Einleitung
Wetter, Witterung und Klima sind grundlegende Steuergrößen des gekoppelten Mensch-Umwelt-Systems auf unserer Erde. Ihre Implikationen für Mensch und Umwelt sind vielfältig. Sie unterlagen schon immer als Gegenstand menschlicher Alltagserfahrung unterschiedlichen gesellschaftlichen Wahrnehmungen und Deutungen. Das vielfach strapazierte Zitat "Klima macht Geschichte"1 deutet auf die besondere Behandlung von Wetter, Witterung und Klima im geschichtlichen Kontext hin.
Für die ersten Jahrtausende kann eine einseitige Abhängigkeit des Menschen vom Klima angenommen werden, doch spätestens mit dem Beginn umfassender Rodungsaktivitäten war die Mensch-Klima-Interaktion vom zunehmenden Einfluss des Menschen auf das Klimasystem geprägt. Die Dominanz natürlicher Antriebs- und Steuerungskräfte, der sogenannten Forcings, insbesondere des solaren Strahlungsantriebs, oder der Einfluss von Vulkanaktivitäten blieb dabei aber bis in die jüngste Vergangenheit erhalten. Klimaschwankungen waren Ausdruck natürlicher Prozessgefüge mit weitreichenden Konsequenzen für Umwelt und Gesellschaft.2 Mit der Industrialisierung, die in Europa ihren Ausgang nahm, und dem zunehmenden Einsatz von fossilen Brennstoffen begann der Mensch, das Klimasystem zu prägen und schließlich zu dominieren. Diese "Domestizierung natürlicher Stoffkreisläufe" wird zum Anlass genommen, von einer neuen Zeitepoche, dem Anthropozän, zu sprechen.3 Mittlerweile bewegen vornehmlich die negativen Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels sowohl die breite Öffentlichkeit als auch Politik und Wirtschaft.
Die alltagssprachlich oft wenig trennscharf verwendeten Begriffe Klima, Witterung und Wetter sind analytisch klar unterscheidbar. Der Begriff Wetter zielt auf den Augenblickszustand der Atmosphäre ab, während Witterung das Wettergeschehen über einen längeren Zeitraum von mehreren Tagen bis Monaten beschreibt, wie er etwa im Begriff "Frühjahrswitterung" zum Ausdruck kommt. Mit Klima wird der "mittlere" Zustand über einen längeren Zeitraum von Jahrzehnten verstanden. So umfasst eine klimatische "Normalperiode" einen längeren Zeitraum von mindestens 30 Jahren. Klima ist damit eine statistische Größe. In Mitteleuropa kann beispielsweise für die letzten 100 Jahre eine Temperaturerhöhung von rund 1 K (1 Kelvin, die Basiseinheit der thermodynamischen Temperatur) nachgewiesen werden, von denen 0,6–0,8 K auf menschliche Einflüsse zurückzuführen sind. Diese Temperaturzunahme ging einher mit einem Anstieg des Niederschlags; lediglich im Sommer ist regional ein gradueller Rückgang des Niederschlags festzustellen. Die Folgen dieses Klimawandels sind mittlerweile unübersehbar: Neben dem Rückschmelzen alpiner Gletscher ist in den vergangenen 30 Jahren auch eine Verlängerung der Vegetationsperiode um bis zu 12 Tage zu beobachten.
Derart langfristige Veränderungen sind für individuelle Beobachter allerdings schwieriger zu vergegenwärtigen als Klimaextreme und -katastrophen. Die Frage nach den Vergleichsmöglichkeiten und der Häufigkeit solcher Extremereignisse ist kaum zu beantworten, denn der instrumentelle Messzeitraum von bis zu 200 Jahren ist zu kurz, um die Variabilität unseres Klimasystems und die unterschiedlichen Reaktionsmechanismen sowie Anpassungsstrategien der Gesellschaften zu erfassen. Eine Einordnung der jüngeren klimatischen Entwicklungen erfordert daher die Betrachtung längerer, über die letzten beiden Jahrhunderte hinausgehender Zeitreihen.
