Einleitung: Von der transnationalen Verbreitung des Sports zur sportlichen Provinzialisierung Europas
Im 19. Jahrhundert erfolgte eine grenzüberschreitende Verbreitung verschiedener Formen von Leibesübungen. Das deutsche Turnen und die schwedische Gymnastik strahlten bereits im frühen 19. Jahrhundert über ihre Ursprungsländer hinaus nach Kontinentaleuropa und in die USA aus. Der 1862 in Prag entstandene, an der altgriechischen Körperkultur und dem deutschen Turnen orientierte "Sokol" (Falke)erhielt im ersten Vierteljahrhundert Bruderverbände in Slowenien, Kroatien, Serbien, Galizien, dem preußischen Teilungsgebiet Polens sowie den USA, später auch im Russländischen Reich.1 Die britischen "Sports" verbreiteten sich durch Vermittlung von Studenten, Internatsschülern, Lehrern, Kaufleuten und Touristen in Kontinentaleuropa und führten dort ab der Jahrhundertmitte zur Bildung lokaler, in der "Belle Epoque" dann auch nationaler Sportorganisationen.2 Ab dem späten 19. Jahrhundert fanden bilaterale und multilaterale grenzüberschreitende Sportkontakte bereits ohne britische Beteiligung statt.
Daraus erwuchs das Bedürfnis nach internationalen Sportorganisationen, die diesen Sportverkehr fördern sowie zugleich kontrollieren und über die Einhaltung wie Weiterentwicklung der Regelwerke wachen sollten.3 Die Entstehung dieser Organisationen um 1900 lag im allgemeinen Trend zu multilateralen Problemlösungen durch internationale Kongresse und die Gründung internationaler Ämter und Vereinigungen, die durch die Expansion grenzüberschreitender Wirtschaftsverflechtungen und die Globalisierung des technischen Fortschritts nötig geworden waren. Die internationalen Sportorganisationen waren zunächst oft europäische Gebilde, die bestenfalls auch wenige amerikanische Mitgliedsverbände umfassten.
In der Regel sahen sie es auch als ihre Aufgabe, internationale Wettbewerbe (Welt- und Europameisterschaften) ins Leben zu rufen. Diese entwickelten sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu Fixpunkten transnationalen Geschehens.4 Durch verschiedene Medialisierungsschübe schufen sie eine ortsunabhängige, transnationale Öffentlichkeit: Neben die Presse traten in den 1920er Jahren Reportagen in Rundfunk und Filmwochenschauen sowie Filme über große Sportereignisse (z.B. von der Arbeiterolympiade 1925, den Olympischen Winterspielen 1928 und dann – weit monumentaler von Leni Riefenstahl (1902–2003) gefilmt – von den Olympischen Sommerspielen 1936). Nach ersten lokalen Fernsehübertragungen anlässlich der Olympischen Spiele 1936 entstand ab den 1950er Jahren eine enge Symbiose zwischen internationalem Sport und dem Siegeszug des Fernsehens (zuerst anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 1954), die auch bei der Entstehung grenzüberschreitender Kooperationen von TV-Stationen eine wesentliche Rolle spielte.5
Damit einher gingen eine frühe Kommerzialisierung sowie verschiedene Formen von Politisierung: Der Umstand, dass die internationalen Sportorganisationen zumeist auf Nationalverbänden aufbauten, führte schon vor 1914 zu Konflikten um die Anerkennung einzelner Verbände, nach 1918 dann zum vorübergehenden Ausschluss der Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs aus dem internationalen Sportverkehr. Zudem wurden die "Nationalmannschaften" zu Repräsentanten ihrer Länder, was sowohl zu Manifestationen der Völkerfreundschaft als auch zur symbolischen Austragung politischer Konflikte führen konnte.6 Weitere Facetten der Politisierung waren die Entstehung weltanschaulich ausgerichteter internationaler Sportorganisationen sowie die propagandistische Inszenierung internationaler Sportgroßveranstaltungen durch faschistische Regime (Fußball-Weltmeisterschaft 1934 in Italien, Olympische Spiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen und Berlin).7
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stand dann im Zeichen des Kalten Krieges, der symbolisch auch auf Aschenbahnen und Sportfeldern ausgetragen wurde und verschiedentlich zu Boykotten internationaler Sportveranstaltungen führte,8 sowie der Erweiterung der internationalen Sportorganisationen und ihrer Wettbewerbe um die im Zuge der Dekolonisation unabhängig gewordenen Staaten Asiens und Afrikas. Dadurch differenzierte sich der "internationale" Aspekt des grenzüberschreitenden Sports, der sich bislang hauptsächlich auf Europa und wenige außereuropäische, vor allem europäisch besiedelte Gebiete bezogen hatte, zunehmend aus in einen durch Ost-West- und Nord-Süd-Gegensätze geprägten "globalen" sowie einen provinzialisierten "europäischen" Aspekt, was sich sowohl in organisatorischen Strukturen und Wettbewerben als auch in der Wahrnehmung des internationalen Sports niederschlug.
