformierten Superintendenten, der sich von nun an als "orthodoxer Bischof der Ungarn und Rumänen" bezeichnete. Alle Beschlüsse der rumänischen Kirchensynode mussten von der reformierten Kirchenführung genehmigt werden. Rumänische Kirchenhistoriker beschrieben die Einführung des neuen kirchlichen Gremiums als Einführung von "calvinistischen Institutionen" in die rumänisch-orthodoxe Kirche Siebenbürgens.10
Durch den Einfluss der reformierten Kirche auf die orthodoxen Rumänen wurde auch die rumänische Schriftsprache gefördert. Im Jahre 1648 erschien die erste Übersetzung des Neuen Testaments ins Rumänische. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde die slawische Sprache allerdings in fast allen orthodoxen Kirchen Siebenbürgens verdrängt. Die Annektion Siebenbürgens durch die Habsburger führte schließlich zum Ende der "Union mit den Reformierten", an deren Stelle die Union mit der römischen Kirche trat (1697–1701).11
Die Russisch-Orthodoxe Kirche
Die Kirchenreformen des Zaren (ab 1721 Kaisers) Peter des Großen brachten eine Zäsur in der Geschichte der Russisch-Orthodoxen Kirche mit sich. Der mehr oder weniger aufgeheizte Konflikt zwischen dem Moskauer Zaren und dem Patriarchen endete mit dem Sieg des Zaren. Statt des Modells der byzantinischen Symphonia führte man eine Art russische "Cäsaropapismus" ein.12
Die "Petrinische Reform" und das Verhältnis von Staat und Kirche in der Synodalperiode der Russisch-Orthodoxen Kirche (1721–1917)
Nach dem Tod des Patriarchen Adrian (1636–1700) hätte die Bischofssynode der russischen Kirche auf Initiative und Wunsch des Zaren einen Nachfolger wählen müssen.13 Peter der Große aber ernannte am 16. Dezember 1700 den Metropoliten von Rjazan, Stefan Javorskij (1658–1722), zum "Administrator und Verweser" des Patriarchenstuhles. Einen Monat später wurde das im Jahre 1677 aufgehobene "Klosteramt" wieder eingeführt, um die Kirchengüter zu verwalten. Am 2. März 1711 folgte die Einrichtung des Senats als oberstes Regierungsorgan. Den Geistlichen wie auch den Weltlichen befahl man "dem Dirigierenden Senat zu gehorchen, wie dem Zaren selbst".14 Zwischen 1718 und 1720 wurden Kollegien (Ministerien) gegründet, die dem Senat unterstellt waren. Für die rein kirchlichen Angelegenheiten schuf man im Februar 1721 ein "Geistliches Kollegium" (Duchovnaja Kollegija). Die Gründung der neuen Behörde wurde durch einen Erlass am 25. Januar 1721 bekannt gemacht und gottesdienstlich am 14. Februar 1721 gefeiert, zehn Tage später wurde das Gesetz (das Geistliche Reglement) im Senat verlesen und vom Zaren unterzeichnet. Damit war das Patriarchat in der russischen Kirche aufgehoben und durch eine "geistliche konziliare Regierung" (Duchovnoe Sobornoe Pravitel´stvo) ersetzt worden.15 In deren erster Sitzung beantragten die Mitglieder die Änderung des Namens (Heiligster Dirigierender Synod – Svjatejšij Pravitel´stvujuščij Sinod), was der Zar bewilligte. Diese sogenannte "Synodalperiode" der russischen Kirche dauerte bis zur Wiedereinführung des Patriarchats 1917.
Als erster Präsident des Geistlichen Kollegiums fungierte der ehemalige Patriarchalverweser Javorskij.16 Der eigentliche Verfasser des Geistlichen Reglements war jedoch der Bischof von Pskov, Feofan Prokopovič (1681–1736). Beide waren Kleinrussen, also Ukrainer, hatten katholische Schulen besucht und vorübergehend der Katholischen Kirche angehört. Prokopovič wurde zum bedeutendsten Mitarbeiter des Zaren für kirchliche Angelegenheiten.17 Er erhielt den Auftrag, einen Plan für die Umgestaltung der Kirchenverwaltung auszuarbeiten und in Predigten zu rechtfertigen. Mehrere russische Bischöfe beschuldigten ihn, "von der calvinistischen Häresie angesteckt" zu sein.18 Zar Peter war aber "von der Treue Feofans zu seinen Reformen überzeugt; Feofans Anschauungen über die Beziehungen von Staat und Kirche entsprachen durchaus den Ansichten Peters; beide suchten Vorbilder in den Kirchenordnungen Preußens und anderer protestantischer Länder".19
Als wichtigstes Werk Feofans gilt der Entwurf des Geistlichen Reglements. Obwohl keine genauen Richtlinien für die Struktur und die Befugnisse der leitenden Organe der Kirche vorgesehen waren, wurde das Reglement fast zwei Jahrhunderte lang die Grundverfassung der russischen Kirche. Ein Jahr später ergänzte man es mit Regeln für den unteren Klerus.
