Einführung
Die Hutterer sind ein Teil der Täuferbewegung, die sich im Zuge der Reformation im 16. Jahrhundert bildete. Ebenso wie bei den beiden anderen täuferischen Gruppen, die bis ins 21. Jahrhundert überlebt haben – den Mennoniten und den Amish –, haben sich innerhalb der hutterischen Gemeinde die geistlichen, kulturellen und sozial-gesellschaftlichen Traditionen erhalten. Die Hutterer leben heute in Kanada und in den USA. Doch die lange Dauer ihrer Geschichte und die immer noch stark im frühneuzeitlichen Vorbild verankerte Lebensweise der Gemeinde dürfen nicht vergessen lassen, dass die Gemeindeentwicklung der Hutterer seit der Frühen Neuzeit zwar geprägt war von Phasen des Aufschwungs, der konfessionellen Festigung und der forcierten Absonderung, sie aber andererseits auch Epochen des Niedergangs durchliefen, als konfessionelle Grundlagen, wie beispielsweise die Gütergemeinschaft oder die Glaubenstaufe, infrage gestellt wurden und das Überleben der Gemeinde keineswegs gesichert schien. In diesen Zeiten öffnete sich die Gemeinde auch wieder nach außen und suchte Kontakt zu anderen täuferischen oder konfessionsverwandten Gruppen.1
Zu den grundlegenden Glaubenspunkten der Hutterer gehörten – ebenso wie bei den anderen täuferischen Gruppen – die Erwachsenentaufe, die Wehrlosigkeit sowie die Verweigerung des Waffendienstes und des Schwörens von Eiden. Spezifisch hutterische Lehre war darüber hinaus die Gütergemeinschaft, die als Idee bereits in den frühen täuferischen Versammlungen in Tirol vorhanden war, aufgrund der unnachgiebigen Verfolgungen und der kaum möglichen Gemeindeorganisation jedoch nicht gelebt werden konnte. Allerdings versuchte man, eine Mindestform gemeinschaftlichen Lebens insofern zu praktizieren, als ein "Säckelmeister" die gemeinsame Kasse verwaltete. Erst in Mähren, wohin viele Hutterer geflohen waren, um der Verfolgung zu entgehen, setzte sich die Idee dann vollständig durch; die Hutterer übernahmen dort die Gemeindeform der täuferischen Gruppe Jakob Wiedemanns (gest. 1536) und bauten ihre Höfe nun als Gütergemeinschaften auf.2 Bis zur Vertreibung aus Mähren zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges dürften die ungefähr 42 hutterischen Höfe über 10.000 Personen eine Heimat geboten haben. Die Angaben in der Literatur schwanken stark, da exakte Aufzeichnungen fehlen.3
Die Vertreibung aus Mähren bildete den Beginn einer langen Wanderung der Hutterer, die im 19. Jahrhundert in Nordamerika endete. Zunächst fand die Gemeinde nach 1623 eine neue Heimat in Siebenbürgen, auch in Oberungarn verfügte sie über einige Höfe. Der konfessionelle Druck nahm vor allem im 18. Jahrhundert zu, als Maria Theresia (1717–1780) sowohl in Siebenbürgen als auch in Oberungarn eine Jesuitenmission einsetzte. 1767 verließ eine Gruppe von Hutterern heimlich Siebenbürgen und zog in die nördliche Ukraine, von wo aus es knapp 100 Jahre später, 1842, ans Schwarze Meer, in die Molotschna, und schließlich seit 1874 in die USA ging.
