Militär als Organisation
Militär als vermeintlich perfekte Verkörperung formaler Hierarchie gilt als das "paradigmatische Vorbild" für Organisation.1 Diese bezieht sich auf die Dimensionen von "Ordnung", von "institutionellem Gebilde" und "sozialer Gemeinschaft".2 Neben der "Aufbauorganisation", also den militärischen Gliederungselementen gehört auch die "Ablauforganisation", also die Verfahren militärischer Führung zur "Institutionalisierung".3 Diese Dreieinigkeit4 kann mit dem paradoxen Satz umrissen werden: Organisation (als Institution) organisiert (ablauforganisatorisch) Organisation (als Aufbauorganisation).
Als "Militärorganisation [gilt] ein soziotechnisches Subsystem, das ein zugeordnetes Sozialsystem befähigt, bewaffnete Auseinandersetzungen gegen andere Sozialsysteme zu führen".5 Es geht um die "organisierte Anwendung von Gewalt zwischen kriegführenden Parteien".6 Wenn bisweilen bemerkt wird, ein "Begriff der Organisation" ließe "sich nicht eindeutig definieren",7 verdeutlicht dies die Vielzahl der Konzepte. In Anlehnung an das Organisationsverständnis der militärischen Planer steht hier, anders als in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, die "Aufbauorganisation" im Fokus der Betrachtung. Die sozialwissenschaftliche Literatur widmet sich dagegen allgemeinen Institutionalisierungsprozessen. Anders als auf der militärischen "Schauseite" buchstäblich parademäßig präsentiert, standen formale und informale Aspekte der Organisation im steten Wechselspiel.8 Dies erklärt die zeit- und perspektivgebundene "Temporalität" der Organisation.9 Aus der Eigensicht wurde die "Organisiertheit" des Militärs selten thematisiert, sondern schlicht vorausgesetzt. Dies verdeutlicht, wie sehr gesellschaftlich (re)produzierte Denkformen soziale Systeme (re)produzieren.10
In Europa wurde es erst ab dem 18. Jahrhundert üblich, das "Zivile" dem "Militär" begrifflich gegenüberzustellen.11 Die Uniformierung ab dem späten 17. Jahrhundert und die im 19. Jahrhundert beschleunigte Kasernierung verdeutlichen die funktionale Abgrenzung der Truppe von ihrem Umfeld. Die von Max Weber (1864–1920)[] als "Idealtypus" herausgestellte "Bürokratisierung des Heeres" verweist auf Organisationsprozesse zur Schaffung einer "unpersönlichen Ordnung" als "kontinuierliche[n], regelgebundene[n] Betrieb von Amtsgeschäften" mit klarer Zuweisung hierarchischer und sachlicher Zuständigkeiten.12 Die Gliederungsformen und Dienstgradstrukturen bildeten sich während der Frühen Neuzeit in einem gesamteuropäischen Prozess heraus. Da militärisch organisierte Gewaltakteure nach europäischer Art ihre eigenen Organisationsmuster aktiv verbreitet haben, kann dieses Thema kaum in "nicht-hegemonialer" Sichtweise abgehandelt werden: Was weltweit völkerrechtlich anerkannt als Militär gilt, beruht letztlich auf westlichen Organisationsvorstellungen. Um ein Mindestmaß an Darstellbarkeit zu gewährleisten, stehen hier französische und preußisch-deutsche Beispiele im Vordergrund. Diese Perspektive muss jedoch berücksichtigen, dass auch hier die modellbildende Wirkung im Rahmen gesamteuropäischer Transferprozesse erfolgte.
Organisation, Verstaatlichung und Institutionalisierung
Die Abgrenzung von Spätmittelalter und Früher Neuzeit ist eine "aus der Geschichte der Geschichtswissenschaft erwachsene willkürliche Grenzziehung".13 Möglicherweise sind die militärischen Organisationsprozesse bei der Ausformung des territorialstaatlichen Gewaltinstruments so markant, dass diese staatlich-militärische Organisationslogik die historiographische Zäsurbildung mitbestimmte. Zudem wirkten organisatorisch vorgeformte Sollens-Normen mit deskriptiven Seins-Normen zusammen: Was die Landes- und Kriegsherrn als Finanzierungs-, Ausrüstungs- und Personalstärke normativ einforderten, hielt die ältere Geschichtsschreibung oft unbesehen für die Wirklichkeit; eine Vorstellung, die von der jüngeren Militärgeschichte revidiert worden ist.14 Gleichzeitig hat diese jedoch die Organisationsgeschichte weitgehend ausgeblendet, sodass die Möglichkeit ungenutzt blieb, Ergebnisse der wirtschaftswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Organisationsforschung aufzugreifen. Denn das in der Organisationssoziologie hervorgehobene Nebeneinander von formalisierter und nicht-formalisierter Herrschaft15 kennzeichnet auch das reguläre Militär.
