Lesen Sie auch die Beiträge "Le photoreportage en Europe, 1920-1970" und "War Reporters" in der EHNE.
Vorbemerkung und Themeneingrenzung
"Kriegsberichterstattung" im weitesten Sinn dürfte so alt sein, wie die Menschheit Kriege führt. Die Anfänge verlieren sich im prähistorischen Dunkel, im Alten Ägypten finden sich in Karnak und anderswo Kartuschen und Bildgeschichten zu den Siegen desr Pharao, mit der Ilias liegt eine mythisch überhöhte Erinnerung an die Seevölkerzeit vor, in der klassischen Antike lieferte Julius Cäsars (ca. 100–44 v.Chr.) De bello Gallico ein Lehrstück für literarische Kriegsberichterstattung als Mittel politischer Propaganda. Hier wird aus guten Gründen nur die Kriegsberichterstattung unter massenmedialen Bedingungen seit Beginn der Frühen Neuzeit behandelt.
Thematisch wird sich der Beitrag auf die Instrumentalisierung der Kriegsberichterstattung sowie auf deren Informations-, Orientierungs- und Meinungsbildungsfunktionen konzentrieren. Unter den Begriff "Kriegsberichterstattung" fallen im Weiteren sowohl Vor- als auch Nachberichterstattung, Ursachen wie Folgen, Schlachten wie Begleiterscheinungen für die Zivilisten; im engeren Sinn schilderten Kriegsberichterstatter (zeitnah) militärische Auseinandersetzungen. Der behandelte Zeitraum reicht vom 15./16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Räumlich wird trotz der europäischen Schwerpunktsetzung der eine oder andere Ausblick über den europäischen "Tellerrand" notwendig werden. Trotz dieser Beschränkungen ist es kein leichtes Unterfangen, die Geschichte der Kriegsberichterstattung und der Kriegsberichterstatter in ihren transnationalen Bezügen zu skizzieren, zumal jede Einzelbetrachtung von Kriegen und ihrer Berichterstattung dazu tendiert, dem eigenen Gegenstand zuviel Gewicht beizumessen. Die Skizze beginnt daher mit den Randbedingungen.
Randbedingungen im Wandel
Kriegsberichterstattung koexistierte mit wandelbaren Randbedingungen, Kriegsberichterstatter bewegten sich im Spannungsfeld von Politik, Waffengängen, Öffentlichkeiten und Medien. Der transnationale Zugriff erfordert dabei Beschränkungen auf die wesentlichen Grundzüge, zumal sowohl die Kriege als auch die Politik, die Öffentlichkeiten wie Medien in dem halben Jahrtausend seit Johannes Gutenberg (ca. 1400–1468) sich permanent verändert haben. Im Dreieck zwischen Kombattanten, politischer Führung und interessierter bzw. betroffener Bevölkerung wandelte sich die Kriegsberichterstattung, die grundsätzlichen Problemfelder blieben aber bemerkenswert konstant: über die Zeiten, politischen Systeme und Nationalitäten hinweg. Das gilt auch für die drei Grundfunktionen der Kriegsberichterstattung: Information, Meinungsbildung und Orientierung.
Für die Kombattanten war und ist Kriegsberichterstattung Teil der – modern gesprochen – psychologischen Kriegsführung. Kriegsberichterstatter waren selten unabhängige Beobachter, zumeist wurden sie zensiert und mit gefärbten Informationen gefüttert. Für die politische Führung standen – schon bei den Pharaonen und bei Cäsar – Legitimation und politische Unterstützung im Vordergrund; so gesehen waren die Kriegsberichterstatter stets Hilfstruppen. Für die Bevölkerung hing Kriegsberichterstattung mit dem Grad unmittelbarer Betroffenheit zusammen: die Berichterstattung über ferne Kriege mag bisweilen – im Rezeptionsmodus des wohligen Grusels – den Unterhaltungsbedürfnissen gedient haben. Nahe Kriege hingegen weckten nicht nur Empathie; gut informiert zu sein, um sich orientieren zu können, war im wortwörtlichen Sinne überlebenswichtig. Einzelnen Kriegsberichterstattern scheint dies aber schon früh bewusst gewesen zu sein. In der Dynamik dieses Feldes mussten sich Kriegsberichterstatter dem Medienwandel, dem Wandel des Krieges und nicht zuletzt dem Wandel von Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit anpassen.
