Generelle Entwicklungslinien
In kaum einem Zeitabschnitt der europäischen Geschichte spielt der Handel eine so zentrale Rolle wie in der merkantilen Ära von 1500 bis 1750, die man gelegentlich auch mit Frühkapitalismus oder Handelskapitalismus umschrieb.1 Am Anfang steht die Frage: Wann in der Geschichte der Menschheit kam es zum ersten Warenaustausch zwischen Europa und den vier anderen Kontinenten Afrika, Asien, Amerika und Australien? Wo liegen die Anfänge dessen, was man als dauerhaften Austausch, als etablierte Wirtschaftsbeziehung bezeichnen könnte? Diese Frage fügt sich ein in einen noch größeren, globalen Zusammenhang, da sich das weltwirtschaftliche Gefüge von der "Proto-Globalisierung" bis zur Globalisierung fundamental veränderte.2 Dieser Prozess wurde vom 15. bis zum 20. Jahrhundert wesentlich von Europa bestimmt. Der bedeutendste Teil des Welthandels war im vergangenen halben Jahrtausend stets intra-europäischer Handel, dessen Volumen im Laufe der Frühen Neuzeit bis hinein in die Moderne überproportional zunahm.3 Die nationalen Märkte vernetzten sich immer stärker miteinander, getrieben von zahlreichen Innovationen im Bereich der Infrastruktur, Verkehrstechnik, des Energieaufkommens und nicht zuletzt der Institutionen (Regeln, Verfassungen, Arbeitsteilung, Währungsstandards etc.). Der Übergang von der Einzelfertigung zur Massenfertigung und zur Konvergenz der Güter- und Faktorpreise erleichterte Transaktionen wesentlich und beschleunigte so die Integration.
Europa spielte im internationalen Handel spätestens seit dem Spätmittelalter eine Vorreiterrolle, zumindest bis ins 19. Jahrhundert, von dessen Ende an Nordamerika die Geschicke der Weltwirtschaft stärker zu beeinflussen begann.4 Um die Wende zum 21. Jahrhundert bauten die asiatischen Staaten, allen voran China, ihren Einfluss mehr und mehr aus, so dass die USA in eine gewisse finanzielle Abhängigkeit von den ostasiatischen Kreditgebern gerieten, während China zum Wachstumsmotor des gegenwärtigen Jahrtausends zu werden scheint.
Europa gewinnt ab dem Spätmittelalter an Zentralität
In Europa verstärkte sich am Beginn des letzten Jahrtausends, in der Kreuzzugszeit und während der Ostkolonisation die Bevölkerungsbewegung und die damit einhergehende Erschließung neuer Räume. Um 1500 gab es fünf Städte in Europa mit mehr als 100.000 Einwohnern: Venedig, Genua, Neapel, Mailand und – nördlich der Alpen als einzige – Paris.
Die Gründe, weshalb sich Europa im Laufe der Frühen Neuzeit einen deutlichen wirtschaftlichen Vorsprung vor den anderen Kontinenten der Welt verschaffen konnte, sind komplexer Natur. Dazu gehörte zunächst der Grund und Boden als wichtigstes Gut, dessen Besitz immer wieder den Expansionsdrang der Grundherren anstachelte. Die Verteilung von Land wiederum war die geeignete Methode, die Gefolgsleute zu binden. Diese Form der Grundherrschaft hielt sich in den archaischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, wo es aufgrund geringer Bevölkerungsdichte kaum zu Wanderungen und damit zum Neuerungsdruck kam, ziemlich lange, teilweise bis ins 19. Jahrhundert. In den relativ dicht besiedelten Gebieten, zumal des partiell realgeteilten Westens, war der Austausch von Gütern und Wissen gang und gäbe und häufig grenzübergreifend. Neuerungen gegenüber erwiesen sich die führenden Staaten des europäischen Kontinents meist aufgeschlossen. Dies galt sowohl für technische als auch für kommerzielle Innovationen, wobei letztere vor allem in Italien ihren Ursprung hatten.5 Der Begriff Kommerzielle Revolution versucht diesen Prozess zu erfassen.6
Ein Argument, das vielfach die Alleinstellungsmerkmale Europas erklären soll, ist die kulturelle wie wirtschaftliche Heterogenität seiner Staaten. Migration und Kommunikation waren die eigentlichen Beschleunigungsfaktoren der europäischen Geschichte. Die spezifische Mischung aus (italienischen) Stadtstaaten, Fürstentümern, Bistümern, Königreichen etc. und die damit verbundene Intensivierung des interregionalen Wettbewerbs haben die Entwicklung hin zur Moderne beschleunigt. Die "permanente Inkongruenz" wirtschaftlicher, politischer und kultureller Faktoren erklärt somit die kompetitive Dynamik des Kontinents.