Carl von Clausewitz (1780–1831)[] bezog seinen Organisationsbegriff sowohl auf "Elementartaktik" als auch auf die "Organisation und Administration der Streitkräfte" zur "Schaffung, Ausbildung und Erhaltung aller Streitkräfte". Wenn er sich zudem auf "Vernichtung" des Gegners bezog, dann auf die Zerstörung seiner militärischen Organisation. Nahezu modellhaft erfolgte dies, als die von Napoleon I. (1769–1821)[] 1805 neu organisierte Grande Armée das preußische Heer in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt vom 14. Oktober 1806 besiegte und Preußen in seine "große Katastrophe" stürzte. Dem Zusammenbruch folgte dort die konsequente Militärreform; ein buchstäblich schlagendes Beispiel für die Transformations- und Transferprozesse der europäischen Heere. Die Armeen seien sich, so Clausewitz, "einander an Bewaffnung, Ausrüstung und Übung so ähnlich, dass zwischen den besten und schlechtesten kein sehr merklicher Unterschied … besteht."16 Den organisatorischen Zuschnitt militärischer Verbände erörterte er als Gratwanderung zwischen Koordination des Ganzen und der Autonomie der Teilbereiche:
1. Hat ein Ganzes zu wenig Glieder, so wird es ungelenk. 2. Sind die Glieder eines Ganzen zu groß, so schwächt dies die Macht des obersten Willens. 3. Mit jeder neuen Stufenfolge des Befehls wird die Kraft desselben […] geschwächt, einmal durch den Verlust, den sie beim neuen Übergang macht, zweitens durch die längere Zeit, die der Befehl braucht.17
Schon Clausewitz kritisierte, "daß ein Befehlshaber an allen Teilen seines Korps eine Art Eigentumsrecht zu haben glaubt".18 Die dieser Verselbständigungstendenz Einhalt gebietende Militärbürokratie erschien indessen ihren Kritikern als überorganisiert und unflexibel. Die Polarität von "kalter" und "heißer Organisation" beschreibt zwei unterschiedliche "Aggregatzustände" zwischen der kalten "Grundgliederung" der Aufbauorganisation gegenüber der heißen "Gefechtsgliederung". Dem Militär kommt somit ein Doppelcharakter zu: als Idealtyp hierarchischer Organisation wird es durch Funktionsträger getragen, die oft auf ein vor-bürokratisches Erbe rekurrieren19.
Die Geschichte militärischer Organisationsformen: Ein Überblick
Frühe Neuzeit
Die Aussage Max Webers, dass sich vormoderne Heeresgliederungen ursprünglich an die "Sippengliederungen" anlehnten,20 ist im Sinne der fließenden Übergangszonen zwischen familiär Verbundenen, Dienstpflichtigen und geworbenen Söldner zu erweitern.21 Diese Rekrutierungsformen bildeten die Basis für die in Europa seit der Neuzeit über-personal konstituierte militärische Organisation. Außereuropäische militärische Organisationsstrukturen, etwa in China, im Mogulreich, in Persien, in den präkolumbischen Reichen Amerikas und in den afrikanischen Reichen wurden in vergleichender Perspektive bisher auch dort nicht eingehend untersucht, wo eine dezidiert globale Betrachtungsperspektive eingenommen wird.22 Nur punktuell wurde etwa auf den Einfluss chinesischer Organisationsformen auf die mongolische Armee unter Dschingis Khan (um 1160–1227)[] verwiesen. Im dschingissidischen Imperium etwa bildete die Umformung von patrimonial-ethnisch organisierten Streitkräften zu Großverbänden mit verschiedenen Waffengattungen die Grundlage für die Expansion.23 Dessen auf Zehnerbasis basierenden Gliederung bis zur Ebene des 10.000 Mann umfassenden Tümen bildeten ein organisatorisches Erbe, das in den Nachfolgegebilden dieses Reichs fortwirkte und Transferprozesse bis zum frühen Osmanischen Reich einleitete.
In Europa bildeten sich seit dem Hohen Mittelalter große Söldnerverbände von bis zu mehreren Tausend Kämpfern. Diese wurden als "Kompagnien" (compagnie di ventura, grandes' compagnies) bezeichnet, die sich ihrerseits in Banner sehr unterschiedlicher Größe gliederten.24 Die Basis für diese Gewaltgemeinschaften bildete der Anwerbevertrag (Condotta), von dem sich die Bezeichnung des Gewaltunternehmers als Condottiere ableitet.25 Meist blieben militärische Gliederungsformen bis zur Frühen Neuzeit wenig ausdifferenziert.26 Gleichwohl teilte die französische Königsgewalt ihre bewaffneten Gefolgsleute um 1340 in zwölf Großverbände (batailles) ein, denen im späten 14. Jahrhundert fester gefügte Verbände (grosses routes) folgten, die sich wieder in je zehn Einheiten (chambres) gliederten. Schon die Erwähnung dieser Formationen bezeugt den Willen des Monarchen, Kräfte nachprüfbar zu mobilisieren und zu vergüten.27
Die Ordonnanzkompanien des französischen Königs Karls V. (1338–1380) gelten oft als Beginn stehender Heere. Ähnliche Formationen etablierten sich auch in Burgund und Portugal, sodass spätestens seit dem Hundertjährigen Krieg stehende Verbände existierten.28 Parallel hierzu erfolgte die Institutionalisierung von Ämtern, der juristischen und finanziellen Regelung von Rechten und Pflichten sowie die Herausbildung einer logistischen Infrastruktur. Paradigmatisch hierfür wurde die "Feldlagergesellschaft" der "Landsknechte" und später des Dreißigjährigen Krieges.29 Um die Wende zum 16. Jahrhundert wurden die geschlossenen Gewalthaufen nach Art der eidgenössischen Reisläufer durch Schützen mit Handfeuerwaffen ergänzt, sodass sich unterschiedliche Waffengattungen ausdifferenzierten. Der Name "bataglione" bezeichnete zu dieser Zeit die in Gefechtsformation aufgestellte Truppe; analog zum "Viereck" (squadrone) der Kavallerie. Nach dem Vorbild römischer Legionen bestanden die Regimenter der kaiserlichen wie der spanischen Habsburgerheere formal aus jeweils zehn Kompanien. Faktisch variierte die Bandbreite erheblich, doch verstetigten sich die Regimentsstärken auf 2.000 bis 3.000 Mann bei der Infanterie und rund 1.000 Mann bei der Reiterei; so blieb es bis ins 20. Jahrhundert.30 Das "Wechselspiel zwischen autoritativer Macht" und selbstorganisierter "Folgebereitschaft" der Kriegsknechte wich zunehmend einer "Organisation" im Sinne des Kriegsherrn.
