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Einleitung
Die handelsgeschichtliche Forschung, die seit dem späten 19. Jahrhundert eine Vielzahl an Studien zu einzelnen Handelsfirmen und Kaufmannsgruppen vorgelegt hat, betont generell die konstitutive Bedeutung von Familie und Verwandtschaft für die Organisation des vorindustriellen Handels.1 Handelshäuser waren in der Regel Partnerschaften einer kleinen Gruppe von Personen, bei denen es sich häufig um Familienmitglieder und nahe Verwandte handelte. Die Kooperation mit Verwandten, denen in besonderem Maße Vertrauen entgegengebracht wurde, gilt als eine entscheidende Strategie zur Risikominimierung und zur Senkung von Transaktionskosten im vorindustriellen Fernhandel. Außerdem lässt sich die Heiratspolitik von Kaufleuten als "Investitionsstrategie zur Produktion und Reproduktion sozialen Kapitals" begreifen.2 Die generationenübergreifende Verpflichtung der Familienmitglieder zur Bewahrung und Verbesserung der sozialen und ökonomischen Situation der Familie war ein wichtiges Motiv dafür, verwandtschaftliche Netzwerke auszubilden. Soziale und familiäre Normen vermittelten die Aufgabe, im Familienunternehmen mitzuarbeiten und sich für dessen langfristigen Erfolg einzusetzen.3 Allerdings waren familiäre und verwandtschaftliche Bindungen keine Garantie gegen individuelles Fehlverhalten und geschäftliche Fehlentscheidungen. Knüpften Firmen weitläufigere soziale Beziehungen, konnten diese ihnen helfen, an zusätzliche und genauere Informationen zu gelangen und talentierte Mitarbeiter zu gewinnen.4
In vorindustrieller Zeit existierte neben Familienfirmen eine Vielzahl unabhängiger Einzelkaufleute, die einen Großteil des Regional- und Hausierhandels abwickelten.5 Selbst der Wanderhandel wurde jedoch keineswegs nur von prekären Existenzen getragen; in den Westalpen und in Nordwestdeutschland bildeten sich Familienfirmen, die eine arbeitsteilige Organisation aufwiesen und weiträumige Handels- und Kreditbeziehungen mit hoher geographischer Mobilität verbanden.6 Andererseits entstanden korporativ organisierte regulated companies wie die englischen "Merchant Adventurers" und die "Levant Company", welche den Handel auf bestimmten Routen monopolisierten und die beteiligten Kaufleute kollektiven Regeln unterwarfen, sowie staatlich privilegierte joint-stock companies, die darüber hinaus mit einem gemeinsamen Kapitalstock arbeiteten.7 Letztere spielten allerdings nur in wenigen Handelszweigen eine dominante Rolle: Während die mit Monopolen ausgestatteten Ostindienkompanien den Asienhandel im 17. und 18. Jahrhundert beherrschten,8 blieben der innereuropäische Handel und der Atlantikhandel im selben Zeitraum eine Domäne von Familienfirmen.
Neben der Familie bildeten Landsmannschaft und Religion wesentliche Grundlagen gemeinsamer Handelsunternehmungen. Obwohl Handelsgesellschaften, die Teilhaber unterschiedlicher landsmannschaftlicher Herkunft miteinander verbanden, vereinzelt bereits um 1500 belegt sind (z.B. die Koler-Kress-Saronno-Gesellschaft, ein Zusammenschluss Nürnberger und Mailänder Kaufleute),9 blieben sie lange Zeit Ausnahmen. Sephardische Juden in Italien gingen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts sporadisch Partnerschaften mit Christen ein,10 und deutsche Kaufleute, die sich in den westeuropäischen Handelsmetropolen London und Cádiz niedergelassen hatten, arbeiteten bevorzugt mit Landsleuten zusammen. Verwandtschaftsbeziehungen spielten für ihr Migrationsverhalten wie auch für die Organisation ihrer Geschäfte eine zentrale Rolle.11 Die Beispiele der in Familienunternehmen organisierten Hamburger Überseekaufleute oder des Bankhauses Rothschild, in dem alle Leitungspositionen von Familienmitgliedern besetzt waren,12 belegen die Bedeutung, die verwandtschaftliche und religiöse Bindungen auch im 19. Jahrhundert noch im Fernhandel und im internationalen Finanzgeschäft hatten.
