Literarischer und gesellschaftlicher Philhellenismus in Europa
Zur Entstehung eines philhellenischen1 Klimas in Europa hat der Neuhumanismus des 18. und 19. Jahrhunderts maßgeblich beigetragen. Der Begründer dieser neuen Bewegung, der in der griechischen Kunst ästhetische Ideale und ethische Normen zu erkennen glaubte, war Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), der mit seiner Geschichte der Kunst des Altertums (1764)das antike Hellas zum Ausgangspunkt einer ästhetisierenden Kunst- und Kulturgeschichte machte. Sein Motto lautete:
Der einzige Weg für uns groß, ja wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten, und was jemand von Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch von den Kunstwerken der Alten, sonderlich der Griechen.2
Friedrich von Schlegel (1772–1829) betonte diesbezüglich: "Der erste unter uns, der die intellektuelle Anschauung der Moral gehabt, und das Urbild vollendeter Menschheit in den Gestalten der Kunst und des Altertums erkannte und gottbegeistert verkündigte, war der heilige Winckelmann".3
Die neuhumanistische Literatur um 1800, die nach Goethes Iphigenie auf Tauris "das Land der Griechen mit der Seele suchte",4 sah in der altgriechischen Literatur und vor allem in der Kunst ein unerreichbares ästhetisches Ideal. Die Europäer erblickten die Fundamente ihrer abendländischen Kultur in Hellas. Deswegen sahen sie im hellenistischen Menschen den "Gipfel alles echten Menschentums" und erkoren die (idealistische) Lebensweise der "Alten" zur ethischen Richtschnur.5 Diese primär ästhetisch und kulturhistorisch fundierte "Entdeckung" des antiken "Griechentums" konnte einer Gleichsetzung der Neuhellenen mit ihren "Vorfahren" vorarbeiten. Die Begeisterung für das antike Hellas, die "althellenische Mode", wie sie Karl Mendelssohn-Bartholdy (1838–1897) nannte und die der deutsche Komödiendichter Julius von Voss (1768–1832) als "Griechheit" in seinem gleichnamigen Stück karikierte,6 war eine der wichtigsten Grundlagen für Hellenen und Philhellenen, um eine europäische Bewegung zu Gunsten der Griechen in Gang zu setzen.
In dieser Zeit der Klassik und des Neuhumanismus wurden in Deutschland wichtige griechische Handschriften editiert und die klassische Philologie, die Philosophie, die Archäologie und die Kunstgeschichte blühten auf. Die altgriechische Sprache, Literatur und die antiken Metren wurden in Deutschland eifrig studiert und brachten die deutsche Literatur auf neue Wege. Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) gab der deutschen Poesie neue Impulse, indem er griechische Hexameter benutzte. Mit seinem Messias gelang es ihm, den griechischen Hexameter auch zum Ausdruck deutscher dichterischer Sprache zu machen.
Die drei großen deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)[], Friedrich von Schiller (1759–1805) und Friedrich Hölderlin (1770–1843) lebten und wirkten in Deutschland, aber das Zentrum ihrer dichterischen Phantasie war Griechenland. Gerade weil sie das Land der Griechen nie betreten hatten, verklärten sie das antike Hellas und seine Kultur. Der Held Hölderlins, Hyperion, erreicht Mistras während der blutig niedergeschlagenen griechischen Revolte gegen das Osmanische Reich von 1770. Hölderlin erstellte ein lebendiges Zeugnis von der Hoffnung der Griechen auf ihre politische Befreiung. Dieselbe Sehnsucht begegnet dem Leser auch bei Wilhelm Heinse (1749–1803), der die Helden und Heldinnen seines Künstlerromans Ardinghello nach Ionien gehen lässt, um der Regierung der Osmanen ein Ende zu bereiten.
Diese romantische Verklärung Griechenlands und seiner Kultur begegnet uns auch bei anderen europäischen Schriftstellern wie Viktor Hugo (1802–1885), François-René Vicomte de Chateaubriand (1768–1848), Percy Bysshe Shelley (1792–1822) und Annibale Santorre dei Rossi di Pomarolo, Conte di Santarosa (1783–1825), die mit ihren Werken ein europäisches philhellenisches Klima schufen.
Zu den Vorläufern der späteren Philhellenen gehörten auch die europäischen Griechenlandreisenden seit dem 17. Jahrhundert. Ihr Hauptziel war es, das antike Griechenland zu entdecken, ein Traum, den sie durch ihre klassischen Studien und die "Grand Tour" durch die klassischen Stätten Italiens zu verwirklichen suchten. Im 18. Jahrhundert sahen die europäischen Eliten die griechische Kultur durch die Brille der römischen, da Griechenland als Teil des Osmanischen Reiches nicht (oder nur schwer) zugänglich war. Nur vereinzelt konnten Europäer die antiken Stätten Griechenlands bereisen. Es blieb nicht aus, dass sie dabei auch die Lage der zeitgenössischen Bevölkerung kommentierten.
