Einleitung
"Der Hof wird genennet, wo sich der Fürst aufhält."1 Der Hof war ein sozialer Verband, in dessen Mittelpunkt der Fürst stand. So unverzichtbar die physische Präsenz des Fürsten und die Anwesenheit der Hofleute am "Hof", so entscheidend war die Konkretheit der Bedingungen, unter denen der Fürst und sein Hofstaat agierten. Orte und Räume zählten damit zu den notwendigen Voraussetzungen fürstlicher Herrschafts- und Lebensformen. Über "höfische Räume" zu sprechen, bedeutet demnach, die Handlungen des Fürsten und die Welt des Hofes als abhängig von Orten und Räumen zu verstehen.2
Auch wenn die Ausbildung dauerhafter, städtischer Residenzorte als ein Epochenmerkmal für das Spätmittelalter und für die Frühe Neuzeit verstanden werden muss, so blieb die fürstliche Lebenswelt in dieser Zeit nicht auf die Residenzstadt mit ihren unterschiedlichen architektonischen und institutionellen Ausprägungen begrenzt. Wege, Areale und Orte im Land des Fürsten spielten neben der Stadt für die Herrschaftsausübung wie für das allgemeine Hofleben eine entscheidende Rolle.3 Als "höfische Repräsentationsräume" lassen sich somit jene räumlichen Areale und Orte innerhalb eines fürstlichen Territoriums verstehen, die durch ihre Semantik und durch ihre Nutzung Teil dieser Lebenswelt waren. Sie wurden in entscheidender Weise von einer realen oder auch zeichenhaften Anwesenheit des Fürsten, seiner Familie und seines Hofstaates geprägt. In diesem Sinne konnte ihnen eine hohe Bedeutung für die fürstliche repraesentatio zugesprochen werden.
Die Ausbildung kultureller und kommunikativ-zeremonieller Muster, die zur Gestaltung von Schloss, Stadt und Land in der Frühen Neuzeit verwendet wurden, besaß innerhalb der europäischen Länder sehr unterschiedliche, letztlich aus dem Mittelalter stammende Traditionen.4 Hingegen waren die ästhetischen Prinzipien, die seit dem späten 15. Jahrhundert bei der Gestaltung der höfischen Lebenswelt zur Anwendung kamen und die bis gegen 1800 und teilweise darüber hinaus Gültigkeit besaßen, deutlich von Innovationen geprägt, die sich erst in nachmittelalterlicher Zeit ausbildeten. Es kam zur Etablierung eines Kanons von Formen und Programmen, der überregionale Anerkennung fand und der zu einem andauernden und intensiven Transfer von Kulturleistungen zwischen den europäischen Höfen führte. Neu war dabei der nunmehr veränderte und stark betonte Bezug zu antiken Vorbildern, die gerade bei der Herrschaftsrepräsentation neben den alttestamentarischen und mittelalterlichen Mustern entscheidende Normen für eine gerechte und gute Herrschaft setzten. Neu war auch der Einsatz bislang unbekannter Medien (Buch- und Bilderdruck). Sie spielten bei der Distribution von Informationen über Ereignisse an den Höfen, bei der Formulierung von Status- und Bildungsansprüchen wie auch bei der publizistischen Verbreitung von Ereignissen und Werken der Hofkultur eine wichtige Rolle.5 Sie dienten im Kontext einer höfischen, internationalen Öffentlichkeit zur Markierung erreichter oder auch nur behaupteter sozialer und politischer Positionen.
Ästhetische und technische Innovationen begleiteten die fürstliche Repräsentation in einer Weise, die zusammen mit der immer deutlicher zunehmenden Statuskonkurrenz zu einem kulturellen Anspruchsniveau führte, dem in besonderer Weise die "neuen" Dynastien gerecht werden mussten. Erste und für die nachfolgenden Generationen bedeutsame Ansätze einer solchen Repräsentationskultur entstanden an den Höfen der italienischen Fürsten im 15. und 16. Jahrhundert, deren Aktivitäten den europäischen Residenzen als Vorbilder dienten. Es kam zur Herausbildung einer allseits anerkannten, humanistisch geprägten Hofkultur, die sowohl Elemente des tradierten militärisch-kriegerischen Habitus der Fürsten aufnahm wie auch neue Bildungsnormen (arma et litterae). Die überkommenen Muster einer rituellen, zugleich faktischen wie symbolischen Inbesitznahme des Landes und der Stadt durch den Fürsten (Huldigung) wurden nun nach antikem Vorbild mythologisch und allegorisch überformt. Gleiches geschah mit den höfischen Festen und mit den fürstlichen Divertissements. Bei den Festen kam es nach Maßgabe der entsprechenden dynastischen und politischen Anlässe zu einer sich immer mehr verstärkenden inhaltlichen und ästhetischen Ausdifferenzierung. Entscheidend war dabei die Integration der verschiedenen, architektonisch gestalteten höfischen Räume in die ritualisierten Handlungsabläufe der Zeremonielle. Sie umfassten Stadt und Land ebenso wie den Kernbereich des Hofes und das vielfach hierarchisch abgestufte Schlossareal in der Residenzstadt.