Wiederbelebung der Olympischen Spiele
Ein Meilenstein in der Internationalisierung des Sports war die Wiederbelebung der Olympischen Spiele. Diese hatte ihrerseits verschiedene lokal oder national begrenzte Vorläufer: Vom 17. bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es die Cotswold Olympick Games bei Chipping Campden, während der Französischen Revolution die Olympiades de la République in Paris, ab 1850 die Wenlock Olympian Games in Shropshire und ab 1866 die National Olympian Games in London. Nach der griechischen Unabhängigkeit fanden in Athen 1859, 1870, 1875 und 1888/89 "Olympien" als nationalgriechische Sportveranstaltungen und Wirtschaftsausstellungen statt. Die archäologische Erforschung des antiken Olympia in den 1870er Jahren gab der Idee einer Wiederbelebung der Olympischen Spiele auf internationaler Basis einen entscheidenden Schub. 1894 gründete der französische Pädagoge und Historiker Pierre de Coubertin (1863–1937)[] das Internationale Olympische Komitee (IOC), das zunächst stark aristokratisch geprägt war und 1896 in Athen die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit veranstaltete. Leitideen Coubertins waren die Völkerversöhnung durch Sport, das Rekordstreben als Symbol gesellschaftlichen Fortschritts und der Amateurismus.9
Nach der Premiere fanden die nächsten Spiele 1900 in Paris am Rande der Weltausstellung statt, 1904 dann erstmals außerhalb Europas in St. Louis. 1906 gab es zum zehnjährigen Jubiläum "Zwischenspiele" in Athen, gefolgt von den Spielen von 1908 in London und 1912 in Stockholm, während die für 1916 in Berlin geplanten Spiele wegen des Kriegs nicht stattfinden konnten. An den ersten Spielen der Neuzeit nahmen 241 (ausschließlich männliche) Athleten teil, die aus elf europäischen Ländern sowie den USA, Chile und Australien kamen. 1912 waren es bereits 2,407 Athleten (darunter 48 Frauen) aus 21 europäischen Ländern sowie den USA, Kanada, Chile, Australien, Neuseeland, Südafrika, Ägypten und Japan. Weitgehend ausgeschlossen blieben die Frauen, die erst 1900 in wenigen Disziplinen (Tennis und Golf) zugelassen wurden. Das strikte Amateurprinzip schloss faktisch auch Angehörige der unteren Gesellschaftsschichten aus, die sich keine mehrwöchige unbezahlte Unterbrechung ihrer Arbeit leisten konnten. Ebenso blieben die Angehörigen kolonisierter Völker weitgehend ausgegrenzt. An den Spielen von 1904 gab es außerhalb des offiziellen Programms sogar "anthropologische Tage", an denen im Stil der kolonialrassistischen "Völkerschauen" Indigene aus Nordamerika, Argentinien, Zentralafrika, Japan und von den Philippinen (ohne entsprechendes Training) in verschiedenen Leichtathletikdisziplinen auftraten. Erklärtes Ziel der Organisatoren war der Nachweis, dass die "weiße Rasse" nicht nur, wie damals allgemein angenommen, intellektuell, sondern auch physisch an der Spitze der Menschheit stehe.
Die ersten Olympischen Spiele der Zwischenkriegszeit 1920 in Antwerpen ließen die Folgen des Ersten Weltkriegs erkennen: Die Verliererstaaten blieben ausgeschlossen.10 In Deutschland zog dies 1922 die erstmalige Ausrichtung der "Deutschen Kampfspiele" als eine Art nationalistischer Gegen-Olympiade nach sich. Russland hatte sich nach der Oktoberrevolution aus dem "bürgerlichen" Sport zurückgezogen. Auf der anderen Seite konnte Britisch-Indien als Belohnung für seinen Beitrag zu den alliierten Kriegsanstrengungen erstmals mit einem eigenen Team mitwirken. 1924 fanden in Chamonix die ersten Olympischen Winterspiele statt. Bis zu den Sommerspielen von 1936 wuchs die Teilnahme auf 3,961 Athleten (davon 328 Frauen) aus 28 europäischen und 12 amerikanischen Ländern sowie Japan, China, den Philippinen, Britisch-Indien, Afghanistan, Ägypten, Südafrika, Australien und Neuseeland.
