Impuls
Prof. Dr. Jürgen Wilke, Institut für Publizistik, Mainz. EGO-Fachherausgeber für Medien- und Kommunikationsgeschichte.
Von Medien ist in der Zielsetzung von Europäische Geschichte Online (EGO) in einem doppelten Sinn die Rede gewesen. Zum einen in einer inhaltlichen Dimension, indem Transferprozesse in den Mittelpunkt gestellt werden sollten, "also die dynamische Wechselbeziehung zwischen Ausgangssystem(en), Vermittlungsinstanz(en) (Agenten/Medien) und Zielsystemen".
Zum zweiten in einer formalen, instrumentellen Dimension, indem das mediale Potential des Internet genutzt und ausgeschöpft werden sollte. Und dies wiederum in zweierlei Hinsicht: Einerseits hinsichtlich der Entstehung der Beiträge und andererseits hinsichtlich ihrer Formatierung und Darbietung.
Ich fasse meine Beobachtungen zur Umsetzung dieser beiden Aspekte in 16 Punkten zusammen. Sie resultieren aus einer selektiven, d.h. nicht vollständigen, Durchsicht der bisher knapp 200 EGO-Beiträge.
1. Die inhaltliche Relevanz des Medienbezugs differiert notwendigerweise mit dem Thema des jeweiligen EGO-Beitrags bzw. dem Themenstrang, zu dem er primär gehört. Zentral ist er selbstverständlich für die Beiträge zum Themenstrang Europäische Medien. Bei den anderen Beiträgen ist er zumeist entweder inexistent oder allenfalls am Rande vorhanden.
2. Ein Grundproblem hinsichtlich des Medienbezugs ist der Medienbegriff. Bekanntlich wird dieser sehr unterschiedlich definiert. In den Geistes- und Kulturwissenschaften häufig sehr weit, als Begriff für alle möglichen Zeichenträger und Zeichensysteme, die irgendwelche Inhalte vermitteln. Marshall McLuhan verstand unter Medien sogar alle zivilisatorischen Vorkehrungen, die zum Ausgleich menschlicher Mängel dienen können (also zum Beispiel die Uhr, das Auto, die Eisenbahn, das Geld). Demgegenüber arbeiten die Sozialwissenschaften eher mit einem engen Medienbegriff, sie verstehen darunter die Mittel und Institutionen zur Verbreitung von Aussagen an eine Vielzahl von Personen (also Buch, Presse, Hörfunk, Fernsehen, Film, Internet). Während sich der Themenstrang Europäische Medien weitgehend an dieses engere Begriffsverständnis hält, und man auch die Predigt, zumal in ihrer gedruckten Form, als Medium gelten lassen kann, finden sich in anderen Beiträgen Indizien für den weiten Medienbegriff. Beispielsweise wenn es heißt: "Kavalierstour, Bildungsreise und Grand Tour sind in diesem Zusammenhang jedoch weniger als Transfermedien, denn als Verbreitungskanäle zu begreifen". Wobei mir, ehrlich gesagt, der hier gemachte Unterschied nicht recht einleuchtet. Und im Artikel über die Amerikanische Revolution ist von Benjamin Franklin unter dem Etikett "Der Diplomat als Medium" die Rede.
3. Selbstverständlich sind der Medienbezug oder die Medialität nicht für alle Themen von EGO relevant. Das gilt insbesondere für theoretische Themen oder für zumindest im engeren Sinne medienunabhängige historische Sachverhalte.
4. Daneben gibt es aber historische Themen, die einen Medienbezug durchaus implizieren. Gibt man bei EGO den Suchbefehl "Medien" ein, so zeitigt dies gegenwärtig (Mitte Oktober 2013) 66 Ergebnisse. Etwas mehr als die Hälfte davon liegen außerhalb des Themenstrangs Europäische Medien. Sie tragen dem Medienbezug meines Erachtens insgesamt aber nur in geringem Maße Rechnung. Nicht einmal alle sind einen Link zu Medien-Beiträgen im engeren Sinne wert. Lediglich im Beitrag Homöopathie gibt es ein eigenes Unterkapitel zu den Medien. Sonst bleiben diese Bezüge eher peripher. Beispielsweise wird bei den Hafenstädten auf deren Bedeutung als Informationszentren hingewiesen, wo angeblich gedruckte Informationen noch kaum eine Rolle als Hauptquelle spielten. Dieser Behauptung wird zumindest durch einen Link zu dem Beitrag Nachrichtenkommunikation begegnet. Der Beitrag Wissens- und Wissenschaftstransfer begnügt sich mit der kursorischen Feststellung: "haben die Medien der Weitergabe – Schrift, Druck, Telekommunikation etc. – die Bedingungen der Wissensproduktion, den Wissenstransfer und die Wissensinhalte maßgeblich geprägt". Mehr dazu findet sich nicht, auch kein Link. Sehr unterbelichtet bleibt der Medienbezug auch in dem Beitrag Mental Maps. Darin ist zwar von der Reiseliteratur die Rede, aber nicht von der Berichterstattung der Zeitungen (heute Medien) aus anderen Teilen der Welt. Dass Medien als eine Quelle für die Konstruktion von mental maps gelten können, wird hier ausgeblendet. Ähnliches gilt für den Beitrag Globalisierung, der dieses Phänomen ganz wirtschafts- und technikhistorisch abhandelt. Die kognitive Seite, die über die Verbreitung von internationalen Nachrichten erschlossen werden könnte, kommt nicht vor. Nicht einmal ein Anknüpfungspunkt für einen Link zu den Europäischen Medien findet sich hier. Hier hätte – und das ist durchaus selbstkritisch gemeint – in einem früheren Stadium der Entstehung dieser Artikel mithilfe der kollaborativen Möglichkeiten des Online-Redaktionssystems eingegriffen werden können (s.u.).