Auf dem Gebiet der Architektur und der Raumgestaltung führte dies zu gänzlich neuen Formen, die von Italien, später von Frankreich und auch den nördlichen Niederlanden und Holland ausgehend durch die europäischen Herrscherhäuser übernommen und damit international anerkannt wurden. Im Alten Reich wirkten lange ältere Traditionen aus der Zeit des späten Mittelalters nach. Neue, "antikische" Architekturelemente und -programme wurden zunächst nur in Einzelfällen rezipiert. Erst seit dem frühen 17. Jahrhundert kam es an den deutschen Höfen zu einer breiten und allseits anerkannten Rezeption dieser neuen Normen (so am Münchner Hof unter Maximilian I. (1573–1651). Für die höfische Architektur und Kunst in den verschiedenen Ländern des Alten Reichs war dabei eine sehr große Variabilität hinsichtlich der Ausrichtung an ausländischen Vorbildern und der Berücksichtigung überlieferter Formen charakteristisch. Diese Orientierungen und Moden blieben abhängig von den politisch-dynastischen, kulturellen und religiösen Interessen, wie sie an den rezipierenden Höfen und von ihren Entscheidungsträgern verfolgt wurden.
Das Land als höfischer Raum
Der Fürst versicherte sich der Herrschaft über sein Land nicht allein durch den Einsatz militärisch-polizeilicher Instrumente und durch den Aufbau einer Verwaltungsorganisation. Seine physische und zugleich demonstrative Präsenz im Lande war ein wichtiger, unverzichtbarer Teil der Kommunikation zwischen Landesherrn und den verschiedenen Schichten seiner Untertanen. In diesem Sinne bezog sich die höfische "Öffentlichkeit" nicht allein auf die fürstliche Residenzstadt. Der Besuch und die Nutzung der verschiedenen Orte in einem Territorium bildeten den Raum der fürstlichen Herrschaftspraxis aus. Die Fläche des fürstlichen Territoriums war mit der Summe seiner Orte identisch. Erst gegen Ende der Frühen Neuzeit bildete sich die Vorstellung von einem Herrschaftsraum aus, dessen Fläche von seinen Grenzen her definiert wurde. Bis dahin waren Grenzen als "Linien im Raum" unter militärischen Gesichtspunkten relevant. Unter zeremoniellen und kommunikativen Gesichtspunkten wurden ansonsten Grenzen als Grenz-Orte wahrgenommen, an denen die diplomatischen Gesandten verhandelten, die künftige Fürstin empfangen oder etwa eine fürstliche Gesandtschaft eingeholt wurde.6
Die architektonische "Besetzung" des Territoriums durch Herrschaftsbauten umfasste die von Fürsten genutzten und in ihrer Außenwirkung entsprechend gestalteten Jagdschlösser ebenso wie die Amtshäuser, denen eine wichtige Funktion in dem sich formierenden Fürstenstaat zukam und die dem Fürsten bei seinen Reisen immer auch als Logis dienen konnten. Die zeitweilige Verlagerung von Teilen der Aufgaben von Residenz und Hof auf Schlösser im Land steht ganz deutlich in der Tradition der mittelalterlichen Reiseherrschaft. Zwar dominierten seit dem 16. Jahrhundert immer mehr die Konzentration und die räumliche wie zeitliche Fixierung wichtiger Aufgaben der Landesherrschaft in der Residenzstadt, doch zugleich blieb die Hofhaltung in einigen deutschen Ländern sehr stark von einer Mobilität geprägt, die sich der Schlossbauten in der Nähe der Residenz bediente. An den Höfen in Kursachsen (Dresden), Kurbrandenburg (Berlin, Potsdam) und im Herzogtum bzw. Kurfürstentum Bayern (München) wie auch in kleineren Territorien (etwa Speyer mit Bruchsal) kam es zur Ausbildung von "Residenzlandschaften". Alternativen bildeten sich dort aus, wo eine polyzentrische Landesstruktur bestimmend war. Die Verlagerung der Residenz führte dazu, dass die Hauptstadt des Landes ohne aktuell genutzte Residenz blieb. An ihre Stelle trat ein neuer Residenzort mit einem neuen Residenzschloss wie etwa in Aschaffenburg (Mainz), Bonn (Köln), Ludwigsburg (Stuttgart) oder Bruchsal (Speyer).