Die in der spanischen Armee während des Achtzigjährigen Krieges gegen die Niederländer (1568–1648) aufkommende Gefechtsaufstellung des Tercio ("ein Drittel") umfasste bis zu 3.000 Mann an Pikenieren, Musketieren und Arkebusieren, wogegen die sogenannte Niederländische Ordonnanz so wie später die Schwedische Ordonnanz breitere und dafür dünnere Formationen vorsah. Die gesteigerte Feuerkraft erforderte erhöhte Führungsleistung. Die Kavallerie differenzierte sich aus in schwere, teilgepanzerte Kürassiere und leichte Kavallerie oft osteuropäischen Ursprungs. Die Dragoner kämpften vor allem als Fußtruppe, bewegten sich aber zu Pferde zwischen den Orten ihrer Einsätze.31 Trotz der großen Demobilisierungen nach Ende des Dreißigjährigen Krieges kann in "institutioneller" Hinsicht von "stehengebliebenen Heeren" gesprochen werden; freilich mit einer großen Bandbreite der Entwicklungen.32
Das kriegsbedingt ohnehin risikoreiche Geschäft der Kriegsunternehmer ermöglichte Spielräume für eine wechselseitige Übervorteilung zwischen Kriegsherrn, Feldherrn, Offizier und Soldaten. Dieses in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur erörterte "Agency-Problem" steht am Anfang der frühneuzeitlichen Militärökomonie:33 Um dieser Problematik Herr zu werden, vollzog sich ein fortwährender Prozess des Insourcing von Gewaltakteuren, ihrer Logistik und Administration. Paradigmatisch wirkten die französischen Intendanten und später die "Kommissare" in Kurbrandenburg-Preußen.34
Im Osmanischen Reich entstanden stehende Truppenkörper ab dem 14. Jahrhundert. In der ersten klassischen Periode unter Mehmed II. (1432–1481)[] existierte eine nach Herrschernähe und Präsenzgrad gestaffelte Einteilung der Armee: Zu den stehenden Truppenteilen (Kapıkulu, "Sklaven der Pforte") gehörten die Eliteinfanterie der Janitscharen sowie Kavallerie, Artillerie und technische Truppen. In den Provinzen bestanden Armeen auf lehensähnlicher Grundlage, in den Randzonen des Reiches Grenzverbände, die jeweils durch Halbsöldner oder Provinzialaufgebote verstärkt werden konnten.35 Ihr Spiegelbild fand die Reichssicherung an der Militärgrenze des Habsburgerreiches durch südslawische Milizen.36
Die Organisation des französischen Heeres konsolidierte sich um 1600 zu Regimentern. Im späten 17. Jahrhundert strahlte das Modell der französischen Armee Ludwigs XIV. (1638–1715)[] auf andere europäische Armeen aus, sodass sich die bis zur Gegenwart erhaltenen Offizierdienstgrade herausprägten. Der Oberst (colonel) fand seinen Stellvertreter im Oberstleutnant (lieutenant-colonel); der Hauptmann (bei der Kavallerie der Rittmeister) den seinen im Leutnant (lieutenant). Ursprünglich auf Regimentsebene oder in Garnisonstädten wirkte der Major als diensthabender Offizier für Angelegenheiten des Tagesdienstes. Um 1700 wurde das Bataillon eine dauerhaft bestehende Gliederungsebene, die bis zum 20. Jahrhundert von einem Major geführt wurde. Zunehmend wurden die Offizierstellen vom König anstelle der militärischen Subunternehmer verliehen.37 Trotz der absolutistischen Rhetorik Ludwigs XIV. bestand jedoch die Abstützung auf Subkontraktoren fort. Hier, im Stellenkauf sowie im Rahmen der Regiments- und Kompaniewirtschaft blieben bis zum Ende des Ancien Régime Elemente des Militärunternehmertums erhalten.38 So wirkten personelle Netzwerke fort.39
In der Gefechtsaufstellung der preußischen Armee gliederte sich das Infanteriebataillon in mehrere Feuereinheiten, die als "Divisionen" (= "Abteilungen") bezeichnet wurden. Allerdings stimmten sie nicht mit Elementen der Grundgliederung, also den Kompanien überein. Zusätzlich besaß jedes Infanterieregiment Grenadierkompanien, die im Gefecht mit ihren Gegenstücken aus anderen Regimentern zu eigenständigen Grenadierbataillonen zusammengefasst wurden.40 Ähnliche Prozesse der Institutionalisierung vollzogen sich im 18. Jahrhundert bei der Reiterei, während die Geschütze der Artillerie nur fallweise zu Batterien zusammengefasst wurden.
Vom Ende des Ancien Régime zum Zeitalter der Revolutionen
Im späten 18. Jahrhundert erfolgte eine Systematisierung der Begriffe "Taktik" und "Strategie".41 Während nach dem Siebenjährigen Krieg die preußischen Kriegserfahrungen zu einer europaweit stilbildenden Ausprägung der Lineartaktik systematisiert wurden, erörterten zumal französische Militärtheoretiker die Vorzüge und Nachteile einer "tiefen" gegenüber einer "dünnen" Schlachtordnung. Im Zuge der europäischen Aufklärung sowie unter dem Eindruck des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts beschleunigte sich die Verwissenschaftlichung des Militärwesens. Dies galt sowohl für die Befestigungskunst und die Ballistik als auch für Aspekte von Taktik, Pädagogik und (Kriegs)Geschichte. So wiesen Konzepte des französischen Marschalls Moritz von Sachsen (1696–1750) und später Jacques-Antoine Hippolyte Comte de Guibert (1743–1790) in die Richtung einer festen Integration aller drei Hauptwaffengattungen und lieferten so Impulse für die Armeen der Französischen Revolution und Napoleons.42 Ein Konzept "verbundener Waffen" vertrat auch Graf Wilhelm von Schaumburg-Lippe (1724–1777), der in seinem deutschen Kleinstaat genauso wie als Oberbefehlshaber der portugiesischen Armee reguläre Infanterie, Milizen, Artillerie und technische Truppen zusammenfasste. Dies beeinflusste später die preußischen Reformer.43 Neubewertungen von Taktik, Mobilisierung und Organisation ergaben sich auch unter dem Eindruck des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges.
