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Einleitung
Die historiographische Erforschung von Natur und Umwelt in Europa boomt seit einer ganzen Reihe von Jahren. Die Zahl der Neuerscheinungen ist nicht mehr zu überblicken, das Forschungsfeld hat sich weit aufgefächert. Dies festzustellen bedeutet aber noch nicht, dass es auch eine europäische Umweltgeschichte gibt. Allenfalls in Ansätzen und beschränkt auf einzelne europäische Regionen – etwa Nordeuropa oder den Mittelmeerraum – lässt sie sich bisher erkennen. Nahezu ausschließlich vollzieht sich Forschung, übergreifender organisatorischer und institutioneller Bemühungen, etwa der European Society for Environmental History, zum Trotz, im nationalen oder regionalen Rahmen.1 Einige geschichtswissenschaftliche Sach- und Regionaldisziplinen scheinen das Thema überhaupt erst in jüngerer Zeit systematisch zu entdecken. Sofern länderübergreifende Studien zu einzelnen Epochen vorliegen, haben diese eher einen globalen als einen europäischen Zuschnitt, nicht zuletzt weil viele gegenwärtige Umweltprobleme einen globalen Charakter haben.2 Immerhin ist in jüngerer Zeit eine Debatte über Fragen und Themen einer europäischen Umweltgeschichte in Gang gekommen, die jenseits des sozialen Konstrukts Europa nach Gemeinsamkeiten fahndet, etwa wenn es um "natürliche Umwelten" des Kontinents geht.3
"Natur" und "Umwelt" werden dabei nicht einheitlich verwendet. Sie sind ohnehin alles andere als eindeutige Begriffe. "Natur" hat als älterer der beiden eine bis in die Antike zurück reichende, nicht nur auf den ersten Blick reichlich widersprüchliche und verworrene begriffsgeschichtliche Tradition.4 Verknüpft ist er in seiner ursprünglichen Bedeutung (lat. natura, griech. physis) mit Wachsen und Fruchtbarkeit. Wichtig ist im vorliegenden Zusammenhang vor allem, dass der Mensch als Organismus Teil der Natur und existentiell auf sie angewiesen ist, nur mit und in ihr leben kann. Diese ökologische Grundtatsache zu unterstreichen heißt nicht, die vielfältigen und Wandlungen unterworfenen Naturideen und -konstruktionen aus dem Auge zu verlieren, die erst in den Köpfen der Menschen entstehen. Beides gehört vielmehr untrennbar zusammen.
Nur wenig anders verhält es sich mit dem deutlich jüngeren Begriff "Umwelt". Als einer der Väter des modernen wissenschaftlichen Umweltbegriffs gilt der Bio- und Zoologe Jakob Johann von Uexküll (1864–1944), dem zufolge alle Lebewesen eigene Umwelten haben, die sich auf ihre jeweiligen subjektiven Aktivitäten und Wahrnehmungen gründen. Umwelt ist ein relationaler Begriff, indem er konkret auf den das Lebewesen umgebenden natürlichen, aber auch sozialen Raum bezogen ist und mit diesem eine – im Einzelfall untersuchbare – Einheit bildet.5 Nicht nur Historiker nutzen Natur und Umwelt indes vielfach synonym, nicht selten ist auch die Rede von der "natürlichen Umwelt" des Menschen, um sie zu unterscheiden von seiner sozialen oder kulturellen Umgebung. Nicht einmal am Horizont zeichnet sich eine verbindliche Begriffsdefinition ab, so wird vielfach nicht ausdrücklich offen gelegt, ob mit Umwelt die Natur insgesamt, die menschliche Umgebung oder ein konkretes ökologisches System gemeint ist; aber das kann angesichts der Beteiligung so vieler verschiedener Disziplinen am Untersuchungsgegenstand – natur- wie geisteswissenschaftlicher – auch kaum überraschen. Es herrscht ein zumeist stillschweigender Konsens darüber, von Umweltgeschichte oder environmental history zu sprechen, wenn es darum geht, die Wechselwirkungen zwischen dem Menschen und der ihn umgebenden Natur in historischer Perspektive zu erforschen. Letzteres scheint sich als Definition für Umweltgeschichte durchgesetzt zu haben. Diese jüngere Umweltgeschichte ist zu unterscheiden von einer weiter zurückreichenden Beschäftigung mit der Geschichte der Natur. Sie erlebte in Westeuropa als wissenschaftliche Disziplin im 18. Jahrhundert einen Aufschwung unter der Bezeichnung Naturgeschichte. Unter Rückgriff auf antike Vorbilder, insbesondere die Historia Naturalis Plinius des Älteren (23–79), beschäftigten sich ihre Vertreter vorrangig mit Geographie, Ornithologie und Mineralogie.6 Diese aufklärerische Naturgeschichte konnte auf der frühneuzeitlichen, zoologischen wie botanischen Entdeckerlust aufsatteln, waren doch zu Beginn des 18. Jahrhunderts bereits rund 10.000 Pflanzensorten bekannt. Bekannte Vertreter waren der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707–1778) mit seiner Systema Naturae (erstmals 1735 erschienen) und sein französischer Kollege Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707–1788), der seit 1749 eine vielbändige Histoire naturelle générale et particulière herausgab, die in der expandierenden aufgeklärt-bürgerlichen Öffentlichkeit intensiv wahrgenommen und in viele europäische Sprachen übersetzt wurde. Naturgeschichte wurde hier noch weitestgehend ohne Entwicklung gedacht, die Natur beschrieben und klassifiziert, sie zeichnete sich aus durch eine vermeintliche Naturtreue. Die Rolle des Menschen in dieser Naturgeschichte dagegen war dynamisch und positiv, sein Heraustreten aus der Natur wurde zu einer Metapher für Fortschritt und frühbürgerliche Emanzipation.
Es sollen hier keine Details der diesem Überblicksartikel zugeordneten Basiselemente wiederholt oder ausgeführt werden. Sofern der Forschungsstand es zulässt, soll vielmehr immer wieder geprüft werden, ob Natur und Umwelt etwas zur Entstehung eines Kommunikationsraumes Europa beitragen haben, ob und wo sich aus umweltgeschichtlicher Perspektive Gemeinsames, aber auch Trennendes entdecken lässt. Dabei werden die historischen Mensch-Natur-Beziehungen als ebenso vielfältig verstanden wie der europäische Kontinent samt seiner Geschichte. Wie kaum ein anderes Themenfeld eignen sich daher Natur und Umwelt als Anschauungsobjekte für diese europäische Vielfalt. Dies geschieht in vier Abschnitten. Zunächst sollen mit Räumen, Klima und Ressourcen die natürlichen Grundlagen Europas in den Blick genommen werden. Dies wird im zweiten Abschnitt stärker auf den Menschen bezogen, das insbesondere Kulturlandschaften, Tiere und Naturkatastrophen in den Mittelpunkt rückt. Die Beziehungen von Natur und Umwelt zu den drei geschichtswissenschaftlichen Basiskategorien Herrschaft, Wirtschaft und Kultur sollen in einem dritten Bereich umrissen werden, ehe abschließend einige grundlegende umweltgeschichtliche Periodisierungsbemühungen unter Berücksichtigung der europäischen Geschichte vorgestellt werden.