Hinzu kamen ein fortschrittliches Bildungswesen und die frühe Institutionalisierung gewerblicher und frühindustrieller Ausbildungsgänge und Produktionszentren. Die Liberalisierung von Handel, Handwerk und industriellen Gewerken sowie die demokratische Parlamentarisierung bildeten eine wesentliche Grundlage für die Generierung des wirtschaftlichen Wachstums, das vom 18. Jahrhundert an mit einem bemerkenswerten Bevölkerunganstieg einherging. Das rastlose Streben nach Neuem im Kontext von Neuhumanismus und Aufklärung gab dem Alten Kontinent sein unverwechselbares Gepräge.
In der Zeit des ancien régime verfügten die Niederlande von allen westeuropäischen Ländern über das leistungsfähigste und verzweigteste Wegenetz.7 Der zunehmende internationale Handel erforderte ab dem Spätmittelalter ein internationales Informations- und Kommunikationsnetz. Die Kaufleute als Mittler zwischen den Welten verfügten häufig über eigene Kurierdienste, z.B. unterhielten die Fugger im 16. Jahrhundert ein Stafettensystem zwischen Augsburg und Venedig.8 Später bildeten sich in und um Amsterdam, London, Paris sowie im Aachen-Lütticher Raum und dem Ruhrgebiet umsatzträchtige Metropolregionen heraus, in denen die Pro-Kopf-Einkommen und der Lebensstandard überproportional stiegen. Allerdings forderte die zügige Industrialisierung Mittel-, West- und Nordeuropas erhebliche Ressourcen. Im 19. Jahrhundert trat die Steinkohle an die Stelle des Holzes als Energielieferant; im 20. Jahrhundert ersetzte Erdöl die Kohle weitgehend. Die Elektrizität, gewonnen aus Wasserkraft, sowie Kohle, Erdöl, Kernenergie und Sonnenenergie erwiesen sich als vielseitigste und nahezu überall verfügbare Formen der Energie, deren Transport dann im internationalen Handelsverkehr eine zunehmend wichtige Rolle spielte.9
Die "Oligopolisierung" der Weltwirtschaft
In der Zeit zwischen Industrieller Revolution und Erstem Weltkrieg bestimmten drei Mächte wesentlich das Wachstumstempo in Europa und Europas Stellenwert im Weltgeschehen: Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Im Jahr 1913, das man als letztes "Normaljahr" in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachten kann, beherrschten diese drei Länder wesentliche Segmente der Weltwirtschaft. Man könnte hier von einer "Oligopolisierung" der Weltwirtschaft sprechen, auf die diese drei Staaten mit Ausnahme der USA den größten Einfluss hatten. Die drei genannten Länder stellten zwar weniger als die Hälfte der europäischen Bevölkerung, bestritten jedoch ca. drei Viertel der Industrieproduktion Europas sowie drei Viertel des Handels zwischen Europa und der übrigen Welt. Das hohe Leistungsniveau ihrer Volkswirtschaften drückte sich in der Struktur ihres Handels deutlich aus, vornehmlich in der Ausfuhr von Industrieprodukten und der Einfuhr von Rohstoffen, so dass sie vor dem Ersten Weltkrieg die internationalen Kapitalströme und die direkten Auslandsinvestitionen dominierten. In Ermangelung supranationaler Wirtschaftsinstitutionen sorgte de facto Großbritannien, das in London auch den zentralen Kapitalmarkt der Welt beherbergte, für das Funktionieren der Weltwirtschaft.10 Dazu kam, dass die Bank of England das Prinzip des Goldstandards auf den Geld- und Kapitalmärkten der Welt konsequent befolgte und Großbritannien vorwiegend liberalen Prinzipien verpflichtet war. Der Versuch, dieses Schema auch nach dem Ersten Weltkrieg durchzusetzen, schlug jedoch fehl. Nach der globalen Katastrophe der Großen Depression schrumpfte das Welthandelsvolumen um 26 % und der Handel Europas um 38 %.11
In der Zeit zwischen dem Ende der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg traten nationale Politikkonzeptionen an die Stelle einer einheitlichen (Außen-)Wirtschafts- und Währungspolitik in Europa. Großbritannien gab 1932 seine Freihandelspolitik auf und räumte dem Commonwealth-Verbund Vorrang ein. Die Wirtschaftspolitik im Dritten Reich folgte Hjalmar Schachts (1877–1970) Neuem Plan mit einer Reihe von Diskriminierungsmaßnahmen und einer Neuorientierung des Außenhandels Richtung Osteuropa und Lateinamerika. Frankreich versuchte es damit, öffentliches und privates Kapital in sogenannten gemischten Gesellschaften der Schlüsselindustrien zusammen zu binden.12