Der Medienwandel ist seit der Frühen Neuzeit die Geschichte permanenter Vervielfältigung und Ausdifferenzierung. Von den Neuen Zeitungen, Flugblättern und Flugschriften um 1500 ausgehend, entstanden entstanden im 16./17. Jahrhundert erste Periodika und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl elektronischer Medien. Kriegsberichterstattung war von Beginn an durch ein Nebeneinander von bildlichen Darstellungen, schriftlicher Beschreibung und Wertung gekennzeichnet. Kriegsberichterstatter bedienten und bedienen sich aller jeweils verfügbaren medialen Vermittlungskanäle – vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Kriegsberichterstattung medialisierte die Kriege von Anfang an.1
Die Kriege veränderten sich vom – häufig regional begrenzten – Dauerzustand über Vor- und Frühformen von Bürgerkriegen (Bauernkrieg, englischer Revolution, Fronde in Frankreich) zu modernen Bürgerkriegen (der Französischen Revolution, der Revolution von 1848, der russischen Revolution, des spanischen Bürgerkriegs). Ein erster "totaler" Krieg (der Dreißigjährige) wurde wieder eingehegt zu Kabinettskriegen (vornehmlich im 18. Jahrhundert). Kriege weiteten sich erneut aus zu den vor- und frühindustriellen Kriegen des 19. Jahrhunderts, führten in den industrialisiert-totalen Weltkriegen zur vollständigen Anspannung ganzer Nationen. In der jüngsten Gegenwart stellt sich "Krieg" teils als asymmetrischer Hybride, teils als Auseinandersetzung, die immer noch zwischen regulären Militärs der Staaten geführt wird, dar. Je nach Kriegsstatus und räumlich-zeitlichem Abstand vom Schlachtfeld hatten die Kriegsberichterstatter mal mehr, in der Regel aber deutlich weniger Distanz zum Dargestellten, als es den Informations-, Orientierungs- und Meinungsbildungsfunktionen gut tat.
Nach Carl von Clausewitz (1780–1831) dient die Kriegsführung der Politik, sie ist dem Primat der Politik unterzuordnen.2 Politik wandelte sich von ständisch organisierten, strukturell (finanziell, administrativ) schwachen Staatssystemen, über zwar nominal "absolute", de facto aber immer noch recht unterentwickelte Obrigkeiten zu zunehmend an die Öffentlichkeit appellierenden Regierungsformen (in seinen Kriegen schon bei Friedrich II. von Preußen (1712–1786), dann bei Napoleon Bonaparte (1769–1821)[] und nicht zuletzt bei Otto von Bismarck (1815–1898). Im 20. und 21. Jahrhundert führten mehr als einmal Diktaturen mit Demokratien Krieg, doch waren die deutschen Diktaturen im Ersten und Zweiten Weltkrieg – zumindest jeweils zu Beginn – nicht so total, wie sie selbst behaupteten, und die angloamerikanischen Demokratien weniger demokratisch als sie vorgaben.