Daten und Quellen
Aus welchen Quellen wissen wir eigentlich Zuverlässiges über Wetter und Klima längst vergangener Zeiten? Das dazu nötige Datenmaterial wird aufbereitet durch die Historische Klimatologie, eine Disziplin, die an der Schnittstelle von Klimatologie und den Geschichtswissenschaften angesiedelt ist und einen hermeneutischen Zugang zu einem naturwissenschaftlichen Themenkreis darstellt. Sie befasst sich einerseits mit der Rekonstruktion des Klimas vor der Einrichtung der amtlichen und damit standardisierten Messnetze in Mitteleuropa, andererseits aber auch mit den gesellschaftlichen Konzeptualisierungen und Repräsentationen des Klimas sowie mit dem Umgang früherer Gesellschaften mit Klimavariabilität und Naturkatastrophen.4 Die Historische Klimatologie bezieht sich dabei auf frühe instrumentelle Daten, vor allem aber auf verschiedene schriftliche Quellen und Aufzeichnungen, wie sie in herkömmlichen gesellschaftlichen Archiven und Überlieferungen anzutreffen sind. Ergänzt werden können diese durch sogenannte natürliche Proxies, also Klimazeiger wie beispielsweise Baumringdaten, die uns als natürliches Archiv zur Verfügung stehen. Aufgrund der Quellenlage ist ein gewisser Eurozentrismus in der historischen Klimaforschung unvermeidbar: Nur wenige außereuropäische Gesellschaften bieten eine ähnliche Dichte an schriftlichen Quellen. Ist die historische Klimatologie disziplinär als ein Teilbereich der naturwissenschaftlichen Klimatologie anzusehen, so werden zunehmend auch in der Geschichtswissenschaft Fragen nach der historischen Entwicklung des Klimas und seinen kulturellen und gesellschaftlichen Konsequenzen thematisiert.5
Gesellschaftliche Archive
Gesellschaftliche Archive halten eine Fülle verwertbarer Quellen vor: Neben Annalen, Chroniken und Tagebüchern existieren bildliche Darstellungen wie Flugschriften, Drucke und Karten. Was die Überlieferungsdichte anbelangt, so unterscheiden sich die Zeiträume vor und nach 1500: Vor 1500 sind die Angaben weniger dicht und meist auch weniger differenziert, was die Inhalte und dargestellten Topoi anbelangt. Die ältesten schriftlichen Klimaaufzeichnungen mit einer nennenswerten zeitlichen Dichte in Mitteleuropa stammen aus dem 8. Jahrhundert. Es handelt sich dabei um eher sporadische Beschreibungen von Einzelereignissen und Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Winterstrenge, Sommerdürre, Nordlichter, Erdbeben oder vulkanischen Erscheinungen. Seit dem späten Mittelalter gibt es fast lückenlose Berichte über Sommer und Winter, zunehmend auch Informationen über Frühling und Herbst.
Ab etwa 1500 liegen zeitlich dichte, lückenlose und hoch aufgelöste Daten vor. Der Buchdruck breitete sich rasch aus, die Papierproduktion nahm stark zu und vor allem konnten mehr Menschen lesen und schreiben.6 Neben die vereinzelten Hinweise in Chroniken treten nun systematisch geführte Tagebücher, Kalendarien – oft in Form von Prognostika mit dem Wunsch nach Wettervorhersagen – Einblattdrucke und erste Zeitungen. Ab 1680 wurden diese Informationen durch Instrumentenmessungen ergänzt, die zunächst noch stark individuell geprägt waren und eher sporadisch experimentell ausgeführt wurden.7 Erst im 19. Jahrhundert wurden auf der Basis von Instrumentenmessungen amtliche Messnetze etabliert.
Die klimatischen Hinweise in den Quellen waren sehr häufig mit umweltbezogenen und gesellschaftlichen Betrachtungen verknüpft: So nahm man beispielsweise auf die Phänologie Bezug, insbesondere auf den Zustand der Anbaufrüchte und deren zeitliche Entwicklung, oder das Verhalten von Zugvögeln. Auch die Ertragsausgestaltung und die daran gekoppelte Preisentwicklung wurden festgehalten. Oft waren die Beobachter in besonderem Maße um Objektivität und Vergleichbarkeit bemüht. Ein Teil des historischen Quellenmaterials wurde in Form von Kompilationen zugänglich gemacht.8 Der besondere Vorteil des hermeneutischen Forschungszweiges liegt darin, dass die Aussagen auf unmittelbaren Beobachtungen von Wetter und Witterungsgeschehen beruhen, zumindest phasenweise sehr hoch aufgelöst sind und meist eindeutig datiert werden können.
