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Einleitung
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde der Krieg neu konzeptualisiert, neu gedacht. Galt er zuvor als gewalttätige Auseinandersetzung zwischen souveränen Staaten, so wurde er im Zuge der Aufklärung zum einen einer grundsätzlichen Kritik unterzogen, die einen "ewigen Frieden" (Immanuel Kant 1724–1804) avisierte, und zum anderen wurde der revolutionäre Bürgerkrieg im Kontext der Französischen Revolution als legitimes Mittel gegen eine kriegslüsterne, expansive Monarchie bestimmt. Die Geschichtswissenschaft hat dies als "Bruchstelle" markiert und von einer "Kehre in der Entwicklung des neuzeitlichen Kriegsbegriffs" gesprochen.1 Hier setzt dieser Artikel zeitlich ein und betrachtet zunächst mit Francisco de Goya (1746–1828) den wohl bedeutendsten Künstler seiner Zeit, den man in seiner überragenden Statur als letzten Alten Meister und als ersten Künstler der Moderne zu charakterisieren versucht hat.
"Das ist schlimm" oder "So ist es geschehen" – dies sind nur zwei Titel aus der Serie von Kriegsgrafiken, die der Spanier Goya zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschaffen hat. Moralische Bewertung, Zeitzeugenschaft und Selbstbeschreibung des Künstlers im Sinne von Leopold von Rankes (1795–1886) vielzitiertem Diktum: nicht "die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren", sondern "blos (zu) zeigen, wie es eigentlich gewesen",2 verschränken sich in Goyas Bildtiteln. Sie formulieren die Aufgabenstellung dieses Beitrags: Wie haben Künstler auf die Schrecken des Krieges reagiert und welche ästhetischen Möglichkeiten standen zur Darstellung und Aufarbeitung der Ereignisse zur Verfügung? Nicht die komplexen historischen Hintergründe sollen zur Sprache kommen, sondern die Kunst als genuines Medium menschlichen Selbstverständnisses oder gar als "Mnemotechnik der Traumata" (Carl Einstein 1885–1940).3 Goya ist dabei derjenige Künstler, der am Beginn der Moderne um 1800 die für die nächsten 150 Jahre geltenden ästhetischen Maßstäbe gesetzt hat. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg kamen realistische Darstellungsmodi angesichts von Holocaust und Atombombe an die Grenzen bildnerischer Möglichkeiten. Otto Dix (1891–1969) ist neben Goya die zweite entscheidende, künstlerisch herausragende Figur, wenn es um die Darstellung des modernen Krieges geht. Nach dem Ersten Weltkrieg und im Rückgriff auf Goya machte er Krieg und Bürgerkrieg in höchst eindringlicher Weise und in zahlreichen Werken zum Thema und versuchte in den frühen 1930er Jahren noch vor einem neuen Krieg zu warnen. Für diesen Beitrag besitzt sein umfassendes Werk besondere Bedeutung, weil er sich an einigen Stellen direkt auf Goya und damit auf die seit dem Beginn der Moderne etablierte Bildtradition bezog, und sich hingegen an anderen Stellen mit den neuen Bildmedien Photographie und Film auseinandersetzte. Dabei insistierte Dix weiter auf den traditionellen Darstellungstechniken, die nach 1945 von Photographie und Film weitestgehend ersetzt wurden.
Francisco de Goyas Kriegsgrafiken
Francisco de Goya machte seit den 1780er-Jahren am spanischen Hof Karriere und wurde 1799 zum ersten Hofmaler ernannt. Seine Stellung und Tätigkeit ist gekennzeichnet von offiziellen Aufträgen, aber auch von ersten Ansätzen, für einen sich etablierenden freien Kunstmarkt zu produzieren.4 Insbesondere seine berühmten Grafikserien stehen in diesem Zusammenhang. Die hier maßgeblichen Desastres de la Guerra, mit denen Goya wohl im Jahr 1810 begann und die er 1820 nochmals bearbeitete, wurden allerdings zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht.5 Sie zeigen den Kampf zwischen der spanischen Bevölkerung und den französischen Eroberern zur Zeit der Herrschaft Napoleons. Erst 1863 edierte die Academia de San Fernando das Werk, das aufgrund seiner schonungslosen Kriegsdarstellungen für Furore sorgte. Die insgesamt 80 Blätter der Folge werden gerahmt von pathetischen, allegorischen Szenen: am Anfang sieht man einen knienden älteren Mann, klagend mit entblößter Brust und seitlich ausgestreckten Armen, der die weiteren Geschehnisse mit Schrecken und Trauer erwartet. Ihm antworten am Schluss der Folge zwei Blätter mit Allegorien der Wahrheit. Diese wird auf Blatt 79 als schöne, mit entblößter Brust liegende tote Frau dargestellt, die von Menschen aller Alter und Schichten wehmütig betrauert oder verständnislos begafft wird. Blatt 80 fragt, ob sie wieder auferstehen wird – denn die Frau scheint aus sich zu leuchten und sich langsam, wie schwebend in Bewegung gesetzt, aufzurichten. Die umstehenden, schemen- und fratzenhaften Figuren scheinen dies eher zu fürchten denn zu begrüßen. Zeitlich eröffnen Blatt 1 und 80 jeweils eine Zukunft: zum einen, die der konkreten Ereignisse, die Goya in der Folge drastisch entfaltet; zum anderen, die einer nicht gezeigten Aufarbeitung und Thematisierung. Der Künstler antizipiert hier zugleich das fragliche Schicksal seiner Mappe, denn diese ist noch nicht veröffentlicht und würde mit einer Publikation die Wahrheit ja ans Licht bringen, deren Wiederherstellung jedoch fraglich bleibt.