Parallel zu diesen Phänomenen war die höfische Jagd, verbunden mit der Errichtung entsprechender Jagdschlösser, ein integraler Teil der höfischen Kultur, der sich weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, außerhalb der Residenzstadt abspielte. Seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges spielte das "Divertissement" der Jagd eine immer größere Rolle. Die für diesen Zweck konstitutive Wahrnehmung und Nutzung großer Naturräume bestimmte den Ablauf der Jagden und die Rolle der Jagdteilnehmer in markanter Weise. Zugleich verband sich mit dem Tross der Jagdgesellschaft, die über Land zog, um ein Jagdschloss oder ein Jagdrevier zu erreichen, immer auch eine deutliche Demonstration fürstlicher Herrschaft und Kultur vor den Augen der Bevölkerung, die von dem Jagdgeschehen selbst ausgeschlossen blieb. Für die "Lustschlösser", die nicht als Jagdschlösser genutzt wurden und die für Landpartien in der Nähe der Residenzen zu Pferde und in Kutschen oder auch mittels Schiffen auf Flüssen, Seen und Kanälen erreichbar waren, galt ähnliches. Trotz aller Befreiung von den Zwängen des residenzstädtischen Hoflebens, wie es für solche Ereignisse typisch war, blieb das Verhalten der jeweiligen Hofgesellschaft von ihren ständischen Normen und Mustern geprägt, die immer eine Beachtung der eigenen, äußeren Wirkung auf andere Mitglieder des eigenen Hofes oder auch fremder Höfe verlangten. So konnten naturräumliche Gegebenheiten Bedeutung nicht nur im Kontext fürstlicher Vergnügungskultur, sondern auch bei politischen Handlungen gewinnen; etwa dort, wo Vertragsverhandlungen oder höfische Zeremonielle bewusst auf eine Grenze zwischen zwei Territorien verlegt und in entsprechender Weise inszeniert wurden. Hier war mit der Grenze die äußere Markierung eines Territoriums Teil einer komplexen Aktion, über deren zeichenhafte Bedeutung alle Beteiligten eine klare Vorstellung besaßen und die darum auch durch den Einsatz bildlicher Medien eine aktuelle und zugleich dauerhafte Wirkung erzielen sollte.
Die Stadt als höfischer Raum
Die Residenzstadt als Mittelpunkt territorialer, fürstlicher Herrschaft in der Frühen Neuzeit war eine Siedlungsform, die in ihrer Gesamtheit als Zeichen und Ausdruck fürstlicher Herrschaft verstanden werden sollte. Die Ansicht von der Stadt eines Fürsten (die Vedute) und seit dem 17. Jahrhundert auch ihr Grundriss konnten auf den Fürstenporträts zeichenhaft eingesetzt und so zu Herrschaftsattributen werden. Dabei reduzierten solche Darstellungen die Komplexität einer Fürstenstadt immer auf wenige, charakteristische und topographische Elemente oder markante Ausschnitte[]. In der Realität des städtischen und höfischen Alltags war die Residenzstadt dagegen von einer Vielzahl unterschiedlicher Räume mit divergierenden Funktionen und mit differenzierten architektonischen Ausprägungen bestimmt. Entscheidend blieben immer das Schloss als höfisches Zentrum der Residenzstadt und die zugeordneten städtischen Bauten und Zonen, die ihre Rolle im Hofleben und in der Landesverwaltung spielten. Bürgertum und Hof waren jene beiden Pole, auf die sich die städtische Infrastruktur ausrichtete. Aus der Perspektive der höfischen Lebenswelt stellte die Stadt jene Räume zur Verfügung, deren sich der Fürst mit seinem Hofstaat zum Wohnen, wie auch zur Repräsentation und zur Kommunikation bediente. Diese Räume konnten Teil des Schlossareals, aber auch in die Stadt oder gar vor die Stadt ausgelagert sein. Dies betraf vor allem die Gärten und Festräume, die in einzelnen Fällen auch auf die innerstädtischen Plätze verlegt werden konnten.
