Die Entstehung der Levée en Masse
Die ersten vier Jahre der Französischen Revolution sorgten für Aufruhr in den Streitkräften der Nation und waren von Revolte, Meuterei, Gegenrevolution und umfangreichen Abwanderungen innerhalb des aristokratischen Offizierkorps' gekennzeichnet.1 Die katastrophale Niederlage des Generals Charles François Duperrier Dumouriez (1739–1823) bei Neerwinden im März 1793 ließ die Ergebnisse der vorangegangenen Heeresreform nichtig erscheinen und beschwor das Schreckgespenst einer ausländischen Invasion wieder herauf.2 Die levée en masse vom 23. August 1793 stellte eine direkte Reaktion des französischen Konvents auf die sich andeutende Krise dar. Ehrgeizig verkündete sie, dass
von diesem Moment an und bis alle Feinde vom Territorium der Französischen Republik vertrieben sind, alle französischen Personen in ständige Bereitschaft für den Dienst in der Armee versetzt werden. Die jungen Männer werden in den Kampf ziehen, verheiratete Männer werden Waffen schmieden und Vorräte transportieren; Frauen werden Zelte und Kleidung nähen und in den Hospitälern dienen; Kinder werden alte Wäsche auftrennen; alte Männer werden an ö3
Vordergründig hatte diese gleichermaßen aussagekräftige wie außergewöhnliche Gesetzgebung zum Ziel, Rekruten zum Aufbau einer 750.000 Mann starken Armee aufzustellen und eine logistische Infrastruktur zu schaffen, die groß genug war, um diese militärische Einrichtung von bisher ungekanntem Ausmaß zu versorgen.4 Obwohl auch diese konkreten Ziele von grundlegender Bedeutung waren, sollte sich diese Massenmobilisierung doch als wesentlich mehr herausstellen als das bloße Bemühen, menschliche und strategische Ressourcen aus der französischen Bevölkerung abzuziehen.
Zwangsweiser Militärdienst oder zumindest das Recht des Souveräns, seine Untertanen zur Registrierung bei den Streitkräften zu verpflichten, waren weder in der französischen noch in der europäischen Geschichte neu. Tatsächlich hatte selbst das mangelhafte militärische Rekrutierungssystem des ancien régime dafür gesorgt, dass Frankreich eine der größten Armeen der Vormoderne auf das Schlachtfeld bringen konnte.5 Trotz der offenkundigen Erfolge der Armeen Ludwigs XIV. (1638–1715) während des grand siècle spürte man im späten 18. Jahrhundert die Notwendigkeit für grundlegende Reformen.6 Militäranalysten wie Joseph Servan (1737–1807), Comte Charles Benoît de Guibert (1715–1786) und Comte Claude Louis de Saint Germain (1707–1778)[] bestätigten, dass alleine durch eine institutionelle Umstrukturierung oder die Einführung preußischer Taktik und Disziplin die Stagnation nicht gebannt werden könne, die aufgrund von Käuflichkeit, einer schwachen Führung und schlecht ausgebildeten Truppen die königliche Linienarmee befallen hatte.7 Ein neuer militärischer "Geist" müsse der Nation in ihrer Gesamtheit eingeflößt werden.
