Einleitung
Der in der freien Reichsstadt Nürnberg niedergelassene Arzt, Anatom und Botaniker Christoph Jacob Trew (1695–1769)[] führte eine breit angelegte Korrespondenz.1 Während sich in seiner Sammlung 873 Briefe und Briefentwürfe aus seiner Hand an 278 Briefpartner erhalten haben, finden sich dort zugleich 4.786 Schreiben, die von 698 Briefautoren abgefasst und aus 238 Absendeorten an ihn adressiert worden waren.2 Geographisch verteilten sich Trews Briefkontakte über ganz Europa mit Schwerpunkten im bayerisch-fränkischen und mitteldeutschen Raum. Die Niederlande, die Schweiz und Oberitalien sind ebenso mit substantiellen Briefzahlen vertreten wie die Metropolen London, Paris und Wien. Struktur und Inhalte des Korrespondenznetzwerks entwickelten sich in enger Rückkoppelung an Trews professionelle Biographie. Nachhaltige Impulse bezog Trew für den Aufbau seines Briefwechsels vor allem aus seiner Tätigkeit als Arzt, der Verfolgung seiner wissenschaftlichen Neigungen und der Umsetzung jener Funktionen, die er sukzessive innerhalb der Gelehrtenwelt als Sammler, Herausgeber und Anreger naturkundlicher Tafelwerke sowie als Fachredakteur europaweit vertriebener Fachzeitschriften übernahm.
Entwicklung des Korrespondenzgefüges
Der Aufbau des Trew'schen Korrespondenznetzes lässt sich in drei Lebensphasen nachvollziehen.3 Als Spross einer Laufer Apothekerfamilie war Trew von Kindesbeinen an mit dem Sammeln u.a. heimischer Heilkräuter vertraut. Überdies wuchs er durch sein Elternhaus in einem überregionalen gelehrten und zugleich käufmännisch-orientierten Familien- und Freundeskreis auf, aus welchem heraus er im Rahmen seines Medizinstudiums an der Nürnbergischen Universität Altdorf und einer anschließenden dreijährigen Studienreise seine grundlegende berufliche Sozialisation als wissenschaftlich interessierter und ambitionierter Arzt erfuhr.4 Als prägend erwies sich der enge Kontakt mit seinem akademischen Lehrer, dem Arzt, Anatomen, Chirurgen und Botaniker Lorenz Heister (1683–1758).5 Heister vermittelte dem jungen Studenten Sinn und Leidenschaft für den Aufbau einer eigenen naturkundlichen Sammlung, setzte Trew auf dessen Peregrinatio academica auf der Basis einer abgesprochenen Korrespondenz als seinen wissenschaftlichen Agenten ein und hielt ihn an, unterwegs eigene Fachkontakte zu knüpfen. Die zahlreichen während seiner Studienfahrt geschlossenen Bekanntschaften bildeten für Trew die Grundlage für den Auf- und Ausbau seines eigenen Briefnetzes.
Mit seiner dauerhaften Niederlassung in Nürnberg begann für Trew 1721 ein zweiter beruflicher Abschnitt, in dem er sich als medizinischer Praktiker und zugleich als wissenschaftlich ambitionierter Naturkundler etablierte. Seine Behandlungserfolge weiteten seinen Ruf rasch über die Grenzen Nürnbergs hinaus. Eine stetig wachsende medizinische Korrespondenz, getragen von Zuschriften ärztlicher Kollegen und Patienten, festigte seine Rolle als ärztliche Autorität in der Ferne.6 Über das Medium Brief konnte er seine Nähe und Distanz zum Patienten kontrolliert dosieren und damit einen dauerhaften Statusgewinn erzielen. Letztlich gelang es ihm sogar, dem Hof von Ansbach seine Bedingungen zu diktieren: 1736 zum dortigen dritten Leibarzt ernannt, setzte er durch, weiterhin in Nürnberg ansässig zu bleiben. Über alle relevanten Belange kommunizierte er in einem eng getakteten Briefwechsel mit seinem vor Ort agierenden Kollegen, dem ersten Ansbacher Leibarzt Johann Lorenz Ludwig Loelius (1687–1756).7
Seine wissenschaftlichen Interessensgebiete, Anatomie und Botanik, kultivierte Trew in dieser Zeit im Nürnberger Theatrum anatomicum und im örtlichen Hortus medicus. Dort stellte er nicht nur eigene Forschungen an, sondern bildete auch in eigens konzipierten Unterrichtsveranstaltungen künftige Chirurgen, Apotheker, Hebammen und angehende Medizinstudenten, aber auch etliche naturkundlich interessierte Zeichner, Maler, Kupferstecher und Illuminatoren aus.8 Aus der Gemeinschaft seiner Schüler speiste sich ein eigener Korrespondenten- und Kollegenkreis, der Trew fortgesetzt mit fachlichen Informationen, Sammlungsgütern und hochwertigen Abbildungen versorgte. Dieser Zirkel weitete sich schließlich zu einer weit über Nürnberg hinausgreifenden Gruppe von Gelehrten und Illustratoren, die Trew ab 1740 bei der Herausgabe naturkundlicher Tafelwerke unterstützte, und der der Nürnberger Arzt Bestände seiner Sammlung zur Bearbeitung überließ und die er zu eigenen Werken anregte.9 Der Brief bildete auch hier das zentrale Kommunikationsmittel.
