"Öffentlichkeitsarbeit"
Die Verbreitung der Homöopathie1 förderte deren Begründer, der Arzt Dr. Samuel Hahnemann (1755–1843), früh durch eine geschickte Nutzung der Presse.2 So kritisierte er 1792 die Leibärzte des Kaisers Leopold II. (1747–1792) wegen einer unangemessenen Behandlung. Er warf ihnen die Schwächung des Schwerkranken durch mehrere Aderlässe und Schlamperei bei der Dokumentation des Falls vor.3 Die Gerüchte um den mit 45 Jahren plötzlich verstorbenen Potentaten garantierten im ganzen deutschen Sprachraum ein großes Interesse der Öffentlichkeit.
Später nutzte Hahnemann Informationen aus fernen Ländern werbewirksam für die Homöopathie: Während der Choleraepidemie ab 1830 hatte ihm ein "Homöopathiker von der galizischen Grenze" Kampfer als Gegenmittel empfohlen.4 Hahnemann publizierte die Idee und empfahl den Patienten außerdem, weiter Wasser zu trinken. Mit dieser Rezeptur hatte die Homöopathie in vielen Ländern deutlich bessere Behandlungserfolge als die Schulmedizin.Die Homöopathen publizierten entsprechende Statistiken und schafften damit den Durchbruch in der öffentlichen Anerkennung.
Die Presse wurde dank kollegialer Vernetzung auch defensiv genutzt: So lancierte Hahnemann 1831 einen Presseartikel, um einen wegen Ausübung der Homöopathie mit Gefängnis bedrohten Kollegen in Raab (heute Györ in Ungarn) zu schützen. Die Veröffentlichung der vom örtlichen Stadtarzt gehegten Verhaftungsabsicht zeigte, dass schnell und grenzüberschreitend auf solche Gerüchte reagiert wurde.
Diese Beispiele einer erfolgreichen Mediennutzung aus der ersten Ärztegeneration könnten es nahe legen, die Verbreitungsgeschichte der Homöopathiegeschichte als Ärztegeschichte zu schreiben. Traditionell wurde der zuerst angekommene Arzt als "Eroberer" eines ganzen Landes gedeutet und das Gebiet dann als "für die Homöopathie gewonnen" kartiert. Ländergeschichten der Homöopathie wurden als Funktion der Lebensdauer von homöopathischen Ärzten repräsentiert. Demgegenüber werden hier erst die Medien, dann die handelnden Personen und schließlich der größere Kontext dargestellt.
Medien
Zeitschriften
Die Neugründungen von homöopathischen Zeitschriften verweisen auf die Vitalität dieser medizinischen Richtung, denn sie setzen Gründer voraus, die ein solches editorisches Unternehmen wagen. In Frankreich geschah das viel häufiger als in Deutschland – hier hielten sich Zeitschriften über Jahrzehnte, so dass kein Bedarf für Neugründungen bestand. Es gab also Strukturunterschiede auf den Zeitschriftenmärkten dieser Länder. Trotzdem sind Neugründungen ein relativ guter Indikator für die langfristige Entwicklung der Homöopathie.
Die Graphik zeigt die Anzahl der Neugründungen homöopathischer Zeitschriften nach Kontinenten von 1820–1990: Man sieht an der Linie (mit den Dreiecken) den frühen Start Europas, das aber bereits in den 1860er Jahren durch (im wesentlichen Nord-) Amerika überholt wird. Auch die weltweite Schwächephase der Homöopathie zwischen 1910 und 1970 ist gut abgebildet. Die Weltgeschichte der Homöopathie kann man in diese drei Phasen von Aufstieg und Stabilisierung bis ca. 1910, Stagnation und Niedergang bis ca. 1970 sowie anschließender Renaissance einteilen. Schließlich zeigt sich der Aufstieg Indiens zur homöopathischen Großmacht besonders seit der Unabhängigkeit (1947) – zumindest wenn man die Anzahl der Zeitschriftengründungen als Indikator nimmt.5 Hätte man vergleichbar gute Daten für die letzten 30 Jahre, würde der mittlerweile beschleunigte Aufschwung mit einer großen Zahl von Zeitschriftengründungen sichtbar werden.