Die Folge selbst weist eine lose Gliederung auf und zeigt im ersten Teil unfassbare Gräueltaten, die aus bestialischen Schändungen, Folterungen und Ermordungen bestehen. Der zweite Teil verlagert sich eher auf die Bereiche von Schock, Trauer und Trauma, um schließlich ab Nr. 71 verstärkt das Mittel der grotesken Allegorie zu bemühen, um das Geschehene verstehen oder bannen zu können. Die gesellschaftliche Kritik der Caprichos von 1799 wird hier wieder aufgegriffen, wenn Tierwesen zu Gericht sitzen, Verhöre protokollieren oder Theater spielen. Innerhalb der so grob skizzierten Struktur der Folge erfährt man trotz allem die Blätter 37 und 39 als gesteigerte Schocks, die das bislang Dargestellte noch hinter sich lassen bzw. überbieten. Heldentat! Mit Toten! (Grande hazaña, con muertos, Nr. 39) zeigt fragmentierte Körper, die an einen Baum gebunden oder gespießt wurden. Hier hat man vielleicht Leichen geschändet, zerhackt und zur Schau gestellt. Der Titel ironisiert solchen Sadismus, der keinen Mut, sondern nur Abgefeimtheit zeigt.
Dies ist schlimmer (Esto es peor, Nr. 37) zeigt hingegen französische Soldaten beim Morden. Ein Opfer wurde durch den Anus hindurch gepfählt; der spitze Ast ragt jetzt zwischen den Schulterblättern heraus. Der Mund des Opfers ist in dem vorgereckten Kopf in verstummter Qual geöffnet und die Arme hat man abgeschnitten. Dieses Detail ist von großer Bedeutung, denn Goya spielt damit auf ein berühmtes antikes Kunstwerk an, dessen ästhetische Wertschätzung ihm in Madrid an Hof und Akademie durch den Maler Anton Raphael Mengs (1728–1779) vermittelt wurde. Goya hatte das antike Meisterwerk zudem in den 1770er-Jahren selbst in Rom aufgesucht und gezeichnet: den Torso vom Belvedere. Mengs’ Freund Johann Joachim Winckelmann (1717–1768)[] hatte das nur fragmentarisch überlieferte Werk kunstvoll beschrieben.6 Mit Blick auf die Verarbeitung des Krieges ist zentral, dass Goya auf den Torso als von der Zeit beschädigtes Meisterwerk zurückgreift, um an der Pathosformel des Fragments die unerhörte Grausamkeit des Menschen zu verdeutlichen. Die Heldentaten des Herkules – als solcher war die Figur von Winckelmann gelesen worden – verkehren sich anhand seiner heldenhaft-muskulösen Figur in die Qualen des Opfers, um dann zwei Blätter später in Heldentat! Mit Toten! noch ihre ironische Steigerung zu erfahren. Immer wieder erwies sich Goya als Meister des sardonischen Humors, auch wenn er selbst die Realität zutiefst betrauerte. Hier aber aktivierte er sein Formwissen, um eine inhaltliche Aussage zu pointieren, die gebildete Betrachter vor den Kopf stoßen musste. Die aufgeklärten Franzosen erweisen sich als bestialische Sadisten.
Francisco de Goyas 2. und 3. Mai 1808
Auf diesen als Pendants konzipierten, ereignishaften Historienbildern stellt Goya den Volksaufstand der Stadtbevölkerung von Madrid dar, die sich Anfang Mai 1808 gegen Napoleon Bonaparte (1769–1821)[]und seine lokalen Truppen erhob.7 Der Aufstand wurde von General Joachim Murat (1767–1815) blutig niedergeschlagen und im Morgengrauen des nächsten Tages wurden Aufständische standrechtlich erschossen. Goyas Bild des Aufstands vermag die spezifische Weise des Kampfes zwischen Reitern und einfachen Aufständischen in seiner Unordnung einzufangen. Das Bild besitzt kein wirkliches Zentrum; es ist nicht hierarchisch komponiert, wie man das bei einem klassischen Historienbild erwarten würde. Stattdessen sieht man ein durch Häuserfluchten wie in einen Kanal geflutetes chaotisches Figurenknäul, bei dem man nicht – wie schon in den Desastres – einfach zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Es ist ein Hauen und Stechen; man beobachtet allerdings den erfolgreichen Versuch, einen Reiter vom Pferd zu zerren und zu erdolchen. Dessen rote Hose markiert denn auch den absoluten Bildmittelpunkt und insofern wird die blutige Signalfarbe Rot zum Zentrum des Bildgeschehens.