Nach den nationalsozialistischen Inszenierungen der Winter- und vor allem Sommerspiele 1936 und der kriegsbedingten Absage der für 1940 in Sapporo und Tokio geplanten Spiele kam es 1948 zu einer Wiederaufnahme des olympischen Betriebs mit den Spielen von St. Moritz und London. In die gleiche Zeit fiel der Beitritt der Sowjetunion zur olympischen Bewegung und deren Transformation in den Modus des Kalten Kriegs.11 In den folgenden vier Jahrzehnten sollten sich die beiden Supermächte an der Spitze der olympischen Medaillenspiegel ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Auch nahm die Zahl asiatischer und afrikanischer Teams zu. Die als Gegenveranstaltung zu den Olympischen Spielen 1963 in Jakarta und 1966 in Phnom Penh veranstalteten Games of the New Emerging Forces (GANEFO) vermochten sich nicht dauerhaft zu etablieren.12 Hingegen setzten die afrikanischen Verbände den Ausschluss der Apartheidstaaten Südafrika (1964) und Rhodesien (1972) von den Olympischen Spielen durch.
Internationale Sportverbände, Regelwerke und Meisterschaften
Zur gleichen Zeit wie das IOC entstanden zahlreiche internationale Dachverbände einzelner Sportdisziplinen, so etwa 1892 für den Eislauf, 1892/1900 für den Radsport, 1904 für den Fußball, 1908 für das Eishockey, 1910 für den Skisport und 1912 für die Leichtathletik. Diese Verbände beanspruchten für ihre jeweilige Disziplin das Monopol des internationalen Sportverkehrs, der Standardisierung der Regelwerke und der Organisation von Welt- und Europameisterschaften (zuweilen in einer eigentümlichen Mischung aus Kooperation mit und Konkurrenz zum IOC) und erkannten in der Regel nur einen Mitgliedsverband pro Land an, versuchten also auch vereinheitlichend auf die Sportstrukturen der einzelnen Länder einzuwirken. In einzelnen Disziplinen fanden bereits um die Jahrhundertwende erste internationale Meisterschaften statt; so gab es im Eiskunstlauf die ersten Weltmeisterschaften 1896 in St. Petersburg.
Die Entwicklung einer internationalen Sportorganisation bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts soll am Beispiel der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) knapp skizziert werden:13 Gegründet wurde die FIFA 1904 von sieben ausschließlich kontinentaleuropäischen Nationalverbänden. Die englische Football Association (FA), die sich selbst als maßgebende Instanz betrachtete, hatte die Einladung zur Gründungsversammlung nicht einmal beantwortet. Bis 1914 wuchs die Zahl der Mitglieder auf 24 an, wobei 1910 mit Südafrika und 1912 mit Argentinien, Chile und Kanada die ersten nichteuropäischen Mitglieder dazu stießen. Bereits zur Gründungszeit träumte man von einem großen internationalen Turnier, das sich zunächst aber nicht konkretisierte. Stattdessen beschloss die FIFA, die Sieger der olympischen Fußballturniere als Amateurweltmeister anzuerkennen. Aufgrund von Konflikten um den Amateurismus und den Status des böhmischen Fußballverbands, der 1906 in die FIFA aufgenommen, zwei Jahre darauf auf Druck Österreichs und Deutschlands wieder ausgeschlossen worden war, existierte für kurze Zeit ein Konkurrenzverband, die Union Internationale Amateur de Football Association (UIAFA). Diese richtete 1911 eine Europameisterschaft aus, an der Auswahlteams von Böhmen, England und Frankreich teilnahmen.
Die Oberaufsicht über die Regeln, die 1863 von der FA aufgestellt worden waren und sich in den folgenden Jahren in Großbritannien gegen verschiedene konkurrierende Regelwerke durchgesetzt hatten, verblieb weitgehend in britischen Händen.14 1882 hatten die Fußballverbände von England, Schottland, Wales und Irland in Vorbereitung eines Turniers ihrer Nationalmannschaften den International Football Association Board (IFAB) ins Leben gerufen, der allein Regeländerungen beschließen konnte. Die FIFA anerkannte die Oberhoheit des IFAB in Regelfragen und war in diesem ab 1913 auch vertreten, jedoch bis 1958 mit lediglich zwei von zehn Mitgliedern.