Naturarchive
Die vom Menschen verfassten Hinweise können durch Indikatoren, sogenannte Klimazeiger, aus Naturarchiven ergänzt werden. Dies gilt insbesondere für die Klimazeiger, die eine hohe jährliche oder saisonale Auflösung aufweisen. Diese Kriterien erfüllen saisonal aufgelöste Sedimentlagen (sogenannte Warven), Zuwachsringe von Stalaktiten und Stalagmiten sowie Eisschichten in Gletschern und Baumringe.
Jahrringe in Bäumen stellen durch ihre saisonale Genauigkeit ein besonders geeignetes Naturarchiv dar.9 Durch statistische Jahrringanalysen lassen sich sogenannte Transferfunktionen berechnen, die einen Zusammenhang zwischen Klima und Wuchsleistung der Bäume beschreiben, welcher von Baumart zu Baumart unterschiedlich ausfällt. Die kalibrierten Dendroreihen können durch die numerischen Modelle zumeist recht gut in Klimareihen "umgeschrieben" werden. Für vergangene Epochen, aus denen keinerlei Klimainformationen vorhanden sind, stellen Jahrringe eine Möglichkeit dar, Klimadetails zu rekonstruieren. Durch holzanatomische Veränderungen lassen sich zudem Insektenkalamitäten, späte und lang anhaltende Winterfröste sowie Hochwässer erkennen und jahres- bzw. saisongenau datieren.10
Die Zusammenarbeit von Historischer Klimatologie und Dendrochronologie/-ökologie spielt für die Rekonstruktion von Klima und Extremereignissen eine bedeutende Rolle. Die berechneten Transferfunktionen sowie die Ereignisdatierung von Spätfrösten, Trockenjahren oder Hochwässern und damit die Genauigkeit der numerischen Modelle und der holzanatomischen Aussage lassen sich mit den verfügbaren historischen Klimadaten verifizieren. Hilfreich sind dabei auch sogenannte multi-proxy-Ansätze, die Daten verschiedener Klimaindikatoren zusammenführen.11
Klimasimulationen
Im Rahmen von Klimamodellierungen hat sich eine dritte Säule herausgebildet, in der der historische Klimagang anhand von Rekonstruktionen externer Antriebmechanismen, z.B. Variationen der Sonnenenergie, durch Schwankungen der Erdbahnparameter (Schiefe der Ekliptik, Präzession und Exzentrizität), Änderung der solaren Aktivität und Treibhausgaskonzentrationen, simuliert wird. Grundlage sind dabei vor allem die aus Eisbohrkernen abgeleiteten Parameter, insbesondere verschiedene Isotope, so dass eine hohe inhaltliche Nähe zu den Naturarchiven besteht. Diese Arten der Klimasimulation genießen hohe Akzeptanz bis in politische Gremien hinein, was daran liegen mag, dass "naturwissenschaftliche" Daten als "harte" Daten gelten und von renommierten Institutionen vorgetragen werden.
Vergleicht man die verschiedenen Ansätze mittels Korrelationsanalysen, so zeigen sich hohe Übereinstimmungen, was für die Qualität der jeweiligen Erkenntnispfade spricht. Eine Zusammenführung der Archive und der Simulationen im Sinne einer Synchronisation der Daten sowie die Ableitung eines gemeinsamen Auswertungsspektrums sind unverzichtbar für die korrekte Interpretation des Klimas in der Vergangenheit und damit auch für zukünftige Klima-Prognosen.
Erkenntnisse zum Klimagang
Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses der Historischen Klimatologie steht die Rekonstruktion von möglichst langen Zeitreihen zu Temperatur und Niederschlag, aber auch von klimatischen Extremen wie Stürmen und Überschwemmungen sowie den Zirkulationsverhältnissen, also den sich aus den Druckverhältnissen ergebenden bestimmenden Wetterlagen. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit den klimatischen Auswirkungen auf die Gesellschaft sowie deren Reaktionsmechanismen im Sinne der Stress Capacity oder auch der Vulnerabilität und thematisiert zugleich auch Wahrnehmungen und Deutungen.