Auf dem zweiten Bild hat der chaotische Kampf zwischen Mann und Mann der rigiden Ordnung einer Hinrichtung zu weichen. Goya inszeniert die Erschießung im aufgeblendeten Licht einer Laterne. In Verbund mit dem schwarzen Himmel und der dunklen Kirche im Hintergrund dementiert das Bild jede transzendente Hoffnung der Opfer auf Erlösung. Dies ist wichtig festzuhalten, da Goya die zentrale Figur mit erhobenen Armen und Wundmalen in den Handflächen als Märtyrer inszeniert. Die Verzweiflung der Opfer, die von rechts an ein anonymisiertes Erschießungskommando herangeführt werden, sowie die schon im Staub liegenden Toten – bei denen Goyas pastos-grober Farbauftrag die Brutalität des Vorgangs physisch anschaulich zu machen versucht – lassen die Pathosformel der erhobenen Hände ins Leere laufen. Gegenüber dem alten Mann auf Blatt 1 der Desastres steigert Goya das Pathos hier von der flehentlichen Resignation zur emphatisch-folgenlosen Anklage. Zeitgenössisch besaßen die Bilder aber kein Publikum, bei dem der Apell auf fruchtbaren Boden fallen konnte. Zwar wurden die Bilder anlässlich des feierlichen Einzugs Ferdinands VII. (1784–1833) in Madrid in der Öffentlichkeit gezeigt, verschwanden dann aber im Depot und Goya konnte während der Herrschaft des neuen Königs nicht mehr reüssieren. War das Bild zum 2. Mai eventuell selbst möglicherweise von Anne-Louis Girodet-Triosons (1767–1824) Der Aufstand in Kairo am 21. Oktober 1798 (1810) inspiriert – eine dramatische Zweikampfsituation wird hier tendenziell von einer unüberschaubaren Figuren- und Detailakkumulation absorbiert –, so wurde die Pathosformel zum 3. Mai wiederum zum oft zitierten Vorbild: Edouard Manet (1832–1883) (Die Erschießung Kaiser Maximilians 1868–1869), Otto Dix und Pablo Picasso (1881–1973) beriefen sich zu unterschiedlichen Zeiten auf dieses Hauptwerk der modernen Kunst.
Tendenzen des 19. Jahrhunderts
Die Betrachtung von Kunstwerken verlangt eine individualisierende Beschreibung und eine kontextualisierende Deutung. Nach dem Einstieg über konkrete und herausragende Kunstwerke ist an die Gattung zu erinnern. Das Historienbild nahm innerhalb der ausdifferenzierten Gattungen der Malerei (ferner waren das Porträt, Landschaft, Genre und Stillleben) den höchsten Rang ein. Dabei wurde das profane Historienbild – etwa das historische Ereignisbild – der sakralen Historie – der heilsgeschichtlichen Szene – nachgeordnet.8 Innerhalb der traditionellen und im 17. bzw. 18 Jahrhundert durch die Akademien kodifizierten Auffassung spielten Fragen nach dem zeitlichen Moment der Darstellung oder der Angemessenheit der Darstellung im Sinne des decorum eine wichtige Rolle, die für die subversiven oder ostentativen Regelverstöße der modernen Kunst mitbedacht werden müssen.
Vor allem die französischen Künstler der Moderne des 19. Jahrhunderts forderten die Gattung heraus, erweiterten oder unterminierten sie. Théodore Géricaults (1791–1824) Floß der Medusa (1819) inszeniert im Riesenformat eine zeitgenössische Tragödie von links nach rechts als Akt dramatischer Verzweiflung und Chiffre einer scheinbar ins Ziellose gerichteten Hoffnung – das die Schiffbrüchigen rettende Schiff ist verschwindend klein gemalt und eigentlich nicht erkennbar. Eugène Delacroix' (1798–1863) Die Freiheit führt das Volk an (1830) zeigt, wie Revolutionäre, angeführt von einer barbusigen Allegorie, die die Personifikationen von Freiheit und Wahrheit in eins fasst, über Leichenhaufen steigen. Schließlich zerstört Gustave Courbets (1819–1877) Das Begräbnis von Ornans (1849–1850) die akademische Tradition vollständig, indem der Künstler ein Genremotiv mit parataktisch gereihten Alltagsfiguren als Gruppenporträt um ein trostloses Grab als bloße Vertiefung im Boden arrangiert.9 Die in Ansätzen weiter existierende Historien- und Schlachtenmalerei stellt im Kontrast zu diesen Hauptwerken des 19. Jahrhunderts aus heutiger Sicht letztlich einen Anachronismus dar, der vor dem Hintergrund der neuen Kriege des 20. Jahrhunderts von maßstabsetzenden Künstlern endgültig überwunden wurde – jetzt erschien jede offizielle Darstellung als unangemessen oder gar als verlogen.
Hier seien nochmals zwei Beispiele des 19. Jahrhunderts kursorisch herausgegriffen, um die künstlerische Problematik innerhalb der modernen Kunst für die Jahre nach 1850 zu verdeutlichen. Adolph Menzels (1815–1905) Friedrich und die Seinen bei Hochkirch, 13./14. Oktober 1758 von 1850/56 zeigt eine dramatische Schlachtenszene, in der sich die preußischen Truppen in enger Nahsicht als Silhouetten vor hellem Hintergrund gegen einen unsichtbaren Gegner von links wehren. Friedrich der Große (1712–1786) reitet im Mittelgrund der rechten Bildhälfte frontal auf den Betrachter zu und ignoriert die Gefahr von links völlig. Die Menzel-Forschung hat herausgestellt, dass das Bild zum einen durch eine Steigerung von Kontingenz geprägt sei, die den Realismus der Darstellung betont. Zum anderen wird der Herrscher traditionell herausgehoben, erscheint er in einer Perspektive, "die ihn weit über seine Schlachtenreihen erhebt, dem Schussfeld des Gegners ausgesetzt, und dadurch geradezu seinen unverwundbaren Status anzuzeigen scheint."10 Das Bild einer Seeschlacht der 1860er Jahre verkürzt der Wiener Maler Anton Romako (1832–1889) auf die Brücke des siegreichen Schiffs, das den Kapitän Wilhelm von Tegetthoff (1827–1871) hoch erhoben, mit lässig selbstgewiss in die Uniformtaschen gesteckten Händen inmitten des Pulverdampfs und engagierter Untergebenen zeigt. Er bildet den hieratischen Kulminations- und Ruhepunkt, während die Offiziere links und rechts von ihm in Bewegung begriffen sind, die Mannschaft unter ihm jedoch am Ruder verbissen agiert und die hochgereckte Mütze des Steuermanns den Sieg andeutet. Der Säbel des Kapitäns berührt dessen erhobene Hand; er nimmt so das Zeichen des bevorstehenden Sieges auf – jedoch völlig ungerührt, mit einer fast unverständlichen Portion Desinteresse. Darin mag die alte Formel des Ecce homo weiterleben, wie Werner Hager (1900–1997) suggeriert,11 und der ruhig befehlende und abwartende Ausnahmemensch in die Nähe des demütigen und schicksalsergebenen Gottessohnes gerückt werden. Das zeitgeschichtliche Drama einer Seeschlacht wird auf der eng beschnittenen Fläche in die reine, zahlenmäßig begrenzte Figurenkonstellation gebannt und das Bild durchbricht oder erneuert die Tradition auf expressiv verdichtete Weise im spätimpressionistischen Idiom.
