Lesen Sie auch den Beitrag "Catholic sisters in Europe" in der EHNE.
Einleitung
Orden und religiöse Gemeinschaften gehören zu den prägenden Phänomenen christlichen Lebens. Seit dem 3. Jahrhundert haben sich differenzierte Formen asketischen Lebens von Einzelnen oder auch Gruppen unterschiedlicher Größe entwickelt. Die Abkehr vom Gewohnten und der Heimat sowie die Regulierung des täglichen Lebens ermöglichten es den Ordensmitgliedern, spirituelle, missionarische, zivilisatorische und kulturelle Aufgaben wahrzunehmen. In der Geschichte der Orden spiegelt sich deshalb nicht nur die Geschichte des Christentums, sondern auch ein wichtiger Teil der Kulturgeschichte Europas und der Welt wieder.
Während im Spanien und Italien des 16. Jahrhunderts die alten, im Sinne strenger Observanz organisierten Orden reformiert wurden und neue Orden entstanden, was eine Blütezeit des Ordenslebens nach sich zog, lehnten Reformatoren und Humanisten, wie Erasmus von Rotterdam (1469–1536), das Ordensleben als unzumutbare Knebelung der christlichen Freiheit ab. Sie waren der Ansicht, dass jeder Gläubige zur Heiligkeit berufen sei und befürworteten daher die Aufhebung des hierarchischen Unterschieds zwischen Klerus und Laien. Erasmus fasste diese Ordenskritik in der bekannten Formel "Monachatus non est pietas" (Das Ordensleben ist nicht mit Religion oder Frömmigkeit gleichzusetzen) zusammen. Die traditionellen Orden, wie die Benediktiner, Dominikaner und Franziskaner sowie ihre weiblichen Zweige, brauchten im deutschen Sprachraum Jahrzehnte, um sich von diesem Aderlass zu erholen. Den Augustiner-Eremiten, dem Orden Martin Luthers (1483–1546), und den Zisterziensern blieb der Neuaufbruch sogar gänzlich versagt. Auch den Protagonisten der europäischen Nationalstaaten fehlte nach der Französischen Revolution (1789) das innere Verständnis für ein reguliertes religiöses Leben. Aufklärer und Kameralisten (Vertreter der Verwaltungswissenschaft der absolutistischen Staaten) empfanden die religiösen Orden der katholischen Kirche als Bedrohung. Die übernationale Verankerung in einer Religionsgemeinschaft, an deren Spitze mit dem Bischof von Rom ein sich gleichzeitig als geistlicher wie als weltlicher Herrscher verstehendes Oberhaupt stand, passte nicht in das im 19. und 20. Jahrhundert dominierenden Konzept des Nationalismus. Zudem überstieg der Aktionsradius der Orden, besonders der missionarisch ausgerichteten, die Grenzen kleinteiliger staatlicher Gebilde um ein Vielfaches. Aus ihren Gründungsimpulsen heraus verstanden sich die Orden als transnationale "global player", denen der Missionsauftrag Jesu, das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu verkünden (Matthäus 28, 18–20), eine Beschränkung auf ein einzelnes Land oder eine einzige Sprache von vornherein verwehrte. Einige der geschichtlichen Entwicklungslinien des westlichen Ordenslebens werden im Folgenden nachgezeichnet.
Typen des Ordenslebens vor den Reformationen des 16. Jahrhunderts
Die klassischen Modelle des transnational ausgerichteten Ordenslebens haben ihren Ursprung im Mittelalter. Um das Jahr 529 gründete Benedikt von Nursia (ca. 480–547) auf dem Monte Cassino an der Stelle eines Apollo-Tempels ein Kloster. Die etwa zeitgleiche Schließung der platonischen Philosophenakademie in Athen durch den oströmischen Kaiser Justinian I. (482–565) wird häufig als ungefährer Endpunkt der Antike und Anfangspunkt des christlichen Mittelalters gesetzt. Im frühen Mittelalter waren Klöster, gegründet und wesentlich geformt durch Missionare aus England, Schottland und Irland, über das gesamte Fränkische Reich verteilt. Nach der karolingischen Reform und der Vereinheitlichung der Mönchsregeln durch Benedikt von Aniane (ca. 750–821) wurden die Klöster auch für den Aufbau des Reichs in Anspruch genommen. Die im Muster des Sankt Galler Klosterplans für ein Kloster vorgesehenen Funktionen bezeugen die wirtschaftliche Autarkie der Klöster, aber auch die für Kirche und Staat zu erbringenden Dienstleistungen. Die mittelalterlichen Klöster waren durch ihre Streubesitzungen über die Grenzen politischer Herrschaftsbereiche hinaus tätig. Das gilt in besonderem Maß für die Reformgründung der Zisterzienser. Ihr Filiationssystem erforderte internationale Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg (z.B. entstanden entlang des Jakobswegs viele neue Niederlassungen der Zisterzienser sowie der Benediktiner von Cluny). Die Neugründungen erfolgten durch Mönchsgruppen unterschiedlicher regionaler Herkunft. Der Wirtschafts- und Wissenstransfer erfolgte über die Grangien (landwirtschaftliche Gutskomplexe) und Stadthöfe zur Vermarktung der Produkte, welche die Zisterzienser zum ersten multinationalen Konzern machten.