Bis zum Ende des Ancien Régime existierten auf der Führungsebene oberhalb des Regiments zumeist keine dauerhaften Gliederungsformen. Daher bedurfte die Aufstellung zur Schlachtordnung oder die Zusammenstellung zu "Korps" jeweils einzelfallbezogener Einteilungen. Insbesondere für Aufgaben des sogenannten kleinen Krieges wurden Truppenteile unterschiedlicher Waffengattungen zu "Detachements" zusammengefasst.44 Gleichwohl wiesen Militärschriftsteller wie Guibert und der spätere preußische Heeresreformer Gerhard von Scharnhorst (1755–1813)[] darauf hin, dass schon im Siebenjährigen Krieg "Divisionen" sowohl in der französischen wie in der pro-preußischen Koalitionsarmee des Herzogs Ferdinand von Braunschweig (1721–1792) als gemischte Verbände eingesetzt wurden.45 Die Armee des vorrevolutionären Frankreich bildete bereits aus mehreren Regimentern ihrer Waffengattung unter Zugabe von Artillerie, Infanterie- und Kavalleriedivisionen.
Versuche für Institutionalisierungsprozesse nach europäischem Muster bezeugen die parallel zu den Innovationen in der revolutionären Französischen Armee erfolgenden osmanischen Reformen des Nizam-ı-Cedid (Nizâm-ı Cedîd Ordusu, "neues Regiment", "neue Ordnung"). Bezeichnenderweise erfolgte die in den 1790er Jahren begonnene Aufstellung einer Truppe nach europäischem Muster unter Sultan Selim III. (1762–1808) aus Furcht vor dem Widerstand konservativer Militärs, speziell der Janitscharen, zunächst im Verborgenen. Im Mai 1807 wurde Selim III., im Folgejahr sein kurzzeitiger Nachfolger abgesetzt und getötet. Daher wurde das Reformprojekt unter Mahmud II. (1785–1839) zunächst sehr behutsam weiterverfolgt. Währenddessen schwang sich in der osmanischen autonomen Provinz Ägypten der Offizier Mehmet (Muhamad Ali, 1769–1849) in blutigen Kämpfen gegen die herrschende Militärelite der Mamluken zum lokalen Machthaber auf und initiierte ab 1811 Militärreformen nach europäischem Muster.
Mit der Französischen Revolution entwickelte sich ein modernes Organisationsverständnis.46 Zunächst aber propagierten die Revolutionäre das Konzept der "Nation in Waffen". Deren "Bürgersoldat" erschien geradezu als das Gegenteil der durch vorangegangene Professionalisierung vom "Volk" scheinbar abgetrennten "Söldner". Die im Frühjahr 1792 in der Marseillaise besungenen französischen Freiwilligenbataillone wurden als mehr patriotisch als professionell ausgerichtete Verbände neben denen der Linienarmee aufgestellt. Im Sommer 1793 proklamierten die Revolutionäre eine totale Mobilisierung der Bevölkerung; Anfang 1798 folgte das Gesetz zur allgemeinen Wehrpflicht aller Franzosen im Alter zwischen 20 und 25 Jahre. Das kleine satirische Wörterbuch der Revolutions-Sprache von 1799, offensichtlich eine konterrevolutionäre Propagandaschrift, bezeichnete als "Organisieren" ("organiser") all jene Verfahrensweisen der Revolutionsarmeen, um "ein Land auf französische Art ein[zu]richten", darunter auch die "Conscription": "Schlachtvieh zur Armee treiben".47 Infolge der Wehrpflicht stieg die Truppenstärke Frankreichs von rund 100.000 Mann (1789) auf 750.000 (1794), um ab 1807 konstant über einer halben Million zu bleiben. In den Jahren 1800 und 1814 erfolgte die Mobilisierung von zwei Millionen Wehrpflichtigen in Frankreich und einer weiteren Million in den neuen Départements der annektierten Gebiete. Aufgrund der mangelnden Professionalität der politisch favorisierten Freiwilligenverbände verfügte die Revolutionsregierung deren "Amalgamierung" mit den Formationen der alten Armee. Jeweils ein Linien- und zwei Freiwilligenbataillone formierten damit eine Halbbrigade (demi-brigade); ein Begriff, der die als reaktionär empfundene Bezeichnung "Regiment" umgehen sollte.