5. EGO ist ein System von Wissenseinheiten, das die Möglichkeiten des Internet nutzen, wenn nicht ausschöpfen soll. Ob man beim Internet allerdings überhaupt von einem Medium sprechen soll, ist durchaus strittig. Es gibt Autoren, die bevorzugen den Ausdruck "Kommunikationsraum", der verschiedenen Nutzungs- und Präsentationsformen Platz bietet, darunter ist das World Wide Web nur eine. Will man das Internet-Spezifische bestimmen, so muss man sich dessen Merkmale bewusst machen: die Entgrenzung, die Multimedialität und mediale Konvergenz, die Vernetzung, die Interaktivität, schließlich auch die Aktualisierbarkeit.
6. Die Spezifika des Internet betreffen schon die Entstehung der in diesen Kommunikationsraum eingestellten Produkte. Als Spezifikum gilt die potentiell kollaborative Produktion. Beiträge können schon in ihrem Entstehungsprozess rückgekoppelt werden. Die Begutachtung (auch Peer Review) ist bei EGO durchaus vorgesehen. Das Diskussionsforum ist aber nach meinem Eindruck nicht in dem erwarteten und erwünschten Maß genutzt worden. Was sind die Ursachen dafür? Mehrere kommen wahrscheinlich zusammen: Professionelle Be- oder Überlastung der Community, der die Zeit fehlt für die Lektüre und Kommentierung anderer Beiträge, das Vertrauen in die Kompetenz der Herausgeber, Autorinnen und Autoren, vielleicht auch kollegiale Rücksichtnahme oder Zurückhaltung im virtuellen, halböffentlichen Raum.
7. Der zentrale Gewinn einer Online-Präsentation besteht in ihrer Vernetzung und multimedialen Aufmachung. Wie macht EGO davon Gebrauch? Zunächst ist offensichtlich, dass die Texte im Vordergrund stehen. Es handelt sich um diskursive wissenschaftliche Abhandlungen, die ein bestimmtes enzyklopädisches Textformat erfüllen. Bei mancher Varianz gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten in der Gliederung, beispielsweise der Ausgang von Definitionen und die Ausdifferenzierung in unterschiedlichen Graden der Systematik. Durchweg jedoch bilden die multimedialen Elemente einen Zusatz, etwas, das die Texte ergänzt, nirgendwo aber Überhand über die Texte gewinnt.
8. Bei der Vernetzung macht EGO sowohl von internen als auch von externen Links Gebrauch. Interne Links verweisen auf andere EGO-Artikel. Dies geschieht mit unterschiedlicher Intensität. Es gibt Beiträge mit wenigen internen Links (zwei beispielsweise bei Vergleichende Geschichte) und solche mit relativ vielen (30 bei Kulturtransfer). Man könnte annehmen, diese Varianz sei durch die Inhalte bedingt. Bis zu einem bestimmten Maße ist das gewiss der Fall, vielleicht aber doch auch durch eine nicht immer konsistente Handhabung. Werden zu viele Links gesetzt (und wollte man ihnen immer folgen), kann zudem der Lesefluss gehemmt werden. Hier liegen also auch Grenzen für die Verlinkung.
9. Häufiger wird in den EGO-Artikeln von externen Links Gebrauch gemacht, also solchen, die auf andere Internetangebote verweisen oder eigenständig eingestelltes Material aufrufen. Es dominieren insgesamt Standardlinks vor allem zum Virtual Internet Authority File (VIAF), einer virtuellen internationalen Normdatei zu Personaldaten. Soweit darin vorhanden, gibt es einen einschlägigen Link bei jeder in den EGO-Beiträgen erwähnten Person. Weitere Standardlinks verweisen auf die Deutsche Nationalbibliothek und die Allgemeine/Neue Deutsche Biographie. Die Zahl dieser Links ist vom Personalisierungsgrad des jeweiligen EGO-Beitrags abhängig. Maximal können es pro Beitrag mehr als 80 sein (im Artikel Griechenlandbegeisterung).
10. Auch die multimedialen Zusätze zu den einzelnen Beiträgen sind in EGO unterschiedlich zahlreich und vielfältig. Abhängig ist dies zunächst vom jeweiligen Thema oder Gegenstand. Theoretische Beiträge (wie z.B. Vergleichende Geschichte) lassen sich schwerlich multimedialisieren. Es gibt also Beiträge völlig ohne multimediale Zusätze, diese Fälle sind aber die Ausnahme.