Der Zweite Weltkrieg blockierte nicht nur den europäischen Kreislauf, sondern zerstörte nachhaltig das globale Wirtschaftsgefüge, indem er Europa in einen östlichen und einen westlichen Teil aufspaltete. Italien, Österreich, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und die anderen demokratischen Staaten verpflichteten sich einem liberalen marktwirtschaftlichen Prinzip und sozialer Demokratie, während Polen, Bulgarien, Rumänien, die Tschechoslowakei, Ungarn und Ostdeutschland der sowjetischen Vormacht in die Zentralverwaltungswirtschaft folgten, bis dieses System nach 45 Jahren durch eine unblutige Revolution vom Volk beendet wurde. Bereits zuvor hatten sich wirtschaftliche Auflösungstendenzen und die Überlegenheit des innovationsorientierten Systems der Marktwirtschaft über ein eher statisches Konzept zentralistischer Planung und diktatorischer Führung angedeutet.
So konnte sich das wiedervereinte Deutschland mit den "alten" europäischen Achsenmächten auf eine neue europäische Wirtschafts-, Währungs- und Außenhandelspolitik unter dem Dach europäischer supranationaler Institutionen wie dem Europäischen Rat und der Europäischen Zentralbank verständigen. Bereits im Jahre 1957 hatten sechs westeuropäische Staaten die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet. 1968 wurde mit einer Zollunion ein entscheidender Schritt zur weiteren Integration getan. Die Europäische Gemeinschaft (EG), die 1986 bereits zwölf Mitglieder zählte und bis 2011 auf 27 anstieg, entwickelte sich neben den USA, Japan und China zur stärksten Wirtschaftsmacht der Welt. Mit der Europäischen Zentralbank und dem Euro richtete die Europäische Union ein einheitliches gesetzliches Zahlungsmittel ein, das sich als eine Art Leitwährung neben dem amerikanischen Dollar zunehmend Geltung verschaffte.
Phasen unterschiedlicher Wachstums- und Handelsintensität und -dichte
Die Expansion des europäischen Außenwirtschaftsverkehrs im Zeitverlauf verlief nicht linear. In qualitativer und quantitativer Hinsicht waren das 12. und 13. sowie das 16. und die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts Perioden starken kommerziellen Fortschritts, wohingegen das 14. und 15. sowie die zweite Hälfte des 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts eher als Phasen schwächerer oder teils stagnierender Handelskonjunktur anzusehen sind.13
Die Phasen ausgesprochener Expansion gingen gewöhnlich einher mit einem kräftigen Aufschwung des Überlandhandels, hauptsächlich in nord-südlicher Richtung (im Mittelalter über die Champagne sowie in der zweiten Hälfte des 15. und im 16. Jahrhundert via Oberdeutschland), aber auch in ost-westlicher Richtung. Im 12. und 13. Jahrhundert wurde der Transkontinentalhandel in starkem Maße durch den Aufschwung der Schifffahrt im Mittelmeerraum stimuliert, ebenso wie die Wachstumsphase des Transkontinentalhandels im 16. Jahrhundert mit dem Fortschritt in der atlantischen und interkontinentalen Meeresschifffahrt einherging. Im Hochmittelalter erhielt der Handel zudem Impulse aus den fernöstlichen Gebieten durch den Karawanenhandel von Ostasien nach Mittelasien und schließlich Eurasien. Dieser fand in Venedig, nicht zufällig dem Ausgangspunkt von Kaufleuten wie den Brüdern Niccolò (1230–1300) und Maffeo Polo (1252–1309) sowie Niccolòs Sohn Marco Polo (1254–1324)[], seinen südosteuropäischen Dreh- und Angelpunkt.14 Im 16. Jahrhundert führten die Expansionsrouten entlang der süd- und mittelamerikanischen Küste zu den Silberminen von Potosí (heute: Bolivien) und Zacatecas in Mexiko, die dem Atlantikgeschäft und dem europäischen Handel reiche Erträge brachten.