Organisationsformen
Während die meisten Handels- und Bankhäuser des 15. bis 19. Jahrhunderts dem Typus der Familienfirma entsprachen, war die konkrete Organisationsform, für die sich die Gesellschafter entschieden, von den jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen sowie von kulturellen Präferenzen abhängig. Italienische und spanische Kaufmannsfamilien des 15. und 16. Jahrhunderts wie die Medici, Salviati, Frescobaldi, Bonvisi und Ruiz gründeten in wichtigen europäischen Handelszentren – Florenz, Lucca, Genua, Venedig, Neapel, Nürnberg, Lyon, Brügge bzw. Antwerpen, London – eine Reihe von Handelsgesellschaften auf Familienbasis, die formal relativ unabhängig voneinander waren, sich tatsächlich aber in ihrer personellen Zusammensetzung überlappten und eng miteinander kooperierten. Die Gesellschaftsverträge, die die Kapitaleinlagen, Rechte und Pflichten der Teilhaber regelten, waren zeitlich befristet, wurden aber regelmäßig erneuert. An der Spitze der einzelnen Filialen eines Handelshauses konnten Teilhaber (compagni) oder besoldete Angestellte (fattori) stehen. Größe und organisatorische Struktur des Filialnetzes wurden flexibel der Geschäftsentwicklung und den Interessen des Handelshauses angepasst. Für bestimmte Geschäftszweige wurden Tochterunternehmen und Gelegenheitsgesellschaften auch mit nicht-verwandten, vorzugsweise jedoch mit anderen Firmen aus derselben Herkunftsregion, gebildet.13
Nach italienischem Vorbild schlossen sich süddeutsche Kaufleute im 16. Jahrhundert zu Personalgesellschaften zusammen, in welche die Teilhaber bestimmte Kapitalsummen "zu Gewinn und Verlust" einbrachten. Im Falle eines Bankrotts hafteten sie jedoch nicht nur mit ihrer Einlage, sondern mit ihrem gesamten Vermögen, weswegen die Rechtsgeschichte sie als Form der Offenen Handelsgesellschaft charakterisiert hat. Die Grundlagen der Firmenorganisation und Geschäftstätigkeit wurden in Gesellschaftsverträgen festgehalten, die wie im italienischen Fall für einen begrenzten Zeitraum – meist zwischen drei und sieben Jahren – geschlossen, aber regelmäßig verlängert wurden. Die Verträge fixierten die Höhe der Beteiligungen, die Rechte und Pflichten der Teilhaber, den Zeitpunkt des Rechnungsabschlusses, die Auszahlung von Gewinnen sowie das Verfahren im Falle des Ausscheidens von Teilhabern. Zu den Rechten der Gesellschafter gehörten z.B. die Einsichtnahme in die Kassenbücher oder die Vertretung der Firma nach außen; Pflichten waren etwa die Durchführung von Dienstreisen oder die Rechnungslegung. Größere Gesellschaften unterschieden bisweilen zwischen stimmberechtigten Hauptgesellschaftern und nicht stimmberechtigten Teilhabern und übertrugen einer oder zwei Personen aus ihren Reihen die Geschäftsleitung. In der Leitung großer süddeutscher Handelshäuser wie denjenigen der Augsburger Fugger und Welser vollzog sich im Laufe des 16. Jahrhunderts ein deutlicher Konzentrationsprozess auf ein oder zwei "Regierer".14
Neben den Einlagen der Teilhaber "zu Gewinn und Verlust" konnten Handelshäuser Kapital zu einem festen Zinssatz als Depositen annehmen. Dadurch vergrößerten sie zwar ihre Möglichkeiten zur Tätigung größerer Geschäfte, gingen aber auch das Risiko ein, die Depositeneinleger im Falle geschäftlicher Schwierigkeiten nicht mehr auszahlen zu können und Bankrott zu machen. Augsburger Handelshäuser des 16. Jahrhunderts versuchten diese Gefahr zu begrenzen, indem sie auch Depositenkapital vorwiegend aus dem Verwandtenkreis annahmen; ein ungünstiges Verhältnis von Eigen- und Fremdkapital führte jedoch auch unter diesen Bedingungen häufig zum Konkurs.15