Natürliche Umwelten: Räume, Klima und Ressourcen
An der Wiege der Umweltgeschichte stand ein Streit um ihre Ausrichtung und ihr Zentrum Pate. Wer sollte Mittelpunkt ihres Interesses sein? Mensch oder Natur? Sollte Umweltgeschichte biozentrisch oder anthropozentrisch geschrieben werden? Kann sie überhaupt aus der Sicht eines Regenwurms, eines Wolfes oder einer Eiche betrieben werden? Türmen sich hier nicht unüberwindliche methodische Schwierigkeiten ebenso wie Quellenprobleme auf? Nicht wenige Historiker halten diesen Streit für entschieden, bewerten ihn als überwundenen Teil der pubertären Selbstfindung einer jugendlichen Teildisziplin auf der schwierigen Suche nach sich selbst. Allenfalls das Methodenbewusstsein habe dieser Streit geschärft, unsere Fragen seien "unvermeidlich anthropozentrisch".7 Aus der Perspektive der Geschichtswissenschaft und desjenigen, der die Umweltgeschichte ins Zentrum dieser Disziplin rücken will, erhalten diese Argumente ihren Sinn, steht der Mensch doch wie selbstverständlich im Zentrum, selbst dort, wo nur vermeintlich menschenleere Strukturgeschichte vorherrschte. Berücksichtigt man dagegen die am interdisziplinären Vorhaben Umweltgeschichte beteiligten, auch naturwissenschaftlichen Disziplinen, etwa die Paläo- und die Archäobotanik, die Historische Geographie und die Klimatologie und viele andere mehr, dann muss die Antwort anders, muss sie differenzierter ausfallen. Eine Herausforderung liegt etwa in der Rekonstruktion vergangener, vom Menschen nicht oder nur wenig beeinflusster Naturzustände oder großräumiger Landschaftsänderungen, etwa der des Wandels von Flussläufen. In der Regel geraten damit sehr lange und vielfältige geo- und biologische Zeiträume auf die Forschungsagenda. Die der Natur selbst bereits innewohnende Eigendynamik wissenschaftlich zu belegen und differenziert herauszuarbeiten, ist nicht das geringste Verdienst eines solchen weiten umweltgeschichtlichen Zugangs. Ihn vermag eine ausschließlich anthropozentrisch ausgerichtete, aus den Archiven der Gesellschaft schöpfende Umweltgeschichte allein so nicht zu leisten. Bio- und geologische Daten aus den Archiven der Natur sind für unser Wissen um derartige Abläufe ebenso unverzichtbar wie naturwissenschaftliche Herangehensweisen: Thermometrie, Pluviometrie (Regenmessung), Dendrochronologie, fossile Pollen, Datenerhebungen aus (glazialen) Eisbohrkernen, Radiokarbonmethode, Bestimmungen von Gletscherablagerungen und -größen sind nur einige von ihnen.
Auch wenn die Forschungspraxis nach wie vor vielfach anders aussieht: Es gehörte von Beginn an zum argumentativen Rüstzeug der Umweltgeschichte, dass ökologische Prozesse keinesfalls an nationalen Grenzen halt machen. Dies gilt, je mehr wir uns der eigenen Gegenwart nähern, gewiss auch für den europäischen Kontinent. Ohnehin sind allzu starre, allemal politische Grenzen hinderlich, um die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur zu analysieren. Umweltgeschichte kann und darf sich daher nicht auf den politischen Raum beschränken. Gleichzeitig ist der Raum eine umwelthistorische Untersuchungskategorie par excellence: Wälder, Felder, Böden, Flüsse, Meere und ihre Küsten sind nur einige von ihnen. Sie alle sind wandelbare, eigendynamische natürliche Grundlagen und Ausgangspunkte, beeinflussen und verändern den Menschen und umgekehrt. Auch wenn ganz unterschiedliche Landschaften in den Köpfen entstehen und den geographisch erfahr- und messbaren Raum virtuell überlagern können: Nicht nur umwelthistorische Forschung bedarf in aller Regel des konkreten Untersuchungsraumes, wenn sie anschaulich bleiben und nicht ausschließlich ideengeschichtlich argumentieren will. Vergangenen Naturräumen muss sich allerdings methodisch umsichtig genähert werden, nicht selten sind sie schwer zu lesen: So sind etwa kartographische Darstellungen aufgrund der in ihnen verwendeten eigenen Sprache und Symbole nicht selbsterklärend, zugleich sind sie keinesfalls für bare Münze zu nehmen, nicht nur weil sie selbst im Augenblick der Ausfertigung bereits von der natürlichen Dynamik überholte Momentaufnahmen sind und Komplexität reduzieren sollen, sondern weil sie auch nicht selten fehlerhaft oder interessengeleitet sind.8
Schon ein Blick auf die europäische Landkarte lässt keine Zweifel. Eindeutige und unveränderbare topographische, geographische oder geologische Grenzen sind nicht zu erkennen, es gibt keine europäische Umwelt, uns begegnen vielmehr viele Umwelten, die sich zumeist auch nicht mit nationalen Grenzen decken. Nicht einmal die Perspektive von außen stiftet Vereinheitlichendes. Die naturräumlichen Grundlagen könnten unterschiedlicher kaum sein. Küsten- und Hochgebirgsregionen gehören ebenso zum Kontinent wie Tiefland- und Mittelgebirgsregionen, etwa das Polnische Sumpfland oder das Französische Zentralmassiv. Zählt man den nördlichen Kaukasus nicht zu Europa, dann umspannen allein die Höhenunterschiede rund fünf Kilometer, vom höchsten Punkt in den Alpen (Mont Blanc, 4810 Meter) bis an die Nordküste des Kaspischen Meeres mit 28 Meter unterhalb des Meeresspiegels. All dies unterliegt in der ganz "langen Dauer" ebenfalls Wandlungen. Wie sehr geologisches Wirken diesen europäischen Raum formte und immer wieder veränderte, ist Untersuchungsgegenstand der oben angesprochen, verschiedenen umwelthistorischen Disziplinen. Erst sie erklären die Lage der Alpen, den wiederholten eiszeitlichen Klimawechsel, den stetigen Wandel der europäischen Flora und Fauna und sie helfen, die Kleinräumigkeit der europäischen Landschaften, die Vielfalt der Lebensräume auszuleuchten.9