Auffallend ist, dass das ganze Reglement "durch eine große Dürre und den völligen Mangel an religiöser Wärme" gekennzeichnet ist.20 Im ersten Teil des Geistlichen Reglements ("Was das Geistliche Kollegium ist und welches die Hauptgründe einer derartigen Verwaltung ist"), werden neun rein rationale Argumente angegeben. Im zweiten Teil folgen "Angelegenheiten, die dieser Verwaltung unterliegen". Darin heißt es erstens, dass das Kollegium überprüfen müsse, ob alles "richtig und dem christlichen Gesetz gemäß vollzogen" werde und die verschiedenen Formen des Aberglaubens abzuschaffen seien. Das Kollegium müsse die theologischen Bücher vor dem Druck zensieren, aber auch drei kurze und verständliche Büchlein verfassen, etwa über die wichtigsten Dogmen, über die Pflichten aller Stände und mit Musterpredigten. Zweitens werden die "besonderen Standessachen" der Bischöfe vorgestellt. Der dritte Teil behandelt schließlich die Pflichten, Aufgaben und Machtbefugnisse des Kollegiums. Das Kollegium solle aus 12 Personen bestehen, je drei Bischöfen, Archimandriten, Äbten und Protopopen, welche aber vom Gehorsam gegenüber den Hierarchen des Kollegiums befreit seien.21 Das Reglement enthält keine theologischen Begründungen. "Es fehlt jeder sakrale Begriff von der Kirche als Leib Christi".22
Das Geistliche Reglement diente somit als Grundlage für ein Staatskirchentum, das sich in den folgenden Jahrzehnten schrittweise entwickelte. Als Werkzeug des russischen Zarentums wurde die Kirche in den Staatsapparat eingegliedert.23 Eine Form der Kirchenverfassung, die für die norddeutschen Territorien des Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation geschaffen worden war, sollte in die Verfassung der Orthodoxen Kirche integriert werden.24 Tatsächlich vereinigte man die theokratischen Vorstellungen des Aufklärungsabsolutismus in protestantischer Ausprägung (der Fürst als Summus Episcopus) mit einem byzantinischem Staatsverständnis (wonach der Kaiser Schutzpatron und sogar Bischof für die äußeren Angelegenheiten der Kirche im Sinne von Eusebius war).25 Dass das Muster für die Verfassungsreform der russischen Kirche protestantisch war, wurde 1916 überzeugend bewiesen:
Das Geistliche Kollegium in der Konzeption Peters und Feofans ist nichts anderes als ein kirchliches Generalkonsistorium deutsch-schwedischen Typs und das Geistliche Reglement eine freie Nachbildung der protestantischen Kirchenordnungen. Das Geistliche Kollegium ist eine staatliche Institution, deren Einrichtung die Rechtslage der Kirche im Russischen Staate völlig veränderte.26
Der Zar beabsichtigte, seine Reform von den Patriarchaten des Ostens genehmigen zu lassen. Am 30. September 1721 schickte Peter dem ökumenischen Patriarchen Jeremias III. (1650–1735) eine griechische Variante seines Erlasses vom 25. Januar 1721, allerdings mit einem stark veränderten Text. Das Wort Kollegium war darin durch "Synode" ersetzt worden. Peter informierte Jeremias III. fälschlicherweise, dass der russische Patriarch durch einen Geistlichen Synod ersetzt werde und der Synod die Vollmachten der ehemaligen Patriarchen haben werde. "Von der Einordnung des Heiligen Synods (als Geistliches Kollegium) in das Kollegialsystem der Staatsverwaltung, von der Unterordnung der Kirche unter den Willen des Monarchen und die Aufsicht des Staates verlautet kein Wort".27 Zum Schluss aber versprach der Zar, auch weiterhin den Wünschen des Patriarchen entgegen zu kommen. Am 23. September 1723 genehmigten die Patriarchen von Konstantinopel und Antiochien schießlich die petrinische Kirchenreform.28
Die Nachfolger Peters des Großen setzten die Kirchenreform fort. Dass diese auf die Eingliederung der Kirche in den Staatsapparat zielte, ergab sich aus der Änderung des Hl. Synods unter Katharina I. (1684–1727)[]. Im Jahr 1726 wurden im Synod zwei Abteilungen ("Departements") eingerichtet: Das erste, zusammengesetzt aus sechs Bischöfen, sollte sich nur um die geistlichen Angelegenheiten kümmern; das zweite Departement bestand nur aus Laien, übernahm die Steuerverwaltung und die Wirtschaft. Die Struktur des Synods veränderte sich während der Synodalperiode mehrfach.29 Als Kaiserin Anna (1693–1740) im Jahre 1738 staatlichen Organen die Verwaltung des Kirchenvermögens übertrug, begann ein Säkularisierungsprozess. Zar Peter III. (1728–1762)[] – der zum Luthertum Konvertierte war deutsch-russischer Abkunft – setzte die Verstaatlichung aller Kirchengüter aber erst im Jahr 1762 durch. Von insgesamt mehr als 1.000 Klöstern wurden mehr als 600 geschlossen; knapp eine Million Bauern, welche bisher Leibeigene der Kirche gewesen waren, wurden zu Staatsbauern.30 Die Ehefrau und Nachfolgerin Peters III., Katharina die Große (1729–1796)[], von den philosophischen Ideen der Aufklärung geprägt, bestätigte die Verstaatlichung der Kirchengüter und verstärkte die staatliche Kontrolle über die Kirche.31 Um sich des Hl. Synods zu bemächtigen, nutzte sie das Amt des Oberprokurors (ein Beamter, der den Zaren im Hl. Synod repräsentierte). "Es bildete sich ein bestimmtes System heraus, welches die beratenden Bischöfe des Hl. Synods zum Schweigen und zur strikten Unterwerfung unter die Befehle und Wünsche der Herrscherin verurteilte".32
Katharina II. war die erste Herrscherin des russischen Reiches, die sich als "Oberhaupt der Kirche" bezeichnete.33 Ihr Sohn Paul I. (1754–1801) erwähnte expressis verbis im Thronfolgegesetz von 1797, dass "die russischen Herrscher Haupt der Kirche sind";34 die Bezeichnung fehlte allerdings in dem Gesetzeskodex des Russischen Kaiserreiches von 1832. In Artikel 42 des Grundgesetzes des Reiches wurde der Kaiser nicht mehr als Oberhaupt der Kirche bezeichnet, sondern nur als "oberster Beschützer und Bewahrer der Dogmen des herrschenden Glaubens, Wahrer der Rechtgläubigkeit und jeglicher Ordnung in der heiligen Kirche" (Zitat aus dem Geistlichen Reglement). Die Anmerkung zu diesem Artikel vermerkte jedoch: "In diesem Sinne wird der Kaiser in dem Thronfolgegesetz von 5. April 1797 Haupt der Kirche genannt".35
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm auch die Bedeutung der Oberprokuratoren zu. Diese "hatten zwar kein Stimmrecht im Synod, doch waren sie bei allen Sitzungen anwesend, hielten den Kontakt zum Zaren, kontrollierten allen Schriftverkehr des Synods und alle Korrespondenz mit den Bischöfen".36 Die Kanzlei des Oberprokurators übernahm fast ausschließlich die Geschäftsführung des Hl. Synods. 1807 folgte schließlich die Verpflichtung aller Bischöfe, der Kanzlei des Oberprokurators über alle wichtigen Angelegenheiten der Eparchie Bericht zu erstatten. Der Oberprokurator A. N. Golicyn (1773–1844) machte durch die transitorische Instituierung eines einzigen Ministeriums für geistliche Angelegenheiten und Volksaufklärung (1817) "aus der Oberprokuratur den wesentlichsten Bestandteil eines Ressortministeriums für die Kirchenverwaltung [...]. Nachdem der Posten des Ministers nicht mehr besetzt wurde, gingen seine Funktionen aufgrund des Beharrungsvermögens faktisch auf den Oberprokurator über".37 Oberprokurator N. A. Protasov (1836–1855) gestaltete das Amt so um, dass es zur alleinigen Leitung der gesamten Kirchenverwaltung berechtigte. Durch das Statut der Konsistorien (1841) ließen sich solche Gremien in allen Bistümern einführen; die maßgebliche Person der Konsistorien war der von dem Hl. Synod ernannte und direkt dem Oberprokurator untergeordnete Konsistorial-Sekretär. Damit gewann der Oberprokurator einen vom Bischof unabhängigen Vertrauensmann in der Eparchialverwaltung.38 Die Macht der Mitglieder des Heiligen Synods schrumpfte auf ein Minimum; die Resolutionen des Hl. Synods konnten später sogar von den Sekretären in der Kanzlei des Oberprokurators geändert werden. Unter Konstantin Pobedonoscev (1827–1907) erreichte diese Entwicklung ihren Höhepunkt; unter seiner strengen Kontrolle diente die Kirche als Stütze für die autokratische Regierung des Zaren.