Zu diesen topographisch fixierten Orten und Zonen kamen jene Routen, auf denen sich der Hof innerhalb der Stadt bewegte. Sie waren vor allem für die Einzüge in und für die Auszüge aus der Stadt wichtig.7 Die Gestaltung der Straßen und Plätze prägte den Eindruck von der Stadt des Fürsten und diente generell zur Demonstration herrschaftlicher Pracht. Besondere Aufmerksamkeit erfuhren dabei die Stadttore, die als Passageorte das Innere vom Äußeren der Stadt trennten. Vor allem wer die Stadt betrat, sollte das Vokabular architektonisch und künstlerisch gestalteter Hoheitszeichen wie auch ihre auf den Stadtherrn ausgerichtete Ikonographie wahrnehmen. Als Teil des städtischen Festungsgürtels waren diese Tore zugleich auf eine Demonstration fürstlicher und territorialer Stärke (fortitudo) hin ausgerichtet.8 Nicht anders als im Mittelalter markierten die Stadttore auch in der Frühen Neuzeit jene zeremoniell wichtigen Stellen, an denen bei einer Einholung9 dem Stadtherrn seine Stadt durch Aushändigen des Torschlüssels übergeben oder an denen ein hochgestellter Besucher in besonderer Weise begrüßt wurde; etwa durch das Abfeuern von Kanonen.10
Neben den Einzügen des Stadtherrn und dem Besuch hochgestellter Personen war es vor allem die höfische Festkultur, die für die unterschiedlichen Anlässe nicht allein das Schlossareal nutzte, sondern immer wieder auch die innerstädtischen Räume in den Ablauf des Geschehens einbezog. Dies geschah nicht allein aus Gründen einer größeren räumlichen Entfaltung der verschiedenen Festereignisse. Wie auch bei den zeremoniellen Handlungen an Orten im landesherrlichen Territorium oder vor der Stadt boten die festlichen Ereignisse auf den Straßen und Plätzen der Residenzstadt die Möglichkeit, diese selbst als Teil der fürstlichen Repräsentation den Mitgliedern der eigenen Hofgesellschaft wie auch fremden Besuchern vorzuführen. Bestimmte Anlässe erzwangen geradezu die Einbeziehung der Stadt in das Zeremoniell. Dies galt vor allem für die dynastisch bedeutungsvollen Hochzeits- und Trauerfeierlichkeiten. Da die Begräbnisstätte in der Regel außerhalb des Schlosses lag, stellte der Trauerzug durch die Stadt ein wichtiges Element höfischer Funeralkultur dar. Immer wurden derartige Anlässe genutzt, die Position des Verstorbenen, seiner Familie und seines Hofstaates zeichenhaft herauszustellen. Manchmal wurde bei diesen Ereignissen auch das Innere von städtischen Bauten einbezogen, die wie die Hauptkirche oder das Rathaus der Stadt gleichermaßen von einer landesherrlich wie stadtbürgerlich-patrizischen Nutzung geprägt waren.11 Wichtige kaiserliche Zeremonielle konnten auf den großen Plätzen in den Reichstädten stattfinden.