Grundlagenwerke
In Zeiten ohne Radio und schnelle Verkehrsmittel war die Bedeutung von Zeitschriften und Büchern noch höher als heute. Bücher überschreiten leichter Länder- und Sprachgrenzen als Menschen. So konnte man sich überall auf der Welt mit dem neuen Heilsystem bekannt machen. Anhand der Übersetzungen von Hahnemanns Grundlagenwerk, dem Organon, lässt sich gut beobachten, wie schnell sich das Interesse daran verbreitete. Die vielen Auflagen in deutscher Sprache, von der ersten 1810 bis zur sechsten von 1921, zeigen, dass Hahnemann seine aus der medizinischen Praxis gewonnenen Erkenntnisse den Lesern ständig aktualisiert zur Verfügung stellte. Nach französischen, niederländischen und italienischen Ausgaben während der 1820er Jahre erreicht die Übersetzungstätigkeit Mitte der 1830er Jahre, also nach dem Ausbruch der ersten Choleraepidemie in Europa, ihren Höhepunkt. In rascher Folge erschien das Organon auf Ungarisch, Englisch, Schwedisch, Russisch, Spanisch und in einer amerikanischen Ausgabe. Die erste portugiesische Ausgabe wurde 1846 in Brasilien veröffentlicht. Die Übersetzungen anderer Grundlagenwerke der Homöopathie weisen einen ähnlichen Rhythmus auf. Übersetzungshäufigkeit und -richtung weiterer Werke von Homöopathen, etwa zwischen dem Deutschen, Französischen und Englischen, sind bisher nicht erforscht.
Personen
Ärzte
Als erste Personengruppe, welche die internationale Verbreitung der Homöopathie vorangebracht hat, ist die der Ärzte zu nennen.Manche lasen zunächst homöopathische Schriften und begaben sich anschließend auf Fortbildungsreisen: Ein Beispiel ist der französische Arzt Auguste Rapou (1818–1884) aus Lyon. 1847 veröffentlichte er seine Reiseeindrücke aus Deutschland, Ungarn, Italien und weiteren europäischen Ländern.6 Sein Vater hatte bereits in den 1830er Jahren Deutschland besucht, so dass Rapou 1842 Vergleiche anstellen konnte. Aus Berlin berichtete er über Tendenzen zur sogenannten Isopathie, also der Praxis, statt der ähnlichsten Mittel sogar solche zu verwenden, die genau die gleichen Symptome auslösen. Er erwähnt Versuche mit Hochpotenzen, den schon zeitgenössisch umstrittenen, besonders starken Arzneiverdünnungen.7 Aus Prag erfahren wir, dass dort mit Wirkstoffen aus Tiermaterialien, den Nosoden, experimentiert wird.8 Schließlich vergleicht Rapou auch das Interesse der Weimarer und Berliner Studenten an der Homöopathie: In der habsburgischen Hauptstadt sei es 1842 wesentlich größer gewesen – allerdings weilte er in Berlin während der Semesterferien. So mischen sich in diesem Reisebericht klinische Notizen mit Ärzteportraits und theoretischen Überlegungen. Auch gesundheitspolitische Analysen über den Hof in Lucca als Förderer der Homöopathie in Italien fehlen nicht.
Reisen zu anderen Homöopathen waren dringend geboten, da diese Heilweise in Europa an den Universitäten praktisch nicht gelehrt wurde. Die Ausnahme waren einige Professoren in Deutschland, die bis in die 1860er Jahre Veranstaltungen zur Homöopathie anboten. Im letzten Drittel des Jahrhunderts wurde eine Professur für Homöopathie in Budapest eingerichtet.9 So blieben den Ärzten neben dem Privatstudium nur Reisen und Famulaturen. Gleichzeitig festigten sie so ihre internationale Vernetzung. Eine andere Option war das Studium in den USA, wo seit Mitte des 19. Jahrhunderts viele homöopathische medical schools entstanden, die oft auf Gründungen deutscher Einwanderer zurückgingen.10 Im offenen amerikanischen Markt stellten Homöopathen gegen Ende des 19. Jahrhunderts 7 Prozent der gesamten Ärzteschaft. In dem eng regulierten deutschen Gesundheitsmarkt gab es von 1860 bis 1990 dagegen nie mehr als 1,3 Prozent homöopathische Ärzte.