Nicht zuletzt veränderte der stete Wandel von Gesellschaft und Öffentlichkeit die Randbedingungen der Kriegsberichterstattung: Anfangs dominierte die ständisch strukturierte, nominal nicht in Parteien zerfallene Gesellschaft; sie kannte (theoretisch) nur die äußere kriegerische Bedrohung. In der Gegenwart haben sich zwar die Gesellschaften an die Binnenstrukturierung nach Teilöffentlichkeiten und Parteien gewöhnt, im Krieg verfängt aber immer noch der patriotische Rally-Effekt.3
Tendenzen der Kriegsberichterstattung vom 16. bis ins 20. Jahrhundert
Schon in den Bürgerkriegen des 16. und 17. Jahrhunderts zeigte sich, dass der Appell an das gemeinsame Ganze leer lief; daher wurden die Auseinandersetzungen, vom Bauernkrieg über den Englischen Bürgerkrieg der 1640er Jahre bis zur Französischen Fronde der gleichen Zeit, von einem Krieg der Pamphlete begleitet. Die Mehrzahl der überlieferten Newssheets, Flugschriften oder -blätter berichteten nicht über den Krieg im engeren Sinne. Vielmehr waren etliche Schriften – wie Martin Luthers (1483–1546)[] "Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" (1525) – Wertung, Nachbetrachtung und einseitige Parteinahme – z.B. gegen den "ertzteuffel, der zu Mölhusen regirt", gemeint war hier Thomas Müntzer (1489–1525), der die Bauern in den Krieg geführt hatte. Die Parteinahme setzte aber, wie Luthers Traktat ebenfalls verdeutlicht, Informationen, d.h. Kriegsberichterstattung im engeren Sinne, voraus.4 Diese konnte er einerseits über den regen Briefwechsel, den er pflegte, andererseits durch die vielen Flugblätter, in denen über die Ereignisse der Zeit berichtet wurde, erfahren haben. Dass die damalige Berichterstattung noch mit großer Zeitverzögerung und höchst ungleichmäßiger Authentizität erfolgte, lag einerseits an dem vergleichsweise dünnen Nachrichtennetz, andererseits an Vorläufern heutiger Nachrichtenfaktoren, wie sich an zwei Beispielen verdeutlichen lässt.
Soweit der Aufwand vertretbar war, war schon im frühen 16. Jahrhundert das Bemühen um Authentizität erkennbar. Der Nürnberger Formschneider Nikolaus Meldemann (1518–1552) begab sich 1530, ein Jahr nach der ersten erfolglosen Belagerung Wiens durch die Türken und der Berichterstattung in den Neuen Zeitungen, dorthin, um den Kampfplatz wirklichkeitsgetreu abzubilden.
In solchem hab ich erfahren, daß ein berühmter Maler zu Wien, der für sich selbst, als der Türk noch vor der Stadt gelegen, auf dem hohen St. Stefansthurm die ganz Belagerung ringsumb zu Land und Wasser, herwiederumb auch des Kriegsvolks Gegenwehr in der Stadt wider die Türken, alles, wie es an ihm selbst ergangen und augenscheinlich gewest, aufgenommen habe, also daß hienach kein gründlicher Visierung derogleich hat mögen gestellt werden.5
Der große Bilderbogen erschien auf sechs Blättern als vereinfachtes Rundbild der Stadt mit dem Stephansdom in der Mitte. Häuser und Gassen wurden nicht eingezeichnet; man sollte besser sehen, wie sich "das Kriegsvolk" in der Stadt zur Gegenwehr gestellt habe. Man hätte sonst noch einmal soviel Papier benötigt "und wäre also nit jedermanns Kauf und für den gemeinen Mann gewesen".6
Schon manchem damaligen Betrachter muss bewusst gewesen sein, dass die Darstellung ferner Ereignisse eher symbolisch gemeint war. So zeigt die Warhafftige Newe Zeitung des kayserlichen Sigs zu Galetta vnd Tunis geschehen aus dem Jahre 1535 Karthagos Ruinen, die im Wesentlichen aus einer Art römischem Kolosseum bestehen. Daneben steht Tunis, das verblüffend einer mittelalterlich-deutschen Stadt gleicht. Ein nord- und mitteleuropäisches Schiff, Landsknechtshaufen und europäische Reiterei vervollständigen das Bild. Solche Abbildungen fremder Gegenden und Geschehnisse, die nicht durch eigene Anschauung des Formschneiders gewonnen waren, waren keine realistischen Wiedergaben, vermutlich weder von den Illustratoren als solche gedacht noch vom Publikum als solche verstanden.7 Sie veranschaulichten die Handlungen, sollten diese in eine Beziehung zueinander setzen und dem Betrachter Gelegenheit geben, sich den schriftlichen Bericht vorzustellen. Seit diesen Frühzeiten – bis weit ins 20. Jahrhundert – ist die Kriegsberichterstattung von einer Text-Bild-Schere gekennzeichnet: Die schriftliche Berichterstattung eilte der bildlichen Veranschaulichung immer mehr oder weniger deutlich voraus.