Während der europäische Überlandverkehr im Spätmittelalter gering wuchs oder gar stagnierte, nahm der Handelsverkehr zwischen der Nord- und Ostsee (Hanse) sowie den Nordseehäfen (allen voran Brügge) und denen Nord- und Mittelitaliens deutlich zu. Das Wachstum wurde deutlich von der maritimen Expansion getragen. Wer den Ozean beherrschte, hatte gleichsam die interkontinentale merkantile Hegemonie.15 Ab dem 17. Jahrhundert wuchs der Güterverkehr mit den außereuropäischen Regionen durch das Aufkommen des holländischen und englischen Kolonialhandels. Er konnte jedoch kaum den Rückgang des Überlandhandels in den Schwächeperioden kompensieren. Überhaupt fanden nun Handel und wirtschaftliche Entwicklung zunehmend in den Zentralhäfen und ihrem Umfeld an den Küsten des europäischen Festlands statt.16 In diesem Zusammenhang wird von der "économie du pourtour", also einer Ökonomie der Umrandung, gesprochen, die einen bestimmten Wirtschaftsraum, z.B. den Mittelmeerraum, und dessen Dynamik bezeichnet.17
Auch der maritime Handelsfortschritt in den Überseegebieten war in den beiden europäischen Schwächeperioden nicht gerade spektakulär. Im Gegenteil: Während der großen Depression im 14. und 15. Jahrhundert gingen durch die türkischen und noch mehr durch die mongolischen Eroberungen wichtige Absatzmärkte für den europäischen Handel in und mit der Levante verloren. Während der zweiten Schwächeperiode Ende des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts expandierte der europäische Überseehandel wesentlich erst wieder nach der Ablösung des portugiesisch-spanischen Kolonialimperiums durch das holländisch-englische. Dies war verbunden mit einer gewissen geographischen Verschiebung der Schwerpunkte, aber basierte wesentlich auf einfachen Tausch- und Handelstransaktionen der Garnisonen, Küstenniederlassungen und Plantagenkulturen, die Züge einer Raubwirtschaft trugen. Mit anderen Worten: auch die koloniale Expansion blieb eigentlich eine économie du pourtour.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts erlebten dann sowohl der Transkontinental- als auch der Seehandel einen gehörigen Aufschwung. Der gezielte Ausbau einer europäischen Verkehrs- und Handelsinfrastruktur und der langsame Durchbruch liberaler Ideen traten an die Stelle protektionistisch-merkantilistischer Formen und sorgten dafür, dass es auch in Übersee zu einem neuen ökonomischen Aufbruch kam. Der Anschluss des kolonialen Binnenlandes, durch Großbritannien im Laufe des 18. Jahrhunderts eingeleitet, nahm Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Idee der frontier bedeutende Formen an. Das britische New Colonial System ging langsam über in eine nordamerikanische, Baumwolle produzierende Industrie, die die mechanische Frühindustrialisierung in Europa begleitete und stützte.18
Europäischer Handel in Zeiten der Industrialisierung
Obwohl in Zeiten der klassischen Nationalökonomie mit Adam Smith' (1723–1790)[] Hauptwerk The Wealth of Nations 1776 der Freihandel eine theoretische Begründung erfuhr, stellte eine Reihe von politischen Ereignissen und externen Schocks ihre praktische Durchführung zunächst in Frage. Genannt sei exemplarisch die Kontinentalsperre im Zuge der napoleonischen Expansion, die Handel und Gewerbe jahrelang lähmte.19 Auch die folgende Zeit der Restauration ist eher als ein Rückfall in den Protektionismus zu werten als eine Handelsliberalisierung.20 Allerdings wurde in Frankreich und in den Gebieten unter französischem Einfluss wie dem Königreich Westfalen