Laienheiler
Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war der medizinische Markt stark durch Laienheiler geprägt, die u.a. auch homöopathische Kuren anboten. Diese Behandler konnten handwerklich ausgebildet sein wie im Fall der Wundärzte; viele waren aber völlige Autodidakten. So begannen Adelige wie Bettine von Arnim (1785–1859) in Preußen oder Maria Wambolt (1848–1915) in Slowenien oder manch ein Fabrikbesitzer eine Nebentätigkeit als homöopathische Laienheiler – oft nach eigenen guten Erfahrungen. Am häufigsten sind Kleriker belegt – evangelische Pfarrer ebenso wie katholische Priester oder orthodoxe Popen in Russland. Auf dem Land waren sie oft die einzigen Gebildeten, die die medizinische Selbstversorgung der Bevölkerung um etwas "gelehrte Medizin aus den Büchern" bereichern konnten.
Allerdings entwickelten Laienheiler selten grenzüberschreitende Aktivitäten. Exzeptionell ist der französische Kaufmann Benoît Mure (1809–1858). Dieser hatte 1831 eine Schwindsucht, von der er sich nach homöopathischer Behandlung erholte. Mure erlernte daraufhin bei dem Lyoneser Arzt Sébastien Des Guidi (1769–1863) diese Heilkunde, gab seine Geschäfte auf, erwarb in Montpellier einen medizinischen Titel und eröffnete eine Praxis in Malta. Dort von den Gesundheitsbehörden vertrieben, startete er 1835 unerschütterlich, aber vorsichtiger, in Palermo neu. Er übersetzte ein Handbuch der Homöopathie von Gustav H. G. Jahr ins Italienische und stellte selbst Arzneimittel her. Aus kleinen Anfängen machte er in wenigen Monaten eine florierende Praxis mit sechs angestellten Ärzten, die bis zu 200 Patienten am Tag behandelten. Als der Versuch, sich in Frankreich niederzulassen, am Widerstand der Ärzte scheiterte, führte er die Homöopathie in Brasilien ein. Erst seit den 1980er Jahren sind Aktivitäten von Laienheilern auch international wieder sichtbar: Zu nennen wären hier der Grieche Georgos Vithoulkas, der es bis zum alternativen Nobelpreis brachte. Seit den 1990er Jahren gibt es auch Heilpraktikerkongresse mit internationaler Beteiligung.
Patienten
Patienten sorgten als dritte Akteursgruppe nachhaltig für die Verbreitung der Homöopathie.11 Ranghohe Patienten stellten homöopathische Leibärzte ein: Im heute pakistanischen Lahore war es der Maharadscha Ranjit Singh (1780–1839), der ab 1839 den Arzt Johann Martin Honigberger (1794–1869) beschäftigte. Innerhalb einzelner Territorien erhielten solche Leibärzte oft die Leitung von Krankenhausabteilungen oder wirkten auf eine homöopathiefreundliche Gesetzgebung hin. Aufgrund der dichten Beziehungsnetze zwischen den Höfen ergaben sich hier Chancen für die länderübergreifende Werbung.
So wirkten deutsche homöopathische Ärzte in Russland über den Zarenhof hinaus, der seit Mitte der 1820er Jahre homöopathische Leibärzte beschäftigte: Samuel Hahnemann konnte 1832 den Sohn seines Freundes Georg August Schweikert (1774–1845) als Arzt an den Fürsten Boris Alekseevič Kurakin (1783–1850) vermitteln. Dieser Angehörige des russischen Hochadels hatte schon vorher einen homöopathischen Leibarzt. Julius Schweikert (1807–1876) machte nach Ablauf seines hoch dotierten Vertrages bei Kurakin ab 1837 in Moskau in der Privatpraxis und als Arzt an mehreren Krankenhäusern und an der Landwirtschaftsschule Karriere.12
Auch die Nachfrage von Patienten aus dem städtischen Bürgertum führte manchmal dazu, dass sich einem Behandler aus dem Ausland Chancen eröffneten: Der promovierte Jurist und von Hahnemann sehr geschätzte medizinische Autodidakt Clemens von Bönninghausen (1785–1864) praktizierte einmalig Anfang der 1830er Jahre in Rotterdam. Nach einem Verbot warb er in der Lokalzeitung für seine Sprechstunden im deutschen Emmerich am Rhein. Dorthin fuhren während der 1840er Jahre immer mehr Patienten aus Rotterdam. Ihre Berufe – Bäcker, Kaufmann, Getreidehändler, Lehrer – verweisen auf die Mittelschichten. Sie schlossen sich zu einem Verein zusammen und erreichten schließlich die Niederlassung von zwei deutschen Ärzten. So entstand aus einer länderübergreifenden Laienpraxis ein örtlicher Markt für Homöopathen, der zunächst nur mit Ärzten aus dem Ausland versorgt werden konnte.13