In jedem Land wirkten andere politische und kriegerische Ereignisse als Katalysatoren für Mediensystem und Berichterstattung. Im Deutschen Reich waren es die Reformation nach 1517, der Bauernkrieg 1524/1525 und die Türkenkriege des 15. bis 17. Jahrhunderts, in Frankreich die Bürgerkriege im 16. Jahrhundert und der Adelsaufstand der "Fronde" um die Mitte des 17. Jahrhunderts mit mehr als 5.000 Flugschriften, in Holland der 80jährige Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien (1568–1648) mit mehr als 7.000 überlieferten Flugblättern und -schriften. In England kam diese Rolle der puritanischen Revolution der 1640er Jahre zu. Der Londoner Buchhändler George Thomason (1602–1666) sammelte zwischen 1640 und 1663 mehr als 13.000 Flugblätter und Flugschriften sowie 7.000 Zeitungen.8
Obwohl schon die ersten beiden überlieferten Zeitungen, die Relation aus Straßburg und der Aviso aus Wolfenbüttel eine Reihe von Meldungen zu kriegerischen Auseinandersetzungen enthielten,9 genügte zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs offensichtlich noch die retrospektive Berichterstattung. Zumindest deutet darauf eine letzte Blüte der halbjährlichen Messrelationen hin: Nach Kriegsausbruch bewog das Bedürfnis des Publikums, den Gang der Ereignisse zu verfolgen, die Verleger, mehr Relationen als früher herauszugeben. Seit 1630 verschoben sich die Präferenzen des Publikums – die Messrelationen erlagen der Konkurrenz der ersten Zeitungen. Während in den Messrelationen der Kriegsverlauf bestenfalls mit halbjährlicher Verzögerung nachvollzogen werden konnte, erschienen die Avisen und Relationen wöchentlich oder öfter. Die Zeitungen konnten damit schneller, aktueller und kontinuierlicher über Kriege berichten und bedienten das Orientierungsbedürfnis der Menschen besser als die Messrelationen.10 Daneben spielten aber die Flugblätter und -schriften noch eine wichtige Rolle, insbesondere wenn sie bebildert waren. Holzschnitte, die das Magdeburger Gemetzel der Kaiserlichen 1631 unter Jean t'Serclaes de Tilly (1559–1632) und Gottfried zu Pappenheim (1594–1632) in Szene setzten, waren eindringlicher als kurze Zeilenmeldungen. Aufwändig gestaltete Zweitverwertungen, z.B. im Theatrum Europaeum, hielten die Erinnerungen frisch.11 Ende des 17. Jahrhunderts stellte Kaspar Stieler (1632–1707) fest, "Krieges-Sachen seind der vornemste Inhalt der Zeitungen",12 dabei blieb es noch eine Weile.13 Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (ca. 1622–1676) wiederum lässt sich als Beispiel für die literarische Verarbeitung von Kriegsereignissen anführen.