Die Entstehung der "Hutterer" als Gemeinde an sich ist in der mährischen Zeit anzusetzen, obwohl Jakob Huter (gest. 1536) selbst aus Tirol stammte und von dort vermutlich auch die meisten Gemeindemitglieder kamen; die Hutterer verfolgten in Tirol eine besonders intensive Missionsarbeit. Der Name "Hutterer" stammt ebenfalls aus der späteren Epoche, vermutlich kam er in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts als Fremdbezeichnung auf. Ungefähr ab den 1570er Jahren nannten sich die Hutterer selbst "Die Brüder, die man die Hutterischen nennt".4
In Mähren siedelten sich die Hutterer vor allem in der Gegend zwischen Brünn und der Grenze zu Niederösterreich an. Nach und nach gründete die Gemeinde zudem Höfe in Oberungarn, vor allem in der Gegend um Preßburg. Ihre "Haushaben", meist Vierkant-Höfe, auf denen sich das wirtschaftliche und alltägliche Leben abspielte, bildeten kleine "Dörfer im Dorf". Die Gütergemeinschaft, die ein gemeinschaftliches Leben und Arbeiten hervorbrachte, war bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts das wesentliche Merkmal der Gemeinde. So gehörten Essensstuben ebenso zu jedem Haushaben wie gemeinschaftliche Wohnhäuser und die Werkstätten der Handwerke.
Die frühe hutterische Gemeinde etablierte sich nicht ohne interne Probleme. So sind immer wieder Machtkämpfe um das Ältestenamt überliefert, und auch mit anderen täuferischen Gemeinden in Mähren geriet man in Konflikt. So führte Jakob Huter im Herbst 1533, als die von ihm geleitete täuferische Gruppe in Auspitz siedelte, sehr intensive Gespräche mit den Leitern der benachbarten Gemeinden, Gabriel Ascherham (gest. 1545) und Philipp Plener, die die noch nicht gefestigte Position der einzelnen konfessionellen Strömungen und die gegenseitigen Abhängigkeiten verdeutlichen. Ascherham und Plener beschwerten sich über die angeblich parteiische Bestrafung, die Huter ehemaligen Gemeindemitgliedern hatte zukommen lassen. Gleichzeitig warfen beide den Täufern in Auspitz vor, Huter zu vergöttern. Im November desselben Jahres schließlich brachen Huter und seine Anhänger alle Kontakte zu den Gabrielern und Philippern ab.5
Die Organisation der hutterischen "Haushaben"
Die gütergemeinschaftlich lebenden Täufer etablierten in Mähren sehr schnell Strukturen und Hierarchien innerhalb ihrer Gemeinde, die sie nicht nur im 16. Jahrhundert grundlegend prägten, sondern die auch in den folgenden Jahrhunderten in jeder Krise die Basis bildeten, um die Gemeinde neu zu organisieren. Es wurden Ämter geschaffen, Gemeindeordnungen niedergeschrieben und konfessionell normierende, bekenntnisbildende Werke verfasst. Bis heute sind einige der Schriften Grundlage für die Struktur der Gemeinde.6
Die Täufer integrierten sich von Anfang an äußerst gut in die Wirtschaft der adeligen Grundherrschaften. Sie bauten ihre eigenen Gewerbe auf, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts immer mehr den Ruf erlangten, qualitativ hochwertige Arbeit zu leisten. Dies führte dazu, dass die ehemals verfolgten, durch obrigkeitliche Erlässe mit dem Tod bedrohten täuferischen Versammlungen zu prosperierenden Gemeinden aufstiegen, in denen spätestens ab den 1570er Jahren ein wirtschaftlicher Anspruch herrschte, der die konfessionelle, abgesonderte und auf Einfachheit ausgerichtete Identität in Konflikt brachte mit einem Leben in Wohlstand, in dem der Privatbesitz ebenso zunahm wie die Kontakte zur Außenwelt. Die Prosperität der hutterischen Gemeinde ist ein wesentlicher Faktor für die Krise der hutterischen Konfession, die bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte.