Zwar liegt der Kontinent überwiegend in gemäßigten Breiten, aber abwechslungsreicher könnte das Klima von Nord bis Süd und West bis Ost kaum sein: arktisches Klima im Norden, im Süden rund um das Mittelmeer mediterrane, teils subtropische Bedingungen mit heißen und trockenen Sommer sowie milden und feuchten Wintern. Während in weiten Teilen Westeuropas milde Winter und kühlere Sommer vorherrschen, dominiert im Osten kontinentales Klima, hier stehen kalte Winter heißen Sommern gegenüber. Auch das Klima ist als eine statistisch erfassbare und messbare Größe an Raum und Zeit gebunden, etwa an das frühneuzeitliche Süd- oder das moderne Mitteleuropa. Freilich sind die eben skizzierten klimatischen Grundverhältnisse keine unverrückbaren Größen. Nicht erst die Historische Klimatologie hat uns gelehrt, dass auch das Klima natürlichen, nicht vom Menschen verursachten Schwankungen unterliegt, die wiederum den Menschen und sein Wirken beeinflussen. Bereits der Historiker der Annales-Schule, Fernand Braudel (1902–1985), hat in seiner zuerst 1949 erschienenen, bahnbrechenden Trilogie Das Mittelmeer im Zeitalter Philipps II. das Klima als Teil der geographischen Umwelt (er nannte dies "Milieu") behandelt, in die er die Konjunkturen und Strukturen sowie die Geschichte der Ereignisse einbettete. Das Milieu verband er mit dem Konzept der longue durée, der langen Dauer, einem Feld, das eher von Stillstand als von Wandel geprägt ist. Erst in der zweiten Auflage von 1966 maß Braudel den Klimaveränderungen eine deutlich größere Bedeutung bei. Als Akteur spielte der Mensch dabei jedoch noch keine Rolle. In jüngerer Zeit drückt der Mensch dem Klima seinen Stempel auf, weshalb es streng genommen für die letzten rund 150 Jahre im Abschnitt über anthropogene Umwelten zu behandeln wäre. Die hitzigen Debatten um die Frage, ob das moderne Warmklima anthropogene Ursachen habe und durch den Menschen verstärkt wird, gehören in den genannten Zusammenhang. Die Betonung der naturräumlichen und klimatischen Unterschiede auf europäischer Ebene bedeutet nicht, dass sich nicht doch Gemeinsamkeiten erforschen lassen. So lassen sich ähnliche Ökotypen im kleinräumigen europäischen Vergleich ermitteln, kleinklimatisch vergleichbare Kulturlandschaften und gemeinsame (Über)nutzungsgeschichten jenseits politisch-staatlicher Zugehörigkeiten untersuchen; zu denken ist etwa an Weinanbaugebiete, Waldversorgungstypen, Nationalparke, Naturschutzgebiete oder Montanreviere.
Zur natürlichen Umwelt des Menschen zählen auch die natürlichen Ressourcen. Zumeist stehen bei ihnen der Verbrauch nicht oder nur in sehr langen Zeiträumen erneuerbarer Ressourcen wie Kohle oder Erdöl sowie dessen (unbeabsichtigte) Folgen im Vordergrund. So diente denn die Sorge um die Verfügbarkeit von Energieressourcen von Beginn an als wichtiger Treibsatz für die umweltgeschichtliche Forschung, für ihre Fragestellungen, für ihre Thesenbildung und auch für ihre Periodisierungen. Nicht nur in europäischer Perspektive ist dies aber keine Geschichte, die erst mit der Industriemoderne beginnt. Sie reicht viel weiter zurück, wenn man nur an die Universalressourcen Wasser und Holz denkt. Menschen brauchen Wasser zum Trinken, zur Bewässerung, als Energielieferant und als Transportweg. Aber es war nicht zuletzt auch eine Bedrohung, nicht nur in den Küstenregionen und an den Flüssen. Eine dauerhafte und sichere Wasserversorgung war lange das Ressourcenproblem Nr. 1, vor allem in den urbanen Zentren, die oftmals über ein künstlich angelegtes Netz aus Bächen und Kanälen ver- und entsorgt und vor Bränden geschützt werden mussten. Ob zum Heizen, Backen, Bauen, ob für Werkzeuge, Fässer, Pflüge: Auch ohne Holz ging nichts. Es begleitete den menschlichen Lebensweg buchstäWerner Sombart (1863–1941) dem vorindustriellen Zeitalter "ein ausgesprochen hölzernes Gepräge" bescheinigt, und nicht wenige Zeitgenossen sprachen vom "Lebensmittel" Holz.10 Auch der Ressourcentransport über größere Entfernungen ist nicht einmal ein Phänomen der neueren Geschichte, davon zeugen schon altägyptische Expeditionen in das sagenhafte Goldland Punt, um neben Gold, Elfenbein, Salz und viele andere Güter zu importieren.
Aber natürlich kommt man nicht umhin anzuerkennen, dass Ressourcenfragen und -nutzung in den letzten beiden Jahrhunderten und seit den 1950er Jahren nochmals neue Dimensionen erhalten haben. Nach 1950 hat der Mensch mehr Gold, Eisenerz, Kupfer und Zinn verbraucht, als in der gesamten Zeit zuvor. Jeder Ressourcennutzung wohnt ein latentes Umweltproblem inne, Ressourcen werden gewonnen, (chemisch) verändert, transportiert, (unvollständig) konsumiert, sie hinterlassen Reste in Form von Abfall oder Abgasen und werden wieder verwendet: Der Umgang mit natürlichen Ressourcen durchläuft viele Stadien, nicht nur ihr Recycling ist dabei noch zu wenig untersucht. Auch wenn die auf nicht erneuerbaren Ressourcen gründende Industrialisierung ihren Ausgang in europäischen Regionen nahm: Eine europäische Besonderheit lässt sich im Umgang mit natürlichen Ressourcen indes nicht ausmachen, entweder sind die Probleme heute globaler Natur oder sie gewinnen ihr Profil beim Blick zurück im regionalen Rahmen, auch hier dominiert eine nicht widerspruchsfreie Vielfalt.