Inspiriert durch die klassische Antike glaubten diese Militärschriftsteller, die Untertanen des Königs könnten durch Erziehung und Ausbildung zu Bürgersoldaten gemacht werden. Ein allgemeiner Militärdienst in einem aufgeklärten Gemeinwesen unterstelle die gesamte Bevölkerung der Verfügungsgewalt des Staats, wodurch eine potentiell unerschöpfliche Quelle menschlicher Kräfte zur Verfügung gestellt würde. Sie hofften weiterhin, dass diese patriotischen, intelligenten und hoch motivierten Truppen den Ausgang einer jeglichen Schlacht entscheidend würden beeinflussen können. Der Vorschlag war sicherlich inspiriert durch den breit angelegten Ansatz der Aufklärung, eine neue bürgerliche Identität zu definieren, mittels derer die Beteiligung an der öffentlichen Verwaltung vergrößert würde, um auf diese Weise ein besseres Regierungssystem zu schaffen.8
In der levée en masse kulminierte der seit langem erklungene Ruf nach der Schaffung einer neuen militärischen Kultur. Die Nationalversammlung hatte zuvor bereits das Leistungsprinzip im Beförderungssystem der Offiziere eingeführt. Es hatte auch Versuche gegeben, Freiwilligenlegionen zu bilden und einen humaneren Disziplinkodex zu erstellen. Trotz der öffentlichen Aufmerksamkeit, die diesen Innovationen zuteilwurde, – ihre Wirksamkeit auf dem Schlachtfeld stellte sich nicht ein.9 Das Ende der konstitutionellen Monarchie und die Radikalisierung der republikanischen Politik erlaubten den Jakobinern, auf weiterreichende Reformen zu drängen.10 Sie waren der Meinung, dass die bisherigen Versuche, Geist und Energie der Revolution von 1789 in die Armee zu tragen, nicht weit genug gegangen waren. Sie betrachteten die noch verbliebenen adligen Offiziere und die weiß uniformierten Veteranen der alten königlichen Armee mit an Besessenheit grenzendem Argwohn. Sie waren überzeugt davon, dass die Misserfolge auf dem Schlachtfeld zurückgingen auf die Weigerung der traditionellen Elemente im Militär, die Reformen voranzutreiben. Diese Situation könne nur geändert werden, indem die Armee mit revolutionärem Eifer durchdrungen würde.
Die Jakobiner behaupteten, die levée en masse sei kein Instrument staatlichen Zwangs, sondern eine außerplanmäßige Rekrutierungsmaßnahme, die darauf abziele, den ohnehin schon vorhandenen Enthusiasmus, die patriotische Leidenschaft und die ideologische Bindung des französischen Volks an die Revolution nutzbar zu machen.11 Die levée stelle eine komplexe Formel zur Verfügung, mittels derer politische Ideologie in eine Geheimwaffe verwandelt würde, die letztlich zum Triumph der Revolution über den Despotismus des ancien régime führen würde.
Das Missverhältnis zwischen der körperlichen Realität und den ideologischen Forderungen der levée ist Gegenstand wichtiger Debatten und Kontroversen gewesen. Obwohl zahlreiche Historiker die tatsächliche Größe der 1793 gegründeten Armee nach wie vor diskutieren, würden doch nur wenige bestreiten, dass diese Streitkraft von etwa 600.000 Mann das Rückgrat der nachfolgenden Erfolge Frankreichs und seines letztendlichen militärischen Durchbruchs im Jahr 1796 bildeten.12 Es sollte allerdings daran erinnert werden, dass die levée noch kein jährliches Einberufungssystem vorsah. Diese Neuerung führte erst das Jourdan-Gesetz vom 12. Januar 1798 ein, durch das die Reihen der französischen Armee fortan jährlich neu aufgestockt wurden. Die napoleonische Grande Armée sollte dementsprechend eine zusammengesetzte Truppe sein, die sowohl aus Veteranen der levée von 1793 als auch aus frischen Rekruten bestand.13
Aufschlussreich ist auch, dass Unterstützer wie Feinde der Revolution den neuen ideologisch-militärischen Apparat gleichermaßen als sehr ernsthafte Bedrohung wahrnahmen. Theoretiker moderner Kriegsführung wie Carl von Clausewitz (1780–1831)[] und Baron Antoine Henri de Jomini (1779–1869)[] erkannten die Effektivität der französischen Neuerungen ohne viele Vorbehalte an.14 Auf der Suche nach strikten Typologisierungen, anhand derer sie die essentielle Natur "des Krieges" aufdecken und das Geheimnis des ultimativen Siegs enthüllen wollten, definierten sie die neuen Phänomene als Überzeugungs- oder Nationalkriege. Die hohe Überzeugungskraft der Idee einer levée ermöglichte ihre allmähliche Verbreitung und Übernahme nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Weniger eindeutig ist hingegen, ob sich das tatsächliche Erleben der Feldzüge oder der Kämpfe in der Schlacht durch diese Ideen wandelte.15
Untersuchungen über Desertion und Widerstand gegen die Einberufung zeigen, wie fragil der Rückhalt der levée sein konnte, wenn er auf entgegenstehende bäuerliche Archaismen und andere regionale Besonderheiten stieß.16 Weiterhin ist ungewiss, ob der Bürgersoldat für die konkrete Erfahrung des Soldatendaseins einen qualitativen Sprung bedeutete. Bedauerlicherweise scheinen die nach wie vor andauernde Wirkungskraft und Professionalität von Söldnern dieser Annahme zu widersprechen. Und tatsächlich wehrten die Truppen des ancien régime die Angriffe der revolutionären französischen Streitkräfte über den Großteil eines Jahrzehnts hinweg ab.