Übernahme der "petrinischen Reform" in den neuen Nationalkirchen Südosteuropas
Auch in den neuen nationalen und orthodoxen Königreichen des Balkans – Griechenland, Rumänien und Serbien – übernahm man die "petrinische Reform" und unterwarf die orthodoxe Kirche der Staatsmacht. In Griechenland39 schrieben 1823, also noch während der Befreiungskämpfe, drei Bischöfe an die Nationalversammlung, dass es Aufgabe des Staates sei, eine Kirchenverfassung zu erlassen. Die fünfte Nationalversammlung von Argos (1831/32) ernannte einen aus fünf Bischöfen zusammengesetzten Rat, welcher die oberste kirchliche Gewalt in Griechenland ausüben sollte. Die Beziehung zwischen Kirche und Staat wurde schließlich nach der Ankunft des bayerischen Prinzen Otto von Wittelsbach (1815–1867)[], König von Griechenland von 1832 bis 1862, festgelegt. Otto konvertierte nicht zur Orthodoxie. Sein Regentschaftsrat (während der Minderjährigkeit des Königs) Georg Ludwig von Maurer (1790–1872) war Protestant. Dieser beauftragte eine siebenköpfige Kommission (darunter zwei Bischöfe), Entwürfe für die Organisation der griechischen Kirche zu unterbreiten. Die Kommission schlug die Gründung einer aus fünf Mitgliedern bestehenden "Heiligen Synode des Königreichs Griechenland" vor. Außerdem befürwortete man zwar die Unabhängigkeit der griechischen Kirche vom ökumenischen Patriarchat, nicht aber vom Staat:
Wir sind auch der Meinung, dass die königliche Macht die Oberherrschaft über die Kirche haben soll …. So ist der weltliche Herrscher des Volkes auch das Haupt der Kirche … So ist auch im orthodoxen Russland der Zar das Haupt der Kirche … Für die Verwaltung der Kirche ist eine kirchliche Gewalt notwendig …, der wir nach dem Beispiel der russischen Kirche den Namen Verwaltungssynode gegeben haben.40
Im Juli 1833 trafen 38 Hierarchen zur ersten griechischen Bischofssynode in Navplion zusammen und nahmen den Entwurf an. Acht Tage später erließ die Regentschaft im Namen König Ottos die Grundordnung der griechischen Kirche. Der König Griechenlands, obwohl katholisch, wurde zum "Oberhaupt" der Kirche bestimmt und das russische Modell übernommen:
Die höchste geistliche Macht ruht, unter der Oberhoheit des Königs, in den Händen einer Ständigen Synode …. Die Synode besteht aus fünf Mitgliedern …. Die Ernennung geschieht durch die Staatsregierung …. Der Synode beigegeben ist ein Staatsprokurator …. Jeder in seiner Abwesenheit gefasste Beschluss ist ungültig …. Vor Einholung der Genehmigung der Staatsregierung darf kein Synodenbeschluss bekannt gemacht oder vollzogen werden.41
Die Kirche erschien "als dem Staat untergeordnet, als eine Behörde". Das russische Modell dieses Gesetzes scheint offensichtlich, obwohl manche Wissenschaftler auch auf den Einfluss der 1809 oktroyierten Konsistorialordnung der Bayerischen Evangelischen Kirche hingewiesen haben.42 Im nächsten Schritt erließ die Regierung eine Verordnung über die Aufhebung von 394 der 524 bestehenden Klöster (ca. 75 Prozent) und verfügte – nach dem Modell des bayerischen Amortisationsgesetzes von 1764 – die Gründung eines Religionsfonds.
Die Entstehung einer neuen selbständigen Kirche (eigentlich Staatskirche) im unabhängigen Griechenland widersetzte sich den alten Kanones und dem allgemein akzeptierten orientalischen Kirchenrecht. Die Selbständigkeit (Autokephalie) einer neuen Kirchengemeinschaft musste auf Antrag von der Mutterkirche (der sie früher angehörte) proklamiert werden. Im Fall der griechischen Kirche hatten weder die Bischofssynode der neuen griechischen Kirche noch die neuen staatlichen Autoritäten einen Antrag auf Autokephalie bei der Mutterkirche (dem ökumenischen Patriarchat) eingereicht. Umso erstaunlicher war es, als das Patriarchat im Jahre 1850 einen Synodaltomos erließ, in welchem die Autokephalie der griechischen Kirche anerkannt wurde, aber mit der Bedingung, dass sie , "frei und ungehindert von allen weltlichen Angriffen" sein sollte. Das griechische Parlament wies den Tomos zurück, weil die Kirche im orthodoxen Griechenland nicht zum Staat im Staat werden sollte.43
In Rumänien44 besaßen die Donaufürstentümer (Walachei und Moldau) während des Mittelalters ein autonomes Statut gegenüber der Pforte; als dar al ahd (Haus des Vertrages) war die Orthodoxie vorherrschende Konfession und der Islam nicht geduldet. Die zwei Metropolitanprovinzen der Fürstentümer waren faktisch unabhängig vom Ökumenischen Patriarchat (obwohl de jure unter dessen Jurisdiktion).45 Ab dem 18. Jahrhundert bemühte sich Russland vergeblich, die zwei Fürstentümer zu erobern. Es gab auch Versuche, die zwei Metropolitanprovinzen der russischen Kirche zu annektieren. Zwischen 1788–1792 wurde das moldauische und zwischen 1806–1812 das moldo-walachische Exarchat unter der Jurisdiktion des Hl. Synods der Russisch-Orthodoxen Kirche gegründet. Im Jahr 1813 gelang es Russland, den östlichen Teil des Fürstentums Moldau einzunehmen (Bessarabien), wo man unter der Jurisdiktion des russischen Hl. Synods in Chişinău (Kishinev) ein Bistum einrichtete.46
Der russische Einfluss auf die rumänische Kirche der Fürstentümer kam erst nach dem Frieden von Adrianopel (1829) zur Geltung. Während der fünf Jahre, in denen die Russen die Fürstentümer besetzt hatten, erließen sie die ersten modernen Verfassungen in der rumänischen Geschichte. Darin bildete die Gewaltenteilung ein fundamentales Prinzip. Den Hierarchen fiel eine führende Rolle in der Legislative zu (die Wahl der Bischöfe unterstand der Legislative) und in der Exekutive gründete man auch Kultusministerien. Die Einnahmen des kirchlichen Vermögens (Klöster und Eparchien) stellte man als Religionsfonds unter die doppelte Verwaltung der Kultusministerien und der Metropolien. Nach der Vereinigung der zwei Fürstentümer folgte die Säkularisierung des kirchlichen Vermögens und der Religionsfonds wurden mit dem Staatshaushalt zusammengelegt. Die Kirche des modernen Staates Rumänien war die einzige orthodoxe Kirche, die ohne Besitz blieb.