Ein Überblick über die verschiedenen Handwerke auf den Haushaben verdeutlicht die Vielfalt der ökonomischen Tätigkeiten der Hutterer. So sind beispielsweise verschiedene Schmiede – Huf-, Sensen- und Sichelschmiede –, aber auch Tischler, Zimmerleute, Gerber, Schuster, Flicker und Töpfer nachgewiesen. Sowohl die Schmiedearbeiten als auch die hutterische Keramik waren bei Außenstehenden, vor allem auch bei Adeligen, beliebt. Markgraf Johann Georg von Brandenburg (1577–1624) gehörte ebenso zu den Kunden der Hutterer wie Mitglieder der Familien Dietrichstein, Žerotin, Thurn-Valsassina und Boskowitz. Die Quellen überliefern auch, dass gefangene Hutterer gerne die Erzeugnisse der gemeindeeigenen Schmiede einsetzten, um bei den Wärtern und Aufsehern bessere Haftbedingungen zu erreichen. Die keramischen Arbeiten wiederum, die hutterischen Teller, Krüge, aber auch Kachelöfen, sind bis heute unter dem Namen "Habaner-Keramik" bekannt.7
Abseits der handwerklichen, auf Verkauf ausgerichteten Tätigkeiten verfügten die hutterischen Haushaben über alle Berufe, die nötig waren, um das Gemeinwesen am Leben zu erhalten. Doch Hutterer arbeiteten nicht nur auf den Haushaben, sondern sie übernahmen auch Aufgaben als Verwalter auf den Höfen der Grundherren und betrieben Meiereien und Mühlen der Adeligen. Bekannt waren zudem die hutterischen Bader und Ärzte, deren Dienste von Adeligen wie Kardinal Franz von Dietrichstein (1570–1636) und Dionys von Žerotin, aber wohl auch von Kaiser Rudolf II. (1552–1612) in Anspruch genommen wurden.8 Die Berufe, die außerhalb der Gemeinde ausgeübt wurden, unterlagen einer besonders strengen Gemeindezucht, da hier am ehesten die Gefahr bestand, sich von den Normen der Gemeinde zu emanzipieren.
Die Phase der gemeindeinternen Konfessionalisierung setzte in der hutterischen Gemeinde in den 1540er Jahren ein. Der hutterische Älteste Peter Riedemann (1506–1556) schrieb das hutterische Bekenntnis nieder, die "Rechenschaft unsrer Religion, Lehre und Glaubens"; zudem festigte sich die Hierarchie der Ämter, und die Abläufe der geistlichen Feiern wurden festgelegt. So sind Gemeindeordnungen über den Ablauf der Gottesdienste, der Abendmahlsfeier, der Taufe und der Hochzeiten sowie zur Diener-Einsetzung überliefert. Der "Diener des Wortes" war der geistliche Vorsteher eines Haushabens, der "Diener der Notdurft" kümmerte sich um die wirtschaftlichen Angelegenheiten. Seit den 1560er Jahren fasste der hutterische Schreiber Kaspar Braitmichel bereits vorhandene Chroniken der Gemeinde sowie konfessionelle Schriften und Märtyrerepisteln zur "Ältesten Chronik" zusammen, die den nachfolgenden Generationen eine reflektierte und pädagogisch-geistliche Sicht auf die Geschichte der Gemeinde vermitteln sollte.9
Parallel zu dieser Phase der Konfessionalisierung begannen die Hutterer, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu professionalisieren und einer intensiven Normsetzung zu unterziehen. Es entstand auch in diesem Bereich eine Vielzahl von Gemeindeordnungen, die die Arbeitsprozesse und den Einsatz der Rohstoffe in den Handwerksstätten regelten. Jedes Handwerk verfügte über einen "Vorsteher", der die Oberaufsicht hatte. Darüber hinaus erließen die hutterischen Ältesten Ordnungen, die die allgemeinen Dienste in der Gemeinde festlegten, sowie spezielle "Kuchlordnungen", die meist halbjährlich erlassen wurden und vorgaben, mit welchen Nahrungsmitteln die Gemeindemitglieder versorgt werden sollten. Nimmt man eine Klassifizierung der Ordnungen vor, so teilen sie sich in jene, die stärker auf die Behebung von Missständen ausgerichtet waren, und in jene, die präskriptiv Ämter und Zuständigkeiten regelten.