Wissenschaftliche Aktivität entfaltete Trew von Beginn an auch aus seiner Privatsammlung heraus. Für den Aufbau seines Museum Trewianum nutzte er sein weit gespanntes Korrespondenznetz auf allen Kanälen. Kurz vor seinem Tod umfasste das Museum so eine Bibliothek mit rund 34.000 gedruckten Werken, akademischen Streitschriften (Disputationes, Programmata, Dissertationes), mehr als 19.000 Briefen und Briefentwürfen, etlichen vornehmlich medizinischen Handschriften, etwa 2.500 gemalten oder gezeichneten Einzelblättern, vorrangig mit botanischen und anatomischen Motiven, etliche in Kupfer gestochene Portraits sowie zahlreiche getrocknete Blumen, Kräuter und anderweitige Naturalien. Seine Briefpartner fungierten für ihn in diesem Zusammenhang als Agenten, die eigene Forschungsgegenstände und -dokumente, wie etwa Präparate oder Bilder, nach Nürnberg sandten, Nachlassauflösungen und Auktionen meldeten und Trew Sammlungsdinge zum Tausch anboten.10
Schließlich fand Trew in der Dynamik der vielfachen parallel und sukzessiv geführten, sich stetig fortentwickelnden Briefverhältnisse auch zu der ihm gemäßen Form wissenschaftlichen Arbeitens. So wies ihn etwa der in Göttingen lehrende Anatom und Physiologe Albrecht von Haller (1708–1777)[] mit Blick auf die von Trew geplante Edition eines Nachlasskonvoluts mit Notizen und Illustrationen zur Entwicklung des Vogeleies 1753 brieflich darauf hin, dass dies nur mit Erkenntnisgewinn leisten könne, wer "die Erfahrung nachmacht".11 Trew sah sich nicht in der Lage, diese Anforderung an eine originelle Forschung zu erfüllen, und beschränkte sich fortan im Wesentlichen auf eine kommentierende Publikation von Pflanzenportraits im Sinne von botanischen Kasuistiken.12
Im urbanen Kreis einer fachlich interessierten und ambitionierten Nürnberger Ärzteschaft wuchs Trew schließlich ab 1730 in einem dritten Lebensabschnitt in die Rolle eines Wissenskommunikators hinein, in der er innerhalb der medizinisch-naturkundlichen Gelehrtenwelt Europas seine größte Bedeutung erlangen sollte. Gemeinsam mit drei reichsstädtischen Ärztekollegen – Johann Christoph Götze (1688–1733), Johann Christoph Homann (1703–1730), Christoph Wilhelm Preisler (1702–1734) – sowie dem Altdorfer Medizinprofessor Johann Heinrich Schulze (1687–1744) gab er zwischen 1731 und 1745 die erste medizinisch-naturkundliche Wochenschrift der Welt heraus. Das auf Lateinisch erscheinende Commercium litterarium ad rei medicae et scientiae naturalis incrementum13 speiste seine Mitteilungen und Beobachtungen aus den gelehrten Korrespondenzen des Herausgebergremiums.14 Über das vertriebstechnisch dem Unternehmen zugrunde liegende Assistenten- und Praenumerantensystem ergaben sich für Trew, auf dessen Schultern ab 1734 die redaktionelle und verlegerische Hauptlast des Unternehmens ruhte, stets neue Briefkontakte. Als ausgewiesener Wissenskommunikator übernahm er schließlich 1744 die Schriftleitung der Ephemeriden, des wissenschaftlichen Jahrbuchs der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Mit dem in Halle ansässigen Leopoldina-Präsidenten Andreas Elias Büchner (1701–1769) richtete er eine phasenweise sehr intensiv geführte Arbeitskorrespondenz ein, die sich vor allem um die Aufnahme neuer Mitglieder, die Einwerbung von Beiträgen für das Akademiejournal und die Drucklegung des Periodikums drehte.15 Um diese Leopoldina-Kernkorrespondenz formierte sich zur Mitte des 18. Jahrhunderts eine weitgespannte Mitgliederkorrespondenz, die sich hinsichtlich Struktur und Reichweite weitgehend mit der Gelehrtenkorrespondenz Trews deckte. Mit dem Netz ihrer Gesamtkorrespondenz verfügte die dezentral strukturierte gelehrte Vereinigung über einen hohen Grad an Flexibilität und das entscheidende Instrument, einen fachlichen und organisatorischen Austausch über viele Landesgrenzen hinweg auch in politisch unruhigen Zeiten, etwa während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763), effektiv und produktiv aufrecht zu erhalten und auszubauen.