Für einige Regionen Europas, insbesondere Mitteleuropas, liegen mittlerweile Klimarekonstruktionen vor, welche die letzten 1.000 Jahre umfassen.12 Ab 1500 kann man aufgrund der großen Zahl regionaler Arbeiten aus dem gesamten europäischen Raum bereits ein differenziertes Bild der Temperatur- und Niederschlagsentwicklung erkennen.13 Aus der Zusammenführung dieser Daten lassen sich ab 1500 saisonale, ab 1675 sogar monatlich aufgelöste Druckdatenfelder für den Ausschnitt 25°W–40°E; 35°N–70°N, also im Wesentlichen den europäischen Raum, ableiten, die zirkulationsdynamische Aussagen zulassen.14
Die Jahrestemperaturentwicklung zeigt für Mitteleuropa ab Mitte des 14. Jahrhunderts einen übergreifenden negativen Trend. Überlagert wird dieser von mittelfristigen Schwankungen in der Größenordnung von Dekaden, die zum Teil zyklisch verlaufen. Einige dieser Schwankungen erfolgen in vergleichsweise kurzen Phasen und fallen ab Mitte des 15. Jahrhunderts mitunter recht drastisch aus. Fast jede Generation erlebte in dieser Phase einen Zyklus wärmerer Klimaverhältnisse, gefolgt von einem dramatischen Temperatureinbruch. Bis 1600 wird eine der tiefsten Temperaturphasen der tausendjährigen Reihe erreicht. Die Jahresmitteltemperaturen weisen in diesen beiden Jahrhunderten eine Schwankungsbreite von rund 1°C auf. Er liegt damit in der gleichen Größenordnung wie die Temperaturzunahme der letzten 100 Jahre, die ebenfalls 1°C betrug. Mit einem derartigen Temperaturrückgang sind signifikante Veränderungen der Vegetationsperiode verbunden, die um bis zu 20 Tage kürzer ausfiel als heute. Eine längere Schneedeckendauer ist ebenso zu konstatieren wie verspätete Blüh- und Erntetermine. Auch qualitative Verschlechterungen von Anbauprodukten, vor allem des Weins, sind festzustellen.
In der saisonalen Analyse wirkte sich zwischen 1400 und 1500 vor allem die Abkühlung der Frühjahrswitterung prägend aus. Die Sommertemperaturen sanken mit einigen Dekaden Verzögerung, ebenso die im Herbst. Besonders dramatisch ist der Einbruch der Sommertemperaturen gegen Ende des 16. Jahrhunderts. In dieser Phase häufen sich auch gesellschaftliche Exzesse wie Hexenverfolgungen. Auch wenn es verschiedene Definitionen und zeitliche Einordnungen gibt, setzte sich spätestens ab 1550 die klimatische Struktur der Kleinen Eiszeit durch.
Im weiteren Verlauf bleibt der langfristige Temperaturverlauf auf einem niedrigeren Niveau, ein Umstand, der 1939 zum ersten Mal als "little ice age" bezeichnet wurde.15 Die zunächst eher beiläufige Namensgebung erklärt sich aus dem markanten Vorrücken der Alpengletscher in diesem Zeitraum. In den Mittelgebirgen verschlechterten sich die Anbaubedingungen signifikant durch die Verkürzung der Vegetationsperiode. Öfters kam es in dieser Phase zum Auswintern (also zu einer frostbedingten Beschädigung) der Winterfrucht. Hungersnöte, Seuchen, die Aufgabe von Siedlungen und Abwanderungen waren die Folge. An den Küsten traten vermehrt schwere Sturmfluten auf, die teilweise zu großen Menschen- und Landverlusten führten. Tiefpunkt dieser Entwicklung war das sogenannte Maunder Minimum, das zwischen 1675 und 1700 auftrat und nach einem Sonnenfleckenminimum benannt ist.
Während des 18. Jahrhunderts stiegen die Temperaturen langfristig wieder an, die dekadischen Schwankungen blieben aber erhalten. Markante Temperaturrückschläge kennzeichneten auch das 19. Jahrhundert. Gletscherfluktuationen lassen sich damit zum Teil korrelieren, so dass weiterhin von einem Klima der Kleinen Eiszeit gesprochen werden kann. Der letzte – auch weltweit – nachweisbare markante Gletschervorstoß datiert auf Mitte des 19. Jahrhunderts.16 Danach erfolgte dann aber nach und nach jener Temperaturanstieg, für den sich die Bezeichnung Anthropogener Temperaturanstieg durchgesetzt hat. Zwar wird der exponentielle Anstieg von mittelfristigen Schwankungen überlagert, doch kann er als vom Menschen verursacht angesehen werden, da der überwiegende Anteil dieses Anstieges auf die Freisetzung von Treibhausgasen zurückgeführt werden kann.