Die Ordnungen präsentieren die hutterische Gemeinde im 16. Jahrhundert als sozialdisziplinierten Mikrokosmos, der eine eigene Konfessionalisierung durchlief. Diese brachte es jedoch mit sich, dass die in der Anfangszeit der täuferischen Bewegung noch präsente Idee des Laienpredigertums allmählich zugunsten einer hierarchischen Gliederung der Gemeinde verschwand. Schon aus dem Jahr 1531 sind Klagen des Schweizer Täufers Wilhelm Reublin (1490–1529) über besondere Privilegien, die die Ältesten genossen, überliefert – beispielsweise besseres Essen, luxuriöse Kleidung und bessere Wohnungen. Generell bemängelte er die autoritären Führungsstrukturen in der frühen Austerlitzer Gemeinde.10 Auch in den Schreiben des Ältesten Peter Riedemann wird deutlich, dass die Hutterer dem Amt des Ältesten eine sehr hohe Wichtigkeit einräumten, was die Idee des Laienpriestertums und der Egalität unter den Gläubigen ab den 1540er Jahren infrage stellte.11
Mobilität und Kommunikation
Trotz der intern sehr strukturierten und der generell eher abgesonderten Lebensweise der täuferischen Hutterer entwickelten sich über das 16. Jahrhundert gesehen zunehmend Kontakte zur "Außenwelt". Zwar berichten die Quellen immer wieder über Ressentiments und Druck, den nicht-täuferische Handwerker durch die hutterische Produktion spürten, doch zeigen die Quellen auch, dass die Hutterer selbst zahlreiche Kontakte in die nähere und fernere Umgebung pflegten. Wirtschaftliche Angelegenheiten führten sie auf Märkte und auf die Güter von Adeligen, Diskussionen über geistliche Themen brachten sie in Kontakt mit anderen täuferischen Gruppen und missionarische Aktivitäten zogen sie schließlich zu ausreisewilligen Untertanen in den verschiedenen Gegenden des Alten Reichs. Einige dieser Unternehmungen nutzten Gemeindemitglieder offenbar ganz gezielt, um der Enge des Lebens in Mähren zu entkommen. Die Gemeindeordnungen kritisieren eine zu ausgeprägte Reisetätigkeit immer dann, wenn die Gemeinde die Kontrolle darüber zu verlieren schien. Dass einige Hutterer Tschechisch konnten, dürfte darauf schließen lassen, dass auch Bewohner aus der Umgebung der Haushaben zum hutterischen Glauben konvertierten.
Sowohl die Verfolgungssituation als auch die missionarischen Aktivitäten sorgten dafür, dass die Täufer über eine wesentlich höhere Mobilität verfügten als andere Untertanen des 16. Jahrhunderts.12 Nimmt man allein die hutterische Gemeinde, so befanden sich stets einige Gemeindemitglieder auf Reisen, sei es als "Sendboten", um die täuferische Botschaft zu predigen und neue Mitglieder nach Mähren zu führen, oder in privaten Angelegenheiten, wenn Nachlass- oder Erbschaftssachen zu regeln waren. Hinzu kamen berufliche Reisen, etwa der hutterischen Ärzte und Bader, die unter anderem in der Steiermark, in der Schweiz und in Schwaben zu finden waren, aber auch der Haus- oder Mühlenbauer, die ihr Handwerk in der Schweiz erlernten.13
Sehr bald nach der Gründung der ersten Höfe in Mähren stellten die Hutterer ihre missionarischen Aktivitäten auf eine sehr strukturierte und organisierte Basis. Jedes Jahr im Frühling entsandte die Gemeinde in einem speziellen Gottesdienst ihre Sendboten, die in jene Regionen zogen, in denen die Mission besonders vielversprechend schien. Das hutterische Dogma der Gütergemeinschaft ließ ein "christlich-täuferisches" Leben nur auf den hutterischen Höfen zu, so dass die hutterische Mission stets darauf ausgerichtet war, Konvertiten nach Mähren zu führen.14