Andere Akzente setzten die Bettelorden, die aus dem Impuls der Armutsbewegung des frühen 13. Jahrhunderts gegründet worden waren. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt lag in der Seelsorge, weshalb sie sich bevorzugt in den aufblühenden Städten niederließen. Der Stabilität der benediktinischen Tradition setzten sie die Mobilität einer modernen, vom Handel geprägten Gesellschaft entgegen. Außerdem waren die Bettelorden, insbesondere die Dominikaner, im universitären Bereich tätig. Die gemeinsame Bildungssprache Latein erleichterte die innereuropäische Kommunikation. Der Schwabe Albertus Magnus (ca. 1200–1280) beispielsweise studierte in Padua und Köln, lehrte in Hildesheim, Freiburg, Regensburg, Straßburg, Paris und Köln. Nach einem kurzen Intermezzo als Bischof von Regensburg war er in Würzburg, Straßburg und Köln tätig. Sein Schüler Thomas von Aquin (1224–1274) stammte aus der Nähe von Neapel, studierte in Paris und Köln, lehrte in Paris, Orvieto, Rom, Viterbo, wieder in Paris, anschließend in Neapel und starb auf dem Weg zum Konzil von Lyon. Im Gelehrtenmilieu waren solche europäischen Lebensläufe bis in die Aufklärungszeit hinein unproblematisch. Ein weiterer Schwerpunkt der Bettelorden war die Seelsorge vor Ort, wo sie wegen ihrer besseren Ausbildung in Konkurrenz zu den örtlichen Geistlichen traten. Besonders die Franziskaner und die erst im 16. Jahrhundert gegründeten Kapuziner waren wichtige Träger volksmissionarischer Tätigkeiten.
Die Jesuiten – Primat der Seelsorge
Angehaucht von dem göttlichen Geiste, wie wir vertrauen, durch die Pflicht getrieben, die Eintracht der Kirche zurückzuführen, überzeugt, daß die Gesellschaft Jesu den Nutzen nicht mehr leisten kann, zu dem sie gestiftet worden, und von anderen Gründen der Klugheit und Regierungsweisheit bewogen, die wir in unserem Gemüte verschlossen behalten, heben wir auf und vertilgen wir die Gesellschaft Jesu, ihre Ämter, Häuser, Institute.1
Mit diesen Worten hob Papst Clemens XIV. (1705–1774) am 21. Juli 1773 den Jesuitenorden auf. Über zwei Jahrhunderte hatten die Jesuiten existiert. Sie waren in dieser Zeit zur einflussreichsten geistlichen, pädagogischen und politischen Kraft geworden, die von der katholischen Kirche in der Nachreformationszeit ausging. Zustimmung und Ablehnung, Liebe und Hass, Bewunderung und Abscheu – kein anderer Orden hat seit seiner Gründung (und bis heute) stärker polarisiert als die Gesellschaft Jesu.
Erst 40 Jahre nach der Aufhebung wurde der Orden neu gegründet. In den deutschen Territorien wurden die Jesuiten sogar erst nach 1849 wieder zugelassen. Ihre zentralistische Leitung weckte im nationalstaatlichen Denken des 19. Jahrhunderts die Angst vor ausländischen Einflüssen auf die deutsche Kirche und Gesellschaft. Der "Kulturkampf" richtete sich daher folgerichtig gegen die weltweit agierende und Länder- und Sprachgrenzen überwindende katholische Kirche, als deren wichtigste, einflussreichste und gefährlichste Vertreter die Jesuiten galten. Ihr Tätigkeitsverbot für das Deutsche Reich wurde erst 1917 aufgehoben, in der Schweiz sogar erst 1973.