Klimatische Extreme: Zur Hochwasserentwicklung in Mitteleuropa
Neben dem übergeordneten Verlauf der Temperatur lassen sich aus den schriftlichen Aufzeichnungen auch Chronologien von Extremen wie Hochwasser, Stürme und Unwetter gewinnen. Die Darstellungen der Auswirkungen und Schäden ermöglichen Rückschlüsse auf die Intensität der Einzelereignisse.17
Ähnlich wie für die Temperaturen können auch für zahlreiche europäische Flusssysteme lange Hochwasserreihen abgeleitet werden.18 Im weiteren Verlauf wird auf die Verhältnisse in Mitteleuropa eingegangen.19 Besonders wertvoll sind Zeitreihen, die mit heutigen Wasserstandsmessungen in Bezug gesetzt werden können.20 Während alle historischen Reihen markante Schwankungen auf verschiedenen Zeitskalen aufweisen, lassen sich einige auch großräumig verfolgen, was auf eine übergeordnete klimatische Steuerung hindeutet. Anhand dieser Daten lässt sich in Mitteleuropa eine bemerkenswerte Häufung von Hochwässern beobachten, die bereits Mitte des 14. Jahrhunderts einsetzte. Dabei weisen auch die Abschnitte 1300–1500, 1500–1550, 1550–1700 und 1700–1995 signifikant unterschiedliche Hochwasserhäufigkeiten auf, die sich mit Zirkulationsumstellungen im Rahmen der Kleinen Eiszeit erklären lassen.21 Interessanterweise zeigen sich bei den besonders schweren Hochwässern in den letzten Jahrhunderten keine signifikanten Änderungen. Es lassen sich alle 70 bis 80 Jahre fast schon zyklisch zu nennende Peaks erkennen.22
Die Hochwasserentwicklung an Oberrhein, Main und Pegnitz sowie an der Donau seit 1400 zeigt über die Jahrhunderte mittelfristige Änderungen – ein differenziertes Bild der Zu- und Abnahme. Einige Abschnitte weisen eine übergeordnete gleichlaufende Struktur auf, in anderen sind gegensätzliche Verläufe zu erkennen. Dies lässt sich damit erklären, dass selbst katastrophale Hochwasserereignisse in größeren Einzugsgebieten meist nur Flussabschnitte betrafen, seltener das ganze Einzugsgebiet. Nur einzelne Hochwässer traten zeitgleich in mehreren Flussgebieten auf. Erklärbar ist dies mit dem spezifischen Witterungs- und Klimaverlauf. Grundsätzliche Unterschiede vermitteln auch die zugrundeliegenden Abflussregime von Donau, Main und Oberrhein, die zum Teil innerhalb der Einzugsgebiete variieren. Im historischen Kontext müssen bei einer Interpretation auch Landnutzungsänderungen und die Veränderungen in den Abflussgerinnen selbst berücksichtigt werden, vor allem auch technische Flussverbauungen seit dem 19. Jahrhundert.23
Die immer wieder aufgeworfenen Fragen nach der Kontrolle von Hochwassern durch Flussverbauungen vor allem seit dem 19. Jahrhundert, oder gar nach der Verstärkung derselben, können nicht abschließend beantwortet werden. Die Einflussnahme des Menschen war schon früh gegeben, doch maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung vieler Flusssysteme hatten schließlich die Verbauungen des 19. und 20. Jahrhunderts.24
Die historischen Reihen lassen die grundsätzliche Schwankungsbreite von Hochwasserereignissen erkennen, die zumindest phasenweise durch zirkulationsdynamische Umstellungen erklärt werden können.25 Andererseits konnten vor allem die kleinen und mittelschweren Hochwasserereignisse durch die technischen Maßnahmen unter Kontrolle gebracht werden, nicht aber – wie die Überflutungen in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien und Italien im August 2002 zeigen – die Extremfälle. Auch muss, was die Erklärungsanteile von Einflussgrößen anbelangt, nach Skalen unterschieden werden: Während die Flächenversiegelung im kleinräumigen Kontext einen großen Einfluss auf die Hochwasserbildung hat, tritt dieser Faktor bei großräumigen und schweren Ereignissen deutlich in den Hintergrund. Um diese Interaktionen abschließend beurteilen zu können, bedarf es weiterer Forschungsarbeit, in der die klimatische Entwicklung, Landnutzungsänderungen und technische Maßnahmen mit den Abflussparametern in Zusammenhang gebracht werden.