u.a. mit dem Code civil (1804) und Code de Commerce (1807) eine moderne (Wirtschafts-)Verfassung eingeführt, die sinnvolle Regulierungen und Handelserleichterungen formulierte. Die Einführung des metrischen Systems, die Auflösung der Zünfte und eine fortschrittliche Agrarverfassung bildeten die Eckpunkte der Reform, die allmählich nach der Restauration in die europäischen Länder einfloss. Die frühe Industrialisierung und die Post-Restaurationsphase wurden so begleitet von ordnungspolitischen Maßnahmen wie etwa verschiedenen Formen der Agrarreform ("Bauernbefreiung", "Enclosures" etc.), des Anti-Protektionismus (Zollverein, Gewerbefreiheit, Handelsverträge mit gegenseitiger Meistbegünstigung, Cobden-Vertrag etc.) und der fiskal- bzw. finanzpolitischen Bereinigung (Ordnungen und Standards in Maß, Münze und Gewicht, Währungs- und Bankreformen usw.). Diese verbesserten die terms of trade der betreffenden Länder nachhaltig,21 so dass die Nationalstaatsbildung auf relativ geordneter und gesicherter ökonomischer Grundlage erfolgen konnte. Dabei gab es im vielgestaltigen europäischen Wirtschaftsraum freilich Pioniere (England, Frankreich, Schweiz etc.) und Nachzügler, zu denen Süd- und Osteuropa und wohl auch die meisten deutschen Länder zu zählen sind.22 Letztere konnten aber aus den begangenen Fehlern der Pioniere lernen und deren innovative Technologien adaptieren, so dass beispielsweise Deutschland im späten 19. Jahrhundert schnell aufholte und bis zum Ersten Weltkrieg in einigen Segmenten des Weltmarkts die Führung übernahm (Chemie, Optik, Stahlindustrie, Maschinenbau, Elektroindustrie etc.23 Die komparative Produktivitätsforschung gibt jedenfalls eine Vielzahl von Anhaltspunkten für die Unterschiedlichkeit des Strukturwandels in den europäischen Staaten.24
Die europäische Industrialisierung führte zu einer schnell steigenden Nachfrage nach agrarischen und gewerblichen Rohstoffen sowie anderen Gütern und erforderte eine schnellere, billigere und effizientere Ausstattung mit Verkehrs- und Kommunikationsmitteln. Sowohl der innereuropäische als auch der europäische Handel mit dem Rest der Welt wurden wesentlich befördert durch eine dezidiert liberale Handelspolitik, die allerdings nach 1914 mehr und mehr in Frage gestellt und schließlich in der Zwischenkriegszeit vorübergehend ganz aufgegeben wurde. Dennoch sorgten technische Innovationen, der Luftverkehr und das Aufkommen neuer Kommunikationsmöglichkeiten (Telex, elektronische Kommunikation etc.) für eine immer intensivere Integration Europas und der Welt, wenngleich in den an der Peripherie Europas liegenden Staaten die industrielle Entwicklung auf sich warten ließ. Es kam daher beispielsweise auf dem Balkan zu Tendenzen der Deindustrialisierung.25
Mit dem Ersten Weltkrieg verschoben sich die Achsen des Welthandels. Das internationale Währungssystem zerbrach, und Länder wie Russland, Deutschland und Frankreich hoben 1914 die Goldeinlösung ihrer Banknoten auf. Da die folgenreichsten Kriegsereignisse auf europäischem Territorium stattfanden, schädigten sie dort die Produktionsstruktur und dezimierten das Wirtschaftswachstum erheblich. Teure Umrüstungen der Fabriken von der Friedens- auf die Kriegswirtschaft, Seeblockaden, Risikoprämien, die zunehmende Inflation sowie die kriegsbedingt allgemein stark steigenden Transaktionskosten schadeten dem europäischen Kontinent, sodass die globale Gemengelage sich bis 1918 zugunsten Amerikas veränderte. Europas Anteil am Welt-Sozialprodukt war rückläufig.