Der erste Fürst der Vereinigten Fürstentümer, Alexandru Ioan Cuza (1859–1866), versuchte, eine Verfassungsreform in der rumänischen Kirche durchzuführen. Dafür gründete er eine zentrale Synode der Kirche, in der außer den Bischöfen auch gewählte Repräsentanten des niederen Klerus Mitglieder sein sollten (diese Synode tagte nur 1865 und 1867). Außerdem erließ Cuza ein Gesetz, wonach alle Hierarchen nicht mehr gewählt, sondern durch fürstliche Ernennung instituiert werden mussten, was mit der alten rumänischen Tradition brach. Das Ökumenische Patriarchat unterstützte die Opposition der Theologen gegen diese Maßnahmen (der sogenannte "Kampf für die Kanonizität") , weil es die einseitige Erklärung der Autokephalie der rumänischen Kirche ablehnte.
Nach der Abdankung des Fürsten Cuza und der Wahl von Karl I. von Hohenzollern-Sigmaringen (1866–1914) ließ sich die Eintracht innerhalb der rumänischen Kirche, aber auch mit Konstantinopel, wiederherstellen. Das Synodalgesetz von 1872 führte einen Hl. Synod ein, in welchem der Kultusminister die Tagesordnung festlegte und die Politik der Regierung bestimmte. Das Gesetz regelte, dass die Wahl der Eparchialbischöfe durch alle orthodoxen Mitglieder der Legislative erfolgen sollte. Die Oberherrschaft der Regierung war also auch in der rumänischen Kirche gesichert.
Im Jahre 1909 beabsichtigte der liberale Kultusminister Spiru Haret (1851–1912), eine Verfassungsordnung, teilweise nach siebenbürgisch-rumänischem Modell, durchzusetzen. Das von ihm gegründete neue Kirchengremium, das Kirchliche Oberkonsistorium, setzte sich aus den Mitgliedern des Hl. Synods und aus 47 gewählten Repräsentanten des niederen Klerus, der Klöster und der Seminare zusammen. Dieses Oberkonsistorium sollte als oberster geistlicher Gerichtshof fungieren und zusätzlich die Verwaltung aller kirchlichen Angelegenheiten übernehmen. Der Hl. Synod widersetzte sich jedoch dieser Reform, da die Bischöfe es bevorzugten, die administrativen Angelegenheiten der Kirche durch die Regierung regeln zu lassen und nicht durch ein mit gewählten Priestern besetztes Gremium. Tatsächlich wurden die Kompetenzen des Oberkonsistoriums im Jahre 1911 eingeschränkt (es blieb nur ein beratendes Organ).47
In Serbien nahm die Regierung zwar auf die 1830 autonom und 1879 autokephal gewordene Kirche Einfluss, allerdings nicht in dem Maße wie in Russland, Griechenland und Rumänien. Die Eparchialbischöfe wurden von der bischöflichen Synode gewählt und vom Kultusminister lediglich bestätigt. Den Metropoliten von Belgrad wählte eine Versammlung, die sich aus allen Bischöfen sowie Protopopen, Archimandriten und zehn führenden weltlichen Würdenträgern zusammensetzte.48
Das Habsburgische Modell
Die multiethnische illyrische Nation in Ungarn und dessen Metropolitanprovinz in Karlowitz
Nach der missglückten zweiten Belagerung Wiens durch die Osmanen im Herbst 1683 konnte die österreichische Armee Ungarn erobern und sogar bis Adrianopel (Edirne) vorrücken. Um die Unterstützung der serbischen Bevölkerung zu erlangen, erließ der Wiener Hof zwei Dekrete (6. April und 21. August 1690), die die Anerkennung eines autonomen serbischen Gebiets auf dem Balkan verfügten.49 Die im Sommer 1690 erfolgreiche osmanische Gegenoffensive führte unter der Leitung des Ipeker Patriarchen Arsenius III. Carnojevic (um 1633–1706) zur Flucht Tausender serbischer Familien auf südungarisches und kroatisches Territorium. Der Wiener Hof gab zwischen dem 11. Dezember 1690 und dem 4. März 1695 vier weitere Verordnungen heraus. Durch diese sogenannten "illyrischen Privilegien" wurden die serbischen Immigranten von der Jurisdiktion der ungarischen Komitate befreit. Zudem konnten die Serben unter der Leitung des Patriarchen Arsenius III. eine autonome orthodoxe Kirchenprovinz mit sieben Suffraganbistümern gründen (nach 1713 mit dem Sitz in Karlovci, dt. Karlovitz, südlich von Stadt Novi Sad).50
Diese neue Metropolitanprovinz, welche sich nach der Auflösung des Ipeker Patriarchats (1766) zu einer de facto autokephalen orthodoxen Kirche entwickelte, umfasste alle orthodoxen Gläubigen der sogenannten illyrischen Nation aus dem Königreich Ungarn. Gemeint waren die orthodoxen Serben, Rumänen und Griechen. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte die Metropolitanprovinz 1.505 Pfarreien, davon waren 935 serbisch, 553 rumänisch (also ca. 37 Prozent) und 17 griechisch.. Von den Habsburgern wurde ein Modell übernommen, das dem Millet-System des Osmanenreichs ähnelte. Erst im 19. Jahrhundert zerbrachen diese konfessionellen Nationen. Im Habsburgerreich durften die Rumänen 1864 ihre eigene Metropolitanprovinz (mit Sitz in Sibiu, dt. Hermannstadt, Siebenbürgen) bilden, und auf dem Balkan gründeten die Bulgaren 1870 ein selbständiges Exarchat.
Der Wiener Hof war aber bemüht, das orthodoxe illyrische Kirchenwesen zu beaufsichtigen. Maria Theresia (1717–1780) [] bestimmte 1769 die Zusammensetzung des höchsten Leitungsorgans der Karlowitzer Metropolie – des Nationalen Kirchenkongresses (NKK). Dieser sollte aus 75 Mitgliedern bestehen, wovon ein Drittel Geistliche, ein Drittel Angehörige des Militärs und ein Drittel Vertreter der Bürgerschaft (also zwei Drittel Laien) waren. Außerdem durften der NKK und die bischöfliche Synode nicht ohne die Anwesenheit der kaiserlichen Kommissare tagen. 1770 und 1777 erließ der Wiener Hof zwei "illyrische Reglements", welche 1779 durch das Rescriptum Declaratorium Illyricae Nationis ersetzt wurden. Dadurch schränkte der Wiener Hof das als sehr willkürlich empfundene Regierungshandeln der Karlowitzer Metropoliten ein. Am 17. Juni 1782 ordnete der Hof schließlich durch die Systema consistoriale die Einführung von Konsistorien in der Metropolitanprovinz und in den Suffraganbistümern an.