Ein Ergebnis der hutterischen Missionsreisen ist ein bis heute erhaltener umfangreicher Bestand an Missionsbriefen, der die Kontakte zwischen den Sendboten und der Gemeinde in Mähren widerspiegelt. Er verdeutlicht den Stellenwert, den die briefliche Kommunikation unter den Hutterern einnahm. Sendboten berichteten von ihren Reisen an die Gemeinde in Mähren, gefangene Hutterer schrieben aus ihrem Gefängnis sowohl an Mitgefangene als auch an die Gemeinde in Mähren, und aus Mähren wiederum gingen Briefe an Sendboten und an Gefangene. Die ankommenden Briefe wurden in Mähren von Schreibern der Gemeinde in Codices kopiert – die Originale wurden dabei leider vernichtet.15
Neben der gemeindeinternen brieflichen Kommunikation sind einige Briefwechsel mit anderen täuferischen Gemeinden überliefert, deren Inhalt sich vor allem mit kontroversen theologischen Punkten befasste; die Briefe haben durchweg einen sehr apologetischen Charakter.16
Im hutterischen Fall war es besonders die Gütergemeinschaft, die in der Auseinandersetzung mit den Schweizer Brüdern und mit Flacianern für Kontroversen sorgte, aber auch Fragen der Eheschließungspraxis, des Ämterverständnisses und die hutterische Mission standen auf der Tagesordnung.17 Fünf größere Schriften sind aus der Epoche um 1600 hervorzuheben, die die konfessionellen Auseinandersetzungen widerspiegeln. Sie dokumentieren vor allem auch den Wandel der hutterischen Lehre von der Gütergemeinschaft, die immer mehr zu einem Dogma geworden war, das ein Leben ohne Privatbesitz als heilsnotwendig voraussetzte. Symptomatisch hierfür steht der Titel der 1605 verfassten Schrift von Joseph Hauser – Unterrichtung, daß die Gemeinschaft der zeitlichen Güter eine Lehr des Neuen Testaments sei und von allen Gläubigen erfordert werde. Schon in einem Brief an die Schweizer Brüder von 1577 hatten die hutterischen Ältesten ihre Adressaten aufgefordert, sich aus ihrer "Unsicherheit und halbhertzigkeit" zu befreien und durch die "enge Porten" einzugehen, also in Gütergemeinschaft zu leben.18
Charakteristisch für die hutterischen Abhandlungen ist die Tendenz, Stellen aus der Bibel, die sich allgemein dem Thema "Gemeinschaft" widmen, als "Gütergemeinschaft" zu interpretieren und so eine Synonymität der Begriffe zu konstruieren, um die Gemeinschaft als Gütergemeinschaft zur verpflichtenden Lebensform der Nachfolger Jesu zu machen. Jesus habe mit seinen Jüngern ebenso in Gütergemeinschaft gelebt wie die ersten Gemeinden der Apostelzeit. Im Neuen Bund, so Joseph Hauser 1605, gelte eine "neue und höhere Gerechtigkeit", die sich "auch zum Teil in der Liebe, Frieden, Gelassenheit und Gemeinschaft" zeige, die "Christus vorher seine Jünger gelehrt und jetzt durch den Heiligen Geist verkündigt und angerichtet" habe. Hauser schließt an diese Bemerkung ein Zitat aus der Apostelgeschichte an: "Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam" (Apostelgeschichte 2,44). Bereits in der Einleitung zu seinem Brief gibt Hauser das Motto vor: "… daß man die Gebote Christi soll halten zur Seligkeit. Darunter die Gemeinschaft auch gehört, und doch gar verachtet werde."19 Vergleicht man die apologetischen Schriften jedoch mit den Gemeindeordnungen, die die Missstände im Gemeindeleben überliefern, so wird deutlich, dass die Argumente ebenso intern wie extern eine Wirkung erzielen sollten. Sie atmen einen theologisch-apologetischen Geist der Gütergemeinschaft in einer Zeit, als diese selbst innerhalb der Gemeinde immer stärker unter Druck geriet. Die Gemeindemitglieder verfügten längst über Privatbesitz und verdienten eigenes Geld beziehungsweise gaben Geld, das sie erwirtschafteten, nicht mehr an die Gemeindekasse ab.