Die Spuren eines literarischen Philhellenismus entdeckt man auch im entfernten Norden, wie z.B. in Finnland und Schweden. Eine wichtige Rolle hierbei haben zunächst finnische Studenten gespielt. Einige von ihnen wurden von Martin Crusius (1526–1607) in die altgriechische Literatur eingeführt. Sie verfassten philhellenische Gedichte, in denen sie ihrer Bewunderung gegenüber der griechischen Sprache und Literatur Ausdruck verliehen. Sie ahmten mit großem Eifer antike griechische Texte nach, die Teil ihres Studienplans waren. Das wichtigste Zeugnis des frühen literarischen Philhellenismus in Finnland war die Rede Magnus Principatus Finlandia, die Johan Paulinus Lillienstedt (1655–1732) 1678 in Uppsala hielt.7
Auch im Russland des 18. Jahrhunderts wurden die griechische Sprache und die altgriechische Literatur bewundert und gefördert. Peter I. (1672–1725) und Katharina II. (1729–1796)[], die eine westeuropäische Bildung genossen hatten, förderten den literarischen Philhellenismus in Russland. An Katharinas Hof begegnet uns im 18. Jahrhundert ein großer griechischer Gelehrter, Eugenios Voulgaris (1716–1806), der sich der Erforschung der altgriechischen Literatur widmete. Er war einer der wichtigsten Vertreter der griechischen Aufklärung; unter anderem hatte er Voltaire (1694–1778) ins Griechische übersetzt. Voulgaris übertrug nach dem Wunsch Katharinas II. auch den Codex ihrer Gesetze für Russland ins Griechische, der in der westeuropäischen Literatur den Namen "Große Instruktion" (russ.: nakaz) trägt. Die russische Zarin gründete im Jahre 1775 in St. Petersburg sogar ein griechisches Gymnasium für griechische Jugendliche. In Russland blieb es aber nicht beim literarischen Philhellenismus, sondern es kam auch zu politisch tatkräftiger Hilfe für Griechenland. Hierbei bot wohl der gemeinsame orthodoxe Glaube eine wichtige Grundlage für den russischen politischen Philhellenismus, der seinen Höhepunkt 1770 in einer Erhebung gegen die Osmanen auf der Peloponnes fand, die von dem russischen Geschwisterpaar Orloff vorbereitet wurde.8
Europäische Griechenlandreisende und ihre Reiseberichte
Die europäischen Griechenlandreisenden seit dem 17. Jahrhundert wollten eigentlich das antike Griechenland entdecken, wurden bei dem Besuch der antiken Stätten aber auch auf die Situation der zeitgenössischen Griechen aufmerksam. Während ihre Verehrung der antiken Kunstdenkmäler nahezu grenzenlos war, konstatierten sie zugleich das Elend und die geringe Bildung der modernen Griechen, denen nichts von ihrer ruhmreichen Vergangenheit geblieben zu sein schien. Dieses Bild Griechenlands änderte sich erst mit dem Reisebericht von Pierre Augustin Guys (1721–1799) Voyage littéraire de la Grèceaus dem Jahr 1771. Guys war der erste europäische Reisende, der die zeitgenössischen Griechen zu Nachfolgern ihrer glanzvollen Vorfahren erklärte. Sein Reisebericht erschien in einer für die Zukunft Griechenlands kritischen Zeit. Ein Jahr zuvor, 1770, war der oben erwähnte erste Aufstand der Griechen gegen die osmanische Herrschaft blutig niedergeschlagen worden. In Guys' Werk wurde Griechenland nun als eine christliche Nation geschildert, die einen legitimen Befreiungskampf führte.
Im Jahre 1788 kursierte in Paris die romanhafte Erzählung des Abbé Jean-Jacques Barthélemy (1716–1795) Voyage du Jeune Anacharsis en Grèce. Es handelt sich dabei um eine fiktive Rundreise eines jungen Skythen namens Anacharsis im antiken Griechenland des 4. Jahrhunderts v. Chr., welche sich durch eine erstaunliche wissenschaftliche Genauigkeit auszeichnete und zu einem selbstlosen Philhellenismus anspornte. Einige Jahre später wurde dieses Buch zum Reise-Vademecum von Marie-Gabriel-Florent-Auguste de Choiseul-Gouffier (1752–1817), dem damaligen französischen Botschafter in Konstantinopel, bei seinem Aufenthalt in Griechenland. Auf der Grundlage seiner eigenen Forschungen verfasste er ein von 1782 bis 1822 in mehreren Teilen erschienenes Werk mit dem Titel Voyage Pittoresque de la Grèce, welches eine große Menge archäologischer Informationen enthält, aber auch Eindrücke vom Leben der Griechen wiedergibt. Auch die von bekannten Künstlern der Zeit, wie z.B. von Jean-Michel Moreau (1741–1814) oder Jean-Baptiste Hilaire (geb. 1753), geschaffenen Illustrationenzu diesem Werk förderten nicht nur die Bekanntschaft der Europäer mit den griechischen Denkmälern, sondern auch ihr Mitleid mit den unter der osmanischen Herrschaft lebenden Christen.
Am Anfang des 19. Jahrhunderts erreichte die Griechenlandbegeisterung ihren Höhepunkt. Die Französische Revolution und die europäische Aufklärung veränderten das politische Klima zugunsten Griechenlands. Die europäischen Regierungen sandten nun u.a. Diplomaten und Offiziere in politischer Mission nach Griechenland, um die dortigen Zustände genau zu untersuchen. Diese Griechenlandreisenden stellten zwar fest, dass sich die wirtschaftliche und geistige Situation der Griechen allmählich verbesserte, berichteten jedoch auch über das willkürliche Regime der osmanischen Machthaber und Gräueltaten an der griechischen Bevölkerung.
Eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung des Philhellenismus im frühen 19. Jahrhundert spielte auch die archäologische Forschung. Von 1804 bis 1811 bereiste etwa der englische Oberst Martin William Leake (1777–1860) Griechenland in geheimer politischer Mission, um politische und militärische Nachrichten für seine Regierung zu beschaffen. Während seines Aufenthaltes widmete er sich mit besonderem Eifer archäologischen und topographischen Forschungen. Dank seiner klassischen Bildung und der Kenntnis der altgriechischen und neugriechischen Sprache konnte er mit wissenschaftlicher Genauigkeit alle Orte beschreiben, die er besuchte. In der gleichen Zeit kam der irische Archäologe und Zeichner Edward Dodwell (1767–1832) nach Athen, begleitet von dem schottischen Architekten und Topographen Sir William Gell (1777–1836) und dem Maler Simone Pomardi (1760–1830). Dodwells Werk A Classical and Topographical Tour in Greece During the Years 1801, 1805 and 1806 und sein schönes Album Views in Greecebilden eine sehr wertvolle Quelle für die Entdeckung der griechischen Vergangenheit.
Die Liste der Reisenden und Forscher in Griechenland, die mit ihren Beschreibungen und Zeichnungen zur Entstehung des Philhellenismus in Europa beitrugen, ist lang. Von besonders nachhaltiger Bedeutung für die archäologische Erforschung Griechenlands war die Ankunft des Nürnberger Patriziers Carl Haller von Hallerstein (1774–1817) in Griechenland im Jahr 1810. Nach Aufenthalten in Delphi und Korinth kam er nach Athen, wo er die englischen Architekten Charles Robert Cockerell (1788–1863) und John Foster (ca. 1787–1846) kennenlernte. Zusammen mit Hallerstein zeichneten sie auf der Akropolis, in Sunion und an anderen Orten Griechenlands. Das wichtigste Forschungsvorhaben aber, das Hallerstein berühmt machte, waren seine Ausgrabungen des Aphaiatempels auf der Insel Ägina. Zusammen mit seinen Freunden Cockerell, Jacob Linkh (1787–1841) und Foster widmete er sich mit besonderem Eifer der Vermessung und Ausgrabung des dortigen Jupiter-Panhellenion-Tempels, dessen Zeugnisse man heute in der Münchener Glyptothek bewundern kann. Nach Studien in Olympia widmete sich Hallerstein im November 1811 der Erforschung und Vermessung des Tempels in Bassae, der dem Apollo Epicurios gewidmet war.