Neben den langfristigen Änderungen können aus den historischen Daten auch extreme Einzelereignisse ausgewiesen werden, die oft noch lange im Gedächtnis der Menschen verhaftet blieben. Zu erwähnen sind die Hochwasserkatastrophen von 1595, 1608, 1682, 1784 und 1845. Die wohl schwerwiegendste, historisch belegbare Überschwemmungskatastrophe traf Mitteleuropa im Sommer des Jahres 1342.26 Als Auslöser gelten mehrtätige, intensive Niederschläge, die sich im Einzugsgebiet von Main und Tauber auf 175 mm bilanzieren lassen, verteilt über 4 Tage. Das entspricht einer heutigen durchschnittlichen Niederschlagssumme von 3 Monaten! Drastische Schadensbilder werden von sämtlichen mitteleuropäischen Flüssen berichtet. In Regensburg, Dresden, Frankfurt am Main und zahlreichen anderen Städten wurden Brücken zerstört, und einer Würzburger Überlieferung zufolge:
brach [das Wasser] aus verborgenen Orten in den Bergen, Tälern und dem ganzen Lande in Strömen hervor, breitete sich übermässig stark aus, so daß […] besonders in den Rhein- und Maingegenden und andernwärts es alles an Feld- und Baumfrüchten, Heu, Gebäuden, Vieh und leider zahlreichen Menschen vielfältig und elendiglich vernichtete.27
Die Rekonstruktion historischer Klimaregimes dient über das akademische Interesse hinaus auch als Grundlage für modernes Hochwassermanagement.28 So wurden historische Analysen zum Hochwassergeschehen von 1824 am Neckar für ein integratives Hochwassermanagement herangezogen und mit der Neuabschätzung zur statistischen Verbesserung von Wiederkehrzeiten extremer Hochwasser eingesetzt.
Klima und Gesellschaft
Wetter, Witterung und Klima waren und sind Alltagserfahrungen, die menschliches Leben und Handeln fundamental beeinflussen. Das beginnt bei täglichen Routinen wie der Kleidungswahl, wirkt sich aber auch drastisch und (lebens)entscheidend aus im Rahmen der Ernährungssicherung, im Hinblick auf Gesundheitsrisiken und auf das generelle Wohlbefinden.29 Entsprechend komplex sind die Wahrnehmungen und Deutungen, die sich im Rahmen der Entwicklung von der religiös integrierten Akzeptanz eines "Gott gegebenen Klimas" bis hin zur gegenwärtigen Unterwerfung des Klimas durch menschliches Handeln und Wirtschaften feststellen lassen.
Grundsätzlich standen europäischen Gesellschaften auch in früheren Jahrhunderten eine Vielzahl von Erklärungsmodellen für die Unbilden von Wetter und Klima zur Verfügung.30 Weit verbreitet waren mythologische und religiöse Erklärungsmuster. Bittgottesdienste um Regen, Wasserpredigten nach schweren Hochwässern, in denen menschliches Fehlverhalten als Ursache angeprangert wurde, waren bis in das 19. Jahrhundert hinein üblich. Weit verbreitet waren auch aus der Konstellation der Planeten abgeleitete astrometeorologische Prognosen, die oft als sogenannte Wetterregeln in Prognostika niedergelegt wurden. Die Zahl der gedruckten Prognostika dürfte allein für Mitteleuropa bei Zehntausenden liegen. Im 16. Jahrhundert war die Astrometeorologie bereits in die Volksüberlieferung eingedrungen.
Eine Besonderheit bilden Bauernregeln, Lostage und Prodigien. Zum Teil spiegelt sich in den oft in Versform gehaltenen "Wettersprüchlein" das empirische Erfahrungswissen der Anwender wieder. So werden bestimmte phänologische Phasen und Lostage benannt, zu denen Arbeiten auf dem Feld verrichtet werden mussten. Zum Teil gingen sie auf antike Vorstellungen zurück, oder sie lehnten sich an die astrometeorologischen Prognostika an. Die Breitenwirkung derartiger Elaborate muss als sehr hoch eingestuft werden. Kommerziellen Interessen dienten Flugschriften, die in dramatisch ausgeführten Bildern und wortgewaltigen Beschreibungen meist katastrophale Witterungsphänomene thematisierten. Voraussetzungen hierfür bildeten die im 14. und 15. Jahrhundert entwickelten Bildtechniken des Holzschnittes und des Kupferstiches, die in Ergänzung zur Buchdrucktechnik nunmehr eine Massenproduktion an Bildmaterial erlaubten, die auch den Leseunkundigen erreichte. Der zweite Grund für die Beliebtheit und Verbreitung der oft auch als Einblattdrucke bezeichneten Schriften lag in ihrem geringen Preis. Waren die Flugschriften des 15. Jahrhunderts meist noch religiösen Inhaltes, so wuchsen die dargestellten Thematiken in alle Lebensbereiche der Menschen hinein, in denen sich Besonderes oder auch Absonderliches abspielte. Neben historischen Ereignissen eroberten sich Darstellungen von Magie, Hexerei, Wundergeburten, Astrologie und besonderen Wetterereignissen oder Witterungsanomalien jeder Form einen festen Platz in den Einblattdrucken des 16. und 17. Jahrhunderts.