Große süddeutsche Handelshäuser gründeten an wichtigen auswärtigen Handelsplätzen feste Niederlassungen, sogenannte Faktoreien, die in gekauften oder gemieteten Häusern untergebracht waren und die Wohnräume der Angestellten, die Geschäftsräume sowie die Warenlager umfassten. Der leitende Angestellte oder Faktor war weisungsgebunden, gegenüber der Firmenleitung rechenschaftspflichtig und erhielt ein festes Gehalt; er konnte, musste aber nicht dem Kreis der Teilhaber angehören. Wenn eine Gesellschaft sich an einem bestimmten Ort aus Kostengründen keine feste Niederlassung leisten konnte oder wollte, bediente sie sich für ihre dortigen Geschäfte eines Agenten oder Kommissionärs. Im Gegensatz zum Faktor arbeitete dieser auch für andere Firmen sowie auf eigene Rechnung und erhielt für seine Dienste eine Provision.16 Italienische, süddeutsche und niederländische Firmen machten seit dem späten 16. Jahrhundert zunehmend von Kommissionären, Agenten und Speditionsfirmen Gebrauch, um die Transaktionskosten zu senken.17
Erhaltene Gesellschaftsverträge italienischer Handelsfirmen, die sich in Frankfurt am Main etabliert hatten, lassen für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ähnliche Muster erkennen, wie sie für die italienischen und süddeutschen Handelshäuser des 16. Jahrhunderts beschrieben worden sind . Auch hier handelte es sich um Partnerschaften von zwei bis acht Familienmitgliedern, nahen Verwandten bzw. Personen aus derselben Herkunftsregion. Vertragslaufzeiten von drei bis sieben Jahren mit der Möglichkeit der Verlängerung stellten eine "vorteilhafte Mischung aus Flexibilität, Kontinuität und Transparenz" dar.18 Die Schiedsklauseln, die sich in zahlreichen Verträgen italienischer und süddeutscher Firmen finden, sind als Ausdruck der Präferenz für interne Formen der Konfliktlösung gedeutet worden; tatsächlich zeigen neuere Studien jedoch, dass sich Kaufleute keineswegs scheuten, bei internen Auseinandersetzungen um die Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen obrigkeitliche Gerichte anzurufen. Wechselstreitigkeiten, Auseinandersetzungen um Gesellschaftsverträge und Bankrottfälle machten z.B. einen erheblichen Teil des Prozessaufkommens an den höchsten Reichsgerichten aus.19
Während die Handelsgesellschaft mit unbeschränkter Haftung der Teilhaber in der Frühen Neuzeit vorherrschend blieb,20 etablierten sich auch Formen der Haftungsbeschränkung. Auch hier gingen die entscheidenden Impulse von Italien aus: Die seit dem 16. Jahrhundert nachweisbaren accommandite (Kommanditgesellschaften) differenzierten zwischen der unbeschränkten Haftung der Geschäftsleitung und der beschränkten Haftung der übrigen Gesellschafter. Die Teilhaber an den Nürnberger Saigerhandelsgesellschaften, die Produktion und Vertrieb von Kupfer und Silber aus den sächsischen und thüringischen Bergwerken organisierten, hafteten ebenfalls nur in Höhe ihrer Einlage. Seit dem 17. Jahrhundert fand die Form der Kommanditgesellschaft in Europa zunehmend Verbreitung.21
Ein anderes System der Firmenorganisation ist bei sephardischen Kaufleuten in Venedig und Livorno im 18. Jahrhundert beobachtet worden. Hier scheinen schriftliche Verträge die Ausnahme gewesen zu sein. Vielmehr bildeten familiäre Regelungen und Allianzen – die Präferenz für Heiraten unter Blutsverwandten, die gemeinsame Verwaltung des väterlichen Erbes durch die Söhne und hohe Mitgiften, die als Kapital in den Handel einflossen – die Basis für Handelskompanien, die weder feste Laufzeiten noch Formen der Haftungsbeschränkung kannten. Diesen traditionellen Typus der geschäftlichen Organisation verbanden erfolgreiche Firmen in Livorno allerdings mit flexiblen Vertretungsformen.22 Auch die Partnerschaften Londoner Überseekaufleute im 18. Jahrhundert basierten häufig auf mündlicher Absprache; verwandtschaftliche Beziehungen scheinen hier zudem weniger wichtig gewesen zu sein als gemeinsame Geschäftsinteressen und der Gedanke, Risiken auf mehrere Schultern zu verteilen.23