Doch die theologischen und polemisch aufgeladenen Auseinandersetzungen über verschiedene Auffassungen des christlich-täuferischen Lebens waren nur ein Teil der Kontroverse zwischen den Schweizer Brüdern und den Hutterern. Die Schweizer Brü20 Vom Kölner Täufer Matthias Servaes (1536–1566) ist aus dem Jahr 1565 folgende Bemerkung zu den Aktivitäten der Hutterer überliefert: "Es laufe nun um euch, wer da will, gebt ihm keine Ohren; laß die Hutterischen (oder Mährischen) lästern, wie und was sie wollen; ich sage: Gott bewahre mich dafür, nämlich vor dem Treiben der Lehrer."21
Von der konfessionellen Konfrontation zur Annäherung
Waren die Kontakte zwischen den Hutterern und anderen täuferisch-protestantischen Gemeinden im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert also noch von sehr polemischen Anschuldigungen und von Missionsversuchen geprägt, so wandelten sich die Beziehungen ab der Mitte des 17. Jahrhunderts unter dem Eindruck wachsender Probleme der hutterischen Gemeinde. Während der Türkenkriege und der Kuruzzenaufstände, die sich in Ungarn ab den 1670er Jahren gegen die habsburgische Herrschaft richteten, wurden hutterische Haushaben in Siebenbürgen immer wieder überfallen, zudem wuchs innergemeindlich der Druck zu einer konfessionellen Erneuerung, die durch den Einfluss frühpietistischer Ideen möglich schien. Unter dem Dach des Pietismus, dessen Ideen sowohl in hutterische als auch in mennonitische Gemeinden hineinwirkten, entstand nun zudem eine gemeinsame Basis beider täuferischer Gruppierungen, eine verbindende Frömmigkeit, die eine Annäherung erleichterte.22 Auf Erneuerung drängende Kreise in den hutterischen Gemeinden zielten auf eine wachsende Innerlichkeit des Glaubens, die Fragen der äußeren Glaubenspraxis etwas zurücktreten ließ. Das Resultat waren ab der Mitte des 17. Jahrhunderts und dann vor allem im 18. Jahrhundert vielfältige Kontakte nicht nur zu den Mennoniten, sondern auch zur Herrnhuter Brüdergemeine. Allerdings stießen die Erneuerer unter den Hutterern auf ebenso entschiedene Verteidiger althutterischer Traditionen, die Einflüsse von außen ablehnten. 1629 beispielsweise wurde in Velké Leváry (dt. Großschützen, ung. Nagylévárd, Oberungarn) eine Bewegung unterdrückt, die sich für ein intensiveres Gebetsleben einsetzte, und 1645 war der Hutterer Benjamin Kengel in die Kritik geraten, da er sich ebenfalls für die Intensivierung der Gebetspraxis einsetzte und generell die Führung der Ältesten und das Gewicht bemängelte, das man in der Gemeinde auf die äußeren Ordnungen legte. Die Reaktion der Ältesten war jedoch geprägt von der traditionalistischen und orthodoxen Tendenz der Gesamtgemeinde, die den Ausschluss derjenigen zur Folge hatte, die ihrer Meinung nach gegen die Ordnungen und Praktiken verstießen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kam es immer wieder zu Erneuerungsversuchen, die häufig zu Machtkämpfen über die richtige Frömmigkeitspraxis und die Bedeutung der traditionellen Ordnungen führten.23