Anthropogene Umwelten
Zwischen natürlichen und anthropogenen Umwelten zu unterscheiden ist eine idealtypische Differenzierung, um den Blick für die Einflusssphären des Menschen zu schärfen. Diese Einflusssphären sind im Laufe der Geschichte stark angewachsen, so dass heute von einer vom Menschen unbeeinflussten natürlichen Umwelt im Wasser und auf der Erde, in der Atmosphäre und im die Erde unmittelbar umgebenden Weltraum kaum eine Rede mehr sein kann. Vom Menschen völlig unberührte Naturlandschaften dürften vor allem in Süd- und Mitteleuropa schon ausgangs des Mittelalters nur noch wenige vorhanden gewesen sein. Selbst dort, wo die Naturbewegten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vermeintliche Wildnis und natürliche Urwüchsigkeit zu entdecken glaubten, begegnen uns vielfältige Kulturlandschaften. Dazu zählen in Mitteleuropa Heidegebiete ebenso wie Streuobstwiesen oder Hutewälder, die ihre typische Gestalt überhaupt nur durch weitere Nutzung behalten. Der menschliche Fußabdruck prägte die europäischen Landschaften fundamental und das nicht erst seit der Industrialisierung. Schon als der römische Senator und Historiker Tacitus (ca. 58–ca. 120) Germania im ersten Jahrhundert als waldreich, sumpfig und rückständig brandmarkte, war auch das nichtrömische Mitteleuropa seit langer Zeit besiedelte, bewirtschaftete und bebaute Kulturlandschaft. Siedlungsnaher Holzeinschlag, Brandrodungen, Ackerbau und Jagd – ohne dass hier eine Verfalls- und Übernutzungsperspektive entstehen soll: Die Einflüsse auf die unmittelbare Umgebung waren schon in der Antike und dem Mittelalter mannigfaltig und überschrieben die Landschaft. Mit dem Bevölkerungswachstum weitete die Eingriffsdynamik sich aus. Die Entstehung städtischer Zentren, Wegenetze und Handelsverbindungen flankierte und beförderte diesen Prozess, der Pflanzen wie Tiere betraf.
Denn nicht nur die Jagd dokumentiert es: Die Geschichte der Tiere gehört zu der der Spezies Mensch und umgekehrt. Tiere werden zunehmend als historische Akteure, als Subjekte, nicht mehr ausschließlich als statische Kulisse und Objekte wahrgenommen. Dass dies so ist, war zumindest in der europäischen Geschichtsschreibung lange nicht selbstverständlich. Zwar hat bereits die Sozialgeschichte sich den Anfängen des Tierschutzes gewidmet, aber die Erforschung der Mensch-Tier-Verflechtungen hat erst in jüngerer Zeit deutlich an Fahrt aufgenommen. Anregungen sind vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum gekommen, wo die interdisziplinären human-animal Studies bereits länger zum umweltgeschichtlichen Themenspektrum zählen.11 Auch in den human-animal Studies stellt sich die drängende Frage des methodischen Zugangs in der Diskussion um die Zuschreibung eines agency-Status': Wo verlaufen die Grenzen zwischen Mensch und Tier? Wie viel Tier steckt (noch) im Menschen? Kann Tieren als Untersuchungsgegenstand Persönlichkeit und Intentionalität zugeschrieben werden? Diese Fragen erinnern nicht von ungefähr an den Streit um eine biozentrische oder anthropozentrische Umweltgeschichte. Sie können nicht von der Geschichtswissenschaft allein entschieden werden, die sich auf soziale Rollen und kulturelle Funktionen von Mensch-Tier-Beziehungen konzentriert, welche sich aus den Archiven der Gesellschaft ermitteln lassen. Um aber der biologischen Kreatur möglichst nahe zu kommen, etwa auch das natürliche Verhalten eines unter Verfolgungsdruck stehenden, frühneuzeitlichen Wolfes, Bärs, Bibers oder Fischotters einschätzen zu können, sind wir wiederum auf naturwissenschaftliche Disziplinen wie die Verhaltensbiologie angewiesen.
Tiere sind insbesondere in den Städten aus der menschlichen Umwelt nicht wegzudenken, nicht nur als Arbeits-, Last- und Nutztiere, sondern auch als Kulturfolger oder Haustiere. Ob etwa Nutztiere, insbesondere Pferde, im Zuge der Basisprozesse Industrialisierung und Urbanisierung unmittelbar an Bedeutung verloren, ist dabei noch längst nicht ausgemacht. Einiges spricht dagegen. Die Forschung steht hier erst am Anfang. Besser informiert sind wir über die zahllosen exotischen Tiere, welche die europäischen Großstädte oder Höfe bevölkerten – tot oder lebendig, in Naturkundemuseen ebenso wie in fürstlichen Menagerien oder Zoologischen Gärten. Als besonders aufschlussreich für das jeweils zeitgebundene Beziehungsgeflecht zwischen Mensch und Tier erweisen sich vermeintliche Grenzfälle zwischen beiden Spezies, berühmt geworden sind die sogenannte Hottentotten-Venus Sarah Baartmann (ca. 1789–1815) und der vermeintliche Elefantenmensch Joseph Merrick (1862–1890)[], die in europäischen Großstädten als Sensationen, Freaks und nicht zuletzt auch als missing link zum Tier herumgereicht wurden. Einen europäischen Horizont eröffnet die Schutzperspektive des 19. und 20. Jahrhunderts, die in der europäischen Aufklärung wurzelte: Tierschutzvereine entstanden seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumeist auf lokaler Ebene; in vielerlei Hinsicht war Großbritannien hier federführend, 1824 begründete eine Gruppe um den anglikanischen Geistlichen Arthur Broome (1779–1837) die Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals. Spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert traten vielerorts nationale Dachverbände hinzu, und die Vereine begannen sich europaweit auf internationalen Tierschutzkongressen zu vernetzen.