Nationes fremder Kaufleute
Die Kaufmannschaft in europäischen Handelsmetropolen war häufig sehr international zusammengesetzt: Von den bis zu 2000 um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Antwerpen ansässigen Fernhandelskaufleuten war nur ein Viertel in den Niederlanden geboren; die Stadt beherbergte damals rund 300 spanische, 200 italienische, 150 portugiesische, 100 französische und 300 deutsche Kaufleute, und zu den Messezeiten kamen 300 bis 400 englische Händler hinzu. Der Historiker Fernand Braudel (1902–1985) hat Antwerpen daher als "Welthauptstadt von fremden Gnaden" bezeichnet.24 In Lyon spielten die italienischen Kaufmannsbankiers im 16. Jahrhundert eine überragende Rolle; sie stellten 154 der 183 im Jahre 1571 registrierten fremden Kaufleute und Bankiers in der französischen Handelsmetropole.25 Auch in deutschen Handelszentren wie Nürnberg, Frankfurt am Main und Hamburg ist seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Internationalisierung der Kaufmannschaft zu beobachten. Während sich die Nürnberger Patrizier weitgehend aus dem Fernhandel zurückzogen, ließen sich Vertreter niederländischer, österreichischer, Schweizer und italienischer Handelshäuser in der fränkischen Reichsstadt nieder. In den Jahren 1621 bis 1624 waren 26 italienische und 32 niederländische Firmen dort etabliert; zu diesem Zeitpunkt entfiel mehr als ein Fünftel des Umsatzes am Nürnberger Banco Publico auf diese beiden Gruppen.26 Frankfurt verdankte seinen Aufschwung als Handelsmetropole im späten 16. Jahrhundert maßgeblich der Zuwanderung niederländischer Glaubensflüchtlinge und war in den folgenden beiden Jahrhunderten auch ein Zentrum der Ansiedlung italienischer Kaufleute.27 Der Aufschwung des Hamburger Seehandels um 1600 wurde maßgeblich durch die Niederlassung niederländischer und sephardischer Handelshäuser gefördert.28 Spanisch- und portugiesischstämmige Juden, die seit 1492 von der Iberischen Halbinsel vertrieben wurden, fanden häufig in Hafenstädten günstige Ansiedlungsbedingungen und wirtschaftliche Perspektiven vor. Maritime Zentren wie Amsterdam, Hamburg, Livorno, Venedig, Triest und London entwickelten sich nicht zuletzt aufgrund der starken Präsenz jüdischer Kaufmannsgruppen zu kosmopolitischen Handelsstädten.29
Die fremden Kaufleute waren häufig in Nationes organisiert, die ein gewisses Maß an innerer Autonomie genossen und zwischen deren Mitgliedern enge geschäftliche und soziale Beziehungen bestanden. Mitunter unterhielten sie auch eigene Kapellen und Bruderschaften.30 Die Stellung dieser Nationes innerhalb der jeweiligen Städte war generell durch ein Spannungsverhältnis zwischen Freiheiten und Privilegien auf der einen, Restriktionen und Kontrolle auf der anderen Seite gekennzeichnet. In Venedig etwa waren fremde Kaufmannsgruppen lange Zeit verpflichtet, an bestimmten Orten wie dem Fondaco dei Tedeschi , dem Haus der deutschen Kaufleute, zu wohnen und ihre Geschäfte unter obrigkeitlicher Aufsicht sowie in Anwesenheit städtischer Makler zu tätigen. Da Venedig der wichtigste Einkaufsort für Güter aus dem