Diese konkurrierenden geistlichen Strömungen sind vor dem Hintergrund verschiedenster konfessioneller und ökonomischer Probleme zu sehen. Privatbesitz nahm zu, die wirtschaftlichen Unternehmungen liefen nicht mehr so gut, und auch die Erwachsenentaufe führten einige hutterische Gemeinden bis zum Ende des 17. Jahrhunderts nicht mehr durch. Die Mennoniten waren die erste Anlaufstation der hutterischen Hilfegesuche. Mitte der 1660er Jahre reisten zwei hutterische Brüder in die Niederlande, um bei den dortigen mennonitischen Gemeinden um eine finanzielle Unterstützung für die Gemeinde in Oberungarn zu bitten. Die Reise erwies sich als durchaus erfolgreich, wie aus einem Brief von 1749 hervorgeht, der auf die "reiche beysteur"24 verwies, die 1665 geflossen sei. Die Kontakte zu den Amsterdamer Mennoniten intensivierten sich in den 1740er Jahren wieder, da sich der konfessionelle Druck auf die Hutterer aufgrund der Katholisierungsbestrebungen Maria Theresias in den hutterischen Siedlungsgebieten in Oberungarn durch die Einsetzung einer Jesuitenmission verstärkt hatte. 1748 wandte sich der hutterische Älteste Zacharias Walther mit einem entsprechenden Hilfegesuch an die Amsterdamer Mennoniten.25 Allerdings entstanden keine dauerhaften Kontakte, vielmehr waren die Beziehungen durch die Annäherung in Notzeiten geprägt. Die labile Struktur der Beziehungen zeigt die mennonitische Reaktion auf die hutterische Anfrage. So ließen sich die Mennoniten den hutterischen Glauben genau erläutern, um eine Entscheidungsgrundlage dafür zu haben, ob es sich bei den Absendern tatsächlich um konfessionelle Verwandte handelte, die allen Kriterien der Hilfswürdigkeit entsprachen.
Ein weiterer Kontakt zu Mennoniten, aber auch zu Polnischen Brüdern dürfte ab 1655 in Mannheim bestanden haben, als eine Gruppe hutterischer Brüder auf ein Einladungspatent von Kurfürst Karl I. Ludwig (1617–1680) reagierte und sich in der Stadt ansiedelte. Direkt neben dem Planquadrat, das den Hutterern als Siedlungsplatz zugewiesen wurde, lebten Polnische Brüder – über die Intensität der Kontakte ist jedoch leider nichts überliefert.
Im 18. Jahrhundert entwickelten die Hutterer zudem intensive und dauerhafte Beziehungen zur Herrnhuter Brüdergemeine, vor allem zu deren Niederlassungen in St. Petersburg und in Sarepta an der Wolga. Die Kontakte liefen auf hutterischer Seite über die Gemeinden in Wyschenky und Radičeva, wo die Hutterer ab den 1770er Jahren siedelten, nachdem sie aufgrund der jesuitischen Mission Siebenbürgen hatten verlassen müssen. Treibende Kraft der Kontakte war zunächst der Älteste Johannes Waldner (1749–1821), der selbst einen geheimprotestantisch-kärntnerischen Hintergrund hatte und dessen theologische Ausrichtung eine Stärkung der innerlichen Frömmigkeit mit dem Erhalt der traditionellen Ordnungen verband.26
Ursache für die Bereitschaft der Hutterer, mit den Herrnhutern in einen intensiveren Kontakt zu treten, war auch hier die notvolle Situation der Gemeinde, die nicht nur den andauernden äußeren Druck wachsender Katholisierungsbestrebungen von obrigkeitlich-habsburgischer Seite spürte, sondern auch aufgrund interner Probleme einen Niedergang erlebte – beispielsweise wurde die Gütergemeinschaft aufgegeben. Eine gewisse Offenheit für "fremde", nicht der hutterischen Tradition entstammende Ideen dürfte bereits durch den Anschluss der Kärntner Transmigranten (unter Maria Theresia deportierte Protestanten) entstanden sein. Nun, unter dem Druck zunehmender Probleme, wuchs auf hutterischer Seite der Wunsch nach Austausch mit konfessionsverwandten Gruppen, um in einem größeren Verband den eigenen konfessionellen Überzeugungen gemäß zu leben – bis zu einem gewissen Punkt wurde auch an eine Vereinigung der Hutterer mit den Herrnhutern gedacht.