Die "höfische Ästhetik" der Zeremonielle12 mit ihren jeweiligen Anlässen bediente sich dabei immer der städtischen Gegebenheiten mit ihren räumlichen und architektonischen Ausprägungen. Doch vor allem jene Feste, die den eigentlichen Anlass (Taufe, Hochzeit, Begräbnis etc.) begleiteten, beschränkten sich nicht darauf. Immer fand eine Umgestaltung der Räume durch die Einrichtung ephemerer Architekturen statt. Immer kam es zu dem Einsatz der verschiedenen Künste, die den zeremoniellen Kern des Geschehens allegorisch kommentierten und durch eine möglichst große, im Laufe der Zeit sich immer mehr steigernde Prachtentfaltung begleiteten. Waren die "lebenden Bilder" der spätmittelalterlichen Festveranstaltungen eng mit der Ikonographie christlicher Heilserwartungen und Tugendvorstellungen verbunden, so setzten die sich auf die antike Mythologie beziehenden Festelemente der Frühen Neuzeit zwar hier hinsichtlich der Inszenierungspraktiken an, doch konnten sie entschieden stärker die "heroischen" Charaktere der Handlungsteilnehmer und den entsprechenden architektonischen und allegorischen Apparat (Ehrenpforten, Säulen, Illuminationen etc.) herausstellen.13 Dies geschah auf den Plätzen und Straßen der Residenzstadt und somit an einzelnen Orten und spezifisch ausgewählten Routen. Feuerwerke wurden vor dem Schloss abgebrannt, Feuerwerkspantomimen auf einem Fluss vor der Stadt inszeniert wie auch Turniere oder Jagden auf dem großen Platz in der Residenzstadt veranstaltet. Ein Beispiel für eine allegorisch besonders aufwendig gestaltete Inszenierung war der "Aufzug der Sieben Planeten und des Nimrod" 1678 in Dresden, den Kurfürst Johann Georg II. (1613–1680) anlässlich des Treffens mit seinen beiden Brüdern aufführen ließ und der durch die Straßen der Stadt führte.14
Immer erschienen bei diesen Ereignissen die Stadt und ihr Umfeld als eine Ausweitung dessen, was von der Person des Fürsten mit seiner Familie und vom Fürsten als Landesherrn seinen Ausgang nahm. Immer lag das Zentrum dieser Handlungen im Schloss. Schloss und Stadt standen damit in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Gleichwohl wies alles auf eine überragende Dominanz des Schlosses hin. Sie äußerte sich auch darin, dass es im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts in einigen deutschen Territorien bei den zeremoniellen und festlichen Aktivitäten des Hofes zu einem tendenziellen Rückzug aus der Stadt kam. Als Rückzug aus der Stadt kann auch die Verlegung der dynastischen Grablege aus der städtischen Pfarrkirche in die fürstliche Schlosskapelle verstanden werden, zu der es an einigen Residenzorten Mitteldeutschlands mit entsprechenden Konsequenzen für die Funeralkultur kam, da das Trauerritual nun auf den engeren Schlossbezirk konzentriert wurde.
Das Schlossareal und seine höfischen Räume
Das Schloss des Fürsten mit seinen zahlreichen Bauten, mit seinen Gartenanlagen und Versorgungsbereichen war das Zentrum der fürstlichen, höfischen Lebenswelt. Schon durch seine topographische Lage am Rande der Stadt verwies es innerhalb ritueller Handlungen auf seinen besonderen Status, der zudem durch architektonische Merkmale wie Graben, Mauer, Fortifikation, Türme und Brücken hervorgehoben sein konnte. Die städtebaulichen Eigenschaften der Schlösser und ihre spezifische Ausrichtung auf das städtische Umfeld konnten in die Zeremoniell- und Festformen integriert sein. Axiale und symmetrische Anordnungen spielten dabei ebenso eine Rolle wie räumlich-architektonische Verbindungen oder Separierungen, die zur Segmentierung des Handlungsablaufs eingesetzt wurden. Unter zeremoniellen Gesichtspunkten war die Gesamtheit der Stadt wie die des Schlossareals hierarchisch gegliedert. Dies prägte den höfischen Alltag ebenso wie die besonderen Zeiten der Zeremonielle und Feste. Im Zentrum lagen die Wohnräume des Fürsten und seiner Familie. Sie waren Ziel der zeremoniellen Handlungen, um sie herum gruppierten sich die Räume und Zonen der Feste. Die Feste, die etwa das Zeremoniell der Einholung, der Taufe und der Hochzeit begleiteten und umgaben, blieben separiert von dem Kern des Zeremoniells, das sich in den Audienz- oder in Schlafzimmern ereignete. Hier fand die unmittelbare Begegnung zwischen den Fürsten statt; hier wurde der Nachwuchs geboren, die Ehe vollzogen und gestorben. Die rituellen Handlungen in diesen Räumen wurden nicht oder, wie beim Audienzzimmer, nur selten bildlich dargestellt. Beschrieben und der Nachwelt durch Bilder vor Augen gestellt wurden dagegen die Stationen auf dem Weg zum Herrn und vor allem die den Anlass begleitenden Feste.