Eine Besonderheit der Zeit liegt jetzt in der Medienkonkurrenz von Photographie einerseits und Malerei und Graphik – auch in Form der Zeitungsillustration – andererseits. Ende 1863 konnte Charles Baudelaire (1821–1867) noch in Constantin Guys (1802–1892) einen Künstler-Soldaten erblicken, der auf zahllosen Zeichnungen den Krim-Krieg geschildert hatte, "von den glanzvollsten Heldentaten bis zu den alltäglichsten Lebensverrichtungen."12 Dabei agierte er als eine Art Kriegsberichterstatter, wie anlässlich des Deutsch-Dänischen Kriegs (1864) sein Kollege Wilhelm Camphausen (1818–1885). Seine Zeichnungen verarbeiteten zum einen die aufkommende Kriegsphotographie und zum anderen stellten sie sich weiter in die Tradition von Romantik und Realismus.13 Zeitgleich nahm die Photographie die Perspektive der Opfer auf, wie das mit schonungsloser Eindringlichkeit während des Amerikanischen Bürgerkriegs auch in Form von Nahaufnahmen geschah.14 Hier hatte das neue Bildmedium die Drastik Goyas eingeholt, freilich ohne dessen Verdichtung zu erreichen.
Expressionismus und Dadaismus
Im Deutschen Kaiserreich wurde die Historienmalerei in Berlin von Anton von Werner (1843–1915) bestimmt und der Kaiser verhöhnte und attackierte neue, naturalistisch-realistische Tendenzen in der Kunst als "Rinnsteinkunst".15 Innovationen oder zumindest Anschlüsse an internationale Tendenzen wurden in Gattungen wie Porträt und Landschaft von Malern wie Wilhelm Leibl (1844–1900), Lovis Corinth (1858–1925), Max Liebermann (1847–1935)16 und dann nach 1900 von den Expressionisten geleistet.17 Der Krieg wurde in Symbolismus und Expressionismus oft als Allegorie/Personifikation dargestellt: Franz von Stuck (1863–1928) lässt ihn 1894 mit triumphaler Geste über ein Leichenmeer reiten; Henri Rousseau (1844–1910) lässt im selben Jahr ein wildes Kind mit Feuer und Schwert über Tote preschen, an denen Raben sich schon gütlich tun; Arnold Böcklin (1827–1901) greift 1896 auf die Ikonographie der Apokalyptischen Reiter zurück; Alfred Kubins (1877–1959) Gigant unter römischer Helmmaske zerstampft beim nächsten Schritt ein ameisenhaftes Lanzenheer und Ernst Barlachs (1870–1938) Heiliger Krieg von 1914 schreitet mit erhobenem Sichelschwert direkt auf den Betrachter zu. Die entsprechende, skulptierte Figur aus demselben Jahr trägt den Titel Der Rächer. Die avantgardistische Malerei nahm sich des Themas Apokalypse an, sei es in einer Bildserie von (Stadt-)Landschaften bei Ludwig Meidner (1884–1966), sei es als Jüngstes Gericht bei Wassily Kandinsky (1866–1944) 1913 oder den Kämpfenden Formen von Franz Marc (1880–1916) 1914. Hier war die Schwelle zur Gegenstandslosigkeit überschritten und es zeigte sich ein Riss zwischen konkreter Erfahrung und abstrakter Verbildlichung.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Expressionismus für tot erklärt und von den Dadaisten dennoch weiter heftig attackiert. Einer der Hauptvorwürfe bestand in dem einer weltabgewandten Abstraktion, die der Gegenwart und damit auch der Verarbeitung des Kriegserlebnisses nicht gerecht würde.18 Otto Dix zeigte auf der Ersten Internationalen Dada-Messe in Berlin 1920 seine großformatigen Kriegskrüppel, die auch unter dem ironischen Titel "45% erwerbstüchtig" firmierten. Zwar hatte der Brücke-Künstler Erich Heckel (1883–1970) 1915 einen verwundeten Matrosen in Holz geschnitzt, aber die Mitglieder der inzwischen aufgelösten Dresdner Künstlervereinigung schufen insgesamt kaum überzeugende Bilder zum Thema Krieg. Allein Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), der seine eigene nervliche Zerrüttung infolge von Hungerstreik und Drogenmissbrauch eindringlich ins Bild zu setzen wusste, ließe sich davon ausnehmen. Einen Höhepunkt stellten Kirchners Illustrationen zu Adelbert von Chamissos (1781–1838) Geschichte von Peter Schlemihl und dessen verlorenem Schatten dar, in denen der Künstler 1915 