Im Ersten Weltkrieg warben auch von der Homöopathie überzeugte deutsche Soldaten bei ihren Kameraden mit einer speziell hergestellten "Taschenapotheke für den Krieg" für ihr Heilverfahren. 14
Homöopathische Laienliteratur
Das Gesundheitsinteresse der Bevölkerung wuchs im 19. Jahrhundert immer stärker. Bereits 1830 gründete Georg August Schweikert eine Laienzeitschrift. Mit ihr wollte er Patienten für die Homöopathie gewinnen. Sie sollten dann die Ärzte umstimmen.15 Wie auch in den nicht homöopathischen Publikumszeitschriften wurde für medizinische Hausbücher geworben, die Tipps zur Selbsthilfe im Krankheitsfall boten. Die Homöopathen publizierten ab 1826 solche Texte. Als eigentlicher Begründer der homöopathischen Laienliteratur gilt der aus Sachsen ausgewanderte Arzt Constantin Hering (1800–1880).16 Sein besonders praxisnahes Buch wurde vielfach übersetzt und in mehreren Ländern ein Bestseller.
Es erschien zunächst 1835 in Brasilien, wo Hering als Leibarzt wirkte, als Schrift für einige Familien der dortigen Herrnhuter Mission.17 An seinem späteren Wohnort Philadelphia veröffentlichte er 1837 eine amerikanische, im gleichen Jahr ebenfalls dort noch eine deutsche Ausgabe. 1849 folgte eine französische Ausgabe, noch 1923 wurde eine erste spanische Übersetzung in Barcelona verlegt. Dieses sehr langlebige Werk wurde natürlich immer wieder aktualisiert. In Deutschland erschien 1949 das 124.–129. Tausend. Diese Laienliteratur ist ein wichtiges Instrument des internationalen Transfers von Wissensbeständen der Homöopathie.
Ab 1920 spielte das Radio, besonders in den USA und in Brasilien, eine zusätzliche Rolle. Das knüpfte an die Tradition der Vorträge für Laien an. Ausstellungen und Wanderausstellungen sind ein weiteres Medium.18
Mission
Die europäische Missionstätigkeit manifestierte sich auch in der Gründung manchmal recht langlebiger Krankenstationen. So brachte zum Beispiel ein deutscher Jesuit, der in den USA homöopathisch behandelt worden war und diese Heilweise in Frankreich erlernt hatte, sie anschließend nach Mangalore an die indische Südwestküste, wo er ein noch heute bestehendes Spital begründete.19 An der indischen Ostküste implementierten französische Missionare die Homöopathie, die Herrnhuter Brüder z. B. verbreiteten sie in Brasilien. Viele Missionszentralen vermittelten ihren Missionaren eine medizinische Grundbildung. So bildete die Basler Mission in den 1840er Jahren angehende Missionare in der Anwendung der Homöopathie aus.20 Auch stattete man die Missionare mit einem Arzneivorrat aus.
Internationale Konkurrenz als Motiv
Auch Besatzungsregimes konnten die Verbreitung der Homöopathie zeitweise fördern. Habsburgische Militärärzte brachten die Homöopathie nach Italien und veranlassten 1824 in Neapel die erste italienische Übersetzung des Organon. Klinische Versuche im dortigen Militärspital folgten und wurden allgemein diskutiert.21
Auch der Kalte Krieg wirkte sich auf die Homöopathie aus: Im ganzen Ostblock sollte sie seit den 1960er Jahren keine Zukunft mehr haben. Sie verschwand aus der Ärzteausbildung, denn sie galt als unwissenschaftlich. Das auf Eigenständigkeit bedachte Rumänien nutzte 1981 die homöopathiefreundliche Rede der deutsche Präsidentengattin Veronica Carstens vor der Bukarester Medizinischen Fakultät, um Freiräume für die Homöopathie zu eröffnen: Die Gesundheitsverwaltung organisierte Fortbildungskurse. In Kuba begannen 1991 die systematischen Prüfungen einheimischer Wirkstoffe am Gesunden und die flächendeckende Institutionalisierung der Homöopathie – um nach Ende der sowjetischen Subventionen Devisen zu sparen.