Um 1808 bestanden die Bataillone aus je vier (oder auch mehr) Füsilierkompanien sowie je einer "schweren" Grenadierkompanie. Hinzu kam ab 1805 eine "leichte" Voltigeurkompanie. Die ab 1803 wieder so benannten Regimenter bestanden aus zwei bis drei Bataillonen.48 Seit 1797 bestanden Infanteriedivisionen zu mehreren (sechs bis elf) Bataillonen Infanterie, die organisch mit Artillerie und teils auch mit Kavallerie verbunden waren. Das französische Konzept des "ordre mixte" kombinierte die Lineartaktik mit tief gestaffelten Kolonnen und "zerstreut" kämpfenden Schützen.49 Die organische Mischung verschiedener Waffengattungen erfolgte in den unter Napoleon I. im Jahr 1803 geschaffenen Korps. Dieser Großverband umfasste bei einer Personalstärke von rund 25.000 bis 30.000 Mann zwei bis vier Infanteriedivisionen, drei bis vier Kavallerieregimenter und zwei Artilleriebatterien, ferner Pionierkräfte, technische Truppen und ein Trainbataillon. Jede Division konnte in jeweils zwei oder mehr Brigaden eingeteilt werden.50 Ab dem Jahr 1800 erhielten auch die zivilen Fuhrknechte sowie die Angehörigen des Sanitätsdienstes den Status als Soldaten. Dieses Organisationsmodell übernahmen die Rheinbundstaaten.51
Besonders wirkmächtig wurden die Militärreformen nach (indirekt) französischem Vorbild im von Napoleon niedergeworfenen Preußen. Selbst wenn die 1807 ins Leben gerufene Militär-Reorganisationskommission unter ihrem Vorsitzenden Scharnhorst pragmatisch an der Steigerung der militärischen Schlagkraft arbeitete, war ihren Mitarbeitern bewusst, dass die Militärreform an den Grundlagen der gesellschaftlich-politischen Ordnung rührte. Die Reorganisation betraf Änderungen hinsichtlich der Menschenführung, des Rechtssystems und der Offizierauswahl und -ausbildung.52 Die im preußischen Reglement von 1812 erlassenen Gliederungsmuster blieben in ihren Grundprinzipien bis 1888 gültig: Je zwei Musketierbataillone bildeten mit einem leichten Füsilierbataillon ein Infanterieregiment. Jedes Bataillon bestand aus vier Kompanien; auf Regimentsebene existierten zwei Grenadierkompanien. Die preußische "Truppenbrigade" von 1812 umfasste zwei Infanterieregimenter. Nach Kriegsausbruch im März 1813 wurden je ein Linien-, ein Reserve- und ein Landwehrinfanterieregiment zu einer Brigade zusammengefasst, die ihrerseits zusammen mit einer Kavalleriebrigade zu je zwei Kavallerieregimentern ein preußisches Armeekorps bildete. Ab 1818 erhielten diese Großverbände – so wie in Frankreich üblich – den Namen Division; die Brigadeebene zu jeweils zwei Regimentern gleicher Waffengattung blieb allerdings beibehalten. Die Infanterieregimenter verfügten über drei Bataillone, zwei Linien- und ein leichtes Füsilierbataillon; letztere bestanden aus vier Kompanien zu je 125 Mann.53
Die Organisationsvorstellungen nach europäischen Muster wurden seit dem 18. Jahrhundert auf nicht europäische Kriegsschauplätze gleichsam exportiert. Wie in Europa entwickelten sich diese aus den bestehenden Gewaltmärkten heraus, wobei sich zunächst auch europäische Gewaltakteure in den Dienst etablierter Mächte stellten – so die britische East India Company im Dienst Mogulreiches. Die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf den Gewaltmärkten Südasiens auftretenden französischen und britischen Söldner trugen ab Ende des 17. Jahrhunderts zur Verbreitung von Ausbildungs- und Organisationsmustern nach europäischer Art für indische Soldaten (Sepoys) bei. Dieser Prozess verstärkte sich während des Siebenjährigen Krieges, sodass in den 1780er Jahren 100.000 Mann in den Diensten der britischen East India Company standen. So wurden die Sepoys in "hybriden Kampfverbänden" mit europäischer Taktik, Disziplin und Organisation zusammengefasst.54 Militärische Institutionalisierungskonzepte standen im Hintergrund des Aufstandes gegen die britische Ostindienkompanie von 1857: Die rebellischen Soldaten trieb letztlich die Furcht um, dass mit ihrer organisatorischen Autonomie auch Privilegien abgebaut werden könnten,55 genauso wie bei den europäischen Soldunternehmern und Soldaten in den zwei Jahrhunderten zuvor. Mit dem definitiven Ende des Mogulreichs und dessen Übernahme durch das British Raj ab 1858 entstand so eine in Regimenter nach europäischem Muster gegliederte hybride indisch-britische Armee.56
Wehrpflichtheere vom 19. Jahrhundert bis zum Zeitalter der Weltkriege
Die Umsetzung der allgemeinen Wehrpflicht bildete bis ins späte 20. Jahrhundert die Kernherausforderung in der Organisation der europäischen Landstreitkräfte. Ungeachtet unveränderter Gliederungsformen eskalierte der Streit um die Organisation der preußischen Landwehr zum Verfassungskonflikt von 1862 bis 1866. Eine vordergründige Frage der Heeresorganisation, die um die Zuteilung der qua Wehrpflicht geschaffenen Personalreserven und die Professionalität ihres Führungskorps kreiste, bildete nicht nur den Anlass für den Karrierebeginn Otto von Bismarcks (1815–1898) als preußischer Ministerpräsident, sondern heftete sich auch an den Mythos des preußisch-deutschen Reichs und seiner Armee als Modell für Organisationsvorstellungen im In- und Ausland.57 Von nun an standen Mobilisierung, Verlegung und Einsatz von Massenheeren durch einen leistungsfähigen Generalstab im Vordergrund. Speziell im preußisch-deutschen Generalstab verfestigte sich ein operatives Denken, welches das Kriegsbild bis weit ins 20. Jahrhundert prägte.58
Die im Zeitalter Napoleons ausgeformten Gliederungen bestimmten noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts das Aussehen der Streitkräfte in Europa und weltweit: Eine Übersicht aus dem Jahr 1914 zeigte fast identische Verbandsgliederungen von Argentinien bis zu den Vereinigten Staaten, von Montenegro bis zum Deutschen Reich.59 Das deutsche Friedensheer von 1914 verfügte über 25 Armeekorps mit 800.000 Mann, das zu Beginn des Ersten Weltkrieges auf 3,8 Millionen Mann aufwuchs. Im weiteren Kriegsverlauf betrug dessen durchschnittliche Feldstärke 6,4 Millionen Soldaten.60 Oberhalb des Korps etablierte sich die Ebene der Armee.