All dies kann und soll nicht als Plädoyer für eine eurozentrische Sicht auf die Mensch-Tier-Beziehungen verstanden werden: Auch in diesem Zusammenhang muss sich der Blick über Europa hinaus weiten, will man Gemeineuropäisches entdecken. Eine solche transnationale Öffnung kann in der gemeinsamen kolonialen Vergangenheit europäischer Herrscher und Staaten liegen. In vielen Fällen tritt hier eine Ausbeutungsgeschichte hervor, die wechselvolle Geschichte des zentralafrikanischen Staates Kongo ist dafür ein besonders erschreckendes Beispiel.12 Ob Flora oder Fauna, Schafe und Kühe in Australien, Mexiko oder in Nordamerika und auch Krankheitserreger: Zahllose Geschichten belegen die teils dramatischen ökologischen Folgen der europäischen Expansionsgeschichte – in den Kolonien wie in Europa. So hat sich etwa der amerikanische Umwelthistoriker Alfred Crosby (1931–2018) verdient gemacht um die Erforschung der im Gepäck der Eroberer und Kolonisten mitreisenden Infektionskrankheiten (etwa Masern, Typhus, Malaria) und der durch sie verursachten Epidemien, denen in Nordamerika über 90% der Ureinwohner zum Opfer fielen. Trefflich auf den Punkt gebracht hat er dies in der Formel vom "ökologischen Imperialismus".13 Die europäische Expansion zeitigte aber auch in Europa selbst ihre Rückwirkungen. So brachten die spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert aus dem Andenhochland die Kartoffel mit zurück, die in den nachfolgenden Jahrhunderten zum Grundnahrungsmittel aufstieg. Katastrophale Konsequenzen hatte dies ab 1845, denn ohne den vorangegangenen Siegeszug der Kartoffel sind die große europäische Hungerkrise und die europäische Auswanderungswelle um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht zu verstehen. Besonders hart betroffen waren Irland und Belgien, wo der Rückgang des Kartoffelertrags in der Spitze nahezu 90 Prozent erreichte. Auch wenn andere Ursachen hinzutraten: Allein in Irland starben in der Folge rund eine Million Menschen. Ursache der Kartoffelfäule ist ein Pilz, der Knolle, Stängel und Blätter befällt und um 1845 wohl günstige Witterungsbedingungen vorfand. Wie die Kartoffel selbst stammt er sehr wahrscheinlich aus Südamerika – das legen DNA-Analysen nahe.14
Zu den anthropogenen Umwelten sind auch natürliche Extremereignisse zu zählen, denn sie gewinnen ihre Bedeutung als "Naturkatastrophen" erst durch den Menschen, der die Natur in diesen Situationen als Bedrohung erlebt. Egal ob Überflutungen, Erdbeben, Stürme, Brände oder Vulkanausbrüche: Gesellschaften bestimmen, wann etwas zur Naturkatastrophe wird, sie konstruieren diese. Das ist gewiss richtig, aber die Natur selbst verschwindet dabei gelegentlich vom Forschungsradar, sie ist nur noch Auslöser für die Untersuchung. Die Erforschung von Naturkatastrophen gehört wohl auch wegen dieser kulturalistischen Zugänge seit einigen Jahren zu den produktivsten Bereichen der Umweltgeschichte, auch und gerade in epochenübergreifender Perspektive von der Antike bis zur Gegenwart: Ein Großteil der Forschung widmet sich dem Mittelalter und der Frühen Neuzeit. Dies ist wohl auch eine Folge der aktuellen Debatten um den Klimawandel, auf den Schadensereignisse vielfach zurückgeführt werden. Zugleich lassen sich herausragende Extremereignisse aufgrund der zumeist vorzüglichen Quellenlage gut untersuchen. Im Vordergrund stehen dabei Fragen nach der Zerstörung und ihrer Bewältigung, nach sich anschließenden sozialen und politischen Konflikten und Folgen, aber auch nach der Wahrnehmung und Deutung sowie zugrunde liegenden Strukturen. Ob sich hier jenseits des Wissenstransfers ein europäisches Muster, gemeinsame kulturelle oder institutionelle Strategien und Lerneffekte ausmachen lassen, muss letztlich noch offen gelassen werden, aber vergleichbare Deutungs- und Bewältigungsmuster für Katastrophen in gefährdeten Regionen wie den Alpen oder den Meeresküsten lassen sich durchaus beobachten. Bemerkenswert ist in jedem Fall, dass die Forschung zu natürlichen Extremereignissen in einer gewissen Spannung zu der ansonsten in der umweltgeschichtlichen Betrachtungsweise vorherrschenden "langen Dauer" steht. Denn hier tritt dem Betrachter die eruptive, schnelle und gewalttätige Natur, das aus dem scheinbar gemächlich dahin fließenden Ereignisstrom Hervorstechende entgegen. Das muss methodisch bewältigt werden und darf nicht in eine Auflistung sich aneinander reihender Naturkatastrophen münden.15
Herrschaft, Wirtschaft, Kultur
Der natürlichen Umwelt ist der Stellenwert einer historischen Fundamentalachse beizumessen. Sie hat einen zu erforschenden Eigenwert, eine eigene Dynamik. Ohne sie kann der Mensch nicht leben. Er ist fundamental auf sie angewiesen, indem er sie nutzt, sie sich aneignet, sie ausbeutet. Auch das soll in den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden sein.16 Um historische Sachverhalte angemessen zu würdigen, zu verstehen und zu erklären, können und dürfen Natur und Umwelt nicht ausgeklammert werden. Gleichzeitig sind beide untrennbar mit den drei klassischen geschichtswissenschaftlichen Potenzen Herrschaft, Wirtschaft und Kultur verwoben, weshalb in diesem Abschnitt einige bereits herausgestellte ökologische Aspekte aufgegriffen und auf sie bezogen werden.
Natur und Umwelt sind keine politikfreien Zonen, das Gegenteil ist vielmehr richtig. Häufig begegnet in der europäischen Geschichte die politische Forderung nach anzustrebenden "natürlichen Grenzen" eines Staats- oder Herrschaftsgebildes – sowohl im Zeitalter Ludwig XIV. (1638–1715)[] als auch wiederholt während des 19. Jahrhunderts sollte etwa der Rhein diese Funktion zwischen Deutschland und Frankreich übernehmen. Der Blick in die europäische Geschichte erhellt wie kaum ein anderer, dass Natur und Umwelt grundlegende Faktoren in Staatsbildungsprozessen sind, ja lange Zeit die entscheidenden Voraussetzungen für den Aufstieg und Fall von Herrschaft bildeten. Das gilt für den Ressourcenzugang ebenso wie für die Lage von Herrschaftszentren und die geostrategische Kontrolle von Landstrichen. Die europäische Geschichte ist voll von Beispielen, die Krimhalbinsel ist nur eines unter ihnen. Mittelalterliche Burgen liegen eben nicht zufällig weithin sichtbar auf Landschaftserhebungen, die in aller Regel vom Gegner nur mit erheblichem Aufwand zu erobern waren. Nicht von ungefähr sind Raumfragen auch immer Machtfragen. Auch die bereits bei den Mensch-Tier-Beziehungen angesprochene Jagd ist untrennbar mit Fragen der Durchsetzung, Sicherung und Symbolik von Herrschaft verwoben. In der Industriemoderne haben sich Staaten den Schutz von Natur und Umwelt auf ihre Fahnen geschrieben und rechtlich fixiert, auf nationalstaatlicher und gemeineuropäischer Ebene – sei es, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu garantieren oder die vermeintlich bedrohte Natur in Nationalparks zu erhalten, zu erforschen und zu schützen.17 Überhaupt wird man festhalten können, dass Rechtsetzung und Rechtsprechung zentrale Aspekte der Wechselwirkungen zwischen Herrschaft sowie Natur und Umwelt sind. Die Verrechtlichung der Umweltnutzung und -belastung seit der Vormoderne, man denke an den Zugang zum Wald und das europäische Umweltrecht der Ära nach 1970, sind dafür zwei wichtige Beispiele. In dieser staatlich gestützten Verrechtlichung zeichnet sich eine europäische Gemeinsamkeit ab.