Otto Magnus von Stackelberg (1787–1837), der sich dem Kreis um Hallerstein angeschlossen hatte und bei der Erforschung und der Ausgrabung des erwähnten Tempels mitgewirkt hatte, verfasste später sein monumentales Werk Der Apollon Tempel zu Bassae in Arkadien und die daselbst ausgegrabenen Bildwerke, das einen Höhepunkt der archäologischen Forschungen der damaligen Zeit bildete. Sein Album La Grèce: Vues Pittoresques et Topographiques, das 1834 erschien, liefert uns darüber hinaus wertvolle Informationen über das Volksleben der damaligen Griechen. Die Reiseliteratur zu Griechenland erlebte kurz vor dem Ausbruch des griechischen Befreiungskampfes eine neue Blüte, die nun auch unter dem Einfluss der literarisch-geistigen Bewegungen des Neuhumanismus, der Klassik und der Romantik stand.
Die griechische Aufklärung
Dieser literarische und wissenschaftliche Philhellenismus in Westeuropa trug zum Erwachen des nationalen Bewusstseins bei den Griechen selbst bei. Ebenfalls eine Rolle spielte dabei die vermehrte Teilhabe an den Ideen der französischen Aufklärung. Griechische Gelehrte, die in der Diaspora lebten, hatten wichtige Werke der Aufklärungszeit ins Griechische übersetzt, so dass auch diese Schriften nun gebildeten Griechen zugänglich waren. Wesentliche Anregungen empfingen diese Griechen später auch von den Ideen der Französischen Revolution, deren Grundlagen mit der antiken Konzeption von der Freiheit des Individuums und der Entfaltung seiner geistigen Möglichkeiten übereinstimmten. Die Protagonisten dieser neuen Ära waren Adamantios Korais (1748–1833), Rigas Velestinlis (1757–1798), Demetrios Kantartzis-Photiadis (1730–1800) u.a. Sie schufen mit ihren Schriften und den zahlreichen Übersetzungen französischer Werke die Fundamente einer neugriechischen Aufklärung.
Im Jahr 1813 hatte ein Lehrer in Athen namens Dionysios Pyrros (1774–1853) eine Schulfeier veranstaltet, während der die Schüler von ihm neue altgriechische Namen bekamen. Dieser Bewunderer des alten Hellas überreichte jedem seiner Schüler einen Lorbeer- und Olivenzweig und betonte dabei, dass er nicht mehr Ioannis oder Pavlos, sondern Perikles, Themistokles usw. heiße.9 Das Fernziel dieser griechischen Aufklärung war indes ein politisches – die Vorbereitung einer nationalen Erhebung gegen die osmanische Herrschaft, wie es das Beispiel des Dichters und Revolutionärs Rigas Velestinlis belegt.
Ein wichtiger Faktor bei der Bezugnahme der Neugriechen auf ihre altgriechischen Vorfahren war die Gründung der Gesellschaft der "Musenfreunde" in Athen im Jahre 1813.10 Zwei Jahre zuvor hatten Freunde um Carl Haller von Hallerstein, Cockerell, Peter-Oluf Bröndtstedt (1780–1842), Forster, Linkh und von Stackelberg bereits einen Freundschaftsbund mit dem Namen XENEION gegründet. Die Aufnahmebedingungen dazu lauteten:
Jeder würdige Mann aus jedem Land, jeder Religion und jeden Alters kann danach streben, XENEIOS zu werden. Die einzige grundlegende Eigenschaft, die er besitzen muss, ist die Begeisterung für Griechenland, für die Literatur, für die schönen Künste der Alten.11
Der erste Präsident der Gesellschaft der "Musenfreunde" war Graf Ioannis Antonios Kapodistrias (1776–1831) aus Korfu. Die Gesellschaft hatte seit 1814 eine aktive Zweigstelle in Wien. Das Hauptziel der Gesellschaft war es, den Griechen die geistige Überlieferung des Altertums zu vermitteln, das Schulwesen neu zu organisieren und die Kunstschätze vor den Raubzügen einiger europäischer "Philhellenen" zu bewahren. Neben Wissenschaftlern und Literaten traten dem Wiener Zweig der Gesellschaft auch Minister, Prinzen und Fürsten bei. Die Zweigstelle in Wien unterstützte auch griechische Studenten an deutschen Universitäten. Diese beseelte – wie Goethe damals sagte – "der Wunsch sich besonders deutsche Bildung anzueignen", und "das Verlangen allen solchen Gewinn dereinst zur Aufklärung, zum Heil ihres Vaterlandes zu verwenden."12 Einer dieser Studenten namens Ioannis Papadopoulos (gest. 1819), der 1817 bis 1818 in Jena als Stipendiat der erwähnten Gesellschaft studierte, traf Goethe mehrere Male und übersetzte sogar dessen Iphigenie 1818 ins Griechische.13
Hierbei muss man auch die Filike Etairia erwähnen, einen geheimen "Freundschaftsbund", der 1814 von griechischen Kaufleuten in Odessa gegründet wurde und einen freimaurerähnlichen Aufbau hatte. Das wichtigste Ziel dieser "Etairia" war nicht nur die Vorbereitung und Durchführung der griechischen Erhebung gegen die osmanische Herrschaft, sondern eine Revolte aller Balkanländer mit russischer Hilfe. Die Protagonisten dieses geheimen Bundes waren Emmanuel Xanthos (1772–1852) aus Patmos, Nikolaos Skouphas aus Arta und Athanasios Tsakalof aus Ioannina.14
Gründe für die Unterstützung Griechenlands
Durch die verschiedenen geschilderten Formen der Griechenlandbegeisterung war der Boden für eine aktive Anteilnahme der Europäer am Aufstand der Griechen bereitet worden. Die Proklamation des griechischen Befreiungskampfs am 6. März 1821 durch Alexander Ypsilantis (1792–1828), einen griechischen Offizier in russischen Diensten, der damals mit einer kleinen Truppe den Pruth überschritt und die Bevölkerung der Moldau und der Walachei zum Aufstand gegen die osmanische Herrschaft aufrief,15 löste spontane Zustimmung in großen Teilen Europas aus. Kurz danach, im April 1821, wurde die Revolution der Peloponnes proklamiert. Die politischen Solidaritätsbekundungen mit den Griechen in Europa und auch in Nordamerika waren die Früchte des oben geschilderten literarischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Philhellenismus.