Auch im Osmanischen Reich verbanden sich Militärreformen mit heftigen Auseinandersetzungen um die Neuzuteilung politisch-gesellschaftlicher Machtressourcen. Nachdem das Reformprojekt Sultan Mahmuds II. im Mai 1826 eine erneute Janitscharenrevolte auslöste, folgte die gewaltsame Auflösung dieser vormaligen Elitetruppe. Der im Jahr 1839 vom Sultan dekretierte Tanzimat-Prozess (Tanzimat-ı Hayriye, "verheißungsvolle Neuordnung") proklamierte Militärreformen nach europäischem Vorbild. Die Wiederaufnahme des Reformprojekts wurde durch den Großadmiral und Großwesir Hüsrev Mehmed Pascha (1769–1855) eingeleitet, der eine Einteilung der osmanischen Armee in Regimenter, Bataillone und Kompanien nach europäischem Vorbild durchsetzte. Zu diesem Zweck wurden französische und britische, später auch preußische Offiziere als Militärberater eingesetzt. Das im späten 19. Jahrhundert wirkende preußische Modell der Osmanischen Armee wurde bis zum Ersten Weltkrieg durch deutsche Militärmissionen unterfüttert.61 In ähnlicher Weise wirkte das französische, später das preußische Militärmodell im Zuge der ab 1868 eingeleiteten Meiji-Restauration in Japan.62
Die im 19. Jahrhundert globale Dominanz europäischer Militärorganisation und -taktik trat besonders deutlich in den Kolonialkriegen hervor. Die Einnahme Algiers durch französische Truppen im Sommer 1830 und die folgenden jahrzehntelangen Kämpfe führten zu einer Anpassung der französischen Afrika-Armee. Neben der seit 1831 bestehenden Fremdenlegion, den Disziplinareinheiten und regulären Infanterieregimentern kamen hier tribal organisierte Hilfstruppen zum Einsatz, so die "tirailleurs africains" (ab 1855 "Turcos") sowie die später durch europäische Soldaten ergänzten Zouaven. Die in verschiedenen Graden regulierten und "europäisierten" Truppen belegen den militärischen Kulturtransfer in beiderseitige Richtung.63
Aus der Massenmobilisierung der europäischen Heere gingen im Zeitalter der Weltkriege Konzepte einer "Organisationsgesellschaft" hervor, die nun auch die Ordnung der zivilen Sphäre nach militärischen Mustern beinhaltete. So erblickte der deutsche Philosoph Otto von der Pfordten (1861–1918) im Jahr 1917 in "[u]nserem herrlichen deutschen Heere" das Muster "einer vorbildlichen Organisation" und hielt "organisieren" für "einen Zentralbegriff dieses Weltkrieges".64 Zeitgleich stellten die russischen Revolutionäre die Ökonomie unter das Paradigma des Krieges, so wenn Lev D. Trockij (1879–1940)[] im Jahr 1920 die "Militarisierung der Arbeit" mit der "Industrialisierung des Heeres" in eins setzte.65 Die 1913 veröffentlichte "technokratische Utopie"66 des US-Amerikaners Frederick W. Taylor (1856–1915) eines nach "Grundsätzen wissenschaftlicher Betriebsführung geleiteten Industriebetriebes"67 wurden rasch in Deutschland, aber auch in der jungen Sowjetunion rezipiert.68 Unter dem Eindruck dieser in Militär, Staat und Wirtschaft greifenden Konzepte warnte der von der katholischen Soziallehre beeinflusste Götz Briefs (1889–1974) im Jahr 1917 vor einer Vereinnahmung des Individuums durch "die herrschende Organisationspsychose".69
Angesichts der Thematisierung der Organisation aus unterschiedlichen Richtungen ist für die Mitte des 20. Jahrhunderts von einer "Organisationsgesellschaft" oder auch "organisierten Gesellschaft" gesprochen worden.70 Daher prägten die autoritären Staatsführungen der Zwischenkriegszeit eine militarisierende Begrifflichkeit auch für nicht militärische Institutionen.71 In ihrem kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erschienenen Werk über die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft stellte Hannah Arendt (1906–1975) an den "Organisationsformen totalitärer Bewegungen" heraus, dass sie in der Lage seien "Menschen so zu organisieren, daß sie sich nach den Gesetzen dieser [ideologisch geformten] fiktiven Wirklichkeit bewegen".72 Die militaristische Übertragung des Militärischen auf die Gesellschaft kulminierte in der Aneignung eines militärischen Erscheinungsbildes durch den nationalsozialistischen Partei- und Terrorapparat. Dies mündete letztlich in der Aufweichung der vormals Organisations-konstituierenden Grenze zwischen Militär (Wehrmacht), Polizei, und Parteiarmee (Allgemeine SS, Totenkopfverbände und Waffen-SS) sowie den zahlreichen weiteren uniformierten Gliederungen. Der Entgrenzung der Konzeption des Krieges entsprach eine Entgrenzung des militärischen Organisationsgedankens; auch bei den NS-Mord- und Terrormaßnahmen.73