östlichen Mittelmeerraum war und die Republik ihren eigenen Untertanen den Handel mit dem Heiligen Römischen Reich untersagt hatte, war die Lagunenstadt für deutsche Kaufleute trotz dieser Restriktionen, die erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gelockert wurden, geschäftlich sehr attraktiv.31 Städte wie Hamburg und Frankfurt verweigerten religiösen Minderheiten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts das volle Bürgerrecht: Im lutherischen Frankfurt beispielsweise hatten nicht nur Juden, sondern auch Katholiken und Reformierte eine mindere Rechtsstellung, und italienische Kaufmannsfamilien kämpften jahrzehntelang um ihre rechtliche und wirtschaftliche Gleichstellung mit einheimischen Händlern.32 Der Rat der Stadt Hamburg schloss im 17. Jahrhundert mit den Niederländern und Portugiesen kollektive Fremdenkontrakte ab, die ihren Handel reglementierten und die Grundlage ihrer Rechtsstellung als Nationes bildeten.33 Die Präsenz von Fremden und Minderheiten in europäischen Handelsstädten ist generell weniger auf abstrakte Toleranzprinzipien zurückzuführen als auf konkrete wirtschaftliche Interessen und pragmatische Arrangements.
Spezialisierung und Professionalisierung
Typisch für die großen italienischen und süddeutschen Handelsgesellschaften am Beginn der Neuzeit war die Verknüpfung verschiedener Formen des Handels- und Bankgeschäfts. Das Geschäftsfeld der Augsburger Fugger beispielsweise umfasste Silber-, Kupfer- und Goldbergbau, Montanhandel, Textilverlag, die Beschaffung von Luxusgütern für fürstliche Kunden sowie die Vergabe von Krediten an europäische Monarchen.34 Die Fuggerfirma und andere große süddeutsche Handelsgesellschaften entwickelten sich aufgrund dieser vielfältigen Aktivitäten "zu multifunktionalen, horizontal und vertikal gegliederten Unternehmen".35 Die Firmen, die Mitglieder der aus Lucca stammenden Familie Bonvisi in verschiedenen süd- und westeuropäischen Städten gründeten, verbanden einen ausgedehnten Warenhandel mit Wechsel-, Kredit- und Versicherungsgeschäften.36
Neben diesen international operierenden Kaufmannsbankiers sind bereits im 16. Jahrhundert Formen der Spezialisierung zu beobachten: Der Florentiner Benvenuto Olivieri (1496–1549), der sich in Rom niederließ und dort zu einem der wichtigsten Bankiers Papst Pauls III. (1468–1549) und zeitweiligen Generaldepositär der Apostolischen Kammer aufstieg, steht exemplarisch für eine Gruppe toskanischer Kaufleute, die sich auf Finanzdienstleistungen für die Kurie, insbesondere Kreditgewährung in Verbindung mit der Verpachtung von Steuer- und Zolleinkünften, konzentrierten.37 In Süddeutschland beschränkten sich kleine und mittelgroße Handelsfirmen häufig auf bestimmte Geschäftszweige: Im Fall der von Konstanz und Memmingen aus geleiteten Grimmel-Gesellschaft beispielsweise machten Textilien in den 1550er Jahren über 90 Prozent des Warenumsatzes aus.38
Eine Reihe handels- und finanztechnischer Innovationen, die sich zwischen dem späten 16. und dem 18. Jahrhundert an bedeutenden Handelsplätzen wie Amsterdam, Hamburg, Frankfurt am Main und London vollzogen, förderte die Trennung von Handels- und Bankgeschäft sowie die Spezialisierung auf einzelne Handelszweige bzw. auf Formen des Kommissions- und Speditionshandels. Die Gründung städtischer Wechselbanken (Amsterdam 1609, Hamburg 1619) sowie Diskont und Indossament erleichterten den bargeldlosen Zahlungsverkehr und den multilateralen Zahlungsausgleich zwischen Kaufleuten. Börsen entwickelten sich zu zentralen Orten der Koordination von Geschäften