Die Zwischenkriegszeit war wie keine andere Epoche geprägt durch Krisen. In vielen, auch europäischen Ländern zerfielen Währungs- und Finanzordnungen. Vor allem Deutschland wurde in der Weimarer Republik von einer Serie von Krisen und politischen Rückschlägen erfasst, etwa der Ermordung von Politikern wie Matthias Erzberger (1875–1921) und Walther Rathenau (1867–1922)[], der Hyperinflation 1923 sowie der Weltwirtschaftskrise 1929, die weite Teile Europas in eine massive Deflation mit extrem hoher Arbeitslosigkeit stürzte. Auch Frankreich und Großbritannien sowie Süd- und Osteuropa wurden von der erlahmenden Weltkonjunktur erfasst bzw. erlebten Schwächungen durch innere Revolten. Der Protektionismus erblühte in der Zwischenkriegszeit, so dass die Weltwirtschaft eine Art "Deeuropäisierung" erfuhr. Die überseeischen Industriestaaten, allen voran die USA, Kanada und Japan, vergrößerten ihren Anteil am Weltmarkt, wohingegen der Anteil der großen Drei in Europa (Frankreich, Großbritannien, Deutschland) am Weltexport sank.
Mit der Dominanz des Protektionismus und staatlicher Interventionen ging ein gewisser Zerfall der Weltwirtschaft in mehr oder weniger isolierte Systeme oder Präferenzzonen einher. Das Deutsche Reich stärkte durch den Zugriff auf die Energie- und Rohstoffressourcen vor allem Ost- und Südosteuropas seine Industrien, vernachlässigte aber seine Konsumgüterindustrie. Insgesamt stand die Zwischenkriegszeit in Europa im Zeichen einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Desintegration, so dass das "europäische Haus" nach dem Zweiten Weltkrieg von den Fundamenten her wieder aufgebaut werden musste. Dazu gehörten die Abschöpfung der Geldmenge, die Ordnung der Währung und die Schaffung der Anschlussfähigkeit der europäischen Länder an den Weltmarkt. Der Marshallplan (European Recovery Program) half, dieses Ziel weitgehend zu erreichen und ein bemerkenswertes exportgeleitetes Wirtschaftswachstum einzuleiten. Dazu wurde mit der OEEC (Organization for European Economic Cooperation) eine leistungsfähige institutionelle Basis geschaffen. Mit dem Schuman-Plan und Verständigungsbemühungen auf allen Ebenen bildete sich aus Deutschland, Frankreich, den Benelux-Staaten und Italien eine relativ stabile Grundlage einer europäischen Integration. Die behutsame industrielle Lenkungspolitik der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ("Montanunion")26 mündete schließlich 1957 in die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), bevor sich im Jahr darauf in Straßburg das Europäische Parlament mit Robert Schuman (1886–1963)[] als seinem ersten Präsidenten konstituierte. Mit den der EWG zugrunde liegenden Römischen Verträgen (25. März 1957) war ein erster großer Schritt auf dem Weg zur europäischen politischen und wirtschaftlichen Integration getan. Damit erhielt nicht nur die "innere" Integration einen entscheidenden Impuls, sondern auch die Außenbeziehungen einen vorläufigen Rahmen.
Mit einem Anteil von 20 % an den weltweiten Ein- und Ausfuhren ist die Europäische Union im 21. Jahrhundert die größte Handelsmacht der Welt.27 Es folgen die USA, China und Japan. Im Jahr 2010 wurden weltweit Waren im Wert von 15.238 Milliarden US-Dollar exportiert (2009 = 12.522 Milliarden Dollar). Der Anstieg gegenüber 2009 betrug ca. 21,7 %. Die Haupt-Exportländer waren die Volksrepublik China, die USA, Deutschland, Japan und die Niederlande. Diese fünf Staaten repräsentierten zusammen einen Anteil von 35,9 % an den weltweiten Warenausfuhren. China führte 2010 das zweite Mal die Liste der stärksten Exporteure der Welt an, gefolgt von den USA und der Bundesrepublik Deutschland.28
Europa und die afrikanische Welt
Die Entdeckung und Eroberung Afrikas, Amerikas und Ostindiens im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit hatte nachhaltige Rückwirkungen auf die betroffenen Räume und Regionen. Im Laufe des 15. Jahrhunderts war es dem am Schnittpunkt der beiden atlantischen Zonen zentral gelegenen Portugal gelungen, entlang der afrikanischen Westküste bzw. im Gebiet des afrikanischen Atlantik Stützpunkte zu erobern, die jedoch zwischen 1475 und 1480 beträchtliche Einbrüche erfuhren.29 Die Portugiesen bauten in den 1440er Jahren ihren Handel mit afrikanischen Sklaven im Küstengebiet des Rio de Oro aus, inzwischen ohne asiatische oder afrikanische Zwischenhändler. Die gut befestigten Niederlassungen etwa auf der westafrikanischen Insel Arguim und in der heute zu Ghana gehörenden Stadt Elmina waren nicht nur Zentren des Sklavenhandels, sondern dienten auch als Handelsbasis für Gold, Malagetpfeffer, Elfenbein und weitere Handelsprodukte.