Ähnlich wie bei einem zeremoniellen Einzug in die Stadt waren es auch beim Schloss einzelne Orte und Barrieren sowie die Abfolge verschiedener Räumlichkeiten, die den Weg zum Fürsten bestimmten. Mit immer größerer Nähe zum Fürsten differenzierten sich die räumlichen Einheiten, die Ausstattung der Säle und Zimmer wie auch das höfische Personal, für das die "Hofordnungen" entsprechende Verhaltensmuster und Aufenthaltsorte fixierten.15 Dieses Zusammenspiel zwischen Architektur einerseits und der sozialen Struktur der Höfe andererseits artikulierte sich in der "Distribution" der Schlossbauten.16 Die gesamte Anlage des Schlossareals mit seinen verschiedenen Teilbereichen (Vorhof, Hof, Kernbau, Garten etc.) entwickelte sich auf der Grundlage spätmittelalterlicher Muster zu Gebäude- und Platzeinheiten mit immer differenzierteren und immer deutlicher gegliederten Raumabfolgen. Es entsprach der Rationalität frühneuzeitlicher Schlossbauplanung und -realisierung, dass es dabei zur Ausbildung typologisch definierbarer Baukomplexe (Vierflügelanlagen, Dreiflügelanlagen mit weiteren Varianten) kam. Für sie waren im Inneren wie im Äußeren strenge Gestaltungsmuster verbindlich, die auf eine Synthese antiker und "moderner" Formen ausgerichtet waren. Die im Grundriss wie in der Fassaden- und Raumgestaltung sich darstellende architektonische "Ordnung" der Schlossanlagen wurde damit Teil der "Ordnung" des gesamten Hofwesens. Bei einigen Schlössern blieb dies gebunden an historisch bedingte, zum Teil "ungeordnete" Gegebenheiten älterer Gebäudeteile. Für die neuen Schlossbauten hingegen wurde die Systematik des Ganzen eines Bauwerks wie seiner Teile zu einem Epochenmerkmal.
Das Gefüge der Räume und Kommunikationswege im Schloss war ein zugleich symmetrisches wie hierarchisches. Der Ordnung des Hoflebens entsprach die geometrisch definierte Systematik im Grund- und Aufriss. Der von außen kommende Weg durch das Schloss war durch Architekturen und Raumsequenzen deutlich markiert: vom Tor über den Schlosshof zum Eingang, vom Vestibül über die Treppe zu den Sälen und Appartements[]. In der Nähe des Herrn, im Appartement, wurden die Raumfolgen differenzierter, die Räume immer kleiner und immer aufwendiger gestaltet. Der Weg des Zeremoniells endete nach der Passage der Vorzimmer (Antichambres) im Audienz- oder Schlafzimmer; Kabinett und Degagements17 blieben dagegen vom Zeremoniell ausgeschlossen.18
Die eingesetzten architektonischen Mittel zielten dabei auf eine Variabilität der Raumgrößen und auf den Einsatz separierender wie verbindender Elemente. Die Abfolge der Räume blieb immer gebunden an die Situierung der Portale und Türen, die als wanddurchbrechende Elemente den rituellen Weg vorschrieben. Ihre Positionierung im Gesamtgefüge eines Geschosses und auch ihre Gestaltung im Einzelnen (etwa durch darüber angebrachte Gemälde oder Reliefs, sogenannte Supraporten) dienten zeichenhaft der Wegmarkierung. Sie konnten dem Eintretenden visuell als Orientierung dienen und zielten zugleich auf eine perspektivische Raumwahrnehmung. Der Weg zum Fürsten wurde auf diesem Wege mit den Mitteln der Architektur inszeniert und mit den Werken der Malerei und Skulptur ausgestaltet.
Die architektonischen Strukturen und bildkünstlerischen Ausstattungen hatten sich im höfischen Alltag, bei besonderen zeremoniellen Anlässen und innerhalb der höfischen Festkultur zu bewähren. Für den Alltag waren die Normen der Etikette verbindlich, die sich den jeweiligen Gegebenheiten flexibel anzupassen vermochten. Ähnliches galt für die Nutzung der Schlossräume bei höfischen Festlichkeiten. Hier waren es vor allem die Säle, die in unterschiedlicher Weise genutzt und gegebenenfalls für einen Anlass eigens ausgestaltet wurden. Hingegen erzwang das Zeremoniell für die "Großen Herren"19 eine feste, immer wieder aktualisierbare und in der gesamten höfischen Welt Europas spätestens seit dem beginnenden 17. Jahrhundert akzeptierte und genutzte Raumstruktur, die in entscheidender Weise das Repertoire zeremoniellen Verhaltens bestimmte. Syntax und Semantik zeremonieller Kommunikation und räumlicher Strukturen waren wechselseitig miteinander verschränkt. Alle Zeremoniellteilnehmer waren eingebunden in eine Struktur unterschiedlicher Zeichengattungen, deren Gehalt sich in den und durch die Handlungen der Teilnehmenden darstellte.20