und des Austausches von Informationen. Gedruckte Wechsel- und Preiskuranten verbesserten den Informationsfluss über Kurse und Warenpreise und erhöhten dadurch die Transparenz von Marktbeziehungen. Seekarten , nautische Handbücher, geographische Schriften, Lehrwerke über Buchhaltung, Kaufmannshandbücher und Almanache versorgten Händler, Reeder und Schiffskapitäne mit geschäftlich relevanten Informationen.39 Die Verdichtung und zunehmende Verlässlichkeit von Postrouten und Kommunikationsverbindungen schließlich begünstigte auch den Austausch kaufmännischer Korrespondenz.40
Privatbanken, die an wichtigen Finanzplätzen wie Frankfurt, Köln und Hamburg in einem "langen Emanzipationsprozeß von den alten Kaufmanns- und Speditionsaktivitäten"41 entstanden, konzentrierten sich zunächst auf Wechselgeschäfte und Staatsanleihen und hatten vor allem Kunden in den höheren sozialen Schichten. Im 18. Jahrhundert spielten Bankhäuser wie dasjenige der Gebrüder Bethmann in Frankfurt auch eine wichtige Rolle im überregionalen Zahlungsausgleich sowie als Finanziers von Kaufleuten und größeren Gewerbetreibenden.42 Die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in großer Zahl entstehenden englischen Country Banks sowie die Privatbanken des 19. Jahrhunderts verknüpften Wechsel-, Depositen und Kreditgeschäfte und waren wichtige Kapitalgeber für Betriebsgründungen in der Frühphase der Industrialisierung .43
Im Falle der Handelshäuser lässt sich entsprechend dem Grad ihres Engagements in der Warenproduktion unterscheiden zwischen "Nur-Kaufleuten", die sich auf die Vermarktung von Gütern konzentrierten, Verleger-Kaufleuten, welche die heimgewerbliche Exportproduktion gewerblicher Güter koordinierten, Manufakturunternehmern, die zentralisierte Großbetriebe führten, sowie Bergwerks- und Hüttenunternehmern. Während Manufakturen stark von der Nachfrage der Höfe und Territorialstaaten nach Luxuswaren und Materialien zur Ausrüstung der stehenden Heere abhängig waren, setzte sich in den Textil- und Metallgewerben eher das Verlagswesen durch, in dem Kaufleute die dezentrale Warenproduktion in Haushalten und Kleinbetrieben organisierten sowie den überregionalen Vertrieb übernahmen .44
Kaufleute in protoindustriell geprägten Regionen spezialisierten sich häufig auf die Distribution regionaler Gewerbeerzeugnisse und die Organisation von Produktionsprozessen. Die Firma Johann Caspar Harkort aus Hagen-Westerbauer beispielsweise, die im 19. Jahrhundert den Übergang vom Handelshaus zum Fabrikunternehmen vollzog, konzentrierte sich seit den 1670er Jahren auf den Vertrieb märkischer Eisen- und Stahlwaren, insbesondere im Nord- und Ostseeraum, verlegte Draht- und Stahlproduzenten und erwarb eine Reihe von Hammerwerken. Während zunächst der Warenabsatz über Kommissionäre, vor allem in Lübeck, eine zentrale Rolle spielte, gewann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der über Korrespondenzen und Handelsreisen organisierte Direkthandel an Bedeutung. Das mit anderen rheinischen und westfälischen Kaufleuten verwandtschaftlich eng vernetzte Familienunternehmen der Harkort war also auf ein begrenztes Spektrum an Qualitätsprodukten spezialisiert; andere Geschäftszweige wie der Textilhandel, die Verarbeitung von Agrarprodukten und die Steinkohleherstellung hatten für dieses Handelshaus lediglich subsidiäre Bedeutung.45