Auch umgekehrt gilt, dass politische Konstellationen und gesellschaftliche Systeme ökologische Folgen haben, ob sie es wollen oder nicht, man denke nur an die Brandwirtschaft, die Allmende oder den europäischen Expansionsprozess. Als politische Schlüsselthemen erweisen sich Umweltfragen zumeist dann, wenn es um Zugang, Nutzung und Kontrolle lebensnotwendiger Ressourcen geht. Staatlichkeit und Politik gerieten von Beginn an in das Visier der Umweltgeschichte, nicht zuletzt weil der Staat und die Kommunen in Europa auch immer eine grundlegende Rolle im Umgang mit Natur und Umwelt spielten. Gefragt wurde etwa nach den Beziehungen zwischen Staat und Industrie, nach regulierenden Funktionen, Instanzen und Interventionen, nach dem Verhältnis der Politik zu umweltsozialen Bewegungen. Diese Fragen trieb insbesondere die erste Generation von europäischen Umwelthistorikerinnen und -historikern in den 1970er und 1980er Jahren um, die dem staatlichen Umgang mit Natur und Umwelt überaus kritisch gegenüberstanden und für die Industriemoderne den schwachen Interventionsstaat geißelten. Ihr Interesse fügt sich in eine Phase, in der die Beschäftigung mit Natur und Umwelt zu einem (zwischen)staatlichen Politikum ersten Ranges aufstieg, die freilich keine ausschließlich europäische Besonderheit ist, sondern sich maßgeblich aus der Globalisierung der Umweltprobleme speist. Auf der ökologischen Habenseite freilich ist die starke Stellung und die Daseinsfürsorge vieler europäischer Städte zu verbuchen, die in globaler Perspektive eine Vorreiterrolle inne hatten – nicht nur beim Bau von Schlachthäusern, Gas- und Elektrizitätswerken.
Von den Beziehungen des Basiselements Ökonomie zur Ökologie hängen zahlreiche Kardinalprobleme ab, nicht zuletzt diejenige einer sicheren und dauerhaften Energieversorgung. Energie- und Ressourcenfragen sind nicht nur ökonomische Gretchenfragen, von der Holz- und Wasser- über die Kohle- und Öl- bis hin zur Atomenergie. Die natürliche Umwelt galt in ökonomischer Perspektive lange als freies Gut, das im Produktionsprozess keine oder nur geringe Kosten verursachte und keinen schützenswerten Eigenwert besaß. Insbesondere die frühe Umweltgeschichte hat hier die Schattenseiten menschlichen Wirtschaftens erkundet und in der Industrie einen, wenn nicht sogar den ökologischen Bösewicht ausgemacht. Nicht selten gründeten darin Ausbeutungs- und Niedergangsnarrative: Raubbau und Verschmutzungsszenarien insbesondere in urbanen Ballungszentren gerieten auf die Tagesordnung der Forschung, wo sich der ökologische Fußabdruck des Menschen als Folge von Bevölkerungswachstum, Industrialisierung und Konsum besonders intensiv ausgewirkt hat. Auch wenn dies die Umwelt ungeheuer belastete: Diese umwelthistoriographischen Anfänge haben sich als allzu einseitig erwiesen, das Themenspektrum hat sich erheblich ausgeweitet sowie in der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte Fuß gefasst: Infrastrukturen, Recycling, Abfallverwertung sind nur einige der jüngeren Themen.18 Eine speziell europäische Geschichte ist freilich auch dies nicht. Es bleibt allerdings daran zu erinnern, dass das forstwirtschaftliche Konzept der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern sich durchaus als europäisches Erfolgsmodell mit weitreichender Ausstrahlung erwiesen hat.
Grundsätzlich ist jeder Form der Deutung und Aneignung, des Redens oder Schreibens über Natur und Umwelt – also all das, was sich in den Archiven der Gesellschaft niedergeschlagen hat – in einen konkreten historisch-kulturellen Zusammenhang einzuordnen. So sind bereits in den umwelthistorischen Jugendjahren viele Mythen umweltbewegter Ökoaktivisten dekonstruiert worden, "unberührte Natur" und "Wildnis" sind nur zwei von ihnen. Zahllose Bewegungen in der Geschichte erzeugten eigene Naturbilder und -vorstellungen, die sich fest eingeprägt haben und noch die heutige Landschaftswahrnehmung bestimmen.19 Die verstärkte Hinwendung der Umweltgeschichte zu kulturgeschichtlich inspirierten Fragen erweist sich in vielerlei Hinsicht als produktiv, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich nicht nur auf die jüngste Geschichte beschränkt. Auch ist deutlich geworden, wie sehr selbst Umweltprobleme eben auch konstruiert und symbolisch aufgeladen werden können. Dies dokumentiert nicht zuletzt die in Mitteleuropa in den 1980er Jahren geführte Debatte über das sogenannte Waldsterben.20
In den Zusammenhang einer kulturgeschichtlich akzentuierten Umweltgeschichte gehören Aufgeschlossenheit für die populärkulturellen Protestformen der neuen sozialen Bewegungen und die Funktionen der Medien, die als Katalysatoren für das Wissen und den Streit um Natur und Umwelt dienten. Dabei steckt eine visuelle Geschichte von Natur und Umwelt überhaupt erst in den Anfängen, birgt aber großes Potenzial, nicht nur mit Blick auf die jüngste Geschichte. Zunächst die Presse, später dann das Leit- und Freizeitmedium Fernsehen und in jüngster Zeit das Internet begleiteten den ökologischen Wahrnehmungs- und Bewusstseinswandel in Europa: Öffentlichkeitswirksame Bilder spielten schon in den Anfängen des Tier- und Naturschutzes eine zentrale Rolle. Die Visualisierung von Umweltkonflikten scheint geradezu ein idealtypisches Merkmal der sozialen Bewegung "Umwelt- und Naturschutz". Wenn es darum geht, umweltpolitische Probleme wahrzunehmen und zu vermitteln, wächst über die modernen Massenmedien verbreiteten Bildern eine herausragende Bedeutung zu. Insbesondere die international tätige Umweltorganisation Greenpeace stieg seit den 1970er Jahren zum Vorreiter der Ökoszene auf, nicht zuletzt weil ihre Mitglieder es vorzüglich verstanden, Umweltprobleme und -katastrophen zu dramatisieren, sie visuell und symbolisch als Kampf David gegen Goliath zu verdichten: kleines Schlauchboot gegen große Ölplattform. Freilich zeigt gerade dieses Beispiel einmal mehr, dass wir es bei Greenpeace und auch bei anderen Umweltorganisationen mit global playern zu tun haben, die fest in (West-)Europa verankert sind, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.21
Periodisierungsfragen