Nach einem weitgehenden Zusammenbruch ihrer Aktivitäten während des Ersten Weltkrieges fand die FIFA nach 1918 bald auf den Wachstumspfad zurück. 1924 zählte sie bereits 35 Mitgliedsverbände und zehn Jahre später 44. Allerdings gab es noch in der Zwischenkriegszeit selbst in Europa prominente Nichtmitglieder. Die Verbände von England, Schottland, Wales und Nordirland traten 1920 aus der FIFA aus, weil diese ihres Erachtens einen zu wenig harten Kurs gegenüber Verbänden fuhr, die das Spielverbot gegen die Kriegsverlierer missachteten. 1924 kehrten die Briten zwar in die FIFA zurück, verließen sie indessen schon vier Jahre darauf wegen Auseinandersetzungen um den Professionalismus erneut. Die Sowjetunion blieb aus ideologischen Gründen fern. Der wichtigste internationale Wettbewerb war in den 1920er-Jahren das olympische Fußballturnier. Aus bescheidenen Anfängen erwachsen, mauserte es sich zur inoffiziellen Welt- und Europameisterschaft. Beim ersten Nachkriegsturnier von 1920 beteiligten sich 14 Mannschaften, 1924 dann 22 und 1928, als erstmals die Kriegsverlierer wieder zugelassen waren, 17. Nachdem das erste Nachkriegsturnier, bei dem mit Ägypten erstmals ein außereuropäisches Team teilnahm, noch von Belgien gewonnen worden war, ging 1924 und 1928 die europäische Dominanz zu Ende. Bei beiden Turnieren siegte Uruguay, dessen dunkelhäutiger Star José Leandro Andrade (1901–1957), Sohn eines ehemaligen Sklaven, von der europäischen Öffentlichkeit mit einer Mischung aus Exotismus und kaum verhohlenem Rassismus betrachtet wurde.
Die organisatorischen Strukturen der FIFA blieben der Expansion zum Trotz bescheiden und waren weitgehend auf Kontinentaleuropa beschränkt. Noch Anfang der 1930er Jahre verfügte sie über keine hauptamtlichen Angestellten und keinen festen administrativen Sitz, sondern wurde weitgehend vom ehrenamtlichen Generalsekretär geleitet. Dessen Finanzspekulationen führten den Verband beim Einsetzen der Weltwirtschaftskrise an den Rand des Ruins, worauf 1931 eine gewisse Professionalisierung einsetzte. Mit dem Deutschen Ivo Schricker (1877–1962) wurde erstmals ein hauptamtlicher Generalsekretär eingestellt, der in Zürich ein kleines Büro bezog. Die finanzielle Basis des Verbandes blieb knapp. Haupteinnahmequellen waren die Mitgliedsbeiträge der Nationalverbände sowie eine einprozentige Abgabe aus den Einnahmen internationaler Spiele. In den 1930er Jahren garantierten die über hundert Länderspiele pro Jahr der FIFA relativ stabile Einnahmen, während des Zweiten Weltkrieges geriet sie dann aber in ernsthafte finanzielle Probleme. An der Spitze des Verbandes standen ein ehrenamtlicher Präsident sowie ein Exekutivkomitee, das fast ausschließlich aus Europäern bestand und sich alle paar Monate zur Diskussion der wichtigsten Tagesgeschäfte traf. Grundsätzliche Fragen entschied der alle zwei Jahre zusammentretende Kongress, in dem alle Mitgliedsverbände vertreten waren.