Der eigentliche Sinn dieser letzten Verordnung lässt sich an der Umbildung des Konsistoriums der siebenbürgisch-sächsischen evangelischen Kirche erkennen, die Kaiser Joseph II. verfügte. Das Konsistorium wurde in der siebenbürgisch-sächsischen Kirche erst 1753 gegründet (zur Hälfte zusammengesetzt aus Laien). Am 4. September 1782 führte aber Joseph II. das landesherrliche Kirchenregiment ein, indem er als Summus Episcopus agierte. Die Synoden der evangelischen Kirchen durften ohne die Anwesenheit kaiserlicher Kommissare nicht mehr zusammentreten.51
Tatsächlich übte der Wiener Hof auch in der orthodoxen Metropolitanprovinz von Karlowitz eine Art "landesherrliches Kirchenregiment" aus. Erst nach dem österreich-ungarischen Ausgleich wurde die Orthodoxie in der ungarischen Hälfte der Donaumonarchie von diesem Kirchenregiment befreit.
Die Einführung des Josephinismus im orthodoxen Bistum Bukowina
Die Karlowitzer Metropolitanprovinz umfasste außer den sieben Suffraganbistümern aus dem Königreich Ungarn-Kroatien noch drei "außerordentliche" Bistümer: Siebenbürgen (mit Sitz in Sibiu, dt. Hermannstadt im Fürstentum Siebenbürgen), Bukowina (mit Sitz in Czernowitz, Kreis Bukowina des Königreichs Galizien und Lodomerien, nach 1849 eigenständiges Herzogtum) und Dalmatien (Zara).52 Die ersten zwei wurden 1783 der Karlowitzer Metropolitanprovinz unterstellt mit der Auflage, dass sich die "illyrischen Privilegien" in Siebenbürgen und der Bukowina nicht ausdehnen dürften. Das Bistum Dalmatien (gegründet 1808 von Napoleon Bonaparte, 1769–1821[]) kam erst später dazu (1823 und 1829).53
Die Bukowina war bis 1774 Teil des Fürstentums Moldau, das den Osmanen unterstellt war. Die Orthodoxie blieb dort die vorherrschende Konfession, jedoch gemäß den Richtlinien des durch Joseph II. geschaffenen Staatskirchenverhältnisses. Im Jahre 1781 führte man in Czernowitz ein Konsistorium ein, an dessen Sitzungen auch zwei weltliche Beisitzer teilnahmen. Im Jahre 1786 erließ der Wiener Hof den Regulierungsplan.54 Das Konsistorium wurde neu organisiert; zu den Mitgliedern zählten nun auch zwei rumänische und zwei deutsche Beamte, die aufgrund der Vereinbarung zwischen dem Bischof und der Regierung ernannt wurden.
Kaiserliche Erlasse und Patente, die erst nach 1886 einheitlich gedruckt wurden, strukturierten das ganze Leben in der Eparchie der Bukowina.55 Der Josephinismus blieb in dieser orthodoxen Eparchie auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestehen. Im Jahre 1869 aber wurde das Konsistorium nach byzantinischem Vorbild neu in Sektionen organisiert. Folgende Ämter übernahm man aus dem "rechten Chor" der Konstantinopler Patriarchatsverwaltung: Kirchen-Ökonom, Sacellarius, Sceuophylax, Chartophylax, Kirchenanwalt.56 Es war sicher kein Zufall, dass diese Veränderungen des Konsistoriums erfolgten, kurz nachdem das Werk über die Episkopalämter der orthodoxen Kirche von Joseph Zhishman (1820–1894), dem Referenten für orthodoxe Angelegenheiten im Wiener Kultusministerium, erschienen war.57
Für das kirchliche Leben der Czernowitzer Eparchie war besonders der orthodoxe Religionsfonds bedeutend. Nach dem Modell des Habsburgerreiches wurden bis zu drei orthodoxe Klöster abgeschafft (vorher gab es 17 Klöster und 15 Skiten). Laut des Regulierungsplans war der Wiener Monarch der oberste Patron des Fonds, den die Behörden verwalteten. Der Bischof wurde erst nach 1834 über die Art der Verwaltung des Fonds benachrichtigt. Dank des Fonds war das orthodoxe Bistum der Bukowina unter allen orthodoxen Eparchien des Habsburgerreiches am besten ausgestattet (1918 besaß der Religionsfonds 266.232 Hektar Boden, also fast 26% der Gesamtfläche der Bukowina).58 Deswegen forderte das Kirchenvolk der Bukowina die Rückgabe des Religionsfonds nach dem Modell der sogenannten "kirchlichen Autonomie im ungarischen Sinn" und dessen Verwaltung durch einen gemischten Kirchenkongress (wie in den orthodoxen Metropolitanprovinzen Ungarns). Bis 1918 konnte ein solcher Kirchenkongress allerdings nicht eingeführt werden, und der Religionsfonds blieb weiter unter staatlicher Verwaltung (ab 1872 des Landwirtschaftsministeriums).59
Die kirchliche Autonomie der orthodoxen Metropolitanprovinzen in der ungarischen Hälfte der Donaumonarchie (1868–1918)
Die rumänischen orthodoxen Metropolitanprovinzen Siebenbürgen und Ungarn – Das "Organische Statut" von Andrei von Saguna
Das "außerordentliche Suffraganbistum" Siebenbürgen, auf dem Territorium des gleichnamigen Fürstentums, befand sich im Vormärz wie kein anderes Bistum der Orthodoxie in einer denkbar schlechten staatspolitischen Lage. Nach der Kirchenunion mit Rom (1697–1701) erlosch das Bistum; erst Joseph II. restaurierte es (1783). Die Orthodoxie bestand aber weiter als eine "nicht rezipierte, geduldete" Konfession:
Den Anhängern der gr.-or. Kirche ist zwar landesgesetzlich freie Religionsübung im ganzen Lande zugesichert; sie haben ihren eigenen, vom Landesfürsten ernannten Bischof, der in Religionsangelegenheiten die Obergewalt unter dem Oberaufsichtsrechte des Landesfürsten ausübt; allein sie haben keinen gesetzlichen Anspruch auf öffentliche Anstellungen, ihre Geistlichkeit und ihre Kirchengüter entbehren der adeligen Vorrechte; sie müssen ihre Geistlichen, ihre Kirchen und ihren Kultus aus Eigenem, ohne Beihilfe vonseiten des Staates und der übrigen Religionsparteien unterhalten.60
Zur finanziellen Unterstützung des Bistums gründete Joseph II. den Sidoxialfonds, in dem Kirchensteuern der orthodoxen Familien zusammenflossen. Daraus wurden der Bischof und die wenigen anderen Kirchenbeamte besoldet. Dieser Fonds und andere, die bis 1845 gegründet wurden, unterstanden der Verwaltung der Landesregierung. Der Wert dieser Fonds fiel geringer aus als der Gesamtschaden, den das Bistum während des Bürgerkrieges von 1848/1849 erlitten hatte.