Es ist nochmals daran zu erinnern: Natürliche Prozesse und Zyklen verlaufen zumeist in einem anderen Tempo als Prozesse und Ereignisse der menschlichen Geschichte – man denke nur an die klimatische Ungunstphase vom Spätmittelalter bis zum 19. Jahrhundert, die sogenannte Kleine Eiszeit, die Umtriebszeiten von Bäumen oder an die Halbwertszeit atomarer Altlasten. Diese vielfach zu beobachtende "lange Dauer" hat nicht nur dazu beigetragen, dass sich die umwelthistorische Forschung häufiger relativ langen Untersuchungszeiträumen zuwendet, sondern sie hat auch zu Strukturierungen der Vergangenheit geführt, die erheblich von klassischen politischen Zäsuren nicht nur in der europäischen Geschichte abweichen. Der seit den Anfängen beobachtbare Schwerpunkt umwelthistorischen Forschens liegt in der Neueren und Neuesten Geschichte. Die Gründe dafür sind vielfältig, wichtige Rollen spielen die häufig gegenwartsbezogenen Fragestellungen der Forschung, die seit der Industrialisierung enorm angewachsene menschliche Eingriffsdynamik in Natur und Umwelt mit ihren immensen Folgeschäden und selbstverständlich auch die bessere Quellenlage. Dies trägt vermutlich mit dazu bei, dass umweltgeschichtliche Periodisierungen für die Antike bzw. das Mittelalter weniger zu finden sind, nicht selten orientieren sich Studien zu diesen Epochen an den etablierten politischen und sozialen Zäsuren und machen lediglich auf die Intensivierung von Land- und Ressourcennutzung, auf das langsame Bevölkerungswachstum sowie die damit verknüpfte Ausweitung von Umweltschäden aufmerksam, die indes bei Weitem nicht das Ausmaß der urbanen Industriemoderne erreichten.22 Eine immer wieder bemühte Ausnahme ist die bereits Ende der 1960er Jahre formulierte These des Mediävisten und Wissenschaftshistorikers Lynn White jun. (1907–1987), der einen abendländisch-christlichen Grundzug der Umweltausbeutung zu erkennen glaubte. Die Ursachen der Öko- und Gesellschaftskrise seiner Zeit sah er in der Durchsetzung des Christentums. Im Unterschied zu antiken Kulten oder asiatischen Religionen beute, so White, der als Krone von Gottes Schöpfung verstandene Mensch die ihm untergeordnete Natur rücksichtslos aus. Problemlösungen machte White daher nicht in weiteren technischen oder naturwissenschaftlichen Neuerungen aus, sondern vielmehr in einer spirituellen Rückbesinnung auf Franz von Assisi (1181/82–1226), der alle Geschöpfe Gottes als gleich bewertete.23 Viele Beispiele rücksichtsloser vor- und nichtchristlicher Naturausbeutung und Umweltzerstörung und auch christlich inspirierten Schutzes haben diese Sichtweise lange widerlegt. Einzelne, umweltgeschichtlich relevante Ereignisse oder Personen scheinen sich für das Setzen von Haltepunkten nicht zu eignen, selbst wenn sie weitreichende, teils globale Folgen zeitigten wie das Erdbeben von Lissabon (1755), der Ausbruch des Tambora (1815) oder der Reaktorunfall von Tschernobyl (1986). Exakt zu ermittelnde turning points gibt es mithin in der Geschichte der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur nicht. Vielmehr lassen sich Phasen zumindest mittellanger Dauer eines in aller Regel allmählichen, aber grundlegenden und nachhaltigen gesamtgesellschaftlichen Wandels ausmachen, die indes zumeist nicht auf Europa einzuschränken sind.24 Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass umweltgeschichtliche Zäsuren je nach Schwerpunktsetzung erheblich variieren. Wendet man das Augenmerk nur auf einige der diesem Überblick zugeordneten Basiselemente, etwa "Wald", "Boden" oder "Klima", dann lassen sich bereits unterschiedliche Periodisierungen ausmachen, die freilich keine spezifisch europäischen Einschnitte darstellen, sondern zumeist von nationalen Entwicklungen und Spielarten abhängen oder eher globalen Zuschnitts sind. Eine solche globalgeschichtliche Perspektive ist etwa der Vorschlag des niederländischen Meteorologen und Nobelpreisträgers Paul J. Crutzen (1933–2021), im 19. Jahrhundert eine neue erd- und klimageschichtliche Ära beginnen zu lassen, das Anthropozän. Crutzen trägt damit der Beobachtung Rechnung, dass der neuzeitliche Mensch zu einem fundamentalen Faktor für klimatologische, geologische und atmosphärische Prozesse aufgestiegen ist. Das Deutsche Museum München widmet Begriff und Konzept des Anthropozäns mittlerweile eine mehrjährige Sonderausstellung, die diverse Onlineressourcen ergänzen.25
Der genannten Einschränkungen zum Trotz ist dennoch auf einige grundlegende Zäsuren aufmerksam zu machen, die zur historiographischen Grundausstattung der Beschäftigung mit Natur und Umwelt gehören, selbst wenn sie im Detail umstritten sind. Unter ressourcengeschichtlichen Gesichtspunkten hat man ein solares (Holz nutzendes) von einem fossilen (zunächst Kohle, später Kohlenwasserstoffe nutzendes) Zeitalter unterschieden, dass die modernen Industriegesellschaften von den vorangegangenen Gesellschaften trennte. Umwelthistoriker haben sich vielfach daran gewöhnt, die Jäger- und Sammlerepoche als nicht modelliertes Solarenergiesystem von den modellierten Solarenergiesystemen der auf sie folgenden Agrargesellschaften zu differenzieren. Gemeinsam war beiden Regimen, dass ihre energetische Grundlage nahezu ausschließlich auf Biomasse und tierischer wie menschlicher Muskelkraft aufruhte. Im Übergang zum industriellen Energiesystem sind noch am ehesten europäische Besonderheiten auszumachen, es ist sogar von einem europäischen Sonderweg gesprochen worden.26 Letzteres geht freilich zu weit. Der leichten Verfügbarkeit von Ressourcen kam im Zuge dieses grundstürzenden Wandels eine herausragende Bedeutung zu, weshalb dieser von England ausgehende, nach und nach den gesamten Kontinent ergreifende Prozess eher ein regionales als ein nationales, geschweige denn gesamteuropäisches Phänomen gewesen ist. Dort, wo der fossile Energiespeicher Kohle an der Oberfläche oder in geringer Tiefe leicht erreich- und abbaubar war, schritt die Industrialisierung zuerst und am deutlichsten voran, auch frühindustrielle Umweltkonflikte, in aller Regel aus Nutzungskonflikten resultierend, lassen sich in der unmittelbaren Umgebung dieser Regionen zuerst beobachten. Binnenzäsuren verfeinern diese sehr grobe energiegeschichtliche Typologisierung, an herausragender Stelle Christian Pfisters (geb. 1944) These vom "1950er Syndrom". Danach brach sich seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts die konsumorientierte Lebensweise in den modernen Industriegesellschaften endgültig Bahn, was sich am massiv gestiegenen Flächen- und Erdölverbrauch, an den Abfallbergen und am Schadstoffausstoß messen lässt.27 Der Epocheneinschnitt des 1950er Syndroms, das vor allem auf west- und mitteleuropäischen Beobachtungen gründet, trägt insgesamt wieder globalgeschichtliche Züge.