Politische Einflüsse sollten nach dem Willen der FIFA-Führungselite möglichst vom Verband ferngehalten werden, was allerdings nicht immer gelang. Nach wie vor war die FIFA stark europäisch dominiert. Der "andere Kontinent" Amerika organisierte aber 1930 die erste Weltmeisterschaft in Montevideo, die in Europa wenig beachtet wurde. Zwar luden die Gastgeber an die 50 Länder ein, nur neun Teams aus Latein- und Nordamerika und vier aus Europa folgten aber diesem Ruf. Außerdem war in Südamerika bereits 1916 angesichts der Kriegswirren in Europa die Confederación Sudamericana de Fútbol (CONMEBOL) entstanden, die nach dem Zweiten Weltkrieg zum Vorbild für weitere Kontinentalverbände werden sollte. Ab 1938 wurde den Südamerikanern ein fixer Platz im Exekutivkomitee zugestanden. Mit den beiden Weltmeisterschaften 1934 in Italien und 1938 in Frankreich sowie den beiden "FIFA-Spielen" 1937 (Westeuropa gegen Osteuropa) und 1938 (Kontinentaleuropa gegen England) veranstaltete die FIFA große Anlässe, die zur weiteren Entwicklung des Spiels in Europa beitrugen. An der Weltmeisterschaft 1934 stammten von 16 teilnehmenden Mannschaften zwölf aus Europa und drei aus Amerika, hinzu kam noch Ägypten. Vier Jahre darauf nahmen zwölf Teams aus Europa, zwei aus Amerika sowie Niederländisch-Ostindien teil.
Nach 1945 änderte sich die Struktur der FIFA stark. Die einsetzende Dekolonisation vermehrte die Zahl der außereuropäischen Mitglieder. Die Rückkehr der britischen Verbände warf die Frage nach einer neuen Zusammensetzung der Gremien auf und der Beitritt der Sowjetunion 1947 schuf eine starke Ostblockfraktion in der FIFA. Vor diesem Hintergrund setzten Debatten um eine Reorganisation im Sinne einer "Kontinentalisierung" ein, eines Aufbaus, der zwischen die FIFA und die Mitgliedsländer Kontinentalverbände setzte, die für die Zusammensetzung der FIFA-Gremien entscheidend werden sollten. Zum Durchbruch kam diese Idee 1953/54 aufgrund einer Allianz der Südamerikaner mit ihrem jahrzehntealten Kontinentalverband und der Westeuropäer, die dadurch die Institutionalisierung eines Sowjetblockes innerhalb der FIFA verhindern wollten, der zusammen mit den frisch dekolonisierten Staaten die alten Fußballnationen zu majorisieren drohte. Bis ins letzte Viertel des 20. Jahrhunderts blieb Europa bei der Zuteilung von Teilnahmeplätzen an den Weltmeisterschaften dominant und organisierte die FIFA keine Turniere im Frauenfußball.15
Eine Konsequenz der "Kontinentalisierung" war 1954 die Bildung einer europäischen Gruppe innerhalb der FIFA und noch im selben Jahr die Gründung der Union of European Football Associations (UEFA).16 Diese war mit ihrer den Eisernen Vorhang überschreitenden Mitgliedschaft in der europäischen Integrationslandschaft der 1950er Jahre ein absoluter Sonderfall. Für die rasche Abnabelung der UEFA von der FIFA war in den Gründungsjahren die Initiierung europäischer Wettbewerbe zentral: Der 1955 auf Vorschlag von Sportjournalisten ins Leben gerufene Europapokal der Meisterklubs, der ab 1958 erstmals ausgespielte Europapokal der Nationen als Vorläufer der Europameisterschaft sowie der 1960 gestartete Europapokal der Pokalsieger führten zu einer Verstetigung des internationalen europäischen Spielbetriebs und ermöglichten der UEFA eine eigenständige Medialisierung ihrer Aktivitäten, insbesondere im rasch an Bedeutung zunehmenden Fernsehen.
Weltanschauliche Sportorganisationen und ihre internationalen Veranstaltungen
In Abgrenzung und Konkurrenz zum IOC und den internationalen Sportdachverbänden, die sich als politisch und weltanschaulich "neutral" verstanden (was allerdings politisch motivierte Boykotte gegen Mitgliedsländer nicht ausschloss), entstand vor und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg eine Reihe explizit weltanschaulich definierter internationaler Sportorganisationen, die auf entsprechenden Bewegungen in einzelnen Ländern aufbauten. Im Jahre 1911 wurde die Union Internationale des Oeuvres Catholiques d'Education Physique gegründet, zwei Jahre darauf die Internationale Sozialistische Vereinigung für Körperertüchtigung.