Die Verbreitung der Levée en Masse in Europa
Die anschließende militärische Reorganisation der wichtigsten Armeen des ancien régime durch adlige Beamte wie Reichsfreiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein (1757–1831)[], Gerhard Johann David von Scharnhorst (1755–1813)[], Graf August Wilhelm Anton Neidhardt von Gneisenau (1760–1831)[], Erzherzog Karl von Österreich (1771–1847) und Fürst Michael Andreas Barclay de Tolly (1761–1818) war eine direkte Reaktion auf die als überlegen wahrgenommene Militärmacht Frankreichs.17 Es muss allerdings betont werden, dass diese Reformen keine unmittelbare Übernahme des revolutionären Modells oder Ethos' darstellten; vielmehr gestaltete jeder Staat die Idee der bewaffneten Nation entsprechend seines jeweiligen kulturellen Kontextes und seiner jeweiligen politischen Agenda um. So zeigte beispielsweise Peter Parets (1924–1983) Untersuchung zur Rolle General Graf Hans David Ludwig Yorcks von Wartenburg (1759–1830), der bis dahin als ein aufklärungsfeindlicher Reaktionär wahrgenommen wurde, für die Wiederauferstehung Preußens, dass die von Yorck eingeführten Verbesserungen im Bereich der Infanterietaktik die Leistung auf dem Schlachtfeld entscheidend vorangebracht haben.18 In ähnlicher Weise repräsentieren der vermehrte Einsatz von irregulären Truppen bei der spanischen Guerilla und der deutschen Erhebung von 1813 spezielle regionale Variationen des Originalkonzepts der levée von 1793.19 Ihr Beitrag zu Napoleons endgültiger Niederlage bleibt, wie die levée selbst, ein nach wie vor viel diskutiertes Thema.20
Eine gleichermaßen bedeutende Entwicklung stellt die Art und Weise dar, in der autokratische Monarchen wie Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) oder Alexander I. (1777–1825) direkt an ihre Untertanen appellieren, um die eigenen dynastischen Interessen mit der patriotischen Empörung zu verbinden, die die französische Aggression hervorgerufen hatte.21 Das von Alexander I. 1812 herausgegebene Manifest ist ein deutliches Beispiel dieser diskursiven Wendung:
Der Feind hat die Grenzen unseres Gebiets überschritten und fährt fort, mit gewaffneter Hand gegen das Innere Rußlands vorzudringen, in der Hoffnung, durch Gewaltthaten und Verführung die Ruhe dieses Großen Reiches zu erschüttern. … Wir wenden Uns jetzt an all Unsre getreuen Unterthanen, an alle geistliche und weltliche Stände des Reichs und laden sie Alle ein, in Gemeinschaft mit Uns, durch eine einmüthige, allgemeine Bewaffnung zur Vernichtung aller feindseligen Absichten und Versuche kräftig mitzuwirken. … Tapfre Nachkommenschaft der tapfern Slaven! nicht einmal nur hast Du die Zähne der auf Dich losstürzenden Löwen und Tiger zermalmt; vereinigt Euch Alle! mit dem Heiligen Glauben im Herzen und den Waffen in der Hand werdet Ihr jeder Macht der Erde unüberwindlich sein!22
Diese Worte zeigen die Formbarkeit des Konzepts der levée auf. Wie die Deklaration von 1793 versucht auch dieses Manifest eindeutig, die Macht eines gesamten Volks in Anschlag zu bringen, das sich aus freien Stücken gegen einen Angreifer erhebt, der nicht nur mit materieller Zerstörung sondern quasi auch mit kultureller Vernichtung droht. Im Unterschied zu seinem säkularen jakobinischen Gegenstück ist die Verteidigung des Vaterlands hier unauflösbar mit der Bewahrung des orthodoxen Christentums verbunden. Die Wirkungsmächtigkeit des Bildes der bewaffneten Nation liegt in seiner Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Es stellt ein überzeugendes Instrument dar, das in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen und zur Verteidigung einander augenscheinlich widersprechender Ideale verwendet werden kann. Nationalismus, Ethnizität, Religion, Dynastie, Staat und radikale Ideologien wie der Sozialismus sind allesamt Begriffe, die unter seinem großen Dach Platz gefunden haben.