Zur Zeit der Kabinetts- und Revolutionskriege im 18. und 19. Jahrhundert waren Zeitungen und Zeitschriften schon weiter verbreitet. Dem Preußenkönig Friedrich II., "dem Großen", wird häufig attestiert, die Öffentlichkeit im Allgemeinen und in den drei Schlesischen Kriegen meisterhaft bedient und manipuliert zu haben. Er hatte allerdings zunächst Lernerfahrungen machen müssen, da ihm zu Beginn des ersten Schlesischen Kriegs die "Öffentlichkeitsarbeit" seiner Gegnerin, Maria Theresia (1717–1780), insbesondere beim britischen Publikum deutlich voraus war. Doch lernte er schnell und ließ Briefe eines preußischen Offiziers – zum Teil von ihm selbst, zum Teil von seinem Außenminister Graf Heinrich von Podewils (1696–1760) redigiert – in den Berliner Blättern veröffentlichen.14
Bei den Kriegsnachrichten legte Friedrich II. Wert darauf, dass sie aus unverdächtigen Orten (z.B. Hamburg) kamen und nicht zu dicht neben den Hofnachrichten standen, so dass sie nicht schon auf den ersten Blick als offiziös inspiriert erschienen. Siege lies Friedrich durch Postillione wortwörtlich hinausposaunen, auch unentschiedene Schlachten wurden in den Blättern seines Machtbereichs als Siege gewertet. Das Publikum war aber nicht nur Adressat und Resonanzboden, die Zeitungen waren noch Ersatz und Nebenmedium diplomatischer Kanäle. Obwohl sich der König eher abschätzig über den Wert der wankelmütigen Öffentlichkeit in Kriegszeiten äußerte, und wohl auch weil er sich selbst eher rar machte, war in vielen deutschen und europäischen Landen die Öffentlichkeit "fritzisch gesinnt". Tabak-Dosen mit Schlachtmotiven, patriotische Vivat-Bändchen, die man sich ans Revers heften konnte, vaterländische Lieder und Gedichte begleiteten und vertieften die Kriegsberichterstattung.15
Obwohl das Wort "Kabinettskriege" harmlos klingt und die Devotionalien sowie die gefärbte Kriegsberichterstattung den Eindruck erwecken könnten, Krieg sei einerseits das Geschäft der Soldaten, andererseits die Unterhaltung unbeteiligten Publikums gewesen, täuscht die distanzierte und zensierte Kriegsberichterstattung. Auch Kabinettskriege ließen sich, trotz begrenzter Ziele und zurückhaltenden Ressourceneinsatzes, nicht nur als politisches Instrument verstehen: Kriege betrafen die Bevölkerung unmittelbar: durch Fourage (nicht selten als Plünderungen), Zwangsrekrutierungen, Desertionen, Mord und Totschlag. Darüber waren die Menschen wohlinformiert, sei es durch mündliche Berichte von Beteiligten, sei es durch nachträglich berichtende Memoiren – besonders eindringlich die Ulrich Bräkers (1735-1798) –, sei es durch innovative Schriften der Volksaufklärung, sei es durch propagandistisch gefärbte Zeitungsberichte – z.T. sogar schon über Kriegsverbrechen der "anderen Seite".16
In den Revolutions- und Befreiungskriegen und den Kriegen des frühen und mittleren 19. Jahrhundert setzte sich die nationalistische Aufladung der Kriegsberichterstattung mit all ihren multimedialen Begleiterscheinungen, Devotionalien, Kriegs- und Befreiungslyrik, Tages- und Nachberichterstattung fort. Guckkästen und Bilderbogen, Panoramen und Dioramen ergänzten die Presse. Je anspruchsvoller das Bildprogramm, desto weiter ging die Text-Bild-Schere auseinander. Je enger am propagandistisch-politischen Gängelbande, desto schneller kamen die Nachrichten unter das Publikum: Napoleon Bonaparte ließ ebenso öffentlichkeitswirksam wie Friedrich II. seit dem italienischen Feldzug eigens gegründete Zeitungen berichten und informierte über Bulletins. Seine Gegner in den Befreiungskriegen konterten 1813 mit einer "Feldzeitung".17
Der Krimkrieg zur Mitte des 19. Jahrhunderts darf als "Weltkrieg" avant la lettre gelten.18 Er wird darüber hinaus mit der ersten modernen Kriegsberichterstattung assoziiert. Insbesondere wird dies an William Howard Russell (1821–1907) festgemacht.19 Wie all diese Interpretationen hängen diese Zuschreibungen von den Definitionskriterien ab: Zwar wurden einzelne Nachrichten telegrafisch übermittelt, aber schon zuvor zielte Kriegsberichterstattung darauf ab, möglichst zeitnah zu berichten. Zwar berichteten Russell und andere vergleichsweise schonungslos von Tod und Sterben auf dem Schlachtfeld, aber dies war schon im 18. Jahrhundert vorgekommen (s.o.). Zwar wurde im Krimkrieg erstmalig fotografiert, aber man konnte Fotos vor Erfindung der Autotypie nicht direkt in den Zeitungen reproduzieren. Auch hatte es die Fotografie zuvor nicht gegeben, in allen Kriegen waren jedoch die jeweils modernsten Medien benutzt worden.