versuchte, seine eigene Paranoia zu verarbeiten. Als Krüppel stellte Kirchner sich im selben Jahr auf dem Selbstbildnis als Soldat dar, dessen rechte Hand abgeschnitten war. Seltsam entrückt, wie ein Somnambuler hält der Maler den Stumpf vor den Betrachter, während die linke Hand noch die Geste des Zeichnens oder Malens vollführt. So zeigt Kirchner seine Angst vor Verwundung und die drohende Möglichkeit, die künstlerische Potenz einzubüßen. Kontrastiert seine Hilflosigkeit doch mit einer Atelierszene im Hintergrund und einem nah herangerückten weiblichen Akt, der dem Körper des Künstlers als künstlerische Imagination zu entsteigen scheint. Eine entscheidende Pointe des Gemäldes besteht darin, dass Kirchner das zwingende Bild der Verstümmelung nicht selbst erfunden, sondern der antideutschen Gräuelpropaganda der Alliierten entnommen hat.19 Hier kursierten Gerüchte und illustrierende Verbildlichungen davon, dass die Deutschen belgischen Kindern die Hände abgeschlagen hätten. Die Propagandabilder wurden in die schmerzhafte Selbstreflexion umgewandelt.
Gänzlich anders versuchte der Blaue Reiter Franz Marc mit der Kriegsthematik umzugehen, wenn er im Feld abstrakte Skizzen anfertigte, die das Weltkriegsgeschehen als Streit und Kampf dynamischer Formen interpretierten. Marc hatte sich schon vor dem Ersten Weltkrieg als zeitgeschichtlich sensibler Künstler gezeigt, der die verschiedenen Krisen vor dem Ausbruch des Kriegs reflektierte, etwa in den Gemälden Die Wölfe (Balkankrieg) oder Das arme Land Tirol. Das aggressiv nach links strebende Rudel oder die verheerte Landschaft unter dem Todeszeichen der Sense müssen als Versuche beachtet werden, die Kunst der Avantgarde nicht als reine Formproblematik zu begreifen, sondern sie auch gegenwartskritisch zu realisieren. Flankiert werden diese Versuche Marcs von seinen umfangreichen Schriften, die sich zu Thesen von der Notwendigkeit eines großen Blutopfers für die Zukunft Europas jenseits des schrankenlosen Materialismus des 19. Jahrhunderts steigern konnten. Sowohl von Marc als auch von Max Beckmann (1884–1950) – mit dem er 1912 eine Kontroverse über die Tendenz zur Abstraktion geführt hatte – wurden Briefe aus dem Feld noch zur Kriegszeit veröffentlicht und prägten den intellektuell-künstlerischen Diskurs über den Krieg in der Heimat mit.20 Franz Marc fiel 1916 in Frankreich, während Max Beckmann, der sich ab 1915 dem unmittelbaren Kriegseindruck entziehen konnte, seinen Vorkriegsstil hinter sich ließ und den Ansatz einer "transzendenten Sachlichkeit" entwickelte. Dabei führte er seine Kenntnisse der Avantgarde (Kubismus), die er zeitlebens kritisch kommentierte, und seine Seherfahrungen spätmittelalterlicher Leidensdarstellungen überzeugend zusammen und schuf Hauptwerke wie Die Nacht (1918/19) oder Der Traum (1921), die die Erfahrung des Krieges in die Nachkriegs(un)ordnung transponierten und nächtliche Mordszenen oder traumwandlerische Hinterhofszenen mit Kriegsversehrten zeigten.21 Doch handelt es sich weniger um eine direkte Aufarbeitung des Krieges als eine Interpretation der Nachkriegssituation vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen. Parallel dazu zeigten Dadaisten wie Otto Dix und George Grosz (1893–1959) ebenfalls die beschädigten, zerstörten ("Helden"-)Körper der zahllosen Kriegskrüppel. Gerade die Berliner Dadaisten Grosz und John Heartfield (1891–1968) und ihre Freunde Rudolf Schlichter (1890–1955) und Georg Scholz (1890–1945) attackierten aber die Unbelehrbaren innerhalb der militärischen Kaste und ihre gesellschaftlichen Stützen.22 Die Verhöhnung des preußischen Offiziers als uniformierten, vom Himmel der Dada-Messe herabschwebenden Erzengel mit Schweinsmaske war hier ein Höhepunkt. Noch 1937 im Kontext der Aktion "Entartete Kunst" stellte die politische Rechte diese Tendenz am Beispiel von Otto Dix' angeblicher Wehrkraftzersetzung paradigmatisch heraus.