Die Erinnerung an die levée en masse von 1793 und der Einsatz der landesweiten militärischen Mobilmachung sollten daher die Ära der napoleonischen Kriege lange überleben. Die Herrscher des Europas der Restauration behielten die teilweise Wehrpflicht bei und erlaubten damit die schrittweise Verbürgerlichung ihrer Offizierkorps. In gewisser Weise gelang den Revolutionskriegen damit das, wozu die Dynastien des ancien régime im 18. Jahrhundert nicht in der Lage gewesen waren:23 die Errichtung eines stabilen Rekrutierungssystem mittels dessen die stehenden Heere im Jahresturnus neu aufgestockt werden konnten und zwar unabhängig von jenen regionalen Partikularismen, die ihre Herrschaftsgebiete weiterhin kennzeichneten.
Mit der Entstehung des romantischen Nationalismus wurde die Armee im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Orte, an dem den offenkundig aufnahmebereiten Bürgern nationale/politische Identitätsgefühle eingeimpft werden konnten.24 Dies galt vor allem für jene Staaten, die als Ergebnis der Einheitskriege entstanden waren. Die königliche italienische Armee wurde von den Regierungen des vereinigten Italiens als eine der wichtigsten Produktionsstätten von Massimo d'Azeglios (ca. 1798–1866) Italienern angesehen. Man glaubte, der Dienst in der Armee sei ein sogar noch wirksameres Mittel zur Schaffung einer gemeinsamen kulturellen Identität als ein nationales Erziehungsprogramm. Im Jahr 1888 verkündete die Zeitschrift La Riforma stolz, dass "heute jeder Italiener ein Bürger ist und jeder Bürger ein Soldat".25 Für die Savoy-Dynastie bedeutete daher insbesondere der Unterhalt einer Armee, deren Größe sowohl die Ressourcen als auch die Bedürfnisse ihres jüngst vereinigten Staates bei weitem überstieg, nicht nur die Sicherung ihrer umfassenden Herrschaft, sondern auch die Ausdehnung ihrer kulturellen Patronage auf das Konzept Italianitá selbst.26 Einen ähnlichen Fall stellt das wilhelminische Deutschland dar.27 Dort machte sich ein Großteil der im neu gegründeten "Zweiten Reich" vorhandenen politischen Spannung an der Frage nach dem Recht der demokratischen Kräfte fest, Gestalt und Größe der Armee zu beeinflussen.28 Viele der elitären Offiziere waren zudem der Ansicht, die Massenmobilisierung sei ein wertvolles Gegengewicht gegen die wachsende Bedrohung durch den radikalen Sozialismus und andere extremistische revolutionäre Ideologien. Für diese höheren Ränge bildete der Militärdienst eine Möglichkeit, den Rekruten zu erziehen bzw. umzuerziehen und ihn damit davon abzuhalten, solchen unpatriotischen, subversiven und gefährlichen internationalistischen Doktrinen zu folgen.29
Diese Vorstellung von der Armee als bevorzugtem Nährboden für ein nationales Identitätsgefühl existierte nicht nur in den semikonstitutionellen Monarchien Zentraleuropas. Frankreich war gleichermaßen daran interessiert, seinen Staatsbürgern ein national-republikanisches Gefühl einzugeben.30 Auch hier bildeten die Streitkräfte einen besonders fruchtbaren Boden für entsprechende Experimente. Dies war besonders der Fall, nachdem das allgemeine Einberufungsgesetz von 1905 die letzten verbliebenen Ausnahmen vom nationalen Militärdienst beseitigt hatte.31 Frankreich befand sich als das Land, das die legendäre levée begründet hatte, in einer privilegierten Position, da es unmittelbar an dieses historische Erbe anknüpfen und es so instrumentalisieren konnte. Die Schulbuchtexte von Ernest Lavisse (1844–1922) und andere pädagogische Werke bezeichneten die levée als das entscheidende Instrument für die Entstehung der glorreichen kriegerischen Vergangenheit des revolutionären Frankreichs.32 Sie spielten außerdem auf wenig subtile Art und Weise darauf an, dass diese stolze Historie als Inspiration für die Zukunft dienen sollte. Könnten hier nicht Mittel und Wege liegen, um die Erinnerung an die Niederlagen von 1870 zu tilgen und die verlorenen Provinzen Elsass und Lothringen zurückzuerobern?