Um 1900 schien die technisch bedingte Revolution der Bildberichterstattung durch Fotografie und Film (Aktualitäten) schon weiter, doch schloss sich weder die Text-Bild-Schere, noch führte die Bebilderung – z.B. in den illustrierten Wochenendbeilagen – zu authentischeren Bildern. Das gilt schon im (Zweiten) Burenkrieg (1899-1902). Die wenigen authentischeren, kaum in der Presse reproduzierten Fotos waren Objekte besonders ausgeprägter Beeinflussungsversuche. Zumeist regierten – schon durch die langen Belichtungszeiten der frühen Fotografien bedingt – die sorgfältig inszenierten Genrebilder. Die frühen "Films" für die "Aktualitäten" waren zumeist nachgedrehte, idealisierte Fälschungen (Fakes), mit denen die jeweils offizielle Deutung der Kriegsereignisse an das Publikum gebracht wurde. Schon die unausgereiften, schweren, unhandlichen Kameras zwangen zu dieser Vorgehensweise. Dem Publikum mögen die Restriktionen nicht generell deutlich gewesen sein, die Werbung von Konkurrenzfirmen machte aber durchaus darauf aufmerksam.20 Noch im Ersten Weltkrieg dominierte im Film der inszenierte Nachdreh und bei den zensierten Fotos ein Übergewicht von vergleichsweise harmlosen Etappen- und Kampfpausen sowie Genrebildern.21
Burenkrieg und Erster Weltkrieg haben darüber hinaus gemein, dass das Publikum die Identifikation mit der "richtigen" Seite goutierte. Im Burenkrieg, in dem die deutsche Öffentlichkeit überwiegend und emotional die Partei der Buren ergriff, erfolgte die Parteinahme paradoxer Weise, obwohl die deutschen Medien kaum einen Berichterstatter in Südafrika hatten, die Briten hingegen ca. 300–400, unter ihnen auch schon einige Frauen. Die akkreditierten Berichterstatter – Journalisten mit Zugang zum Generalstab hatte es schon im Krimkrieg und in den deutschen Einigungskriegen gegeben – können als Vorform der embedded journalists gelten.22 Zeitungen, die die patriotische Melodie spielten, gewannen an Auflage, Blätter, die kriegskritischer berichteten, verloren.23 Vermutlich dürfte dies aber schon vorher gegolten haben und gilt, wie die gesteigerten Einschaltquoten im Fernsehen bei den späteren Kriegen zeigen, immer noch. So verbanden sich die instrumentellen Interessen der politischen Zensur mit den ökonomischen des privatwirtschaftlichen Mediensystems.
Die Instrumentalisierung der Informations-, Meinungsbildungs- und Orientierungsfunktion vom 19. bis ins 21. Jahrhundert
Die positiven und negativen Steuerungsmittel verfeinerten sich in den letzten beiden Jahrhunderten, änderten sich aber nicht grundsätzlich. Im Krieg von 1870/1871 erlaubte die Engführung durch die Militärzensur den Journalisten in militärischen Belangen keine Bewegungsfreiheit. Für andere Fragen, die in den folgenden Kriegen Bedeutsamkeit erlangten, war der Krieg zu kurz – z.B. wurde Lebensmittelversorgung nicht zum Thema. Im Wesentlichen schränkte die restriktive Informationspolitik des Militärs die journalistische Autonomie ein. Im Ersten Weltkrieg (1914–1918) ließ sich hingegen an dem kriegsentscheidenden Thema des unbeschränkten U-Boot-Krieges zeigen, dass durch militärische