Otto Dix' Schützengraben und seine Mappe Der Krieg
Mit seinem heute verlorenen großformatigen Gemälde Straßenkampf nahm Otto Dix 1927 direkt Bezug auf Francisco de Goyas Erschießungsbild zum 3. Mai 1808 und aktualisierte es für die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik. Erneut steht eine gereihte anonymisierte Soldateska als Erschießungskommando einem ungeordneten Haufen von "Opfern" gegenüber, auch wenn aus diesen Reihen zurückgeschossen wird. Bemerkenswert ist die versuchte Steigerung gegenüber Goyas Bildfindung, die vor allem in einer inhaltlichen Pointe zu finden ist. In der linken unteren Bildhälfte ist bei Goya eine schockhaft-brutale Malerei qua Maltechnik (das Aufspachteln von Farb-Blut-Materie) neben und im Gesicht des Erschossenen zu sehen. Dix steigert das motivisch und setzt an die Stelle des Gesichts einen weiblichen Schoß. Dadurch vermengt er die Brutalität von Krieg und Bürgerkrieg mit dem Thema sexueller Gewalt, das er in extremer Weise bereits 1920 in einem Selbstbildnis als Lustmörder und 1923 in einem äußerst brutalen Lustmord-Gemälde (beide heute verloren) dargestellt hatte.23 Das Selbstbildnis wiederum nimmt Bezug auf eine eindrucksvolle Zeichnung aus dem Jahr 1917, auf der sich Dix selbst als Soldat mit Vampirzähnen darstellte, so dass man davon sprechen kann, dass der Künstler die Erfahrung des Blutrauschs an sich selbst durchaus sardonisch-lustvoll thematisiert hat. Im Nachkriegswerk wird diese Kriegserfahrung in Auseinandersetzung mit dem Berliner Dadaismus – Grosz hatte zwei Lustmörder zuvor in Öl gemalt – anspielend wiederholt und in das Schockthema des Lustmords transponiert. Das zweite Dix-Bild setzt sich vom grotesken Dadaismus im radikal realistischen Modus des Verismus ab und bedient sich der Tatortphotographien aus Erich Wulfens (1862–1936) kriminologischem Sexualstraftäterbuch als Vorlagen. Entscheidend ist hier erneut der Zusammenhang mit der Kriegsthematik, denn parallel beendet Dix sein Hauptwerk Schützengraben. Die hier rückwärts erzählte komplexe Verschränkung von Kriegserfahrung und Schockästhetik des Lustmords gründet jedoch in den ersten Selbstbildnissen, die Dix als Weltkriegssoldat geschaffen hat und in denen er einen spezifischen Habitus anzudeuten versucht.
1914 wird Dix eingezogen und als Maschinengewehrschütze ausgebildet. Er erlebt den gesamten Ersten Weltkrieg, tötet massenhaft, wird verwundet und scheint erst im letztem Moment mit der Ausbildung zum Flieger im Jahr 1918 den mörderischen Schlachten ausweichen zu wollen.24 In eindrucksvollen, stilistisch und thematisch weit auseinanderliegenden Selbstbildnissen thematisiert Dix seine neue Rolle als Soldat. Dabei kann er in Paradeuniform oder als Zielscheibe, als Kriegsgott Mars oder als kahlgeschorener Rekrut erscheinen. Das letzte Bild ist für die hier zuvor geleistete Darstellung zentral, denn Dix hat sich bewusst an seine gleichzeitige Friedrich Nietzsche (1844–1900) Büste angelehnt, die er aus Gips geformt und dann in ungewöhnlicher Weise grün angestrichen hatte. Auch dieses Werk ist dem nationalsozialistischen Bildersturm nach 1933 zum Opfer gefallen. Die Farbigkeit erklärt sich über Dix’ genaue Nietzsche-Lektüre und bezieht sich auf eine Passage in Die fröhliche Wissenschaft:
Ihr zürnt auf mich, ihr schönen Unthiere? Fürchtet ihr, dass ich euer Geheimnis ganz verrathe? Zürnt mir nur, hebt eure grünen gefährlichen Leiber so hoch ihr könnt, macht eine Mauer zwischen mir und der Sonne – so wie jetzt! Wahrlich, schon ist Nichts mehr von der Welt übrig, als grüne Dämmerung und grüne Blitze. Treibt es wie ihr wollt, ihr Uebermüthigen, brüllt vor Lust und Bosheit... .25
Nietzsche selbst hat also eine Verschränkung von Gewalt und Lust inauguriert und Dix bezieht sich darauf in einer besonderen biographischen Situation: Der Tatsache, bald in den Krieg ziehen zu müssen. Dann aber wendet er in diesem spezifischen Bild dieses Schicksal aggressiv und stilisiert sich zu einem gefährlichen Kämpfer, der selbst in der Schlacht lustvoll brüllen will. Gebrochen wird diese Suggestion durch die erwaehnten parallelen Bilder, etwa durch das Selbstbildnis als Zielscheibe, das eine mögliche passive Opferrolle antizipiert. Und auch die erwähnte Vampir-Selbstbildnis-Zeichnung von 1917 wird flankiert von melancholischen oder angestrengt unbeteiligt wirkenden Selbstdarstellungen.26 Max Beckmanns Selbstbildnisse der Kriegszeit wären diesen Darstellungen hinsichtlich des differenzierten Affektspektrums vergleichbar, zeigen sie doch einen nervlich zerrütteten Künstler, dessen zittrige Grapheme dem Auge keinen Halt mehr bieten.