Vor allem mit der zunehmenden Klimaverschlechterung der Kleinen Eiszeit ab Mitte des 14. Jahrhunderts begann eine Phase, in der nach klimatischen Extremen, insbesondere Unwettern, welche Teile der Ernte vernichteten, religiöse Minoritäten und gesellschaftliche Randgruppen verantwortlich gemacht wurden und schließlich massiver Verfolgung ausgesetzt waren. In der Forschung vermutet man eine enge Korrelation zwischen der Kleinen Eiszeit und der Herausbildung von Hexenverfolgungen als kollektivem Verbrechen.31 Die letzte vermeintliche Hexe wurde Ende des 18. Jahrhunderts in der Schweiz hingerichtet. Hochwasserphänomene erschließen ein facettenreiches Bild gesellschaftlicher Konzeptualisierungen: In Wasserpredigten wurde menschliches Fehlverhalten als Ursache für die Hochwässer genannt, wie es in der Metapher der Sündflut oder der Zornrute Gottes zum Ausdruck kam. Interessanterweise bezeichnete Martin Luther (1483–1546) in seinen Predigten die Hochwasser der Elbe als Werk des Teufels.
Alle Schaden verursachenden Hochwasser bedingten administrative Maßnahmen, die in Ratsprotokollen oder Akten der Steuerbehörden und Bauämter niedergelegt sind und über die Art und Schwere der Schäden Rückschlüsse auf die Intensität ermöglichen. Aus ihnen lassen sich Schemata zur Intensitätsklassifizierung historischer Hochwässer entwerfen. Generell waren schwere historische Hochwasser oftmals verbunden mit drastischer Lebensmittelverknappung, Problemen bei der Trinkwasserversorgung aufgrund verschmutzter Brunnen sowie Notständen in der Energieversorgung durch beschädigte Mühlen. Zu den sich hieraus ergebenden langfristigen Folgen zählten etwa Auswanderungen oder die Konkurse kleinerer Betriebe. Kurzfristig kam es zu Hungersnöten und Krankheiten.
Katastrophenhochwässer wie der Fall von 1342 veränderten zudem das Oberflächenbild Mitteleuropas.32 Die Ackerflächen wurden durch tiefe Erosionsrinnen zerfurcht und selbst im Wald kam es zum Schluchtenreißen, stellenweise rutschten ganze Hänge ab. In anderen Gegenden konnte man meterhohe Aufsedimentationen nachweisen.
Hochwasserereignisse waren aber auch dafür verantwortlich, dass sich ein Langzeitgedächtnis herausbildete, ein Bewusstsein für die Wiederkehr von Klimakatastrophen. Vergleiche mit vorangegangenen Klimaextremen spiegeln dies eindrucksvoll wieder. Zugleich kristallisierte sich eine kollektive Erkenntnis heraus, dass sich wechselseitige Hilfe auszahlt. Nach Häufungen von schweren Überschwemmungen am Niederrhein und den damit einhergehenden regelmäßigen Zerstörungen von Wassermühlen entwickelte man in den heutigen Niederlanden Windmühlen, Klimaveränderungen gaben also auch Impulse für technologische Entwicklungen. Zahlreiche Lokal- und Regionalstudien haben überdies klimahistorisch wichtige Aspekte der Schadauswirkungen, der Mitigation bzw. Abmilderung von Effekten, der Vulnerabilität und der rechtlichen und politischen Aspekte plastisch herausgearbeitet.33
Anhand der Entwicklung des historischen Küstenschutzes an der Nordsee zeigt sich beispielsweise eindringlich, wie durch die Auseinandersetzung mit immer wiederkehrenden Sturmflutkatastrophen regionale Identität und Regionalbewusstsein sowie komplexe Rechtssysteme entstanden, die sich über Jahrhunderte hinweg als robust und stabil gegenüber den sonstigen gesellschaftlichen Wandlungen erwiesen.34 Am Beispiel von Hochwasserereignissen konnte wiederum nachgewiesen werden, wie sehr die Herausbildung städtischer Rechts- und Machtstrukturen auch von Naturkatastrophen und deren Bewältigung geprägt war.35 Über das kollektive Bewusstsein hinaus lassen sich auch Identitätsformierungen erkennen.36
Der anthropogen induzierte Klimawandel ist weitgehender Konsens.37 Interessanterweise werden im Rahmen der aktuellen Klimawandeldebatte erneut Bestrafungsszenarien evoziert – wenn auch in anders lautender Kausalität: Eine durch rücksichtslose Behandlung herausgeforderte Natur bedrohe die Menschheit mit einem apokalyptischen Weltuntergangsrisiko. Nahezu unausweichliche katastrophale Folgewirkungen des anthropogenen Klimawandels könnten nur durch weitreichende Anpassungsstrategien aufgehalten werden. Der damit ausgelöste Impuls führt in europäischen Gesellschaften und darüber hinaus zu Neubewertungen, technologischen Neuerungen, Umgestaltung von Landschaften und politischen Maßnahmen, aber auch zu neuer Betroffenheit und Ängsten. Eine Diskussion über Chancen und positive Handlungsoptionen findet hingegen kaum statt.