Entsprechend der Spaltung der Arbeiterbewegung entstanden nach dem Ersten Weltkrieg auch im Arbeiterbewegungssport zwei konkurrierende Dachorganisationen: 1920 die Sozialistische Arbeitersportinternationale (SASI) in Luzern, 1921 die Rote Sportinternationale (RSI) am dritten Komintern-Kongress in Moskau.17 Die SASI verstand sich zunächst als "neutral" zwischen den sich bekämpfenden Strömungen der Arbeiterbewegung, näherte sich aber immer enger der Sozialdemokratie an. Auf ihrem Höhepunkt Anfang der 1930er Jahre zählte sie 1,8 Millionen Mitglieder, wovon etwa zwei Drittel auf Deutschland entfielen. Der faschistischen Zerschlagung der mitgliederstärksten Landessektionen in Deutschland und Österreich 1933/34 folgte ein Niedergang und das Einschlafen der Aktivitäten im Zweiten Weltkrieg. 1946 lebte die SASI in Gestalt des Comité Sportif International du Travail (CSIT) wieder auf. Die RSI bemühte sich um den Aufbau einer proletarisch-revolutionären Sportbewegung als Alternative zu den bestehenden Strukturen des internationalen Sports. Ihr Verhältnis zur SASI folgte den sich wandelnden Strategien der Komintern im Umgang mit nichtkommunistischen Arbeiterorganisationen. Auf ihrem Höhepunkt 1931 zählte die RSI außerhalb der Sowjetunion etwa 280,000 Mitglieder. 1937 wurde sie im Zeichen der Volksfront-Strategie aufgelöst.
Die SASI richtete 1925 die ersten Arbeiterolympiaden in Schreiberhau (Winter) und Frankfurt (Sommer) aus[]. 1931 folgten die Arbeiterolympiaden von Mürzzuschlag und Semmering (Winter) und Wien (Sommer). Der Anlass im "Roten Wien" war mit 25,000 teilnehmenden Athletinnen und Athleten aus 17 Ländern und Wettkämpfen in 117 Disziplinen nicht nur der Höhepunkt in der Geschichte des Arbeiterbewegungssports, sondern auch die bis dahin größte internationale Sportveranstaltung insgesamt[].18 1932 bis 1934 fand eine Arbeiterfußball-Europameisterschaft statt, 1937 die letzten Arbeiterolympiaden in Janské Lázně (Winter) und Antwerpen (Sommer). Die Arbeiterolympiaden bestanden jeweils nicht nur aus sportlichen Veranstaltungen, sondern umfassten auch umfangreiche kulturelle Rahmenprogramme sowie große Demonstrationen für Frieden, Völkerfreundschaft und Sozialismus[]. So gab es 1931 ein Massenfestspiel mit 3,000 Mitwirkenden über die Entwicklung der Arbeiterbewegung und den Zusammenbruch des Kapitalismus sowie einen fünfstündigen Fackelzug "Für Weltabrüstung und allgemeinen Frieden" mit 100,000 Menschen auf der Wiener Ringstraße.
Die RSI veranstaltete 1928 internationale Spartakiaden in Oslo (Winter) und Moskau (Sommer).19 Die zweite Auflage sollte 1931 unmittelbar vor der Wiener Arbeiterolympiade in Berlin stattfinden, wurde aber polizeilich verboten und konnte nur unvollständig im Verborgenen durchgeführt werden. Sodann plante die RSI für 1933 eine große Weltspartakiade in Moskau, für die das größte Sportzentrum der Welt errichtet werden sollte, die aber wegen organisatorischer Probleme immer wieder verschoben und schließlich abgesagt wurde.20 Nicht realisiert wurde auch eine für 1936 in Moskau geplante Arbeiterfußball-Weltmeisterschaft. Hingegen kam in jenem Jahr eine zweite internationale Winter-Spartakiade in Oslo zustande.
Als die Komintern 1934/35 angesichts der weltweiten faschistischen Bedrohung ihre Haltung zur zuvor als "Sozialfaschisten" bekämpften Sozialdemokratie änderte und zur Strategie der "Volksfront", der Zusammenarbeit der Kommunisten mit Sozialdemokraten und demokratischem Bürgertum, überging, wandelte sich auch die Politik der RSI. Als erste große antifaschistische Arbeitersportveranstaltung, an der sich Kommunisten wie Sozialdemokraten beteiligten, fand 1934 in Paris ein mehrtägiges Treffen mit einem großen Aufmarsch statt.21 1937 schließlich beteiligten sich die - kurz zuvor vom Komintern-Präsidium insgeheim aufgelöste - RSI und die Sowjetunion an der Arbeiterolympiade der SASI in Antwerpen. Mit dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts wurden diese Kooperationen dann 1939 schlagartig wieder beendet.