Transnationales Agieren kennzeichnete die Gesellschaft Jesu von Anfang an. Ihr Gründer, Ignatius von Loyola (1491–1556)[], gebürtiger Baske im Dienst der spanischen Krone, wollte sich nach seiner Bekehrung in Jerusalem niederlassen. Nach dem Scheitern dieses Plans studierte er in Barcelona, Alcalà de Henares und Paris. Am 15. August 1534 legten die ersten seiner Gefährten auf dem Montmartre ihre religiöse Weihe ab. Schon 1540 wurde die Gemeinschaft von Papst Paul III. (1468–1549) als Orden anerkannt. Neben Ignatius gehörten zu den sieben ersten Jesuiten der Savoyarde Pierre Favre (1506–1546), Francisco de Javier (Franz Xaver, 1506–1552) aus Navarra, Diego Laínez (1512–1565) und Alfonso Salmerón (1515–1585) aus Kastilien, Nicolas Bobadilla (1511–1590) aus León sowie der Portugiese Simon Rodrigues (1510–1579). Die internationale Zusammensetzung der ersten Gefährten des Ignatius war paradigmatisch für die Zukunft des Ordens. Durch Pierre Favre kam der erste Deutsche in den Orden, Petrus Canisius (1521–1597) aus Nimwegen. Der bedeutendste Missionar der ersten Generation war Franz Xaver, den Missionsreisen nach Indien, Japan und an die Küste Chinas führten. Die Grenzen europäischer Kultur überschritten außerdem Jesuiten wie der Süditaliener Matteo Ricci (1552–1610) und der Kölner Johann Adam Schall von Bell (1592–1666)[] als Astronom am chinesischen Kaiserhof. Ein kontrovers diskutiertes Projekt und einer der Auslöser für den 1773 erfolgten Urteilsspruch des Papstes war das halbstaatliche Gebilde der Reduktionen (von Jesuiten errichtete Siedlungen für indigene Bevölkerungen) unter den Guaraní-Indianern in den heutigen südamerikanischen Staaten Paraguay, Brasilien und Argentinien. Originär indianisches Kunsthandwerk wurde dort ebenso gepflegt wie alpenländische Volksmusik – eine kulturgeschichtlich äußerst interessante Mischung. Kein anderer Orden war seit seiner Gründung so konsequent transnational ausgerichtet wie die Jesuiten.
Typologie des Ordenslebens zwischen Reformation und dem 19. Jahrhundert
Nach dem Modell des Jesuitenordens wurden Ende des 18. Jahrhunderts und im 19. Jahrhundert Priestergemeinschaften gegründet, die sich spezifischen seelsorgerlichen Aufgaben verpflichtet fühlten. Die ursprünglich im Königreich Neapel angesiedelten Redemptoristen, gegründet 1732 von Alfonso di Liguori (1696–1787), erlebten unter ihrem Generalvikar Klemens Maria Hofbauer (1751–1820) eine Neugründung in Österreich und Polen. Sie spezialisierten sich auf Beichtseelsorge und Volksmission. Redemptoristen-Patres gehörten in Deutschland und Österreich zu Trägern der aufbrechenden katholischen Kreise in der Vormärz-Ära. Zu einem ähnlichen Zweck wurden die Oblaten der Unbefleckten Jungfrau Maria 1816 von Eugène de Mazenod (1782–1861) gegründet. Ihr vornehmliches Ziel war seit 1841 die Mission in Kanada. Ebenfalls missionarisch ausgerichtet waren die Picpus-Patres (Genossenschaft von den Heiligen Herzen Jesu und Mariä und von der ewigen Anbetung des Heiligsten Altarsakraments; Arnsteiner Patres), die 1800 gegründet und 1817 neu organisiert wurden. Neben der eucharistischen Anbetung wandten sie sich vor allem der Ozeanien-Mission zu. In Frankreich gab der desolate religiöse Zustand der ländlichen Gebiete Anlass zu Neugründungen. Die Maristen wurden ursprünglich zur Seelsorge im Umkreis von Lyon gegründet. Guillaume-Joseph Chaminade (1761–1850), der Gründer der Marianisten, erkannte die Notwendigkeit einer kooperativen Seelsorge von Laien und Priestern in den unterschiedlichen Milieus. Die bedeutendste Neugründung des 19. Jahrhunderts waren die 1857 von Giovanni Bosco (1815–1888) gegründeten Salesianer mit ihrer Spezialisierung in der Jugendseelsorge; heute sind sie der zweitgrößte Orden der katholischen Kirche.