Zensur alleine der Informationsfluss nicht mehr zu steuern war. Wenn, wie im Falle Theodor Wolffs (1868–1943), ein Chefredakteur das Berliner Tageblatt der Lenkung durch Kriegspresseamt, "Wolffs Telegraphisches Bureau" und Berliner Pressekonferenz entziehen wollte, so konnte er nur durch Nichtberichten die intendierte Informationssteuerung unterlaufen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die deutschen Medien noch enger am Gängelband geführt. Verschweigen einerseits, Fehlinformationen andererseits und grundsätzliche Anweisungen, über dieses oder jenes in solcher oder anderer Aufmachung zu berichten, beschränkten die Journalisten in einem kaum noch zu steigerndem Maß.24 Die scheingenauesten Informationen in jedem Krieg boten die Statistiken. Für sich genommen, schienen große Zahlen für gegnerische Niederlagen und deutsche Siege zu sprechen. Doch waren sie ohne expliziten Zusammenhang nichts wert. Sofern – in der Regel – gegnerische Verluste angegeben wurden, ohne eigene zu nennen, fehlte der Maßstab. Im Zeitverlauf mussten aber selbst Zahlen, die keine Einordnung erfuhren, auf das Publikum zumindest ermüdend wirken; zumeist regten sie darüber hinaus das Nachdenken an. Doch noch mehr als das Publikum zeigten sich die Medien als Statistiksüchtige. Wenn zur journalistischen Autonomie auch aufgeklärtes Selbstdenken gehörte, so ließ es sich an den Medien jedenfalls nicht ablesen – mit der bemerkenswerten Ausnahme des Berliner Tageblatts.
Während bei der Informationsfunktion – abgesehen von der beschriebenen Ausnahme – keine signifikanten Unterschiede zwischen den ersten beiden Kriegen, wohl aber zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg – insbesondere wegen der positiven Pressepolitik im Nationalsozialismus – auszumachen waren, nahm die Autonomie in der Meinungsbildung von Krieg zu Krieg ab. Der deutsch-französische Krieg erlaubte der Presse noch divergierende Bewertungen. Im Ersten Weltkrieg wurde lange um das Wichtigste gerungen, die Freiheit zur politischen Meinungsbildung setzte sich schließlich zumindest in abstracto bei den großen Themen Frieden und Kriegsziele durch. Das zeigte sich in der überregionalen wie in der regionalen Presse. Im Zweiten Weltkrieg hingegen war der Spielraum der Medienakteure – selbst vordergründig betrachtet – äußerst marginal. Am augenfälligsten wurde das in den Propagandakompanien der Wehrmacht, in denen Soldaten Berichterstattungsfunktionen übernahmen.
Bei der Orientierungsfunktion wiederum waren die Unterschiede auf den ersten Blick betrachtet gering. In allen drei Kriegen kamen bisweilen Meldungen prognostischen Inhalts vor, im ersten insbesondere nachdem der Krieg entschieden war. Im Zweiten Weltkrieg zeigte sich jedoch auch hier das absolute Primat der politischen Führung. Die sensationellsten Meldungen der Kriegsberichterstattung – der Russlandfeldzug ist entschieden (1941) und Stalingrad ist erobert (1942) – gingen auf Äußerungen Adolf Hitlers (1889–1945) zurück. Die journalistische Autonomie beschränkte sich nur noch auf die mehr oder weniger sensationelle Aufmachung.