Die beispiellose Aufrüstung des NS-Regimes führte bis 1939 zu einem Friedensumfang der Wehrmacht von einer Million Mann, der bis Mitte 1940 zu einer Personalstärke von 5,7 Million wuchs. Davon gehörten 4,4 Millionen dem Heer an.74 Im Gegensatz zu ihren vom Gerät her teils überlegenen französischen Gegnern bündelte die deutsche Operationsplanung für den Frankreichfeldzug von Mai/Juni 1940 ihre Angriffsspitzen zu einer "Super-Panzerarmee" aus vier Korps mit sieben Panzer- und drei motorisierten Infanteriedivisionen. An den Westfeldzug heftete die NS-Führung ihr propagandistisches Bild, das als "Blitzkrieglegende" mitunter bis in die Gegenwart fortwirkt.75 Faktisch aber bestanden 80 Prozent des Heeres aus nicht motorisierter Infanterie. Bis Ende 1941 existierten 216 Divisionen, unter ihnen nur 24 Panzerdivisionen.76 Zum "Nebenheer" der ab 1943 stark expandierenden Waffen-SS mit zuletzt 36 Divisionen mit sehr unterschiedlichem Gefechtswert stellte auch die Luftwaffe ab 1942 insgesamt 20 Luftwaffenfelddivisionen auf. Nach dem Scheitern dieses Experiments stellte die Luftwaffe Fallschirmdivisionen für den Erdkampf auf.77 Somit konkurrierten alle Wehrmachtteile – zuletzt sogar noch die Kriegsmarine – mit der SS im prestige- und extrem opferträchtigen Fronteinsatz um die Gunst ihres "Führers". Auch auf der Ebene der Spitzengliederung blieben die Beziehungen zwischen dem Oberkommando der Wehrmacht und den Generalstäben der Wehrmachtteile Heer, Luftwaffe und Marine durch den Krieg hinweg problematisch. Zudem unterstand dem "Reichsführer-SS" ab dem 21. Juli 1944 auch das Ersatzheer der Wehrmacht. Adolf Hitler (1889–1945) selbst wiederum verkörperte geradezu das polykratische Herrschaftschaos: als Regierungschef (1933), als Staatsoberhaupt (1934), als Oberbefehlshaber der Wehrmacht (1938) und ab Dezember 1941 als Oberbefehlshaber des Heeres unterminierte er an zentraler Stelle hergebrachte Grundsätze der hierarchisch und fachlich organisierten Informationssteuerung.
Trotz der Veränderung des Kriegsbildes blieben die Grundgliederungen der Infanterie im Zweiten Weltkrieg im internationalen Vergleich nahezu konstant. Bei fast allen Mächten bestanden diese im Kern aus einem Artillerie- und drei Infanterie-Regimentern. Die Motorisierung und Spezialisierung der gepanzerten Verbände erforderte dagegen taktische Selbständigkeit und Mischung der Waffengattungen auf zunehmend niedrigerer Ebene. Im September 1943 wurde ein Typ einer US-amerikanischen Panzerdivision entworfen, der die Regimentsebene wegsparte. Die Division führte nun truppendienstlich ihre Bataillone direkt, während die Zwischenebene der Kampfgruppe ("combat command") nur taktisch führte. Die auch im deutschen Fall zunächst ad hoc gebildeten Kampfgruppen aus Panzertruppe und Panzergrenadieren wurden im Gliederungstyp Panzerbrigade 44 organisch zusammengefasst, gelangten aber kaum mehr zum Einsatz.78
Ausblick ab 1945
Auf den US-Gliederungen beruhten die Verbandsstrukturen der zwischen 1951 und 1955 geplanten – aber letztlich nicht realisierten – Europa-Armee. Sie wurden leicht abgewandelt in den ab 1956 aufgestellten Verbänden der Bundeswehr in der Heeresstruktur 1 verwirklicht. Dagegen wurde bereits um 1957/58 das Konzept einer selbständigen Heeresbrigade erörtert und umgesetzt, das zwei Jahre später zum Standard für die in Mitteleuropa stationierten NATO-Verbände avancierte. Neben je einem Artilleriebataillon bestanden die Panzerbrigaden aus je einem Panzergrenadier- und zwei Panzerbataillonen; bei den Panzergrenadierbrigaden war das Verhältnis umgekehrt.79 Trotz zahlreicher Änderungen der Heeresstrukturen überdauerten Grundelemente dieser Gliederungen bis ins 21. Jahrhundert.80
Im Zeitalter des Kalten Krieges kehrte sich die Richtung der Transferprozesse – zumindest in der "westlichen Welt" – tendenziell um: Galten zuvor militärische Organisationsmuster als modellbildend für die zivile Welt, hielten nun deren Managementkonzepte sukzessive Einzug in die Armeen. Ungeachtet dessen wirkten zahlreiche Organisations- und Führungskonzepte in wirtschaftliche und gesellschaftliche Organisationsvorstellungen hinein, deren Ursprung entweder direkt militärischen Ursprungs waren81 oder aber dem Konfrontationsmuster des Kalten Krieg verhaftet waren.82 Die zunehmende Technisierung und Ausdifferenzierung erfolgte am prägnantesten bei den Luftstreitkräften. War die deutsche Luftwaffe im Jahr 1935 schon als eigenständiger Wehrmachtteil aufgestellt worden, erlangte die U.S. Air (Army) Force erst im September 1947 den Status als eigene Teilstreitkraft. Angesichts der Bedeutung von Nuklearwaffen wurden westliche Luftstreitkräfte für die Einsatzplanung eng in die NATO-Ebene eingebunden, während parallel die "nationale" truppendienstliche Gliederung in Geschwader (auf Regimentsebene) und Divisionen fortbestand. Auch bei der Marine spielte die technologische Entwicklung von Waffensystemen, Kommunikations- und Führungsmitteln sowie die Möglichkeit einer flexiblen Zuteilung der Kräfte zu Task Forces eine erheblich größere Rolle als in den Heeresverbänden. Diese blieben in der NATO wie in den Truppen des Warschauer Paktes bis zur Ebene des Korps (im östlichen Bündnis "Armee" genannt) national homogen.