Im Fall des britischen Nordamerikahandels setzten Änderungen der Handels- und Zollgesetzgebung in Verbindung mit kommerziellen und finanztechnischen Innovationen ebenfalls Spezialisierungs- und Konzentrationsprozesse in Gang. Im Handel mit den tabakproduzierenden Kolonien Virginia und Maryland beispielsweise waren im 17. Jahrhundert Hunderte kleinerer Firmen engagiert. Die Erhöhung der Einfuhrzölle, fallende Tabakpreise, die zunehmende Komplexität von Kreditbeziehungen sowie die Möglichkeit, Warenladungen zu versichern, führten seit den 1680er Jahren jedoch dazu, dass ein Großteil des Tabakhandels von einer Handvoll großer englischer und nach der politischen Union von 1707 auch schottischer Firmen dominiert wurde, die sich weitgehend auf den Atlantikhandel konzentrierten.46
Für mitteleuropäische Firmen entwickelte sich die Distribution kolonialer Güter, die sie in den atlantischen Hafenstädten aufkauften, zu einem lohnenden Geschäftsfeld. Im Warenspektrum des Schaffhauser Handelshauses Amman etwa machten Farbstoffe – insbesondere Indigo – um 1750 mehr als zwei Drittel, Genussmittel wie Zucker, Tabak und Kaffee ein Fünftel des Sortiments aus. In den 1770er Jahren entfielen sogar drei Viertel des Warenhandels auf Farbwaren, die in textilgewerblich geprägte Regionen Schwabens, Frankens, der Nordostschweiz und des Donauraums geliefert wurden. Diese Waren bezog das Schweizer Handelshaus vor allem aus den französischen und niederländischen Atlantikhäfen.47 Deutsche Kaufleute, die sich im 18. Jahrhundert in London und Cádiz niederließen, stammten häufig aus protoindustriellen Regionen Nordwestdeutschlands, Schlesiens und Sachsens und verknüpften den Vertrieb von Gewerbeerzeugnissen ihrer Heimatregionen mit dem Import überseeischer Güter.48
Die zunehmende Spezialisierung von Handels- und Bankhäusern auf bestimmte Geschäftsfelder ging mit Tendenzen zur Professionalisierung einher. Bereits im Spätmittelalter war es üblich, Kaufmannssöhne im jugendlichen Alter zur Ausbildung an wichtige europäische Handelsplätze zu schicken, wo sie Fremdsprachen, die Techniken der kaufmännischen Buchhaltung und Handelsusancen erlernten.49 Die generell sehr praxisnah gehaltene Ausbildung wurde durch Kaufmannshandbücher und -notizbücher sowie Lehrwerke und Traktate zunehmend systematisiert und differenziert.50 In der Gruppe der Faktoren und Handelsdiener der großen süddeutschen Handelsgesellschaften des 16. Jahrhunderts, die eine sorgfältige Ausbildung durchliefen, für ihre Tätigkeiten besoldet wurden und innerhalb einer Hierarchie firmeninterner Posten (Handelsgehilfe, Buchhalter, Kassier, Faktor, Hauptbuchhalter) aufsteigen konnten, zeigen sich bereits Merkmale einer professionellen kaufmännischen Angestelltenschicht.51 Lehrwerke des 18. Jahrhunderts wie Carl Günther Ludovicis Grundriß eines vollständigen Kaufmanns-Systems (Leipzig 1756) sahen eine entscheidende Qualifikation eines "ehrbaren Kaufmanns" darin, "dass er die Handlung gehörig gelernt habe, oder doch wenigstens verstehe; insonderheit aber muß er diejenige Handlungsart, die er zu treiben gedenkt, wohl begriffen haben".52
Handel und Kulturtransfer
Die Systematisierung kommerziellen Wissens in Kaufmannshandbüchern, Lehrwerken und Traktaten führte im Verlauf der Frühen Neuzeit zu einer allmählichen Standardisierung kaufmännischer Praktiken und zur Herausbildung einer internationalen kaufmännischen Kultur. So ist beobachtet worden, dass Handelsbriefe im 18. Jahrhundert weitgehend einheitlichen rhetorischen Konventionen folgten und sich an kulturübergreifenden Normen der Höflichkeit, der freundschaftlichen Verpflichtung und der Reziprozität orientierten. Die unter Kaufleuten weit verbreitete Mehrsprachigkeit sowie die Verfügbarkeit mehrsprachiger Briefsteller und