Alle drei Funktionen zusammengenommen zeigen, dass die journalistische Autonomie immer dort an ihre Grenzen stieß, wo sie mit den übergeordneten politischen Interessen kollidierte. Auch dies ist nochmals Beleg für die These, dass über Kriegsberichterstattung, Propaganda und politische Kommunikation nicht geredet werden kann, wenn zuvor nicht die Randbedingungen bestimmt sind. Für die journalistische Autonomie in der Kriegsberichterstattung war dabei nicht die oft bemühte Zensur das Gefährlichste, sondern die sogenannte "positive Pressepolitik", d.h. Medienlenkung durch ereignisbezogene Anweisungen. Stufte die Zensur der Kriege von 1870/71 und 1914-1918 die autonome Kriegsberichterstattung zu einem Faktor minderer Bedeutung zurück, so konnte der "Journalismus" unter den Bedingungen der nationalsozialistischen positiven Presselenkung nicht einmal mehr eine solche beanspruchen. Die Politik bedrohte die Autonomie gerade dadurch, dass sie sich journalistische Routinen zunutze machte und die Presse in propagandistischem Interesse steuerte.25
Die folgende Zusammenstellung akkreditierter "Journalisten" in diversen Kriegen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zeigt mehr als deutlich, wie stark allein schon die Zulassung zur Kriegsberichterstattungstätigkeit vom politischen Willen bzw. von den strategischen Überlegungen der Militärs abhing: Auch medienpolitisch wurden in jedem neuen Krieg die Schlussfolgerungen aus dem alten gezogen. So reflektierte der immense Personal- (und Material-) Einsatz deutscherseits im Zweiten Weltkrieg die offizielle Einschätzung, den Ersten propagandistisch verloren zu haben. Entgegengesetzt wirkte der Mythos, der Vietnam-Krieg sei an der Medienfront verloren worden.26
Krieg (Zeitraum) |
Akkreditierte Kriegsberichterstatter |
Bemerkungen |
Zweiter Burenkrieg (1899–1902) |
300–400 |
Überwiegend Briten (im gesamten Kriegsverlauf) |
Erster Weltkrieg (1915) |
10 |
Im deutschen Hauptquartier |
Erster Weltkrieg (1917/1918) |
38 |
Im US-Hauptquartier akkreditierte Journalisten |
Zweiter Weltkrieg (1943) |
15.000 |
Soldaten in den Propaganda-Kompanien der Wehrmacht (Höchststand) |
Zweiter Weltkrieg: D-Day (1944) |
180 |
Briten und Amerikaner |
Vietnam-Krieg (1965–1973) |
> 700 |
Korrespondenten aller Nationen und Mediengattungen |
Die Instrumentalisierung ist seit dem 19. Jahrhundert eher noch gewachsen, wohl aber hat sich die Text-Bild-Schere geschlossen; vermutlich ist es diese zeitnahe Direktheit, die suggeriert, dass die modernen elektronischen Medien größere Nähe und Authentizität besitzen. Seit 1945 wurden im Kontext der Dekolonialisierung, des Kalten Krieges, der nahöstlichen, mittel-östlichen und anderer Konflikte eine Vielzahl kleinerer und größerer Kriege geführt: die Indochina- und Nahostkriege.
Die grundlegende Distanz jedoch bleibt: Kriegsberichterstatter, selbst wenn sie sich möglichst dicht an den Ort des Geschehens begeben und dies häufig mit Verwundung oder Tod bezahlen, mögen sich der Illusion hingeben, unmittelbar und authentisch zu berichten. Sie können dies aber nicht. Kriegsberichterstatter können Impressionen einfangen, aber ihnen fehlt der Überblick; Kriegsberichterstattung aus der sicheren Distanz mag solchen besitzen, doch dafür fehlt der Blick für die Details. Gesteuert wird immer, und sei es durch die Schere im Kopf. Die Öffentlichkeit, die sich durch die Kriegsberichte emotional erregen lässt, vermag die Instrumentalisierung ebenfalls nicht hinreichend zu durchschauen, selbst wenn sie sich Urteilsfähigkeit einbildet.
Was also ist in der Kriegsberichterstattung gleich geblieben, was hat sich für die Kriegsberichterstatter geändert? Gleich geblieben ist, dass Berichterstatter und Berichterstattung das gesamte verfügbare mediale System nutzten, geändert (ausgeweitet und ausdifferenziert) haben sich die Massenmedien und vermutlich auch das Selbstverständnis der Berichterstatter: Gleich geblieben ist ihre Steuerung und Instrumentalisierung, geändert und verfeinert haben sich deren Mittel. Gleich geblieben ist die Berichterstattung in Wort, Schrift und Bild, geschlossen hat sich die Text-Bild-Schere. Gleich geblieben ist das Problem der Authentizität, vermutlich größer geworden sind die Zweifel am Berichteten. Gleich geblieben ist, dass Kriegsberichterstatter ein Beruf aus Passion ist, früher vielleicht eher aus Begeisterung, heute vielleicht eher aus Pflichtgefühl, immer jedoch lebensgefährlich.