Wie Goya ist Dix weiter zentral für jede kunsthistorische Sicht auf den Krieg. Einen ersten Kulminationspunkt erfährt die Auseinandersetzung mit der Beendigung des Schützengraben 1923 in Düsseldorf und der Veröffentlichung der 50 Blätter umfassenden Radiermappe Der Krieg 1924 anlässlich der 10. Wiederkehr des Kriegsausbruchs. Das Gemälde wird zum Skandalbild und muss vom Kölner Museum zurückgegeben werden; dort schon war es Jugendlichen nicht erlaubt, das Bild zu betrachten, so dass es hinter einem Vorhang versteckt werden musste. Später gelangte das Werk in die Dresdner Sammlungen und wurde von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und zu einem Hauptstück innerhalb ihrer Kampagne „Entartete Kunst“ promoviert27; um 1940 verliert sich die Spur des Gemäldes.28 Entscheidend ist hier ein Verismus, der das Bild zu einer nahansichtigen Schockerfahrung einerseits – angesichts des Grauens der sichtbaren Verstümmelung und Verwesung – und zu einem ästhetischen Erlebnis – angesichts der differenzierten Textur und des subtilen Kolorits – werden ließ. Die zeitgenössische Rezeption war dementsprechend gespalten: man anerkannte zum einen und unabhängig von einer parteipolitischen Ausrichtung eine realistische Schilderung der Kriegserfahrung und man war angesichts der formalen Qualitäten polarisiert. Der wichtige Kunstkritiker Julius Meier-Graefe (1867–1935) fand das Bild zum "Kotzen"29, Ernst Kállai (1890–1954) konnte sich im Verlauf seines bemerkenswerten Beitrags nicht entscheiden, ob das Bild eine Ablehnung des Krieges oder einen Kult um den Krieg – unfreiwillig – inszeniere.30
"Vor solcher Wirklichkeit zerbricht der schwache menschliche Verstand." Dieser Satz entstammt dem Vorwort, das Henri Barbusse (1873–1935) der Restauflage der günstigen Buchhandelsausgabe von Dix' Mappe vorangestellt hat. Der französische Schriftsteller unterstrich damit die pazifistische Absicht, die Karl Nierendorf (1889–1947) als Dix-Händler und Verleger der Mappe verfolgte. Eindrucksvoll wurde so die "Erbfeindschaft" zwischen Deutschen und Franzosen auf der Grundlage einer gemeinsamen Erfahrung im Medium der Kunst beigelegt. Dix' Mappe besticht noch heute durch ihre inhaltliche Breite und technische Virtuosität. Pferdekadaver, Wahnsinnige, vorgehende Stoßtrupps oder Bordellbesuche werden dargestellt. Tiefe Schwärze und gleißendes Licht, malerische Effekte und brutale Striche, schockartige Nahansichtigkeit und panoramaartige Tiefe, grausamer Verismus und schaurige Groteske bestimmen die so facettenartig irisierende, kontrastreich orchestrierte Folge.31 Die Blätter II und IX der vierten Mappe scheinen in technischer und motivischer Hinsicht direkt von Goya inspiriert, den Dix mit dem graphischen Reichtum seiner Folge zu überbieten versucht.
Die zeitgleiche Federzeichnung So sah ich als Soldat aus (1924) inszeniert hingegen den kaltschnäuzig-draufgängerischen Maschinengewehrschützen unter einem zerschossenen Stahlhelm, der keiner Gefahr ausgewichen war. Hier kommt Dix Ernst Jüngers (1895–1998) Typus des Frontsoldaten nahe und die in der Mappe gebannten Erfahrungen und Traumata sind verdrängt. Insgesamt darf man wohl davon sprechen, dass Dix die umfangreiche Grafikmappe als wechselseitige Ergänzung zum Gemälde Schützengraben kalkuliert, von dessen kontroverser Rezeption der Maler ausgehen konnte, konzipierte. Hier das großformatige und fast landschaftsartige Todesbild, dort die multiperspektivische, antinarrative Folge unzusammenhängender Episoden, die sich in das Bildgedächtnis brennen.
Otto Dix' Triptychon Der Krieg und Pablo Picassos Guernica
Mit der Zuspitzung der politischen Konfrontationen und ideologischen Deutungskämpfe sah sich Otto Dix Ende der 1920er Jahre nochmals aufgerufen, Stellung zu beziehen. Das große Triptychon Der Krieg (1929–32) wählte die traditionelle Form des Altarbildes, um mit dieser Pathosformel eine Summe des Kriegserlebnisses zu gestalten.32 Dix wollte nach eigener Auskunft warnen und an den Krieg erinnern, um ihn zukünftig zu verhindern. Seinen Schützengraben variierte er in der Mitteltafel, die erneut eine unheimliche Stätte des triumphierenden Todes ist. Links davon ziehen die Soldaten im Morgengrauen in die Schlacht, rechts davon kommen sie aus einem abendlichen Feuersturm aus der Hölle zurück. Dix selbst hat sich als aschfahlen Überlebenden inszeniert, der einen Kameraden aus dem Glutofen schleppt. Das rechte Bild führt eine kreishafte Augenbewegung in die Predella unter der Mitteltafel weiter, auf der die Soldaten wie tot schlafend liegen, um eventuell wieder in den Kampf ziehen zu müssen. So ist dem Bild die zyklische Figur des Kreises als Drohung eines möglichen neuen Krieges eingeschrieben, dessen Schrecken Dix als überlebender Teilnehmer und Augenzeuge bestätigt. Die Warnungsabsicht des Künstlers und die naturhaft-zyklische Zeitstruktur des Mehrtafelbildes liegen latent im Widerstreit, kann die scheinbar naturhafte Wiederkehr doch vielleicht gar nicht abgewendet werden.