Nach dem Vorbild der Ende des 17. Jahrhunderts von Jean-Baptiste de La Salle (1651–1719) gegründeten Christlichen Schulbrüder entstanden im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Brüdergemeinschaften, die sich entweder als ausgesprochene Schulorden oder als spezialisierte Krankenpflegeorden verstanden. Zu nennen sind für die erste Kategorie die 1817 von Marcellin-Joseph-Benoît Champagnat (1789–1840) gegründeten Maristenbrüder, die "Frères de l'Instruction chrétienne" (1819) des Jean-Marie-Robert de La Mennais (1780–1860), die irischen "Christian Brothers" (1802) und "Brothers of St. Patrick" (1808). Für die zweite Kategorie stehen u.a. die "Barmherzigen Brüder von Montabaur" (1856) mit ihrem Gründer Ignatius Lötschert (1820–1886), Peter Friedhofens (1819–1860) Barmherzige Brüder von Maria Hilf (1856) sowie die "Armen Brüder des hl. Franziskus" (1857) des Johannes Höver (1816–1864).
Den Großteil der religiösen Gemeinschaften des 19. Jahrhundert bildeten aber die neuen Frauenkongregationen. Die Persönlichkeiten und die Durchsetzungsfähigkeit der Gründerinnen waren unterschiedlich stark ausgeprägt: Viele von ihnen standen unter dem direkten Einfluss ihres Beichtvaters, so dass ihr Eigenanteil an der Ordensgründung hinter dessen Vorgaben zurücktrat. Andere, wie Marie-Madeleine Postel (1756–1846), Julie Billiart (1751–1816), Madeleine Sophie Barat (1779–1865), Karolina Gerhardinger (1797–1879) und Catherine MacAuley (1731–1791), waren eigenständige Frauen, die ihren Gemeinschaften auch über die Grenzen ihrer Heimatdiözese hinaus zur Ausdehnung verhalfen und die internationale Verbreitung ihrer Kongregationen durch Filiationen und Tochtergründungen sicherten. Die meisten Fraueninstitute waren apostolisch ausgerichtet. In den beiden Hauptarbeitsbereichen Erziehung und Caritas setzten die einzelnen Gemeinschaften unterschiedliche Schwerpunkte: Mädchenbildung, (häusliche) Krankenpflege, Führung von Krankenhäusern, Katechismusunterricht und Missionstätigkeit, Hilfe für sozial Schwache (Witwen, Waisen, Alte, Hausangestellte, junge Arbeiterinnen, Gefangene und Strafentlassene, Blinde, Taubstumme, geistig und körperlich Behinderte usw.). In den Kongregationen konnten Frauen ihre Fähigkeiten professionalisieren und ihre Arbeit und Ausbildung wurde gebührend gewürdigt. Von der Forschung wurden sie als "neugegründete (Gründer und/oder Gründerin), zentralisierte (mit Mutterhaus und Generaloberin) und kontrollierte Kongregationen (zunächst durch den Bischof oder seinen Repräsentanten, später durch die zivile Gewalt)" charakterisiert.2 Diese strukturellen Voraussetzungen ermöglichten es den Kongregationen, flexibel auf neue Situationen zu reagieren und ohne lange Anlaufzeiten ihre Aufgaben zu verrichten:
Die Geschichte dieser Gründungen ist fast in allen Fällen die gleiche. Um deren verwirrende Vielfalt angesichts identischer Aufgaben begreifen zu können, muß man sich immer wieder die Isolierung vor Augen halten, in der die verschiedenen Provinzen lebten. Ein frommes Mädchen weiht sich spontan oder auf Anraten eines Priesters der Kindererziehung oder der Kranken- und Armenfürsorge; bald nimmt sie einige durch ihr Beispiel angezogene Gefährtinnen zu sich; die Schloßherrin des Ortes gewährt ihr moralische und finanzielle Unterstützung, der Pfarrer ermutigt sie oder aber legt ihr Hindernisse in den Weg; ein Seelenführer aus dem Jesuitenorden oder einem anderen Orden taucht im Hintergrund auf; bald festigt sich die Gründung; man kauft ein Haus; der Bischof mischt sich ein; um seine Billigung zu erhalten, braucht man Regeln, eine Tracht, eine verantwortliche Obere, einen Namen, einen Schutzpatron, ein Noviziat. All dies kristallisiert sich nach und nach heraus, und eines Tages ist man schließlich bereit, um die Autorisation des Heiligen Stuhles und der Regierung einzugeben. Eine neue Kongregation ist geboren.3
Nur wenige der im 19. und 20. Jahrhundert gegründeten, ungefähr 1250 Kongregationen, breiteten sich über die Grenzen ihrer Gründungsregionen aus. Einigen aber gelang es und sie wurden zu Akteuren transnationaler Bildungs- und Caritasarbeit. Einige Beispiele sollen diese Entwicklung illustrieren.