Die 1848er Revolution brachte aber auch die rechtliche Anerkennung und die Gleichstellung der Orthodoxie mit den anderen Siebenbürgischen Konfessionen. Der neue Bischof Andrei Saguna wollte die veränderte rechtliche Lage nutzen, um sein Bistum, das sich in einer schweren Krise befand, als Volkskirche zu erneuern. Im März 1850 berief er eine gemischte Bistumssynode (25 Protopopen, zwei Theologieprofessoren und 30 Laien) ein. Im Oktober 1860, einen Monat nachdem in allen Ländern der Monarchie Verfassungen eingeführt worden waren, folgte eine weitere gemischte Bistumssynode (bestehend aus 46 Geistlichen und 52 Laien), welche eine Wahlordnung für die nächsten Synoden erließ.
Tatsächlich war sich Bischof Saguna bewusst, dass es nur eine einzige Möglichkeit gab, die rumänisch-siebenbürgische Orthodoxie zu erneuern: die Beteiligung der Laien an der Kirchenorganisation und zwar auf allen Ebenen. Im Rahmen der orthodoxen Kirchenverfassungen seiner Zeit war das ein Novum. Es gab zwar in der Karlowitzer Metropolitanorganisation den Nationalen Kirchenkongress. Dieser war aber gemäß der vom Wiener Hof erlassenen Gesetzgebung nur ein konsultatives Gremium, mit dem einzig bedeutenden Recht, die Metropoliten zu wählen, wobei anwesende Kommissare den Einfluss des Hofes sicherten. Die meisten Verwaltungsangelegenheiten innerhalb der Karlowitzer Metropolitanprovinz erledigte die Bischofssynode, wiederum unter Anwesenheit von Kommissaren. Wegen dieser Einflussmöglichkeit der staatlichen Organe lehnte Saguna die Karlowitzer Konsistorialverfassung strikt ab. Zudem wies er die Organisationen der Kirchen Russlands, Griechenlands und Rumäniens als antikanonisch zurück. Ja, er distanzierte sich insgesamt von dem bereits im konstantinischen Zeitalter etablierten Verhältnis zwischen Staat und Kirche und vertrat den Standpunkt, dass die Kirche nach der 1848er Revolution endlich wieder die Freiheit vom Staat erlangt habe. In dieser neuen rechtlichen Lage bestünde die Aufgabe der Kirchenleitung darin, die eigentlichen Institutionen der Kirche, die Synoden, wieder aufleben zu lassen. Das Prinzip der Synodalität in der Kirche wurde von Saguna erstens als Solidarität (gemeinsames Handeln) zwischen Geistlichen und Laien und zweitens als konstitutionelles System verstanden.61 Als bestes Mittel, diese Solidarität und Synodalität in der Kirche umzusetzen, erschien eine Übernahme der Strukturen des Konstitutionalismus.62
Nach der Gründung der rumänischen Metropolie forderte der Monarch deren Episkopat auf, ein Kirchenstatut zu erlassen. Saguna befand, dass die Kompetenz nur bei einem gemischten Nationalen Kirchenkongress (einem kirchlichen Parlament) liegen könne, und ersuchte den Kaiser, Wahlen für einen solchen Nationalen Kirchenkongress zu genehmigen. Nach dem österreich-ungarischen Ausgleich erkannte das ungarische Parlament im Mai 1868 die Kirchenautonomie beider orthodoxer Kirchenprovinzen an und verfügte die Einberufung je eines Nationalen Kirchenkongresses in jeder Metropolie, mit der Aufgabe Kirchenstatuten zu erlassen. Beide Nationalen Kirchenkongresse mussten laut Gesetz zu zwei Dritteln mit Laien besetzt sein.
Der Nationale Kirchenkongress der rumänischen Metropolie tagte Ende September 1868 und verabschiedete das Organische Statut, das bis 1925 als Kirchenverfassung in Siebenbürgen galt. Dessen Prinzipien waren:
- die Kirchenautonomie, im Kontext eines subsidiären Staates (Königreich Ungarn);
- die Synodalität, verstanden als Zusammenarbeit aller kirchlichen Bereiche im Rahmen einer konstitutionellen Organisation (daher gab es auf allen kirchlichen Ebenen Gewaltenteilung zwischen den exekutiven und den legislativen Organen sowie ein allgemeines Wahlrecht der Gläubigen für die Legislative; das Episkopat hatte nur ehrenamtliche Funktionen in der Kirchenverwaltung, um die Gewaltenteilung nicht zu gefährden);
- die Unterscheidung zwischen rein kirchlichen Angelegenheiten (um die sich exklusiv Gremien kümmerten, die mit Geistlichen besetzt waren) und wirtschaftlichen sowie kulturellen Angelegenheiten (mit denen Körperschaften betraut waren, in denen Laien eine Zweidrittelmehrheit hatten).63
Über die kanonischen und juristischen Quellen des Organischen Statuts wurde viel diskutiert.64 Ein protestantischer Einfluss (von Seite der siebenbürgisch-säschsischen evangelischen Kirchenordnung von 1861) ist möglich.65 Dennoch gibt es auch Unterschiede zwischen den protestantischen Kirchenordnungen und dem Organischen Statut:
- Das Verhältnis zwischen Geistlichen und Laien war in der sächsischen Kirche paritätisch, die Zweidrittelmehrheit der Laien in den kirchlichen Körperschaften unbekannt.
- Es gab eine nur schwach ausgeprägte Gewaltenteilung. Die Konsistorien (oder das Presbyterium) waren keine ausführenden Organe, sondern die ständigen Organe der kirchlichen Versammlungen, die sowohl legislative als auch exekutive Befugnisse innehatten (was expressis verbis durch die Landeskirchenversammlung festgelegt war).
- Das Wahlrecht der Gläubigen war in der sächsischen Kirche auf den Pfarrer, auf das Presbyterium (in den Gemeinden mit bis zu 500 Mitgliedern) und auf die größere Gemeindevertretung, also die Ortsgemeinde beschränkt (dementsprechend gab es in der evangelischen Kirche Siebenbürgens keine Direkt-Wahlbezirke).