Grenzen des Militärischen? Irregularität und Verflechtung
Die Anerkennung von Formen und Normen der Militärorganisation als "regulär" oder als "irregulär" beziehen sich letztlich auf das europäisch-staatliche Modell. Interessanterweise hat die auf "Verflechtung" rekurrierende Forschung83 das Militär noch wenig beleuchtet.84 Wechselseitige Transferprozesse zwischen "regulärer" und "irregulärer" militärischer Gewalt erfolgten etwa an den Militärgrenzen des Osmanischen und des Habsburger Reiches oder im "wilden Feld" (russ: dikoje polje) in der heutigen Ukraine, von wo im 18. Jahrhundert die Taktik des sogenannten "kleinen Krieges" nach Mitteleuropa gleichsam importiert wurde. Die bereits von Zeitgenossen erörterte Frage nach der Definition dieser Konfliktform kreiste einerseits um kulturelle Stereotypen, andererseits um die Schwierigkeit, eine Taktik nach den etablierten "westlich-europäischen" Maßstäben auf den Begriff zu bringen.85
Das seit der Jahreswende 1808/1809 begriffsbildende Beispiel für irreguläre Kämpfer bildete die spanische Guerilla. Der aus der Militärsprache entlehnte Begriff für "kleiner Krieg" (span. "guerrilla") wurde im spanischen Unabhängigkeitskampf gegen Napoleon von irregulären Kämpfern übernommen, um sich als legitime Gewaltakteure darzustellen.86 Nachdem die reguläre Kriegführung der spanischen "Patrioten" in einer ersten Phase des Krieges gescheitert war und nachdem die Gewalt in einer darauffolgenden Phase oft in anarchische Kleinkriegsaktivitäten eskalierte, erfolgten 1811/12 Prozesse einer organisatorischen "Militarisierung".87 Ein halbes Jahrhundert später bedauerte Karl Marx (1818–1883)[] dieses Wechselspiel zwischen Irregularität und Regulierung: Aus seiner Sicht endeten die Guerillaverbände "in losen Korps, die stets auf dem Punkt standen, zu Banditen zu werden oder auf das Niveau stehender Regimenter herabzusinken."88 Diese faktisch ja zutreffende Aussage beinhaltete aber gleichzeitig den Mythos des Volkskrieges, der sich kritisch gegen die europäischen militärischen Organisationstendenzen wendete.89
Auch umgekehrt erfolgten Transferprozesse militärischen Organisationsdenkens – mit teils katastrophalen Folgen: Wenn "Vernichtung" auf die Zerschlagung der organisierten gegnerischen Kampfkraft rekurrierte, wurde dieser militärische Begriff im 20. Jahrhundert – ungeachtet der ohnehin blutigen Logik des Krieges – zum politischen Begriff einer entgrenzten Kriegführung umgeformt, die insbesondere in Kolonial- und Dekolonialisierungskonflikten sowie im Kampf zwischen den Partisanenbewegungen und den Streitkräften des nationalsozialistischen Deutschlands zum Tragen kam.90 Das Ausmaß der Gewalt im von Deutschland ausgelösten rassenideologischen Vernichtungskrieg konnte auch deswegen lange Zeit verdrängt und beschwiegen werden, weil der Themenkomplex des "irregulären" Krieges lange Zeit außerhalb der Betrachtung der Militärgeschichte stand. Erst seit der Jahrtausendwende zeigt eine Fülle von einschlägigen Publikationen das Ausmaß organisierter Gewalt gegenüber Akteuren, denen das Recht zu Kämpfen abgesprochen wurde. Gerade die deutschen Kräfte führten ihren sogenannten "Bandenkampf" teils bewusst im fließenden Übergang zum Völkermord.91 Der um die Widerstandsbewegungen im Zeitalter der Weltkriege und der Dekolonialisierungskonflikte gepflegte Mythos des Volkskrieges betonte dagegen die angebliche Spontaneität und die ideologische Dimension, sodass diese Perspektive die Formen (para-)militärischer Organisation in den Hintergrund rückte.92
Historische Parallelen deuten darauf hin, dass neuartige Formen der organisatorischen Zusammenstellung von Personal, Material und den Formen der dazu erforderlichen Kommunikationssteuerung oft ad hoc und zumal gegen "irreguläre" Gegner entwickelt wurden. Diese "irregulären" Organisationsmuster wurden oft im Friedensmodus in militärische Grundgliederungen überführt und "verregelt". Solche Regelzyklen von Regularität, Irregularität und folgender "Re-Regulierung" zeigten das Wechselspiel zwischen Aufbau- und Ablauforganisation als fortwährend neu organisierte Institutionalisierung der Gewaltakteure.
Ausblick
Mit den militärischen Einsätzen der internationalen Staatengemeinschaft im Umfeld der sogenannten "Neuen Kriege" stellt sich das Organisationsproblem erneut. Kritische Beobachter sprechen von einer "institutionellen Krise" des Militärs.93 Die um die Jahrtausendwende als "Transformation" gekennzeichneten militärischen Reorganisationsprozesse akzentuierten die Bedeutung von modularen, zur "vernetzten" Kampfführung befähigten "Kräften", die oft an der Grenze zwischen Krieg, Counterinsurgency und Polizeimissionen eingesetzt werden. Dabei werden die je nach spezifischer Lage und Auftrag zusammengestellten "Einsatzkontingente" im Auslandseinsatz oft spätestens oberhalb der Kompanieebene außerhalb der militärischen Grundgliederungen eingesetzt; meist so, dass Einheiten und Verbände verschiedener Teilstreitkräfte und Truppengattungen, oft in multinationaler Zusammensetzung auf immer niedrigerer Ebene gemischt werden. So scheint es, dass die Gliederungsebene Division ihre seit dem napoleonischen Zeitalter gültige Rolle als militärisch-politisch Zähleinheit weitgehend eingebüßt hat.94