Zunächst waren es italienische Seeleute und Kapitäne, die in portugiesischen Diensten stehend die atlantische Inselwelt vor Nordafrika bereisten.30 1312 entdeckte Lanzarotto Malocello (ca. 1270–1336), der aus der Gegend um Genua stammte, die Kanarischen Inseln; Lanzarote wurde nach ihm benannt. Im beginnenden 15. Jahrhundert sicherten sich die Portugiesen weitere Städte und Inseln, z.B. Ceuta 1415, Madeira 1418, die Azoren 1427 und Kap Bojador auf dem afrikanischen Festland, später kamen weitere Stützpunkte entlang der afrikanischen Westküste von Nord nach Süd hinzu: 1441 Cabo Branco (Kap Blanc), 1444 Kap Verde und 1446 der Eingang zum Gambia-Fluss. 1456 nahm der Italiener Alvise Cadamosto (1432–1488) in Diensten Heinrichs des Seefahrers (1394–1460) für Portugal die Kapverden ein.31 1460 folgte Sierra Leone, zwei Jahre darauf wurde das Fort São Jorge da Mina errichtet. Dort begannen die Portugiesen einen umfangreichen Tauschhandel mit afrikanischem Gold gegen rot und blau gefärbtes Tuch, Kopftücher, Korallen aus Europa, Messing-Armreifen aus Deutschland und portugiesischen Weißwein, wobei gelbe und rote Muscheln von den Kanaren ebenso wie im Sklavenhandel als Geld fungierten.32
In der Frühen Neuzeit wurde Afrika zum bevorzugten Operationsgebiet der privilegierten Handelsgesellschaften. England, Frankreich, die Niederlande, die Schweiz und einige andere europäische Länder lieferten Manufakturwaren aus Glas, Metall, Textilstoffen sowie Waffen und Alkohol nach Afrika und tauschten dagegen Sklaven, Proviant, Gold etc. Häufig war dieser europäisch-afrikanische Handel nur eine Zwischenstufe im sogenannten Dreiecksgeschäft Europa-Afrika-Amerika. Diese Form war vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts vorherrschend, als mit dem allmählich sich durchsetzenden Verbot des Sklavenhandels das Afrikageschäft einen anderen Schwerpunkt bekam. Die meisten afrikanischen Staaten wurden von den meist europäischen Kolonialmächten abhängig, da diese sie zu Rohstofflieferanten degradierten und fast ausnahmslos rigoros ausbeuteten. Ähnlich wie in Südamerika entstanden auch in Afrika Monokulturen, deren Entwicklung vollkommen auf die Witterungsbedingungen und den Erntezyklus angewiesen war. Wassermangel und Hungersnöte, niedrige Pro-Kopf-Einkommen und geringe Alphabetisierung sind bis heute die Begleiterscheinungen der afrikanischen "Moderne". In vielen afrikanischen Staaten besteht die wirtschaftliche Dominanz westlicher Staaten weiterhin, die man in der Literatur unter dem Stichwort Neokolonialismus findet. Die anhaltende Nachfrage nach Rohstoffen am Weltmarkt könnte das Wachstum und die Außenhandelsbilanz der ressourcenreichen Staaten Afrikas deutlich verbessern, sofern die diesbezüglichen Exportüberschüsse in den einzelnen Ländern investiv und konsumtiv eingesetzt werden. Insgesamt existieren große Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen zwischen den einzelnen afrikanischen Ländern. Die ökonomische Realität Afrikas ist zu komplex, dass sie sich etwa mit den Dependencia-Theorien oder dem Weltsystem-Ansatz hinreichend erklären ließe.33
Europa, der Orient und Asien