Beispiel 1: Die Schwestern des heiligen Joseph von Cluny
Anne-Marie Javouhey (1779–1851), geboren in einem kleinen burgundischen Dorf, fühlte sich seit ihrer Erstkommunion im Anfangsjahr der Französischen Revolution zu einem gottgeweihten Leben berufen. Sie erlebte die Untergrundkirche und im Kontakt mit Priestern entfaltete sich ihre Religiosität. Am 11. November 1798 vollzog sie in ihrem Dorf Chamblanc eine private religiöse Weihe. Trotz des zeitweise heftigen Widerstands ihres Vaters begann sie, Kinder religiös zu unterweisen. Im Bewusstsein, zur Gründung eines neuen Ordens berufen zu sein, wandte sie sich an den Bischof von Autun. Inzwischen war im napoleonischen Frankreich die Gründung religiöser Genossenschaften gestattet worden. Am 12. Dezember 1806 erkannte ein kaiserliches Dekret die von Javouhey gegründete Association de Saint-Joseph an. Ein halbes Jahr später, am 12. Mai 1807, legten die ersten neun Schwestern ihr Ordensgelübde ab. 1812 konnten die Schwestern ein Haus in Cluny erwerben und nahmen den Namen der Schwestern des heiligen Joseph von Cluny an. 1815 wurde eine Schule in Paris eröffnet. Auf Anregung des Kolonialministers übernahmen die Schwestern Missionsaufgaben in den französischen Überseegebieten. 1817 brachen die ersten Schwestern nach Réunion auf, 1819 in den Senegal, 1822 nach Guadalupe und Guyana. 1824 eröffnete Anne-Marie Javouhey das erste afrikanische Seminar eines französischen Ordens. Javouhey, die 44 Jahre lang Generaloberin ihrer Gemeinschaft war, unternahm selbst mehrere Auslandsreisen, um die Niederlassungen des von ihr gegründeten Ordens zu besuchen. Der staatlichen Anerkennung 1827 folgte im selben Jahr die Approbation der Regel durch den Bischof von Autun und 1854, drei Jahre nach dem Tod der Gründerin, die päpstliche Anerkennung.
Der Mitgliederstand dieser bis heute sehr internationalen Gemeinschaft entwickelte sich wie folgt:
Jahr |
Schwestern |
Häuser |
Davon in Frankreich |
1825 |
122 |
22 |
14 |
1852 |
1221 |
144 |
75 |
1901 |
3808 |
385 |
136 |
1969 |
3481 |
336 |
72 |
1999 |
3047 |
417 |
45 |
Beispiel 2: Vom Westerwald in die Welt
Die Dernbacher Tagelöhnerin Katharina Kasper (1820–1898)[] verspürte bereits als Mädchen den Drang zu einem religiösen Leben und zum Dienst an den Armen. Mit anderen Mädchen gründete sie 1845 einen frommen Verein, der religiöses mit caritativ-tätigem Leben verband. Eine erste Kontaktaufnahme mit dem Limburger Bischof Peter Joseph Blum (1808–1884) führte 1848 zur Errichtung eines kleinen Hauses in Dernbach. Die Statuten des Vereins mit dem Zweck der "Ausbreitung der Tugend durch Beispiel, Belehrung und Gebet" wurden 1850 approbiert. Als "Arme Dienstmägde Jesu Christi" (ADJC) legten fünf Frauen am 15. August 1851 in der Pfarrkirche von Wirges ihre Gelübde auf drei Jahre ab. Ein Jahr später bekamen sie die modifizierte Regel der Barmherzigen Schwestern als Statuten und 1853 einen Geistlichen als Superior der Genossenschaft.
Die Armen Dienstmägde breiteten sich vor allem im Bistum Limburg und den angrenzenden Diözesen rasch aus. Acht Jahre nach der Gründung bestanden bereits 38 Häuser mit 224 Mitgliedern. Die erste Gründung in den USA wurde 1868 errichtet; während des Kulturkampfs konnte auch das Mutterhaus dorthin verlegt werden. Bis zum Tod der Gründerin hatte sich die Zahl der Mitglieder auf 1725 erhöht, die auf 193 Häuser verteilt waren. Auf diese Weise hatten sich die ADJC zu einer Gemeinschaft entwickelt, die für die Organisation der Caritas vor Ort in kleinen Gemeinden einen entscheidenden Beitrag leistete.