Struktur und Funktion der Korrespondenz
Bereits 1940 notierte die Erlanger Bibliothekarin Eleonore Schmidt-Herrling (1877–1960) anlässlich ihrer Erarbeitung des höchst nützlichen Katalogs der Trew'schen Briefsammlung, dass es sich bei den darin versammelten Korrespondenzpartnern "durchaus nicht um lauter Gelehrte und sonst hervorragende Leute [handelte …]. In diesen freilich stark bevorzugten Kreis mischen sich ungezwungen Zimmervermieterinnen, Hausverwalter, Unversitätspedelle, der Herr Ober-Accise-Amts- und Biergefäll-Controlleur, Handelsherren, Beamte und sonstige Berufsangehörige".16 Diese breite soziale Schichtung charakterisiert grundsätzlich auch Trews eigene Korrespondenz. Allerdings lässt sich beim Blick auf die absoluten Zahlen der in den verschiedenen Berufssphären gewechselten Briefe ein deutlicher Schwerpunkt auf medizinisch-naturkundlichem Gebiet ausmachen. So stammte die überwiegende Mehrzahl der an Trew adressierten Briefe aus der Feder akademisch gebildeter Ärzte (46,5%). Rechnet man hierzu noch die Zuschriften von medizinischen Professoren (14,3%), Chirurgen (3,7%), Apothekern (3,1%), Personen, die als Ärzte und Apotheker tätig waren (1%), sowie Medizinstudenten und Wundarztgesellen (0,2%), so wurden mehr als zwei Drittel (68,8%) aller Briefe an Trew von medizinischer Hand verfasst. Unter den nicht-medizinisch vorgebildeten Briefautoren sind bildende Künstler (5,7%), Bedienstete in Politik und Verwaltung (5,0%) und Gärtner (2,8%) relativ stark vertreten. Die restlichen Schreiben verteilen sich gleichmäßig auf Geistliche (1,8%), Kaufleute und Handelsherren (1,7%), Juristen (1,5%), Lehrer (1%) sowie Buchhändler und -drucker (1%).17
In einer zeittypischen Vermischung von privaten, wissenschaftlichen und organisatorischen Briefinhalten instrumentalisierte Trew seine breit angelegte Korrespondenz für alle Belange seines beruflichen Lebens. Die ihm zufließenden medizinischen Informationen halfen ihm, seine Arbeit als ärztlicher Praktiker empirisch und theoretisch abzusichern, sein Wissen zu prüfen, zu aktualisieren und zu mehren und überdies einen briefgestützten Kollegen- und Patientenkreis aufzubauen, um sich darin letztlich als eine überregional gefragte und gesuchte medizinische Autorität zu etablieren. Als wissenschaftlich aktiver Naturforscher konnte er über die Kanäle seiner Korrespondenz seine fachlichen Beobachtungen streuen, diskutieren und zur Publikation vorlegen. Zugleich vermochte er sich darüber ein Netz von Agenten und Mittelsmännern aufzubauen, über das er sich einen Markt für seine eigenen naturkundlichen Tafelwerke erschloss. Im Gegenzug baute er durch dieses Netzwerk seine Sammlungen stetig aus. Vor allem aber erhielt er darüber Nachrichten und fachliche Beobachtungen aus der Gelehrtenwelt mitgeteilt, die er nach einer redaktionellen Überarbeitung wieder in die wissenschaftliche Gemeinschaft zurückspiegelte. Als Wissensmediator leistete er damit einen nachhaltigen Beitrag für die Entwicklung des medizinischen Zeitschriftenwesens und förderte zugleich um 1750 den Aufstieg der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.
Auf der Basis seiner Korrespondenz gelang es Trew, in seinem Berufsleben ärztliche Praxis und wissenschaftliche Ambition integral zu kultivieren und – obgleich stets jenseits der Universität im urbanen Milieu einer größeren Stadt verankert – ein quasi akademisches Leben mit überregionaler Ausstrahlung zu führen. Fachlich entwickelte er seine Beiträge in seinen beiden Forschungsschwerpunkten, Anatomie und Botanik, als empirisch-rational ausgerichteter Naturkundler im Rahmen der zeittypischen prä-experimentellen Kernpraktiken Beobachtung (observatio), Sammlung (collectio), Vernetzung (connexio) und Kommunikation (communicatio). Das Medium Brief spielte vor allem als Katalysator in einer produktiven Wechselwirkung zwischen seinen professionellen Belangen als einzelnem Akteur im medizinisch-naturkundlichen Diskurs und den Bedingungen und Strukturen einer sich formierenden, lokal gegründeten und immer globaler agierenden Gelehrtenwelt eine entscheidende Rolle.