Ein erster Kontakt zur Herrnhuter Gemeinde etablierte sich in den 1720er Jahren, als der zu den Hutterern konvertierte Heinrich Justus Mayer auf einer Reise Herrnhut besuchte. Ein Grund für seine Reise war offenbar die notwendige konfessionelle Stärkung, da die Hutterer zur gleichen Zeit auf ihrem Hof in Velké Leváry unter starker Verfolgung litten. Es folgten einige Briefwechsel, in denen sich beide Seiten mit ihren konfessionellen Grundlagen vertraut machten. Die Beziehungen brachen jedoch ab, als klar wurde, dass man auf keinen gemeinsamen Nenner kommen würde – markiert durch einen Brief Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs (1700–1760), des Gründers der Herrnhuter Brüdergemeine, an die Hutterer, in dem dieser das Herrnhuter Verständnis vom Abendmahl erklärt und sich über die Kritik von hutterischer Seite beschwert hatte.27
1774 schrieb dann der Hutterer Hans Kleinsasser aus Wyschenky erneut einen Brief an die Herrnhuter, diesmal an den Prediger Johann Nitschmann (ca. 1712–1783) in Sarepta. Kleinsasser bekundete darin sein Interesse an der Herrnhuter Gemeinschaft und fragte nach, ob diese eine "rechte gemeinschaffliche kirchen" sei oder nicht.28 Zwar antwortete Nitschmann mit einer Beschreibung der Theologie und der Lebensweise der Herrnhuter, doch scheint auch dieser Kontakt nicht weiter intensiviert worden zu sein. Erst im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts wurden die Verbindungen von Johannes Waldner und Johann Wiegand (1744–1808), Prediger der Herrnhuter in Sarepta, wieder aufgenommen. Johannes Waldner selbst war überzeugt von der "älteren und nähern Verwandtschaft mit der Brüdergemeine",29 während die Herrnhuter in den Hutterern wohl einen weiteren Baustein ihrer Missionsarbeit sahen, die sich von Sarepta aus bis in die Ukraine sowie nach Neu- und Kleinrußland und nach Wolhynien erstreckte.30 Wechselseitige Besuche, der Austausch von Korrespondenz und das Hin-und-Hersenden von Büchern und Gemeindeschriften waren Teil der Kontakte zwischen den beiden Gemeinden. Beispielsweise las Johannes Waldner mit Interesse die Idea Fidei Fratrum31 von August Gottlieb Spangenberg (1704–1792), die Brüderhistorie32 von David Cranz (1723–1777) und die Ratio Disciplina von Johann Amos Comenius (1592–1670). Doch letzten Endes brachen auch diese Beziehungen wieder ab.
Eine letzte, europäische Phase des intensiven Kontakts mit den Mennoniten schließlich fiel in die Zeit vor der Auswanderung in die USA. Um 1800 geriet die Gemeinde in Radičeva in der nördlichen Ukraine in Schwierigkeiten, unter anderem prägten Führungsstreitigkeiten unter den Ältesten die Entwicklung. Bis 1842 intensivierten sich die internen Probleme, zudem brannte der Hof ab, so dass die Hutterer sich auf die Suche nach neuen Siedlungsgebieten begeben mussten. Sie fanden diese in der südlichen Ukraine, in der Molotschna, wo Mennoniten bereits seit einiger Zeit siedelten, das Land urbar gemacht und zentrale Verwaltungsstrukturen aufgebaut hatten. Dank der Hilfe der Mennoniten, besonders durch die Unterstützung des mennonitischen Reformers und Oberschulzen Johann Cornies (1789–1848), konnten die Hutterer Dörfer gründen und erneut ein Leben aufbauen, das sich an den alten Traditionen orientierte. Allerdings führten nicht alle hutterischen Gemeinden die Gütergemeinschaft wieder ein.
Auch heute noch ist das hutterische Leben von der Spannung zwischen der Bewahrung der tradierten Kultur und Versuchen der Erneuerung geprägt. Die vielfach gewünschte und als notwendig angesehene Absonderung, die durch die Weite der kanadischen und amerikanischen Prärie erleichtert wird, steht wachsenden Kontakten zur Außenwelt gegenüber.