Angehörige ganz unterschiedlicher Schichten und Milieus bekundeten nun Solidarität und Unterstützung für die Griechen. Die vielfältigen Ursachen bei der Entstehung des Philhellenismus brachte ein zeitgenössischer Beobachter mit den Worten zum Ausdruck:
Alle Parteien vereinigen sich in dem Interesse für die Griechen. Die Frommen werden von der Religion, die Gebildeten von den klassischen Erinnerungen, die Liberalen von der Hoffnung auf altgriechische Republiken als Vorläufer und Pflanzschulen der künftigen allgemeinen Demokratisierung, Republikanisierung Europas bewegt.16
Gewiss kann die Antikenverehrung nicht alleine das Phänomen des Philhellenismus erklären, aber sie spielt zusammen mit den anderen Ursachen doch eine wichtige Rolle für die Begründung des politischen Engagements. Dieses wurde von den Anhängern des Philhellenismus als eine Dankesschuld Europas gegenüber dem antiken Hellas, der "hehren Geburtsstätte aller wissenschaftlichen und künstlerischen Bildung", verstanden.17 Auch erblickten viele Westeuropäer damals in den gegen die osmanische Herrschaft kämpfenden Griechen die direkten Nachfolger der alten Hellenen. Das war ein zentrales Argument in der deutschen philhellenischen Agitation. Der deutsche Philologe Carl Jakob Ludwig Iken (1789–1841) formulierte es folgendermaßen:
... waren nicht ihre [der Neugriechen] Urahnen auch unsere Väter in Gesinnung und in Ausübung der Tugend, in Worten und Werken, nicht auch unsere Ahnen in der Wissenschaft, nicht unsere Muster in der Poesie, unsere Lehrmeister in der Kunst, sind sie nicht noch jeden Augenblick Erzieher unserer Jugend, Bildner unseres Zartgefühls, Richtschnur für den Denker, Führer und Geleit dem Schriftsteller und dem Volkslehrer, Richtscheit für den Geschmack, Kompass und Leitstern im Gebiet der Wahrheit, des Wissens und Empfindens?18
Das Motiv der Dankesschuld spielte auch bei der philhellenischen Bewegung anderer Länder eine wichtige Rolle. Exemplarisch sei hier nur Emile Claude Gaudin (geb. 1768) genannt, der in seiner Schrift Du soulèvement des nations Chrétiennes (1822) dieses Motiv aufgriff und verteidigte. In seinen Augen sollte die griechische Antike alle Äußerungen des Lebens und alle Altersstufen durchdringen.19 Auch bei den griechischen Protagonisten des Befreiungskampfes, wie beispielsweise bei Alexander Ypsilantis, nahm die Behauptung einer Dankesschuld der Europäer einen zentralen Platz ein.20
Das philhellenische Deutschland
Zu den wichtigsten deutschen Unterstützern der griechischen Erhebung von 1821 gehörten unter anderem der Leipziger Philosophieprofessor Wilhelm Traugott Krug (1770–1842), der Münchner Philologe Friedrich Wilhelm Thiersch (1784–1860) sowie der bayerische Kronprinz und spätere König Ludwig I. (1786–1868). Krug war durch Kontakte mit der griechischen Gemeinde in Leipzig auf die Situation in Griechenland aufmerksam geworden. Daraufhin wandte er sich mit einem Programm "Griechenlands Wiedergeburt"am Palmsonntag 1821 an die Griechen in Deutschland und rief zur Unterstützung des griechischen Kampfes auf, indem er betonte:
Die Herrschaft der Türken in Europa kann durchaus nicht als eine rechtmäßige (legitime) angesehn werden; sie ist nur eine angemaaßte (usurpirte). Sie entstand durch einen bloßen Angriffs- und Eroberungskrieg, der nach allen gesunden, d. h. vernünftigen Begriffen vom Völkerrechte nie eine Herrschaft des einen Volkes über das andere rechtlich begründen kann.21
Die Tatsache, dass Krug seinen Zuspruch ein "Programm zum Auferstehungsfeste" nannte, zeigt, welche Bedeutung er christlichen Motiven bei seiner philhellenischen Agitation beimaß. Die Auferstehung des Herrn symbolisierte für ihn auch die Auferstehung Griechenlands.22 Die Neugriechen waren für ihn nicht nur die Nachfahren der alten Griechen, denen Europa seine Kultur und Wissenschaften verdankte, sondern sie waren Brüder im christlichen Glauben. So formuliert er am Ende seines Aufrufs an die Griechen die Vision, dass "die entweihete Sophienkirche ihre Thore öffnet, um euch [Griechen] als Sieger mit dem vorgetragnen Kreuze in ihre weiten Hallen aufzunehmen".23
In seinem Letzten Wort über die griechische Sache vom 1. August 1821, das er Ein Programm zum Michaelisfeste nennt, ermahnte Krug dann auch seine deutschen Mitbürger, Hilfsvereine zu gründen, welche die nach Griechenland ziehenden Freiwilligen und die verarmten griechischen Familien unterstützen sollten. Zwar nannte er diese Art von Hilfe vorsichtig "private Hilfe" und betonte, als Privatmann zu sprechen, der "sich aus menschlicher und christlicher Liebe für die griechische Sache interessiert",24 doch geriet sein Appell an die Deutschen in Konflikt mit der Zensur. Seine Aufforderung, Hilfsvereine zu gründen und Gelder für freiwillige Kämpfer zu sammeln, stieß auf heftigen staatlichen Widerstand. Dennoch hatte Krug mit seinen zwei Programmen großen Erfolg. Seine Schriften verbreiteten sich schnell und lösten eine breite Diskussion über die griechische Sache aus. Tatsächlich wurden zahlreiche philhellenische Vereine in Deutschland gegründet.