Auch Margaretha Rosa Flesch (1826–1906)[], eine Müllerstochter aus Vallendar, wurde zur Ordensgründerin. Sie wollte zunächst als Klausnerin leben. Bei der Kreuzkapelle in Waldbreitbach ließ sie sich 1851 erst allein, dann mit zwei Gefährtinnen nieder. Der Ortspfarrer aber übergab diese Klause 1860 an eine Männergruppierung, aus der die Franziskanerbrüder vom Heiligen Kreuz hervorgingen. 1863 wurde den Schwestern die Ablegung von Gelübden und mit der "Einkleidung" die geregelte Einführungszeit in die Gemeinschaft gestattet. Vom "Marienhaus", dem Waldbreitbacher Mutterhaus, aus wuchs die Gemeinschaft bis zum Jahr 1878 auf über 100 Schwestern, die sich auf 21 Niederlassungen verteilten. Rosa Flesch, die 1878 durch eine Intrige des geistlichen Rektors nicht als Oberin wiedergewählt wurde, lebte bis zu ihrem Tod als einfache Schwester im Mutterhaus. Sie hatte die Grundlagen für die Ausbreitung ihrer Gemeinschaft in den USA, den Niederlanden und Brasilien sowie für die organisatorische Einbindung und Absicherung der Sozialinstitutionen gelegt.
Missionsgesellschaften
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erwachte in Europa ein neues missionarisches Interesse. Finanzielle und ideelle Unterstützung für Missionare führte zur Gründung von Missionswerken in Lyon (1822) durch Pauline Marie Jaricot (1799–1862) und Aachen (1832) durch den Arzt Heinrich Hahn (1800–1882). Die Gesellschaft des katholischen Apostolats von Vinzenz Pallotti (1795–1850) in Rom stand in engem Kontakt mit dem Lyoner Missionsverein. Die Propaganda-Kongregation, die für missionarische Tätigkeiten zuständige vatikanische Behörde, unterstützte dies und sicherte so der Lyoner Zentrale ein Motivations- und Finanzierungsmonopol. Papst Gregor XVI. (1765–1846) verstärkte die Bindung an Rom, indem er einzelne Missionsgebiete jeweils einem Orden übertrug.
Nach dem Vorbild von Weltpriestergemeinschaften, wie sie in den Pariser Seminaren von Saint-Sulpice und der Rue du Bac gepflegt wurden, entstanden Gemeinschaften mit dem ausdrücklichen Anliegen der Missionierung. Die Idee von der "Evangelisierung Afrikas durch die Afrikaner" des Italieners Daniele Comboni (1831–1881), der 1864 in Kairo ein Zentrum für die Ausbildung des afrikanischen Klerus errichtet hatte, übernahm der französische Bischof Charles Lavigerie (1825–1892), der auch Erzbischof von Algier und seit 1882 Kardinal war. 1868 gründete Lavigerie die "Missionare unserer lieben Frau von Afrika – die Weißen Väter und die Weißen Schwestern".
Niederlassungen von Missionsgesellschaften in Deutschland waren erst nach dem Ende des "Kulturkampfs" und nur mit dem alleinigen Ziel der Ausbildung junger Mitglieder für die deutschen Missionsgebiete möglich. Um die deutschen Kolonien im Ausland seelsorgerlich zu betreuen und dort missionarische Arbeit zu leisten, wurden nach 1890 Niederlassungen der Herz-Jesu-Missionare, der Pallottiner, der Steyler Missionare, der Kapuziner, der Oblaten, der Weißen Väter, der Maristen-Schulbrüder, der Salvatorianer und der "Missionare von der hl. Familie" genehmigt und mit großem Erfolg betrieben. Auch wenn sich die Genehmigungsverfahren für eine Niederlassung jahrelang hinziehen konnten, kam es zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Orden und Staat.
Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde auf diese Weise in enger Zusammenarbeit von Missionsgesellschaften und staatlichen Behörden der europäischen Länder die Evangelisierung des afrikanischen Kontinents organisiert. Ausgangspunkte waren für Nordafrika zum einen Algerien und Marokko, zum anderen Ägypten, für West- und Zentralafrika die großen Flüsse Niger und Kongo, für Ostafrika die Hafenstadt Daressalaam und für das südliche Afrika Madagaskar und die Küstengegend zwischen Port Elizabeth und Durban.