Formularbücher erleichterten die Kommunikation über kulturelle Grenzen hinweg. Neben der Dichte kaufmännischer Korrespondenznetze, die den Informationsaustausch über die Reputation, Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit von Geschäftspartnern gewährleisteten, gelten diese gemeinsamen Standards kaufmännischen Verhaltens als eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren weiträumiger, kulturelle Grenzen überschreitender Fernhandelsbeziehungen, wie sie am Beispiel des interkontinentalen Korallen- und Juwelenhandels zwischen dem sephardischen Handelshaus Ergas und Silvera in Livorno, ihrem italienischen Geschäftspartner in Lissabon und Hindu-Kaufleuten im indischen Goa beschrieben worden sind.53
Darüber hinaus fungierten Handelshäuser durch die Vermittlung von Kunstwerken, Büchern und Luxusgütern als Agenten in Prozessen des Kulturtransfers. Die Augsburger Fugger etwa hatten durch die Rekrutierung italienischer Künstler und Kunsthandwerker sowie die Beschaffung von Gemälden, Skulpturen, Antiken und anderen wertvollen Objekten für ihre eigenen Haushalte und Kunstkammern wie auch für befreundete süddeutsche Fürsten eine Vorreiterrolle im transalpinen Kulturtransfer des 16. Jahrhunderts inne.54 Die Karriere des Kaufmanns Anton Meuting (1524–1591), der zwischen den 1550er Jahren und seinem Tod 1591 wiederholt als Agent und Gesandter der bayerischen Herzöge nach Spanien reiste und von dort wertvolle Geschenke der königlichen Familie nach München mitbrachte, aber auch Luxuswaren auf eigene Rechnung vermittelte, illustriert die am Beginn der Neuzeit noch fließenden Grenzen zwischen Handel und Diplomatie.55 Im 17. Jahrhundert begannen Kaufleute wie der Augsburger Philipp Hainhofer (1578–1647), sich auf die Beschaffung von Kunstwerken und Luxusgütern für europäische Fürsten sowie auf die Koordination und Finanzierung größerer Kunstaufträge zu konzentrieren.56 Die steigende Nachfrage höfischer, adeliger und wohlhabender bürgerlicher Kreise führte schließlich in Metropolen wie Amsterdam, Paris, Hamburg, Frankfurt und Leipzig zur Entstehung von Kunst- und Luxuswarenmärkten, die von spezialisierten Kunsthandlungen und Auktionshäusern bedient wurden.57
Regelmäßige Kontakte mit europäischen Fürstenhöfen, die Investition von Handelsgewinnen in ländlichen Grundbesitz und den Aufbau eigener Territorialkomplexe, die Verleihung von Adelstiteln als Gegenleistung für kommerzielle und finanzielle Dienstleistungen, Heiratsverbindungen mit adeligen Familien sowie die Angleichung an den Lebensstil der höfisch-aristokratischen Eliten ermöglichten reichen Kaufmannsfamilien schließlich den Aufstieg in den Adel. Die Florentiner Medici stiegen im 16. Jahrhundert zu Großherzögen der Toskana auf, die Augsburger Fugger gehörten um 1600 dem erblichen Reichsgrafenstand an und verfügten über Grundbesitz und Herrschaftsrechte in rund 100 schwäbischen Dörfern. Auch für bedeutende Amsterdamer und venezianische Kaufmannsfamilien des 17. sowie für Londoner Großkaufleute des 18. und 19. Jahrhunderts sind Prozesse der Aristokratisierung beobachtet worden.58 Ungeachtet der Attraktivität adeliger Leitbilder kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Aufstiegsprozesse die Stellung der Kaufmannschaft generell geschwächt hätten; vielmehr wurden die Lücken, die der Aristokratisierungsprozess in deren Reihen hinterließ, in der Regel rasch von kaufmännischen Aufsteigern und Zuwanderern wieder gefüllt. Der Kaufmannsstand war somit keineswegs statisch, sondern stetigem sozialen und kulturellen Wandel unterworfen.