Noch zwei Monate vor dem ersten Programm Krugs hatte Heinrich Gottlieb Tzschirner (1778–1828), ein protestantischer Theologieprofessor an der Universität Tübingen, eine anonyme Broschüre mit dem Titel Die Sache der Griechen, die Sache Europas veröffentlicht, die ebenfalls ein großes Echo fand. Tatsächlich unterstützten die protestantischen Kirchen in Deutschland die Griechen und halfen ihnen als Nachfahren der Altgriechen und vor allem als christlichen Brüdern, während die römisch-katholische Kirche keine Hilfsaktion zugunsten der Griechen unternahm. Im Gegenteil, es war dem apostolischen Delegierten Giovanni Antonio Benvenuti (1765–1838) gelungen, den Hafen von Ancona für die Auslieferung von Kriegsmaterial zu sperren. Anders als die Protestanten hat der apostolische Stuhl "von Anfang bis Ende der griechischen Erhebung die strenge Neutralität eingehalten".25
Ein anderes Beispiel für eine tatkräftige Unterstützung der Griechen bot der bereits erwähnte Friedrich Wilhelm Thiersch, Professor für Altphilologie in München, der als Philhellene mitunter auch seinen Familiennamen zu "Thyrsios" gräzisierte. Zusammen mit dem bayerischen Kronprinzen, dem späteren Ludwig I., war er der wichtigste Initiator des bayerischen Philhellenismus. Sowohl das Dankesschuldmotiv als auch das Motiv der Hilfe für die christlichen Glaubensbrüder spielten für ihn eine wichtige Rolle.26 In der politisch restriktiven Atmosphäre des Vormärz trat er für eine Unterstützung der Griechen ein und forderte die Bildung einer deutschen Legion, die an der Seite der Griechen in den Kampf eintreten sollte.27 In der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlichte er zwischen dem 2. Juni und dem 17. September 1821 die viel beachtete Artikelserie Von der Isar. Darin widersprach Thiersch energisch dem Österreichischen Beobachter, dem Sprachrohr Fürst Klemens von Metternichs (1773–1859), und dessen antigriechischer Haltung. Als Thierschs Plan zur Bildung einer deutschen Legion im Juni 1821 der österreichischen Polizei bekannt wurde, forderte Metternich die deutschen Teilstaaten mit einer scharfen Note auf, sofort "dem revolutionären Spiel des Prof. Thiersch und seinen Konsorten ein Ende zu bereiten, das lächerlich sein würde, wenn es nicht verbrecherisch wäre".28 Besonders scharf reagierte die preußische Regierung auf Thierschs Plan. Der preußische Außenminister Christian Günther von Bernstorff (1769–1835) wandte sich in einem Zirkular am 15. September an die preußischen Gesandten und sprach sich wie Metternich scharf gegen den Plan zur Gründung einer Philhellenischen Legion aus, wobei er betonte: "Unter den Aposteln der Freiheit hat … keiner so viel Frechheit und eine so große Verkennung seiner Pflichten und Verhältnisse an den Tag gelegt als der Professor Thiersch zu München."29
Vor allem aber unterstützte auch der bayerische Kronprinz und spätere König Ludwig I. die philhellenische Bewegung mit Wort und Tat. Er las jeden Abend das Evangelium im griechischen Urtext, und sein Arbeitszimmer schmückte ein Büste Homers. Auch bei ihm spielte neben der Liebe zum antiken Hellas die Verbundenheit mit den Griechen im christlichen Glauben eine Rolle. In einem Gedicht des Kronprinzen vom Sommer 1822 heißt es beispielsweise:
Da, wo die Kunst der Menschen blühte,
Des Schönen, Großen Vaterland,
Wo Weisheit wurde dem Gemühte,
Die Wissenschaft einst dem Vaterland.30
Und in einer anderen Strophe desselben Gedichts lesen wir:
Da, wo die früh'sten Kirchen stehen,
Wo Paulus lehrte Christi Wort,
Da soll das Christentum vergehen,
Vertilget werden jetzt durch Mord!31
Ludwig gab Geld, um Gefangene loszukaufen, ermunterte zur Gründung von philhellenischen Vereinen, ließ griechische Kriegswaisen nach München kommen und kümmerte sich um deren Erziehung. Am Tag seiner Thronbesteigung 1825 wandte er sich an die Griechen und versprach ihnen weitere Hilfe:
Jetzt ist die Lyra verstummt, aber das kräftige
Wort,
Tönt von dem Könige aus der Fülle des glühenden
Herzens,
Daß sich's gestalte zur That, Griechen, zu euerem
Heil.32
Zusammen mit Thiersch setzte er sich für die Bildung einer Freiwilligenlegion ein. Griechischen Studenten in München gewährte er Stipendien und verfolgte mit großem Interesse ihre Studien.33 1828 stellt er nach dem Vorschlag von Thiersch den Griechen in München die Salvatorkirche34 zur Verfügung. Schließlich schickte der bayerische König im Juni 1826 eine Abordnung qualifizierter Offiziere und Unteroffiziere unter der Leitung des bewährten Oberstleutnant Carl Wilhelm von Heideck (1788–1861) nach Griechenland. Später, im Jahre 1832, sandte er seinen zweiten Sohn Otto (1815–1867) als König nach Griechenland. Mit ihm kam eine Schar Wissenschaftler, Architekten und Künstler, die entscheidenden Einfluss auf den neugriechischen Staat ausübten.35
Lord Byron
Aus der Reihe der europäischen Dichter, welche sich für die Befreiung Griechenlands einsetzten, ragt die Gestalt des George Gordon Noël Lord Byron (1788–1824) hervor. Goethe hielt ihn für "das größte Talent des Jahrhunderts",36 und auch Alphonse de Lamartine (1790–1869), Shelley, Ugo Foscolo (1778–1827), Alexander Puschkin (1799–1837), Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900), Casimir Delavigne (1793–1843) und Victor Hugo gehörten zu seinen Bewunderern. Der griechische Nationaldichter Kostis Palamas (1859–1943) widmete ihm folgende Verse:
Χῶρες δυνάστευε ὁ Κορσικανός
ὁ Βρετανός δυνάστευε καρδιὲς.