Ein Beispiel für die oft "zufällige" und über Umwege erfolgte Gründung von Missionsgesellschaften ist die Entstehung der Missionsbenediktiner von St. Ottilien. Die Begeisterung für das missionarische Anliegen veranlasste den in der Schweiz geborenen Benediktiner P. Andreas Amrhein (1844–1927)[], das Kloster Beuron zu verlassen, ein halbes Jahr bei den Mill-Hill-Missionaren in England und einige Zeit bei Arnold Janssen (1837–1909), dem Gründer der Steyler Missionare, zu verbringen, bevor er sein eigenes Werk in Gang setzte. Auf Einladung des Missionskreises Regensburger Priester errichtete er 1884 im oberpfälzischen Reichenbach in der dortigen ehemaligen Benediktinerabtei, die er günstig erwerben konnte, ein Missionsinstitut. Er wollte, wie er dem bayerischen Ministerpräsidenten Johann von Lutz (1826–1890) schrieb, eine "katholische deutsche Missionsgesellschaft für Innerafrika" organisieren "mit dem religiösen Zweck … der Einführung der Kultur und christlichen Religion in unzivilisierten heidnischen Ländern, speziell in Innerafrika, durch Gründung größerer Missionsstationen mit Schulen, Werkstätten, Waisenhaus, Spital und großer Ökonomie, letztere teils zum Unterricht der Eingeborenen im Landbau und um die Jugend zur Arbeit anzuhalten, teils zur Selbsterhaltung der Mission".4 Amrhein wollte Missionare und Laien zum zeitlich begrenzten Einsatz in Afrika ausbilden, aber zunächst keine eigene Missionsgesellschaft errichten.
Die Reichenbacher Einrichtung wurde schnell bekannt: Ende 1885 hatten sich schon 150, ein halbes Jahr später bereits 250 Kandidaten gemeldet. 1886 wurde der erste Priester geweiht, der in die Mission gehen wollte. Im selben Jahr erwarb Amrhein in Emming einen Hof, der nach einer Wallfahrtskapelle den Namen St. Ottilien bekam. Mit der Übersiedlung nach St. Ottilien 1887 war auch der Schritt zu einer festeren Gemeinschaft der Missionare verbunden. Amrhein arbeitete Konstitutionen aus, die an der Benediktsregel orientiert waren. Amrhein war wegen der besseren Entfaltungsmöglichkeiten in St. Ottilien und der wohlwollenden Haltung des Augsburger Bischofs Pankratius von Dinkel (1811–1894) entschlossen, Reichenbach aufzugeben. In einem Aufruf an die Katholiken Deutschlands vom Herbst 1887 gab er seine Pläne bekannt. Er wollte ein Institut von Missionsschwestern gründen, heute bekannt als Missionsbenediktinerinnen von Tutzing. Die St. Benediktus-Missionsgesellschaft erklärte ihre Bereitschaft, in Deutsch-Ostafrika eine Apostolische Präfektur zu übernehmen. Die missionarischen Projekte sollten durch ein "Liebeswerk" und Gebete aus der Heimat unterstützt werden. Amrheins Rechnung: "Wenn nur jeder Katholik Deutschlands wöchentlich 1 Pfennig zahlen würde, könnten 200 Freiplätze gestiftet werden im Missionsseminar und noch dazu (würde das Geld hinreichen), die jährliche Expedition von ein Dutzend Afrikamissionären zu bestreiten."5
Damit wird die für Missionsgenossenschaften typische Struktur sichtbar: ein innerer Kern, tragende Kräfte sowie unterstützende Förderer, die jedoch nicht nur in materieller und finanzieller, sondern auch in spiritueller Verbindung zur Gemeinschaft stehen.
Bereits 1887 übernahmen die Missionsbenediktiner den südlichen Teil Deutsch-Ostafrikas als Missionsgebiet. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die deutschen Missionare ausgewiesen, kehrten jedoch 1926 zurück. Die Abtei Peramiho in Tansania wurde zu einem Regionalseminar für den indigenen Diözesanklerus ausgebaut, während man mit der Aufnahme Einheimischer in das Kloster noch zögernd umging. Weitere Missionsgebiete der Ottilianer waren ab 1909 Korea, ab 1920 Nordkorea und die südliche Mandschurei und in Südafrika das Zululand. Heute gehören zur Kongregation der Missionsbenediktiner von St. Ottilien 1.100 Mönche, die in 19 Klöstern und 50 Niederlassungen in Europa, Amerika, Afrika und Asien leben. Die Mehrzahl der Mitglieder sind keine Europäer mehr. Bei den Missionsbenediktinerinnen von Tutzing haben die asiatischen Schwestern gegenwärtig einen Anteil von über 50%.