- In der evangelischen Kirche existierte zudem keine Trennung zwischen rein kirchlichen (dogmatischen, gottesdienstlichen) und administrativen Angelegenheiten. Die Landeskirchenversammlung (die Laien inbegriffen) hatte das Recht, den Kultus (die Agenda) zu bestimmen. Dies war in der orthodoxen Kirche nicht üblich.66
Zudem gab es Einflüsse aus dem Reformkatholizismus, insbesondere durch den Theologen Johann Baptist Hirscher (1788–1865) aus der Tübinger Schule67 und aus der Bewegung für die Kirchenautonomie in Ungarn.68 Ähnlichkeiten zwischen dem Organischen Statut und den Idealen des Reformkatholizismus bestanden in folgender Hinsicht:
- das Verhältnis von zwei Drittel Laien und einem Drittel Geistlichen in den kirchlichen Gremien, die nicht mit rein kirchlichen und dogmatischen Aufgaben betraut waren;
- Repräsentanz der Gläubigen und nicht der Gemeinden, durch direktes Votum in den Wahlbezirken (Hirscher schlug 1849 auch für die Bistumssynoden direkte Wahlen vor);
- die Einführung der Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und Legislative, Erstere auch mit dem Recht der Kontrolle über die Letztere.69
In Ungarn gab es ein "breiteres Verständnis" der Kirchenautonomie, das "auch die Teilnahme des weltlichen Elementes an der Verwaltung der materiellen, stiftischen und schulischen Angelegenheiten der Kirche voraussetzte".70 Insbesondere die liberalen ungarischen Politiker um die Mitte des 19. Jahrhunderts forderten dieses erweiterte Verständnis der Kirchenautonomie. Ihrer Auffassung nach sollte die Gewährung der Kirchenautonomie (und auch die Rückgabe des Religionsfonds, also der kirchlichen Vermögenseinnahmen, an die Kirche) jedoch auf staatlicher Seite mit der Bedingung einer kirchlichen Verfassungsreform (Einführung des modernen Konstitutionalismus innerhalb der Kirchenorganisation) verknüpft werden.71 Der katholische Episkopat Ungarns war während der Revolutionsjahre 1848–1849 bereit, eine solche Verfassungsreform durchzuführen. Nach dem österreich-ungarischen Ausgleich änderte sich jedoch dessen Position.72 Das Bestreben der Laien und der liberalen Politiker, die Ideale des Reformkatholizismus in der Katholischen Kirche Ungarns zu realisieren, scheiterte. In der rumänisch-orthodoxen Kirche Siebenbürgens und Ungarns wurden die Ideale aber durch das Organische Statut von 1868 umgesetzt.73 In der römisch-katholischen Diözese Siebenbürgens führte man 1873 de facto die Kirchenautonomie ein. Die Leitung des Bistums wurde dem Bischof sowie dem Status Catholicus übertragen, einer Bistumsversammlung (genannt "Statusversammlung"), die als Legislativ- und Aufsichtsbehörde für alle Organe der Selbstverwaltung des katholischen siebenbürgischen Bistums fungierte.74
Die vorübergehende kirchliche Autonomie in der Karlowitzer serbisch-orthodoxen Metropolitanprovinz Ungarns
Dem Gesetzartikel 9/1868 des ungarischen Parlaments (Mai 1868) gemäß, war auch der serbische Nationale Kirchenkongress zu zwei Dritteln mit Laien besetzt. Zwischen den Laien und dem Episkopat kam es jedoch zu Auseinandersetzungen, da der Episkopat nicht bereit war, die Verfassungsreform im Sinne Sagunas und der ungarischen liberalen Kirchenautonomie durchzuführen. Den Laienvertreter im Nationalen Kirchenkongress waren zudem das Verständnis der Synodalität als Solidarität mit der Hierarchie fremd. Stattdessen beanspruchten die Laien, dieselben Rechte, über die die Regierungen in den orthodoxen Ländern (Serbien, Griechenland und Russland) verfügten, in der Kirchenprovinz und über das Episkopat auszuüben. Dementsprechend war es nicht möglich, in der Karlowitzer Metropolitanprovinz ein einheitliches Kirchenstatut zu realisieren. Das von der Laienmehrheit im Nationalen Kirchenkongress erlassene Kirchenstatut wurde auch vom ungarischen Kultusministerium als antikanonisch zurückgewiesen (auf Forderung des Episkopats). Ersatzweise erließ das Ministerium mehrere Verordnungen für die einzelnen kirchlichen Organe (Versammlungen und Ausschüsse) und einen Wahlmodus. Im Jahr 1911 verfasste die Bischofssynode der Metropolitanprovinz einen Entwurf für eine neue Synodalordnung, in welcher die Autonomieorgane fast gar nicht erwähnt und die Bischofssynode als "höchste kirchliche Macht in allen kirchlichen Angelegenheiten" bezeichnet wurde. Die Regierung nahm diese Ordnung an. Nach dem Protest der autonomen kirchlichen Organe setzte die Regierung alle vorherigen Verordnungen außer Kraft. Die Autonomie der serbischen Kirchenprovinz wurde praktisch damit aufgehoben. Auf Metropolitan- und Bischofsebene gab es nun keine gewählten Kirchengremien mehr. Alle Angelegenheiten wurden durch Erlasse der Regierung im Einverständnis mit dem Episkopat geregelt. Nur in den Pfarreien wurden noch die Versammlungen und Ausschüsse beibehalten.75
Stärkung des Laienelements in den orthodoxen Kirchen des Osmanischen Reiches
Bestrebungen, die Kirchenorganisation zu demokratisieren, gab es auch in den orthodoxen Kirchen des Osmanischen Reiches. Die Möglichkeit dafür war durch die Gesetze aus den Jahren 1855–1856 gegeben, wodurch (auf Druck der westlichen Botschafter) die Scharia, mit Blick auf die rechtliche Position der Nichtmuslime (d. h. das Statut der Dhimma), aufgehoben wurde. Das bedeutendste Gesetz war der Hatt-ı Hümâyûn (auch: Islâhat Fermânı) vom 18. Februar 1856. Durch diesen Erlass der Osmanischen Regierung wurden "das Ende der rein geistlichen Führung der religiösen Minderheiten und der Aufbau einer weltlichen Organisation dieser Gruppen" verfügt.76 Jede Kommunitätsgemeinschaft war aufgefordert, Kommissionen einzusetzen, welche aufgrund der alten Privilegien und Immunitäten, neue Verfassungen erarbeiten sollten, die die Pforte dann per Gesetz verabschiedete. "Das neue System entsprach nun dem Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, wie es für Staaten mit bevorrechteter Religionsgemeinschaft (Staatsreligion) in Europa charakteristisch war".77
Das ökumenische Patriarchat