(Länder beherrschte der Korse
Der Brite aber die Herzen).37
Schon während seiner Studienzeit hatte sich Byron in die Werke der klassischen griechischen Literatur vertieft. Politisch vertrat er liberale Ansichten und war ein großer Bewunderer Napoleon Bonapartes (1769–1821). Enttäuscht über die politischen Zustände in England unternahm er 1809 bis 1811 eine Reise in den Orient. In Ioannina begann er den ersten Gesang seines Childe Harold's Pilgrimage. Zu dieser Zeit war Byron noch ein romantischer Freund Altgriechenlands, der in seinen Versen von einem freien Griechenland träumte,38 doch kehrte er später als tatkräftiger Philhellene nach Griechenland zurück. Enttäuscht von der niedergeschlagenen revolutionären Bewegung der Carbonari in Italien suchte Byron damals ein neues Feld der Betätigung. Ermuntert vom Londoner Philhellenenverein trat er die Reise in das aufständische Griechenland an und landete am 3. August 1823 in Argostoli. Am 29. Dezember machte er sich auf den Seeweg nach Mesolongi und organisierte aus eigenen Mitteln eine Kampftruppe von ca. 500 Soulioten. Auch stellte er der damaligen griechischen Regierung große Summen zur Verfügung, um damit eine Flotte zum Angriff auf Lepanto (Naupaktos) zu finanzieren. Doch während seiner militärischen Vorbereitungen erkrankte er am Sumpffieber, dem er am 19. April 1824 erlag. Griechenland empfand Byrons Todals großen Verlust. Mehrere Denkmälerfür den Dichter wurden an verschiedenen Orten Griechenlands errichtet, und ein Stadtteil Athens trägt bis heute seinen Namen. Die Todesnachricht verbreitet sich rasch in Europa, und die griechische Sache trat dadurch wieder in den Vordergrund. "Jetzt erst hatte", wie treffend betont wurde, "der Philhellenismus seinen Märchenhelden, sein Idol, seinen Märtyrer".39
Aus den Reihen der deutschen philhellenischen Dichter sei an dieser Stelle stellvertretend Wilhelm Müller (1794–1827) aus Dessau erwähnt, dessen dichterisches Talent sich im Kontext des griechischen Freiheitskampfes voll entfalten konnte.40 Müllers Muse wurde in Anbetracht der bedrückten politischen Atmosphäre zur "Megära", um mit ihrer Geißel "das Haupt der Pharisäer", den Wortführer der Heiligen Allianz, Metternich, zu schlagen. Der Philhellenismus Wilhelm Müllers wurzelte in seinem Neuhumanismus, in der Romantik, aber vor allem in seiner liberalen politischen Gesinnung. Im Besingen der griechischen Freiheit sah er die beste Möglichkeit, der damaligen deutschen Sehnsucht nach eigener Freiheit Ausdruck zu verleihen.
Europäischer Philhellenismus
Auch die Finanzwelt war in der damaligen philhellenischen Bewegung vertreten. Ein Beispiel ist der Schweizer Bankier Jean Gabriel Eynard (1775–1863).41 Dank der Bemühungen des Grafen Kapodistrias, des ehemaligen russischen Außenministers, der sich von 1822 bis 1827 in Genf aufhielt und ununterbrochen für die Sache seines Vaterlands warb, konnte Eynard für die griechische Seite gewonnen werden.42 Von da an beherrschte er die europäische philhellenische Szene und wurde von allen europäischen philhellenischen Vereinen als Hauptfigur der zweiten Phase ihrer Bewegung anerkannt. Eynard sammelte große Geldsummen, schickte Waffen und Munition, Lebensmittel und Medikamente nach Griechenland43 und koordinierte die Spendenaktionen der europäischen philhellenischen Vereine. Auch schickte er einen Landsmann, François Marcet aus Genf, und einen Engländer, William Romilly, als Berichterstatter nach Griechenland.44
Wegen seines Einsatzes für die Verteidigung des belagerten Mesolongi45 feierte ihn die damalige griechische Regierung als großen Freund Griechenlands und als "Wohltäter".46 Auch im Falle Eynards trugen christliche Gesinnung und neuhumanistisches Bildungsideal zu seinem Philhellenismus bei. Doch dürften bei ihm auch wirtschaftliche Motive eine Rolle gespielt haben, wie z.B. die Etablierung von Handelsbeziehungen mit dem befreiten Griechenland. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Eynard die erste griechische Bank mitbegründet hat.47
Aus den Kreisen der europäischen Politiker seien zwei Männer genannt, die als große Philhellenen gelten: der französische Außenminister Chateaubriand und sein englischer Kollege George Canning (1770–1827). Der Philhellenismus Chateaubriands ist in seinen Schwankungen der Romantik und dem Liberalismus verpflichtet, aber auch Cannings Interesse für das damalige Griechenland hängt mit seiner liberalen politischen Haltung zusammen. Chateaubriand setzte sich 1825 mit einer Denkschrift für die Griechen ein. Am 28. Mai 1826 schrieb er an den Redakteur des Courrier du Léman, Charles Durand: "Egal, was geschehen mag, will ich als Grieche sterben."48
Die europäische philhellenische Stimmung, die sich in unzähligen literarischen und künstlerischen Erzeugnissen niederschlug, erfasste auch den Bereich der Musik: In der Form von Walzern, Opern und Singspielen wurde der heroische Freiheitskampf der Hellenen künstlerisch verarbeitet.49 So spielte Gioachino Antonio Rossinis (1792–1868) Die Belagerung von Korinth (1826) allegorisch auf die Belagerung und Zerstörung von Mesolongi an. In La Révolution grecque. Scène héroïque wiederum, einer Oper von Hector Berlioz (1803–1869), die im Jahr 1828 uraufgeführt wurde, avancierte der Befreiungskampf der Griechen zu einer edel-erhabenen Revolution. Ein philhellenischer Grundton durchwehte auch das Festspiel von Ludwig van Beethoven (1770–1827) Die Ruinen von Athen (op. 113, uraufgeführt im Jahr 1812), das auf einer literarischen Vorlage von August von Kotzebue (1761–1819) basiert.
Die Unterstützungsvereine für die Griechen
Die wichtigste Form philhellenischer Aktivität war zweifellos die Gründung von philhellenischen Vereinen, die durch Spenden und Sammelaktionen das nötige Geld zur Realisierung der verschiedenen Formen der Griechenhilfe zusammenbringen konnten. Kurz nach den Appellen Wilhelm Krugs erfolgte die erste Gründung eines philhellenischen Vereins in Stuttgart im August 1821. Einen Monat später wurde in Darmstadt ein Griechenverein ins Leben gerufen. Bis Ende 1821 entstanden mehrere philhellenische Vereine in Südwestdeutschland und der Schweiz. Von besonderer Bedeutung für die Koordination der Griechenhilfe war im November 1821 die Gründung des philhellenischen Vereins in Zürich mit dem Namen "Zürcherischer Hülfsverein für die Griechen". Kurz darauf entstanden viele weitere philhellenische Vereine in der Schweiz sowie in Deutschland.