Die Semantik der Zeichen war immer von dem Ort abhängig, an dem sich eine Handlung ereignete. Dabei markierten vor allem architektonische Übergangszonen und ihre Nutzung (Tor, Treppe, Tür etc.) zeremonielle Empfangsstationen, mithin Orte, an denen Zutritt gewährt oder entzogen werden konnte und an denen das Gewähren des Vortritts (der "Präzedenz") den Rang der Teilnehmer bestimmte. Innerhalb einer zeremoniell nutzbaren Raumfolge besaß jeder Raum eine eigene Qualität, die die soziale Position jener bestimmte, die sich in ihm bewegten.21 Dies betraf die fürstlichen Besucher und Gastgeber ebenso wie die Vertreter der wichtigsten Hofämter, die sich bei einem Empfang in einzelnen Räumen aufzuhalten hatten.22 Innerhalb des Empfangszeremoniells war das rituelle Zentrum, der Audienzraum, vom Verhalten des Fürsten geprägt. Hierarchische Zeichen (Thron, Baldachin etc.) markierten den Ort, an dem er sich aufhielt. Seine Körperbewegungen im Raum (Entgegengehen, Sitzenbleiben etc.) ließen diesen zu einem Handlungsraum werden, in dem räumliche Elemente (Emporgehobensein durch Stufen, Nähe und Ferne) als Zeichen sozialer Qualitäten gelesen wurden.23 Hier, im räumlichen Zentrum des Zeremoniells, entfaltete sich die Aura des Fürsten.
Die Freiräume vor dem Schloss, der innere Schlosshof, alle großen Räume im Schlossinneren wie auch die Gärten und weitere Gebäude im Schlossbereich (Reithaus, Ballhaus etc.) konnten bei den höfischen Festlichkeiten eine wichtige Rolle spielen. So wurde an einigen Höfen der Schlosshof zur Aufführung von Feuerwerksveranstaltungen oder auch für Turniere genutzt. Eigene Festbauten und Turnierplätze, die wie in Stuttgart am Ende des 16. Jahrhunderts im Schlossgarten angelegt wurden, deuteten schon früh die Neigung an, bei dem höfischen Festgeschehen auf das städtische Bürgertum als Publikum zu verzichten.24 Der Zwinger in Dresden (1711–1728) war im Alten Reich das prominenteste Beispiel für "Staats-, Pracht- und Lustgebäude",25 das neben anderen Funktionen als Orangerie und Sammlungsgebäude Aufgaben bei der Durchführung großer Feste übernahm. Und immer auch waren es die Gärten, die gern und in auffälliger Weise in die großen höfischen Feste integriert wurden.
Resümee
Unter dem Blickwinkel der Zeremonielle und der Feste an den frühneuzeitlichen Höfen erweist sich die Besonderheit ihrer Räume darin, dass sie unterschiedlichen Handlungsmustern und Funktionen zugeordnet waren. Jeder Raum konnte für unterschiedliche Zwecke genutzt werden. Entscheidend war dabei, dass die Semantik der Handlungen an die Orte der Handlung und an die Körperlichkeit der Handlungsteilnehmer gebunden blieb. In der Performanz der Handlungen, die einem Kalkül von Status und Macht unterworfen waren, stellte sich sowohl der konkrete Anlass dar, dessentwegen man miteinander agierte, wie auch die jeweils vorab auszuhandelnde Balance von politischen und rechtlichen Ansprüchen. Da sich die höfischen Handlungen, wie jede Handlung, in einem zeitlichen und räumlichen Kontext entfalteten, waren es die Bewegungen der Handlungsteilnehmer, die die Bedeutung der Zeremonielle schufen.26 Für die einzelnen, spezifisch ausgebildeten Handlungssequenzen waren dabei die Handlungs-Orte wichtig, die innerhalb der rituellen Bewegungen untereinander verbunden wurden.