Somit hat sich die Aufmerksamkeit von einer personifizierten, göttlichen Instanz hin zu einer allgemeineren Ursache verlagert, doch apokalyptische Untergangsszenarien sind an sich nicht neu. Schon im Jahre 1499 prognostizierte Johann Stoeffler (1452–1531) in seinem berühmten Almanach den klimainduzierten Untergang der Welt exakt für das Jahr 1524. Es fällt auf, dass die gesellschaftliche Konzeptualisierung weitgehend von Mythen und weniger von rationalen Erkenntnissen geprägt ist. Oft konkurrierten verschiedene "Erklärungsmodelle", viele von ihnen überlagert von kommerziellen Interessen.38 Perspektivisch sind Ansätze, in denen die regional differenzierte klimatische Vulnerabilität bzw. die Resilienz in Betracht gezogen werden. Diese bieten eine systembezogene, integrative Bewertung dieses komplexen Themas.39
Fazit
Die Historische Klimatologie hat weitreichende Methoden zur Interpretation und Analyse schriftlicher Quellen entwickelt. Ihre Vorteile liegen in der hohen Auflösung, der zeitlichen Exaktheit und der direkten Wetter- und Klimabezogenheit. Diese Eigenschaften weisen Klimazeiger aus Naturarchiven und die Ergebnisse von Klimasimulationen nicht in genügender Breite auf. Inhaltlich konnten mittlerweile für Europa regional differenzierte Klimazeitreihen abgeleitet werden. Diese weisen markante langfristige Veränderungen auf der säkularen Skale auf, wobei nach einer längerfristigen Klimaverschlechterung seit Mitte des 14. Jahrhunderts eine Temperaturdepression ab ca. 1500 bis Mitte des 19. Jahrhunderts konstatiert werden kann, die allgemein als Kleine Eiszeit bezeichnet wird. Danach vollzog sich eine Temperaturzunahme, die schließlich in die anthropogene Klimaerwärmung der Moderne überging. Überlagert wurde dieser langfristige Trend durch dekadische Fluktuationen, die mitunter drastisch ausfielen und bisweilen eine zyklische Struktur aufweisen.
Insgesamt bewegen sich die Temperaturänderungen in der Größenordnung von knapp 1,5°C. Zum Vergleich: Man geht heute unter der Annahme einer Verdopplung des CO2-Gehaltes der Atmosphäre von einer globalen Temperaturerhöhung in der Größenordnung von 1,4 – 5,6 K aus. Die rekonstruierte Temperaturentwicklung der letzten 1.000 Jahre entspricht damit in etwa dem prognostizierten Minimalwert! Es fällt weiterhin auf, dass der für die letzten 1.000 Jahre festgestellte Wertebereich innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes von 100 Jahren, nämlich zwischen 1700 und 1800, durchschritten wurde. Aus der Sicht der letzten 1.000 Jahre leben wir heute in einer Warmphase, in der die Verhältnisse des Mittelalterlichen Klimaoptimums überschritten werden. Interessanterweise spricht man in der Rückschau von einem "Optimum", während die heutigen Verhältnisse Anlass zu apokalyptischen Szenarien zu geben scheinen.