In England hatte die philhellenische Bewegung zunächst privaten Charakter. Aber nach dem Massaker von Chioswurden die Philhellenen aktiver und gründeten 1823 in London das "Greek Committee". In Frankreich entstand zunächst ein philanthroper Verein mit dem Namen "Société de la Morale Chrétienne", dessen Aufgabe es war, humanitäre Hilfe für die Griechen zu leisten. 1824 wiederum erfolgte die Gründung des französischen philhellenischen Vereins "Société philanthropique en faveur des Grecs". Zu dessen Aktivitäten gehörte die unmittelbare praktische Hilfe für die aufständischen Griechen. Philhellenische Vereine wurden während des griechischen Befreiungskampfes 1821–1827 auch in anderen europäischen Ländern gegründet, wie z.B. in Italien, Belgien, Schweden, Holland, Spanien, Russland usw. Von besonderer Bedeutung für die amerikanische philhellenische Bewegung war die Proklamation des Präsidenten James Monroe (1758–1831) im Jahr 1823, der den Befreiungskampf der Griechen offiziell begrüßte. Daraufhin erfolgte die Gründung von philhellenischen Vereinen in Boston, New York, Philadelphia und anderenorts.
All diese Vereine veranstalteten verschiedene Aktionen zur Unterstützung des griechischen Befreiungskampfes. Sie finanzierten die Lieferung von Waffen und Kriegsmaterial, Lebensmitteln, Kleidung und sonstiger Hilfe nach Griechenland. Es wurden Kunstausstellungen organisiert; Lithographien mit wichtigen Ereignissen des griechischen Befreiungskampfes wurden massenweise gedruckt und zu Gunsten der Griechen verkauft; Kosmetikartikel wurden mit griechischen Themen dekoriert; griechische Fahnen wurden für die aufständischen Griechen hergestellt und nach Griechenland verschickt. Es gab viele philhellenische Basare, bei denen Tischsets, Weinflaschen, Blumenvasen, Stickereien, Fächer, Tischuhren, Tintenfässer und Schmuckkästchen verkauft wurden, die Abbildungen von sterbenden Kriegern oder verfolgter griechischer Jungfrauen trugen.50 Ein deutscher Konditor verkaufte sogar Kuchen mit einer Dekoration aus philhellenischen Liedern.51 Schließlich wurde der Freiheitskampf der Griechen auch zu einer beliebten Quelle der Inspiration für bildende Künstler wie z.B. Eugène Delacroix (1798–1863), Horace Emile Jean Vernet (1789–1863), Jacques-Louis David (1748–1825), Antoine-Jean Gros (1771–1835) u.a. und Dichter wie Delavigne, Pierre-Jean de Beranger (1780–1857) und Victor Hugo.
Die wichtigste Aktivität der Philhellenenvereine war jedoch die Unterstützung von Freiwilligen, die an der Seite der Hellenen kämpfen sollten. Trotz der kritischen Haltung der europäischen Regierungen waren nach dem Ausbruch des griechischen Befreiungskampfes viele Europäer bereit, selbst nach Griechenland zu fahren, um am Kampf teilzunehmen. Es waren jungen Studenten, Idealisten liberaler Gesinnung, die mit den politischen Zuständen ihrer Länder unzufrieden waren; Offiziere, die nach den Napoleonischen Kriegen ein neues Feld der Betätigung suchten, aber auch Abenteurer, Gescheiterte und Verfolgte. Daher war diese Hilfsaktion nicht unumstritten. Die meisten Freiwilligen kamen in den ersten Jahren des griechischen Aufstandes (Oktober 1821 bis November 1822) nach Griechenland. Mit der Unterstützung der deutschen und schweizerischen Griechenvereine fanden neun Expeditionen von Freiwilligen nach Griechenland statt. Die meisten Freiwilligen in dieser Zeitspanne waren Deutsche (265), doch kamen auch Franzosen (71), Italiener (62), Schweizer (19) und Engländer (12). Auch einzelne Polen und Amerikaner waren beteiligt.52
Besondere Beachtung verdient der erwähnte Plan zur Gründung einer deutschen Legion von Professor Thiersch. Um diese Idee zu verwirklichen, setzte er sich mit griechischen Patrioten wie z.B. Theocharis Kephalas in Verbindung. Die daraufhin zusammengestellte deutsche Legion umfasste schließlich etwa 130 Männer, die allerdings entgegen der strikten Anweisung Thierschs nicht militärisch geschult waren. Sie erreichte Griechenland im November 1822. Es war die neunte und letzte Expedition im angegebenen Zeitraum. Trotz großer Erwartungen hat diese Expedition allerdings nicht ihr Ziel erreicht und wurde wenige Wochen nach der Ankunft in Griechenland aufgelöst.53
Außer den Expeditionen von Freiwilligen unterstützten die philhellenischen Vereine auch griechische Flüchtlinge, die nach Europa und Russland kamen. So retteten sich beispielsweise Reste der Truppe Alexander Ypsilantis über Russland in die Schweiz, um – unterstützt von den dortigen Philhellenen – über Marseille wieder an die griechische Front zu fahren.54 Andere Griechen wiederum flüchteten vor den Kriegswirren nach Ancona. Ihnen wurde nicht von philhellenisch organisierten Vereinen geholfen, sondern von offiziellen Stellen des Kirchenstaates. Eine weitere große Zahl griechischer Flüchtlinge, ca. 52.000, erreichte Odessa und Bessarabien. Sie kamen aus Konstantinopel und den Donauprovinzen. Auch ihnen wurde von offiziellen staatlichen und kirchlichen Stellen geholfen.
Komitees zur Unterstützung von Flüchtlingen wurden in Triest, Ancona, Livorno, Odessa, Marseille, Malta, Amsterdam und Wien gegründet. Durch die bereits erwähnte französische philanthrope Vereinigung "Société de la Morale Chrétienne" wurde im März 1823 ein Unterverein zur Unterstützung griechischer Flüchtlinge unter dem Namen "Comité en faveur des Grecs réfugiés en France" gegründet.