11. Bei den anderen Beiträgen schwanken die multimedialen Elemente zwischen einigen wenigen und einer größeren Anzahl. Im Durchschnitt sind es mehr als zehn. Das Maximum liegt bei mehr als 25 (Französische Revolution, Religions- und Konfessionsräume. Spricht dies tatsächlich für unterschiedliche Medialisierbarkeit der Darstellung?
12. Multimediale Ergänzungen der Beiträge sind durch mehrere Faktoren bedingt: die Recherchierbarkeit und Verfügbarkeit von einschlägigen Quellen im Netz. In vielen Fällen wird die multimediale Datenbank Wikimedia Commons als Quelle genannt, hinzukommen Bibliotheken, museale Sammlungen, Webkataloge, digitale Dokumentationen und andere Portale. An der Kostenpflichtigkeit musste die Verlinkung nicht scheitern, da die EGO-Redaktion in vielen Fällen die Rechte von Bildern käuflich erworben hat.
13. Bei den multimedialen Elementen handelt es sich ganz überwiegend um statisches visuelles Material, also um Gemälde, Graphiken, Karikaturen, Faksimiles, Fotos, Schaubilder. Sie sind in der Regel nicht eigens für die Artikel hergestellt worden, sondern werden aus Sekundärquellen übernommen. Nur in einzelnen Fällen enthalten Beiträge Audioquellen oder gar Filmausschnitte und Fernsehszenen. Bedingt ist das vor allem durch die zeitliche Erstreckung von EGO von der frühen Neuzeit bis 1950. Erst nach diesem Zeitpunkt begann eigentlich das Zeitalter der expansiven Produktion audio-visueller Quellen.
14. Bei den multimedialen Elementen von EGO handelt es sich im Wesentlichen um traditionelle historische Quellen. Dazu gehören vielfach Landkarten, Embleme, Abbildungen von Gebäuden und Kunstwerken, Porträts, Darstellungen und Fotos historischer Ereignisse, Faksimiles von Druckwerken, vergleichsweise selten allerdings von periodischen Pressemedien. In einigen Fällen, aber eher selten, kommen bisher die heute zunehmend beliebten Infographiken vor.
15. Wie steht es um die Funktion der multimedialen Elemente? Wo erweisen sich diese, so fragen die Veranstalter des Symposiums, "als eher illustrativ, wo führen sie argumentativ weiter?" Man wird diese Frage nur anhand einer systematischen Evaluation verlässlich beantworten können. Aufgrund meiner selektiven Durchsicht gewinne ich den Eindruck, dass die multimedialen Elemente bei EGO überwiegend eine illustrative Funktion erfüllen, beispielsweise mittels historischer Landkarten oder durch Porträts erwähnter Personen oder die bildliche Wiedergabe historischer Ereignisse. Das dürfte durch den Entstehungsprozess von EGO bedingt sein, in dem Autoren Textbeiträge geliefert haben und die EGO-Redaktion dazu passende visuelle Belege suchte. Weniger häufig sind die Fälle, in denen man den multimedialen Elementen eine den Text vertiefende eigene Evidenz zusprechen kann. Das gilt für Beiträge, deren Text die Illustration(en) integriert und sie in die ausgeführten Gedankengänge einbezieht. Ein Beispiel dafür ist Wolfgang Schmales Artikel Europa, in dem die Schilderung der Emblematisierung des Gegenstandes sogar mit privat gemachten eigenen Fotos unterlegt ist und interpretativ unterfüttert wird.
16. Das multimediale Profil der EGO-Beiträge ist vielfältig und zeigt manche Unterschiede. Es ist einerseits durch Thema und Gegenstand des Artikels bedingt. So findet man in den Themensträngen Crossroads und Europa unterwegs häufig Landkarten, seien es historische als Faksimiles, seien es für bestimmte Zeitpunkte nachgemachte (wie z.B. die interaktiven Karten des Instituts für Europäische Geschichte). Aber das Thema erklärt nicht allein die Unterschiede. Der Beitrag Emigration über den Atlantik arbeitet beispielsweise mit vielen Fotos, was für den thematisch benachbarten Beitrag Emigration nicht gilt. Eine offene Frage ist, welche Folgen unterschiedliche Visualisierungsstrategien für die Wahrnehmung der EGO-Beiträge haben.
Anhang
- ^ Prof. Dr. Jürgen Wilke, Institut für Publizistik, Mainz, Deutschland (juergen.wilke@uni-mainz.de). EGO-Fachherausgeber für Medien- und Kommunikationsgeschichte.
Redaktion: Claudia Falk
Zitierempfehlung
Wilke, Jürgen: Multi-/Inter-/Trans-Medialität. Impuls, in: Joachim Berger (Hg.), EGO | Europäische Geschichte Online – Bilanz und Perspektiven, Mainz 2013-12-15. URL: https://www.ieg-ego.eu/wilkej-2013-de URN: urn:nbn:de:0159-2014021772 [JJJJ-MM-T].
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