Der Raum, der die Zeremoniellteilnehmer umgab, war alles andere als homogen. Er war hierarchisch auf das Zentrum der Handlungen hin ausgerichtet. Hier agierten die Fürsten und die Vertreter der städtischen Obrigkeit. Dieser Raum konnte weitere Personen als Zeremoniellteilnehmer umfassen, die sich zwar in der Nähe des Herrn befanden, zugleich jedoch in Distanz zu ihm. Den bislang differenziertesten Ansatz zur Bestimmung des zeremoniellen Raumes hat Michail A. Bojcov (*1961) vorgelegt.27 Er unterscheidet den "Innenraum" vom "Außenraum" und vom "Nebenraum" eines Zeremoniells. Die Existenz des "Innenraums" war unmittelbar an den zeremoniellen Ablauf gebunden.28 Er setzte sich aus verschiedenen Einheiten, den Handlungssequenzen, zusammen. Natürlich bedurfte die zeremonielle Praxis der topographischen Gegebenheiten des Landes, einer Stadt oder eines Schlosses. Doch waren es nicht die einzelnen Orte, die eine Handlung prägten.29 Es waren vielmehr die symbolischen Handlungen, die den einzelnen Orten im Vollzug des Zeremoniells eine Bedeutung verliehen. Erst in der zeremoniellen Handlung gewann ein Ort oder ein Bauwerk eine Bedeutung, die für die Semantik des Zeremoniells konstitutiv war. Ein solches Verständnis höfischer Kommunikationsräume kann also nicht bei den spezifischen, topographischen Qualitäten der Orte ansetzen. Vielmehr sind von den Körpern der Fürsten und ihren Handlungen her die zeremoniellen Akte mit ihren Aufführungsorten zu bestimmen. Nicht selten wurde das Zentrum des zeremoniellen Innenraumes eigens betont. So konnte der Körper des Fürsten durch einen Baldachin und die Leibgarde ebenso beschützt wie hervorgehoben werden.
Dieser "Innenraum" des Zeremoniells war von einem sehr geordneten "Außenraum" umgeben, in dem Personen oder Personengruppen agierten, die den Übergang zwischen jenen, die am Zeremoniell teilnahmen, und den Untertanen bildeten. Dies geschah, da es zur Realisierung der zeremoniellen Handlungen der spezifischen Gegebenheiten der Räume und der Orte bedurfte, die als Bühnen und Schauplätze in regelhafter Weise in die Performanz der Handlungen eingebunden waren. Den weiteren, äußeren Kreis bildete dann die Menge des "Volkes", der nicht unmittelbar Beteiligten, der Zuschauer. Dieser "Nebenraum" des Zeremoniells war ein "bunter Raum" (Bojcov). Er stand in Kontrast zur Ordnung des Innenraumes, dessen Notwendigkeiten zur Regulierung er zwar zu berücksichtigen, nicht aber zu integrieren hatte.
Die Handlungsformen und -muster der Zeremoniellteilnehmer und der architektonische Kontext waren demnach wechselseitig aufeinander bezogen.30 Für die historisch spezifische Form der höfischen Handlungen und Räume war entscheidend, dass sie an die physische Präsenz der Teilnehmer und damit an ihre Körperlichkeit und Sichtbarkeit gebunden blieb. Als "Leibrituale" konnten die Zeremonielle den gesamten Körper zum "Ausdrucksmedium" machen.31 Gottfried Stieve (geb. 1664) rechnete 1715 in seinem "Europäischen Hof-Ceremoniel" zum Zeremoniell "Generaliter alles dasjenige, was man ratione 1. Der Stellung des Leibes … 2. Der Kleidung … 3. Gehens, Sitzens und Stehens … zu thun gewohnet, oder genötiget ist …".32 Körper, Kleider, Insignien, Architekturen, Texte, Inszenierungen, alle Werke und Handlungen, die Teil der rituellen Abläufe wurden, lassen sich in diesem Sinne als "präsenzstiftende Symbole", als "eine besondere Form der durch Sichtbarkeit suggestiv verstärkten Ordnungs-'Magie'", verstehen.33
Eine Vielzahl von Medien und Inszenierungsformen wurden in der Frühen Neuzeit entwickelt und eingesetzt, um die Zeremoniellteilnehmer und den Raum, in dem sie agierten, ästhetisch herauszustellen. Die synästhetischen Leistungen, die dabei erzielt wurden, grü34 agieren und damit sichtbar werden zu lassen. Die architektonische und im weitesten Sinne künstlerische Ausgestaltung dieser höfischen Räume war, anders als im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit an ein spezifisches Vokabular von Formen gebunden, deren Semantik sich auf antike Muster gründete (Triumphbögen und Säulenordnungen als Pathosformeln, mythologische Bildprogramme). Es wurde sowohl in der dauerhaften Form der Stadttore und Schlossgebäude wie auch in ephemerer Weise bei den Festveranstaltungen eingesetzt. Der hierbei verwendete "hohe Stil" der Architektur sollte dabei dem decorum der zeremoniell genutzten Raumkontexte dienen. Darüber hinaus war er Element einer Strategie, die Architekturen und architektonische Ensembles über den zeremoniellen Anlass hinaus im Sinne der fürstlichen memoria einsetzte.