Die philhellenische Bewegung hat mit ihren Aktionen die Einstellung Europas und anderer Länder zu Gunsten der Griechen beeinflusst. Sie hat die Begeisterung für die philhellenische Sache entfacht und am Leben gehalten und in gewisser Weise damit die Kampfhandlungen von Navarino, wo 1827 die entscheidende Schlacht des griechischen Unabhängigkeitskrieges stattfand, begünstigt. "Navarino ist", wie betont wurde, "ein Triumph des Philhellenismus, ein Sieg der Völker über die Politiker".55 Wenn sie auch nicht die ausschließliche Ursache war, so hat die philhellenische Bewegung doch viel zum Erfolg des griechischen Aufstandes beigetragen.
Bayerischer "Staatsphilhellenismus"
Mit den auf den Londoner Konferenzen 1827–1832 ausgehandelten Bedingungen zur Errichtung der neugriechischen Staatlichkeit unter der Ägide der bayerischen Wittelsbacher (1833–1862) trat der europäische Philhellenismus in ein neues Stadium ein – diesmal als eine Art "Staatsphilhellenismus"56 im Regierungsauftrag. Der bayerischen Regentschaft unter Otto I. wurde nicht nur die staatspolitische Aufgabe anvertraut, nach den Wirren von Krieg und Bürgerkrieg ein stabiles Führungs- und Herrschaftssystem durchzusetzen. Die Regierung Ottos musste darüber hinaus eine umfassende, d.h. am westeuropäischen Kulturniveau orientierte, von den Entwicklungshilfeleistung des Bayerischen Staates getragene und die europäische Integration ermöglichende "Regeneration" eines verarmten und rückständigen Landes einleiten.57 Somit wurde der nationalstaatliche Bildungsprozess unentwirrbar mit einem monarchisch-autoritären Modernisierungsregime verbunden. Der Regentschaft, die bis zur Thronbesteigung Ottos (1835) über die Staatsgeschäfte waltete, gehörten der Staatsrat und Staatsminister Joseph Ludwig Graf von Armansperg (1787–1853), der Staats- und Reichsrat und Professor des französischen Rechts Georg Ludwig von Maurer (1790–1872) und der Generalmajor Karl Friedrich von Heideck (1788–1861) an. Obwohl der Regentschaft Ansätze eines zentralistisch funktionierenden Staatsapparats gelangen,58 war dem bayerischen Entwicklungsprojekt des griechischen "nation-building" kein durchschlagender Erfolg beschieden. Sowohl der etatistische Modernisierungsansatz der bayerischen Staatsbürokratie als auch der anti-republikanische Monarchismus der Regierung Ottos machten die philhellenisch motivierten Modernisierer beim griechischen Volk nicht gerade beliebt. Nachdem im Jahr 1843 Otto gezwungen wurde, einen verfassungsgebenden Nationalkongress einzuräumen, dankte er 1862 endgültig ab.
Dank des glühenden Philhellenismus von Ludwig I., König von Bayern, ging mit der Bestimmung Athens zur Haupt- und Residenzstadt des neuen griechischen Staates eine rege Tätigkeit zur baulich-architektonischen Neugründung der Stadt einher. Während des ersten Jahrzehnts der Regierungszeit Ottos wurden mehrere Pläne für Neu-Athen entworfen: Einige wurden teilweise berücksichtigt, andere blieben zeichnerische Vorschläge ohne Folgen.59 Leo von Klenze (1784–1864), königlicher Baurat und von Ludwig I. nach Athen geschickt, war ein romantischer Klassizist und trug wesentlich dazu bei, dass die Akropolis von allen nachantiken Resten gesäubert und die Restaurierung der Bauten in Angriff genommen wurde. Klenze überarbeitete die ursprünglichen Stadtplanentwürfe und fertigte eine Reihe von Plänen für öffentliche Gebäude an. Erfolgreicher in der Realisierung architektonischer Bauten war Friedrich von Gärtner (1792–1847): Nach seinen Plänen wurde die königliche Residenz in Athen, das heutige Parlamentsgebäude, errichtet. Die Architekten und Schinkel-Schüler Stamatis Kleanthis (1802–1862) und Eduard Schaubert (1804–1860) fertigten die ersten Entwürfe für die neuen Städte Athen und Piräus an. Zusammen mit dem Archäologen Ludwig Ross (1806–1859) und dem Architekten Hans Christian Hansen (1803–1883) führte Schaubert die Arbeiten zum Wiederaufbau des Niketempels auf der Akropolis aus.60 Der Hauptvertreter des deutschen Klassizismus, Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), besuchte selbst zwar die neugründete hellenische Hauptstadt nicht, er entwarf aber den Plan für den Bau eines Königsschlosses auf der Akropolis. Da dies jedoch die vollkommene Veränderung der Physiognomie des Burgbergs bedeutet hätte, wurde der Plan von Klenze verworfen. Der bayerische Philhellenismus wirkte sich umgekehrt auch auf das Stadtbild Münchens aus, so wurde der Königsplatz von Karl von Fischer (1782–1820) nach dem Vorbild der Akropolis entworfen.
Jakob Philip Fallmerayer und der Anti-Philhellenismus
Die europäische Griechenlandbegeisterung samt klassizistischen Idealisierungen blieb jedoch nicht unwidersprochen. Pikanterweise ging der Angriff auf das wunsch-, projektions- und sehnsuchtsgeladene Griechenlandbild von einem Mann aus, der nicht der restaurativen Ära der Metternich-Reaktion entstammte, sondern aktiv an der Revolution von 1848 mitwirkte und dafür mit dem Verlust seiner Professur an der Universität München bestraft wurde: Jakob Philipp Fallmerayer (1790–1861).61 Von der These ausgehend, dass die Epochen der Weltgeschichte durch Rassen bestimmt sind, sah er den nationalen Charakter der Neugriechen nicht in der sprachlichen Identität begründet, sondern in ihrer Zugehörigkeit zur slawischen Rasse. So behauptete er, dass auf Grund der Slaweneinwanderung des 6. und 7. Jahrhunderts sowie durch die Ausbreitung der Albaner die Kontinuität der griechischen Rasse höchst zweifelhaft sei.62 Die Kampfansage Fallmerayers gegen die nationale Identität der Neugriechen provozierte eine Reihe von Widerlegungen und Entgegnungen. Alle Gedanken, die die westeuropäischen Philhellenen gegen seine Thesen und für eine kulturhistorische nationale Kontinuität zwischen Alten und Neuen Griechen vorbrachten, wurden von der griechischen Historiographie des 19. Jahrhunderts übernommen und bilden seitdem Hauptbestandteile des griechischen Staats- und Gesellschaftsverständnisses.63