Der Maler hatte sich als idealen Ausstellungsort für sein Kriegs-Triptychon einen Bunker, der innen schwarz gestrichen oder ausgeschlagen sein sollte, vorgestellt. Damit wäre die Malerei in Konkurrenz zum neuen Medium des Films getreten, der 1930 mit Westfront 1918 ein cineastisches Meisterwerk unter der Regie von Georg Wilhelm Pabst (1885–1967) hervorgebracht hatte. Die Form des Triptychons, die Narration und Zeitstruktur sowie die Faktur als auch Farbigkeit des Gemäldes waren malerische Versuche, auf das Konkurrenzmedium zu reagieren, das nicht zuletzt aufgrund der teilweise enervierenden Tonspur ein neues ästhetisches Erlebnis des Krieges ermöglichte. Der Innovation stellte Dix die Tradition der Kunstgeschichte entgegen – so auch im Triumph des Todes von 1934 als Allegorie und in Flandern 1934–1936 als von philosophischen Gedanken durchtränkter Weltenlandschaft, die erneut Nietzsche ins Spiel brachte. Diesmal bemüht Dix dessen Bild des "großen Mittags" als Zeitpunkt der Entscheidung, ob der Mensch sich noch selber wolle, wie sie in der Zeit von Karl Löwith (1897–1973) philosophisch interpretiert wurde.33 Erst mit diesem vorerst letzten Bild zum Krieg konnte Dix eine moralische Entscheidung einfordern, die auf dem Triptychon im Strudel unabänderlichen Zeitflusses zu versinken drohte. Deshalb legte der Künstler auch großen Wert darauf, das Bild noch vor dem Zweiten Weltkrieg in der neutralen Schweiz auszustellen, um eine gewisse Wirkung zu entfalten.
Wenn Dix warnen wollte und dabei seine Eindrücke aus einem vorausgegangenen Krieg verarbeitete, so reagierte Picasso annähernd zur selben Zeit unmittelbar betroffen auf einen modernen Stellvertreterkrieg und dessen barbarische Folgen. Am 26. April 1937 hatte die deutsche Legion Condor die baskische Stadt Guernica bombardiert, nicht zuletzt, um die eigene Waffentechnik zu erproben. Von militärischem Nutzen war diese Tat nicht. Der weltberühmte spanische Maler reagierte sofort auf das Ereignis und malte innerhalb einiger Wochen das fast acht Meter breite, nach der Stadt benannte Gemälde.34 Vielleicht ist dieses Bild die letzte künstlerische Antwort auf das Phänomen des Krieges, wie er sich in der Moderne bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs entwickelt hatte. Die Schilderung realer Ereignisse abstrahiert Picasso zugunsten verdichteter Figurationen: Fliehende und ein zerbrochener Krieger am Boden, Schreiende, ein panisches Pferd unter grell leuchtender Lampe und ein unheimlich-brutaler Stier sowie die pathetische Geste der weinenden Mutter mit dem toten Kind im Arm sind in einer monumentalen Grisaille-Malerei gefasst. Picasso führt dabei die Errungenschaften der Avantgarde (Kubismus) und die gegenläufigen Tendenzen der Epoche (der Klassizismus der Nachkriegszeit) zu einer erneuten Synthese, die er künstlerisch schon seit Mitte der 1910er Jahre virtuos vorgeführt hatte. Gerade aber die dissoziierende Tendenz des Kubismus kann die Brutalität des Geschehens formal fassen, wie die Elemente des Klassizismus eine mythische Realität evozieren, die keiner traditionellen Erzählung folgt. Vielmehr handelt es sich um die neue Erzählung des modernen Krieges zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der hier nochmals erprobt werden sollte. Die zeitliche Verfasstheit kann mit der von Dix' Kriegs-Triptychon kontrastiert werden, wobei auch Picasso keinen alten Mythos aktualisiert. Vielmehr "ist in Picassos Bild Guernica jene zur Vorstellung gebrachte metaszenische Ereigniseinheit, in der das Mythische das Faktische übersteigt, nicht ein alter Mythos in neuer Sagweise, sie ist vielmehr in neuer Sagweise die Stiftung eines Neuen selbst, das es ohne das Bild nicht gäbe."35
Dieses dargestellte Neue – der moderne Bombenkrieg – sollte sich alsbald dem menschlichen Fassungs- und dem künstlerischen Darstellungsvermögen entziehen. Gerhard Richters (geb. 1932) Stukas, Vija Celmins' (geb. 1938) Bomber oder Wolf Vostells (1932–1998) B-52 lassen die todbringenden Kriegsmaschinen nach 1945 als Symbole des kriegerischen Terrors firmieren, den heute unbemannte Drohnen als realgeschichtliches Computerspiel verbreiten. Die Künstler der Gegenwart rekurrieren immer wieder auf vorgefertigte Bilder, indem sie die Photographie zur Grundlage einer malerischen Praxis machen oder gleich auf die medialen Bilder zurückgreifen, ohne einen Medientransfer zu vollziehen. Authentizität – die ja schon Goya um 1800 ostentativ behauptet hatte – kommt auf neuartige Weise ins Spiel und wird gleichzeitig untergraben in einer Zeit, die gelernt hat, dem Offensichtlichen zu misstrauen und in der der permanente Krieg unsichtbar geworden ist.36 Überzeugend erscheint deshalb gegenwärtig die Wendung ins Groteske, die schon Goya und Dix erprobt hatten, wenn der Kanadier Jeff Wall (geb. 1946) seine toten Afghanistan-Kämpfer als Untote inszeniert und wie in einer Drehpause wieder sprechen lässt: Dead Troops Talk (1992).