Auch Periodisierungsbemühungen mit Blick auf den Wandel und die Bedeutung der Naturwahrnehmung sowie den gesellschaftlichen Stellenwert von Natur und Umwelt sind durchaus umstritten. Ob Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) oder Caspar David Friedrich (1774–1840): Kurz vor und um 1800 begeisterten sich viele europäische Zeitgenossen für die "Natur", es entstand ein regelrechter Naturkult, die Romantiker und auch die aufstrebenden Naturwissenschaften versuchten, dem Wesen von Natur auf die Spur zu kommen. Dies zeigte sich auch im Wandel der Mensch-Tier-Beziehungen, der Mensch gab sich zunehmend sensibler und aufgeschlossener gegenüber der leidensfähigen (Mit-)Kreatur. All dies macht die Jahrzehnte um 1800 umwelthistorisch gesehen zwar noch zu keiner scharfen Zäsur, zumal die Begeisterung von unserem Naturverständnis weit entfernt ist, aber man wird nicht nur in ökologischer Hinsicht von einer "Schwellenzeit" sprechen können, welche bereits die Zeitgenossen als Umbruch wahrnahmen.28 Bereits ausgangs des 18. Jahrhunderts lassen sich die Anfänge eines moderneren Umgangs mit Natur und Umwelt erkennen, erste stadtnahe Wälder wandelten sich allmählich von ausschließlichen Versorgungs- zu Erlebnis- und Erholungswäldern. Und auch die ganz Europa erfassenden grundlegenden sozioökonomischen Prozesse jener Zeit – Liberalisierung, Deregulierung und Kommerzialisierung – hatten Folgen für den Umgang mit der Natur: Wald und Boden sind dafür zwei Beispiele. Die ersten industriell verursachten Umweltkonflikte flankierten diesen Umbruch.29
Vergleichbar unscharf, aber deshalb nicht weniger erkennbar ist ein Wandel um 1900. Durch den zunächst Westeuropa erfassenden Übergang vom Agrar- zum Industriestaat erhielten ökologische Probleme eine neue, bis dahin ungekannte Dimension, die sich vor allem in den rasant wachsenden Großstädten des Kontinents offenbarte. Ohne auf die vielen von der Forschung zusammengetragenen Details eingehen zu wollen: Müll und Qualm begleiteten die Stadtbewohner auf Schritt und Tritt, man konnte die Umweltbelastungen fühlen, sie sehen, riechen, schmecken und hören. Die europäische vernetzte, kommunale Hygienebewegung war eine bekannte Folge, das ist eine (west-)europäische Gemeinsamkeit. Ihr vorrangiges Anliegen war freilich die Gesundheit des Menschen und weniger der Schutz von Natur und Umwelt. Aller auch hier zu entdeckenden Natur- und Tierliebe zum Trotz: Die Natur-, Heimat- und Umweltschutzbemühungen blieben ein zartes Pflänzlein, fügten sich in die Reformbewegungen der Zeit und waren nicht frei von den zeittypischen nationalistischen Tönen. Dies gilt etwa auch für den 1895 gegründeten National Trust for Places of Historic Interests or Natural Beauty, der noch heute wichtigsten Institution des Denkmal- und Naturschutzes in England. Den Durchbruch der Umweltbewegungen und die Etablierung des Feldes der Umweltpolitik wird man erst auf die 1960er und 1970er Jahre datieren können – wobei den westeuropäischen Staaten und den USA dabei eine Vorreiterrolle zuzumessen ist.30 Diesen Umschwung in der gesellschaftlichen Problemwahrnehmung hat der Schweizer Umwelthistoriker Patrick Kupper mit der Metapher der "1970er Diagnose" trefflich eingefangen. Auch wenn er diesen Umbruch nicht als Epochenschwelle verstanden wissen will, einen tiefen Einschnitt markierten diese Jahrzehnte gleichwohl, denn die Sorge um die Umwelt erlangte einen bis dahin ungekannten Rang in Politik und Gesellschaft. Scharfe Kritik an Fortschritts- und Wachstumsparadigmen und wiederholte ökologische Katastrophen- und Schreckensszenarien traten hinzu, dafür stehen nicht zuletzt Dennis Meadows (geb. 1942) Grenzen des Wachstums.31
Fazit
Begegnet uns hier eine europäische Geschichte? Ein besonderer europäischer Umgang mit Natur und Umwelt in historischer Perspektive? Dies ist schwerlich auszumachen. Selbst die natürlichen Umwelten Europas, wenn wir darunter Räume, Klima und Ressourcen fassen, könnten kaum unterschiedlicher sein. Wie kaum ein anderes Teilgebiet unseres Faches reklamiert die Umweltgeschichte für sich, in globalen und transnationalen Perspektiven zu forschen – an lokalen, regionalen und nationalen Beispielen. Viele Ergebnisse und Trends, von den natürlichen und anthropogenen Umwelten bis hin zu den Periodisierungen, belegen den globalen Trend im historiographischen Umgang mit Natur und Umwelt eindrücklich. Fast scheint es, als habe sich die in der Ökoszene fest verankerte Formel "global denken, lokal handeln" hier niedergeschlagen. Gleichwohl wird man festhalten können, dass in der langen Perspektive viele Impulse im Umgang mit Natur und Umwelt (west-)europäischen Ursprungs sind. Blickt man zudem auf die rechtliche und staatliche Seite der Behandlung von Natur und Umwelt, dann lassen sich bei aller Vorsicht – verstärkt in der jüngsten Geschichte – europäische Gemeinsamkeiten ausmachen: insbesondere an die Verrechtlichung und teils die Rolle staatlicher wie kommunaler Institutionen ist dabei zu denken.