Neue Geistliche Gemeinschaften
Im 20. Jahrhundert entwickelte sich das Ordensleben durch die Einflüsse der Geistlichen Bewegungen und Säkularinstitute weiter. Ihre Entstehung verweist auf das Ende des Milieu-Katholizismus. Die postulierte, jedoch oft nur fiktive Geschlossenheit einer Gesellschaft "von der Wiege bis zur Bahre" existierte nicht mehr und konnte folglich auch keine Tragfähigkeit mehr bieten. Die Kirche musste neue Akzente setzen, um auch im 20. Jahrhundert in der Welt präsent zu bleiben. Ein Experiment französischer Arbeiterpriester zielte auf das Christsein im Arbeitermilieu. Es wurde 1953 verboten und musste wieder eingestellt werden. Aber dadurch wurde der Blick geschärft sowohl für die nicht mehr vom Christentum erfassten Bereiche westlicher Gesellschaften als auch für Wege der Präsenz an den Rändern der traditionellen kirchlichen Einflusssphären. Durch die Anerkennung der Säkularinstitute kam die Welt als positiver Referenzpunkt christlicher Spiritualität in den Blick. Ordensleben war nicht länger Flucht aus der Welt, sondern Gestaltung der konkreten Lebenswelt; die Eigenwertigkeit und Eigengesetzlichkeit der Schöpfung wurden ernst genommen und verwiesen auf das inkarnatorische Element des Christentums in der Welt.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts entstanden in den christlichen Kirchen eine Fülle von Gruppierungen, die, je nach Schwerpunktsetzung, unter den Begriffen "Geistliche Bewegungen", "Kirchliche Bewegungen" und "Laikale Bewegungen" zusammengefasst werden können. Zu nennen sind etwa die 1914 von Joseph Kentenich (1885–1968) gegründete Schönstatt-Bewegung, die irische Legion Mariens (gegründet 1921) des Finanzbeamten Frank Duff (1889–1980), die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Gemeinschaften christlichen Lebens umbenannten Marianischen Kongregationen, die von Chiara Lubich (1920–2008) gegründete Fokolar-Bewegung, die Cursillos, die Bewegung Comunione e Liberazione, der Neokatechumenale Weg, die Gemeinschaft Sant' Egidio usw. Für die Orden sind diese Bewegungen einerseits ein wichtiges neues Betätigungsfeld und teilweise für die einzelnen Mitglieder unersetzbar als wichtige Quelle zur Erfrischung der eigenen spirituellen Bedürfnisse. Andererseits wurden und werden durch diese Bewegungen auch manche liebgewonnenen Traditionen in Frage gestellt.
Die unterschiedlichen Bewegungen konstituieren sich aus der Gründerpersönlichkeit. Deren geistige und spirituelle Impulse werden für die Mitglieder zum Referenzpunkt ihrer persönlichen Berufung. Die Bewegungen setzen sich aus allen Kategorien und Ständen von Gläubigen zusammen und bilden so die umfassende Wirklichkeit von Kirche ab. Die Mitglieder sind in eine einheitliche Struktur und Institution eingebunden, in der es unterschiedliche Formen und Grade der Zugehörigkeit gibt. Daraus können sich auch Lebensgemeinschaften nach Art der traditionellen Orden entwickeln. Zum Wesen der Bewegungen gehören schließlich Internationalität und Interkulturalität.
Ausblick: Die Zukunft der Orden
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die europäische Prägung der Orden rasant abgenommen. In den Ländern Europas und Nordamerikas führte die Transformationskrise nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Verbindung mit gesellschaftlichen Umbrüchen zu vielen Austritten. Manche Orden verloren bis zu einem Drittel ihrer Mitglieder. In den europäischen Ländern kam eine massive Überalterung hinzu, die in Deutschland von 1960 bis 2010 zu einem Rückgang der Ordensschwestern um etwa 80 % führte. Neueintritte sind selten geworden. Viele Institutionen, besonders im Bildungs- und Gesundheitssektor, mussten aufgegeben oder in andere Trägerschaften überführt werden. Dieser Prozess ist bis heute nicht abgeschlossen.
Doch gerade in dieser Phase des Umbruchs bewährt sich die internationale Struktur der Orden. Die Einbahnstraße, auf der seit Jahrhunderten Ordensleute aus Europa in andere Länder und Kontinente geschickt wurden, hat eine zweite Verkehrsrichtung bekommen. Die Internationalisierung wirkt sich auch auf die Leitungsstrukturen der Orden aus: von Europäern gegründete und europäisch geprägte Orden werden von Nicht-Europäern geleitet. Ordensniederlassungen setzen sich aus Europäern und Nicht-Europäern zusammen. Orden, die in Afrika und Asien gegründet wurden, übernehmen pastorale Aufgaben sowie Aufgaben im Gesundheitswesen in Europa. In wenigen Jahren werden z.B. in Deutschland mehr ausländische als deutsche Ordensschwestern unter 65 Jahren leben. Ob das jedoch ein Meilenstein auf dem Weg zu einer wirklich transnationalen inneren und äußeren Struktur der Orden sein wird und ob die Inkulturation außereuropäischen Ordenslebens in europäische Gesellschaften des 21. Jahrhunderts gelingt, ist noch eine offene Frage.