Der Niedergang der Levée?
John Horne vertritt in seiner Arbeit über den Ersten Weltkrieg die Auffassung, dass die Erinnerung an 1793 auch noch eine ambivalente, aber nichtsdestoweniger starke Rolle in den Bemühungen der Dritten Republik spielte, die gesamte Nation zur Verteidigung des Vaterlands Frankreich zu mobilisieren und diese Mobilisierung zu rechtfertigen.33 Eine der 1916 am schwersten zu lösenden Fragen, die in den Debatten der 1790er Jahre noch keine Rolle gespielt hatte, war, ob der nicht kämpfende Mann ein legitimer Teilnehmer am bewaffneten Kampf der Nation sei, oder bloß ein embusqué, der sich, indem er die Gefahren der Front meidet, seinen Pflichten entzieht.34 Die Erfahrung totaler und industrieller Kriegsführung im zwanzigsten Jahrhundert – einhergehend mit hohen Opferzahlen, langer Dauer und, in einigen Fällen, einem pseudowissenschaftlichen Ansatz des völkischen Nationalismus – wirkte sich desillusionierend auf das Bild der bewaffneten Nation aus. Einige argumentieren, im Falle Kontinentaleuropas sei die schrittweise Abschaffung des verpflichtenden Militärdiensts Evidenz für die verminderte Zugkraft der levée.35 Dieses Argument ist, obwohl stark, so doch sicherlich einseitig, denn es lässt jenen Appell an einen gesellschaftlichen Konsens und an die liberalen Werte außer Acht, den westliche Demokratien fortwährend erklingen lassen, um Militärinterventionen außerhalb der eigenen Grenzen zu begründen.
Auch wenn die Massenmobilisierung in Westeuropa nicht mehr en vogue zu sein scheint, für andere Teile der Welt gilt das sicherlich nicht. Revolutionäre Bewegungen in Südamerika und postkoloniale afrikanische Regierungen setzten Variationen des Originalthemas der levée von 1793 ein.36 Ernesto "Che" Guevara (1928–1967) formulierte eine der vielleicht überzeugendsten Neudefinitionen:
Es ist wichtig festzustellen, daß der Partisanenkampf ein Kampf der Massen ist; daß die Partisaneneinheiten der bewaffnete Kern, die kämpfende Avantgarde des Volkes sind. Die große Kraft der Partisaneneinheiten besteht darin, daß sie sich auf die Bevölkerung stützen können. Die zahlenmäßige Überlegenheit des Gegners hebt diese nicht auf, auch dann nicht, wenn die Feuerkraft der Partisaneneinheiten geringer ist als die der ihr gegenüberstehenden Truppen … Die Partisanen müssen sich dabei der allseitigen Unterstützung der örtlichen Bevölkerung sicher sein.37
Vieles von diesem hätte in den Ohren des Bürgersoldaten von 1793 vertraut geklungen. Die Idee der massenhaften Unterstützung durch das Volk ist hier ebenso noch präsent, wie die, dass das Volk eher spontan als gezwungenermaßen kämpft. Der marxistische Jargon und die moderne Vorstellung von der wirtschaftlichen Unterdrückung hätten die Jakobiner vielleicht verwirrt, im Kern ist jedoch die Botschaft bestehen geblieben, dass derjenige, der mit der Unterstützung der Massen für eine gute Sache kämpft, auch gegen unüberwindliche Hindernisse triumphieren wird.
Dieser kurze Überblick über die transkulturelle Bedeutung der levée en masse kann nicht sämtliche Variationen ihres Gehalts, ihrer Ausdrucksform, ihres Erscheinungsbilds und ihrer Wahrnehmung berülevée, immer wieder die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass sie eine wirksame Formel darstellt, mittels derer die Stimmung des Volkes in einen kriegsentscheidenden Faktor verwandelt werden kann, das von entscheidender Bedeutung bleibt.