Internationale Kongresse und Ärztevereine
Internationale homöopathische Kongresse entstanden in den USA im Wechsel mit Großbritannien und Frankreich seit den 1870er Jahren. Sie wurden zunächst alle fünf Jahre veranstaltet. Nach dem Ersten Weltkrieg gelang die Gründung eines formellen Zusammenschlusses zur Internationalen Liga homöopathischer Ärzte. Sie organisiert mittlerweile alle zwei Jahre diese Kongresse, die bei ihren Tagungsorten seit 1929 Mittelamerika (Mexiko), seit 1971 Südamerika (Buenos Aires) und seit 1977 auch Indien (New Delhi) einbeziehen. Mittlerweile findet etwa ein Drittel der Kongresse weder in Europa noch in den USA statt, was die steigende Bedeutung des "Südens" für die Homöopathie belegt.
Jedenfalls verbreiten sich auch dank der Kongresse mit mehreren hundert Teilnehmern nun sehr unterschiedliche Strömungen innerhalb der Homöopathie weltweit recht schnell. Dabei entstehen teilweise merkwürdige Mischtheorien, ansonsten wird die Ausdifferenzierung regional spezifischer Wissensbestände und Praktiken innerhalb der Homöopathie sichtbar.22
International tätige Arzneimittelhersteller
Als letzter transnationaler Akteur seien die Pharmafirmen genannt. Die deutsche Firma Dr. Willmar Schwabe war hier wegweisend. Aus einer Leipziger Apotheke 1865 entstanden, kaufte ihr Gründer frühzeitig Verlage für homöopathische Laienliteratur auf. So entwickelte er die Propaganda und das Product-Placement parallel und konnte den Arzneimittelversand schnell ausweiten.Daraus entstand eine industrielle Massenproduktion, deren Standards Schwabe in einem zunächst drei-, dann fünfsprachigen internationalen homöopathischen Arzneibuch 1872/1880 bekannt machte.23 Die Ärztevereine Deutschlands und Ungarns erkannten es bereits 1872 offiziell an. So entwickelte sich die Firma Schwabe mit Hunderten von Niederlassungen schon vor 1900 zum Global Player.Erst seit wenigen Jahren ist das französische Unternehmen Boiron größer als sein deutscher Konkurrent.
Die von diesen Firmen grenzüberschreitend organisierte kommerzielle Fortbildung trägt mittlerweile sehr zur Ausbreitung der Homöopathie bei: Das galt besonders seit dem Fall des "Eisernen Vorhangs", als in Schnellkursen Verschreiber gewonnen wurden. Ähnliche Verhältnisse wurden für die iberischen Länder seit den 1980er Jahren berichtet.
Transnationale Selbstwahrnehmung der Homöopathie
Die Selbstwahrnehmung der Homöopathie als international verbreitete Richtung der Medizin begann früh und war immer geographisch sehr standortgebunden: Die ab 1850 zunächst in Großbritannien und Deutschland, 1863 auch in Frankreich erschienenen Internationalen Adresskalender boten Anschriften homöopathischer Ärzte und Apotheken für den Reisenden – allerdings mit je nach Kolonialbeziehungen recht unterschiedlicher Informationsdichte. Länderberichte in homöopathischen Zeitschriften erschienen früh und zeigen den Wandel der Weltwahrnehmung der Homöopathen: In dem 1863 publizierten New Yorker Bericht über die Homöopathie in Europa stehen noch die regierenden Häuser mit homöopathischen Leibärzten im Vordergrund.24 In der deutschen Allgemeinen Homöopathischen Zeitung von 1897 kommen Leibärzte nicht mehr vor – stattdessen erfährt man nun manches ü25 Diese Gewichtung enthält auch eine Einschätzung der bedeutenden Vektoren für die weltweite Verbreitung.
Schließlich nutzt jede Generation von Homöopathen die Erfolge in Ländern, die als fortschrittlich gelten, für die eigene Propaganda. So wurde früher gerne an die älteren Erfolge der Homöopathie in den USA während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert, während heutzutage auf Indienmit einem Anteil von 13,4 Prozent Homöopathen unter den Ärzten Bezug genommen wird.26