1921 entstand auf dem 12. Zionistenkongress der Maccabi-Weltverband. Er schloss die verschiedenen Organisationen der zionistischen Maccabi-Bewegung zusammen, die seit 1898 unter dem Einfluss von Max Nordaus (1849–1923) Idee vom "Muskeljudentum" entstanden waren und den "neuen" jüdischen Menschen auf die Besiedlung Palästinas vorbereiten wollten. 1929 fanden in Prag europäische Maccabi-Spiele statt und 1932 wurde die seit der Vorkriegszeit bestehende Idee einer "jüdischen Olympiade" mit der Organisation der ersten Makkabiade in Tel Aviv im britischen Mandatsgebiet Palästina in die Tat umgesetzt.22 Insgesamt maßen sich etwa 390 Athleten aus 18 Ländern in 16 Disziplinen. 1935 fand, wiederum in Tel Aviv, die zweite Makkabiade statt. Nunmehr nahmen 1,350 Athleten aus 28 Staaten teil. Unter Missachtung eines Verbots der britischen Behörden, die eine Provokation der arabischen Bevölkerung befürchteten, zog die Eröffnungsparade durch die Straßen Tel Avivs und nach den Spielen blieben trotz eines Einwanderungsstopps zahlreiche Athleten in Palästina, darunter fast die gesamte 350-köpfige bulgarische Delegation. Aus Furcht vor einer Wiederholung dieser Vorgänge untersagten die britischen Behörden in der Folge die für 1938 geplante dritte Makkabiade. Erst 1950 fand im neu gegründeten Staat Israel wieder eine Makkabiade statt.
Internationale Turniere und Wettbewerbe, Protest- und Spezialveranstaltungen
Bei weitem nicht alle internationalen Sportveranstaltungen wurden von den internationalen Verbänden selbst organisiert. Seit der Belle Epoque gab es zahlreiche Veranstaltungen von lokalen oder nationalen Sportorganisationen, Zeitungen oder diversen kommerziellen Organisatoren. Berühmte Beispiele der Zeit vor 1914 sind eine Serie von Fußballturnieren in Turin, die zuweilen als Vorläufer der Weltmeisterschaft betrachtet werden: Am 1908 ausgetragenen Torneo Internazionale Stampa Sportiva sowie der 1909 und 1911 ausgespielten Sir Thomas Lipton Trophy maßen sich italienische, britische, schweizerische, deutsche und französische Teams. Im Radsport organisierte die Zeitschrift L'Auto 1903 die erste Tour de France, sechs Jahre darauf folgte die Gazetta dello Sport mit dem ersten Giro d'Italia.
1923 erfolgte in Davos die erste Austragung des Spengler-Cups als erstes namhaftes Eishockey-Turnier seit dem Ersten Weltkrieg mit deutscher Beteiligung und explizit als Anlass, um die verfeindeten Nationen wieder zu versöhnen. Bereits um die Jahrhundertwende waren regelmäßig Eishockey-Spitzenteams, unter anderem aus Berlin und London, nach Davos gekommen. An diese Tradition wollte man in den frühen 1920er Jahren im Dienste der Völkerversöhnung wie auch der Tourismusförderung anknüpfen. So waren zum ersten Spengler-Cup mit dem Team der Universität Oxford einerseits und dem Berliner Schlittschuh-Club sowie einer Wiener Mannschaft andererseits Mannschaften aus ehemals verfeindeten Staaten geladen. Diese Politik wurde in den folgenden Jahren fortgesetzt.23
Die Professionalisierung des Spitzenfußballs in mehreren zentraleuropäischen Ländern in den 1920er Jahren und der damit verbundene Zwang zur Generierung von Zuschauereinnahmen führte 1927 zur Schaffung zweier mitteleuropäischer Wettbewerbe, dem Mitropacup für Vereinsteams und der Coupe Internationale Européenne für Nationalmannschaften.24 Spiritus rector dieser Vorläufer der nach der Jahrhundertmitte von der UEFA organisierten Wettbewerbe war der österreichische Verbandssekretär Hugo Meisl (1881–1937)[]. Der Mitropacup startete mit Vertretern von Österreich, Ungarn, Jugoslawien und der Tschechoslowakei, später stießen auch Teams aus Italien, der Schweiz und Rumänien dazu. Die Spitzenspiele lockten teilweise bis zu 100,000 Personen in die Stadien. Die Coupe Internationale Européenne wurde 1927 bis 1938 viermal im Ligasystem zwischen den Nationalteams von Ungarn, Österreich, Italien, der Tschechoslowakei und der Schweiz ausgespielt. Die einmalig im Sommer 1930 in Genf zur Einweihung des neuen Stadion Charmilles ausgetragene Coupe des Nations, an der acht europäische Spitzenvereine teilnahmen, stellte in den europäischen Medien die wenige Tage darauf beginnende Weltmeisterschaft in Montevideo in den Schatten.