Der Erlass Hatt-ı Hümâyûn ermöglichte es, ein großes Nationalkonzil des ökumenischen Patriarchats (1858–1860) einzuberufen, "an welchem die Laien mit gleichwertigen Stimmen beteiligt und in der Mehrheit waren".78 Dort wurden die Statuten für alle Institutionen der Kirche (sogenannten Kanonismoi) erarbeitet, die zusammen, als Genikoi Kanonismoi, die Verfassung der Kirche darstellten. Was die Synodalverfassung betrifft, musste der Hl. Synod alle "weltlichen Dinge" an eine neu gebildete Institution, den Gemischten Rat, abtreten. Dieser bestand aus vier Bischöfen und acht Laien. Die Laien aus dem Gemischten Rat wurden von den Pfarreien Konstantinopels und den Gemeinden am Bosporus vorgeschlagen und dann in einer gemeinsamen Sitzung des Hl. Synods und des existierenden Rates in geheimer Abstimmung gewählt. Dem Gemischten Rat unterstanden die Schulen, die Krankenhäuser und die gemeinnützigen Anstalten.79
Auch hinsichtlich der Wahl des Patriarchen wuchs die Bedeutung der Laien. Die Wahlversammlung bestand zum einen aus den Bischöfen, Mitgliedern des Hl. Synods und aus denjenigen Bischöfen, welche zufällig in Konstantinopel anwesend waren. Zum anderen setzte sich die Versammlung aus weltlichen Mitgliedern zusammen: drei der hochrangigsten Beamten des Patriarchats, den Laienmitgliedern des Gemischten Rates, dem Gouverneur der Insel Samos, drei Repräsentanten der Donaufürstentümer (wobei die Rumänen z. B. nie von diesem Recht Gebrauch machten), vier renommierten Wissenschaftlern, fünf Vertretern der großen Händler, einem Bankier, zehn Repräsentanten der Handwerksverbände, zwei Vertretern der Pfarreien aus Konstantinopel und 28 Abgesandten der Eparchien.80
Die Einbeziehung der Laien in die Verwaltung des ökumenischen Patriarchates war aber nicht neu. Nach der osmanischen Eroberung, insbesondere ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, übernahmen Laien aus dem Phanar (Fener) fast alle großen Ämter (Kaiserämter – Basilikoi) der Patriarchalverwaltung. Diese Übermacht der Laien aus Konstantinopel in der Kirchenverwaltung wurde erst durch die Synodalreform zwischen den Jahren 1741–1763 beendet. Dadurch entstand die Oligarchie der Metropoliten (anfangs fünf, nach 1793 zwölf), bestehend aus den sogenannten "Geronten", die Mitglieder des Hl. Synods waren.81
Das Bulgarische Exarchat
Die neue de facto autokephale bulgarische Kirche entstand durch den Ferman vom 27. Februar 1870, ein Dekret des Sultans Abdülaziz (1830–1876)[] (publiziert zwei Jahre später, als auch der erste Exarch gewählt wurde und der Hl. Synod des ökumenischen Patriarchats die neue Kirche für schismatisch erklärte).82 In einer ersten Etappe standen unter der Jurisdiktion des Exarchats die mehrheitlich bulgarisch bewohnten Eparchien des Osmanenreiches. Nach 1879 hatte das Exarchat eine doppelte staatliche, territoriale Jurisdiktion: das neue autonome Bulgarien (1916: zehn Eparchien) und die unter der Hoheit der Pforte gebliebenen Territorien (1912: 15 Eparchien). Erst nach den Balkankriegen blieb das bulgarische Exarchat auf das Gebiet des bulgarischen Nationalstaates beschränkt.83
Die Rolle der Laien im Exarchat war von Anfang an bedeutend, weil die Jurisdiktion der Eparchien durch Volkszählung bestimmt wurde (zum Exarchat gehörten alle Bistümer, in denen die Bulgaren eine Zweidrittelmehrheit bildeten). Durch die Kirchenverfassung (Exarchalstatut von 1871), wurden kirchliche Institutionen auf Zentral- und Diözesanebene mit einer Laienmehrheit gebildet. Neben dem Hl. Synod (für geistliche Angelegenheiten) entstand ein "Oberster Laienexarchialrat", zusammengesetzt aus "sechs von den Diözesanwählern aller Diözesen gewählten Laien". In den Diözesen wurden aus Priestern bestehende Konsistorien, aber auch "gemischte Diözesanräte, zusammengesetzt aus drei von den Diözesanwählern gewählten Priestern und sieben Laien" eingeführt. In diesen Diözesanräten übernahmen die Laien in rein spirituellen Angelegenheiten auch beratende Aufgaben ohne Entscheidungsbefugnisse. Die Mitwirkung der Laien in diesen Räten wurde aber durch die erste Revision des Exarchalstatuts im Jahr 1883 aufgehoben, weil "nach der Befreiung Bulgariens, die weltlichen Angelegenheiten, die bis damals unter der Jurisdiktion der Kirche standen, in die Rechtssphäre des Staates übergingen, und also in dieser Hinsicht das Laienelement in der Verwaltung der Kirche überflüssig wurde".84 Nach der Konstituierung des bulgarischen Staates veränderte sich folglich das Verhältnis von Staat und Kirche nach dem Vorbild der mehrheitlich orthodoxen Länder (Russland, Griechenland, Rumänien und Serbien).
Trotzdem blieb das Laienelement im Wahlrecht bestehen. Die Pfarreien wählten die sogenannten "Diözesanwähler", welche dann über die eigentlichen Diözesanrepräsentanten abstimmten, aus welchen sich die Wahlversammlungen zusammensetzten. Diese Wahlversammlungen entschieden schließlich über den Exarchen und die Diözesanbischöfe (aus einer von den Hierarchen erstellten Kandidatenliste), aber auch die Konsistorialräte in den verschiedenen Bistümern (ohne jeglichen Einfluss des Diözesanbischofs!).85
Fazit
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts existierten in der Orthodoxen Kirche zwei verschiedene Verwaltungssysteme und Beziehungsverhältnisse zwischen Staat und Kirche. In der russischen Kirche gab es das sogenannte "petrinische Modell", das später in den neuen Nationalstaaten Südosteuropas übernommen wurde. Die betreffenden orthodoxen Kirchen wurden den jeweiligen Regierungen unterstellt; die Synodalität, die die Basis der Orthodoxie bilden sollte, wurde umgedeutet, so dass die Synode der Bischöfe nach dem Vorbild der Konsistorien in den protestantischen Landeskirchen nun als staatliches Organ fungierte. Dieses Modell des orthodoxen Staatskirchentums existierte in allen Staaten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung orthodoxen Glaubens war.
In den Gebieten, in denen nur eine Minderheit der orthodoxen Kirche angehörte – im Königreich Ungarn (die rumänischen und die serbischen Kirchen von Sibiu und Karlowitz) und im Osmanischen Reich (das ökumenische Patriarchat von Konstantinopel) –, galt ein anderes Modell. Hier war die Orthodoxie autonom, und den staatlichen Organen wurde nur ein Kontrollrecht zugewiesen. Die Umstände in Ungarn und im Osmanischen Reich waren aber verschieden. Während die Autonomie der orthodoxen Kirche im Osmanischen Reich auf dem alten Millet-System der Konfessionsnationen basierte, waren in Ungarn die westlichen Einflüsse – in kirchlicher Hinsicht, aber auch bezüglich der modernen staatlichen Regierungsformen des Konstitutionalismus und der Gewaltenteilung – für die Verfassungsreform der rumänischen und serbischen Kirchen maßgeblich.