Die Politisierung zentraler internationaler Veranstaltungen der "unpolitischen" Sportverbände durch Regime von Gastgeberländern in den 1930er-Jahren zog auch Gegenbewegungen nach sich. Im Rahmen des antifaschistischen Arbeitersporttreffens in Paris von 1934 fand unter anderem ein als "Arbeiterfußball-Weltmeisterschaft" deklariertes Turnier statt, das explizit gegen die FIFA-Weltmeisterschaft in Italien gerichtet war. Zwei Jahre darauf planten katalanische Linkskreise eine von SASI und RSI begrüßte Olimpiada Popular in Barcelona, um nach dem weitgehenden Scheitern einer internationalen Boykottkampagne auf diese Weise gegen den Missbrauch der Olympischen Sommerspiele durch die nationalsozialistische Propaganda zu protestieren.25 Die Gegenveranstaltung konnte aber wegen des Ausbruchs des Spanischen Bürgerkriegs nicht stattfinden. Bereits seit den 1920er Jahren existierten internationale Sportwettkämpfe, die gegen den weitgehenden Ausschluss der Frauen von den Olympischen Spielen – sie waren nur im Golf, Tennis, Bogenschießen, Schwimmen und Eislauf zugelassen – protestierten.26 1921 fanden in Monte Carlo die "Ersten Olympischen Frauenspiele" statt. Im selben Jahr erfolgte die Gründung der Fédération Sportive Féminine Internationale, die bis 1936 existierte und 1922 bis 1934 viermal Frauen-Weltspiele ausrichtete. Unter dem Druck dieser Veranstaltungen ließ das IOC 1928 olympische Leichtathletik-Wettkämpfe für Frauen zu.
Ebenso etablierten sich ab den 1920er Jahren verschiedene internationale Spezialwettbewerbe. Im Hochschulsport richtete die 1919 gegründete Confédération internationale des étudiants in der Zwischenkriegszeit verschiedene internationale Veranstaltungen aus. Im frühen Kalten Krieg gab es dann konkurrierende Veranstaltungen des Ostens und Westens, bevor sich ab 1959 die von der International University Sports Federation (FISU) ausgerichteten Universiaden etablierten. Im Behindertensport fanden ab 1924 regelmäßig die International Games for the Deaf (seit 2001: Deaflympics) statt. 1948 wurden die ersten Stoke Mandeville Games for the Paralyzed ausgetragen, aus denen 1960 die Paralympics hervorgingen. 1968 fanden die ersten Special Olympics der geistig Behinderten statt, initiiert von Eunice Shriver (1921–2009), einer Schwester John F. Kennedys (1917–1963), vor dem Hintergrund der Behinderung ihrer Schwester Rosemary (1918–2005) nach einer Lobotomie. Im Militärsport fanden im Sommer 1919 die "Interalliierten Spiele" in Paris statt, eine Art sportliche Siegesfeier zum Ende des Weltkriegs, die dem olympischen Programm folgte, zu der aber nur Kriegsteilnehmer der Siegermächte und ihrer Verbündeten zugelassen waren.27 1948 erfolgte dann die Gründung des Conseil International du Sport Militaire (CISM), der in verschiedenen Disziplinen Militär-Weltmeisterschaften auszurichten begann. 1958 entstand als einzige internationale Sportsonderorganisation des Ostblocks das Sportkomitee der Befreundeten Armeen, das als Veranstalter der Spartakiaden der befreundeten Armeen fungierte.
Insgesamt erfolgte damit nach den weitgehend europäischen Ursprüngen des internationalen Sports im 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Jahrhundertmitte sowohl in Struktur und Funktionsweise der internationalen Sportorganisationen als auch bei den Sportgroßveranstaltungen im Zeichen des Kalten Kriegs und der Dekolonisation eine Globalisierung. Diese machte Europa auch in sportlicher Hinsicht zu einem Kontinent neben anderen und provinzialisierte es gleichsam innerhalb des globalen Sportsystems.