Wenn man einmal vom klassischen Altertum absieht, erhielt der räumliche Ausgriff nach Asien von europäischer Seite in der Zeit der Kreuzzüge, also vom Ende des 11. bis ins 13. Jahrhundert hinein, neue Impulse. Entlang der von den Kreuzfahrern eingeschlagenen Routen nach Südosteuropa und über den Balkan weiter bis in die Levante entstand eine bemerkenswerte Infrastruktur, denn einige Hunderttausend Kreuzritter und Jerusalem-Gläubige benötigten Ausrüstung und Lebensmittel. Viele dieser Versorgungsstationen wurden später von italienischen und anderen europäischen Kaufleuten für den Hin- und Rücktransport nach Vorderasien und von der Levante zurück genutzt. In diesem Zusammenhang erwies sich die Lage Venedigs als besonders günstig, das zum "Muster" für die Handels-Netzwerke der späteren Kolonialmächte Portugal, Niederlande und England34 und zum Dreh- und Angelpunkt des asiatisch-europäischen Waren- und Informationsaustauschs wurde.35 Insbesondere nach der Eroberung Konstantinopels im Rahmen des vierten Kreuzzugs (1199–1204) erlebte die Blüte der Lagunenstadt ihren vorläufigen Höhepunkt. Es kam nicht von ungefähr, dass es venezianische Kaufleute wie Niccolò und Maffeo sowie Marco Polo waren, die nicht nur den Warenaustausch mit dem chinesischen Reich mitbegründeten, sondern auch diplomatische Beziehungen zum Hof von Kublai Khan (1215–1295) herstellten. Sie nutzten dabei bereits bestehende Wege wie die Seidenstraße, eine der wichtigsten Achsen des mittelalterlichen "Welthandels", deren Bedeutung gegen Ende des 13. und im 14. Jahrhundert zunahm. Nicht nur die materielle Kultur Europas, sondern auch das Asien-Bild der Europäer erhielt so eine neue Prägung. Marco Polo geriet 1298 in der Schlacht von Curzola in genuesische Gefangenschaft und schilderte im Gefängnis dem Schriftsteller Rusticiano da Pisa seine Reise. Über dessen Schrifttum sickerte manches Detail über Polos chinesische Erfahrungen in das europäische China-Mosaik ein. Neben der Familie Polo brachen auch andere Zeitgenossen, so etwa im Mai 1253 der Flame Wilhelm von Rubruk (ca. 1210–1270), nach Zentralasien auf. Häufig waren das Kirchenleute wie der Franziskaner Johannes von Montecorvino (1247–1328), der Indien besuchte und über Spezereien wie Pfeffer und Zimt sowie über die Ernährungsgewohnheiten der Inder berichtete. Odorico da Pordenone (ca. 1286–1331) aus Udine, ebenfalls ein Franziskanermönch, gelangte 1314/1315 über Ceylon, Java, Singapur und Südchina nach Peking und berichtete über Gewöhnliches und Absonderliches. Über 110 Handschriften sind von ihm erhalten, und die Rezeption ist bedeutend.36
Waren die Polos noch überwiegend per Landweg nach Asien gelangt, so mehrten sich nach der ersten Umsegelung des Kaps der Guten Hoffnung durch den Portugiesen Bartolomeu Diaz (ca. 1450–1500) im Jahre 1488 die Asien-Reisen per Schiff. Die Errichtung des portugiesischen Indienimperiums verstetigte und befestigte die europäisch-asiatischen Beziehungen. Teilweise geschah dies unter Teilnahme italienischer Kapitäne und oberdeutschen Kapitals.37 Im Rahmen der Doppelexpansion erhielt Lissabon eine neue Zentralität und wurde zu einem wichtigen Schaltzentrum des Welthandels. Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Übersee-Expeditionen bedeutender Entdecker nun ihren Ausgangspunkt in der portugiesischen Metropole nahmen.
Im Rahmen der ersten Asienexpeditionen mit und nach der Auffindung des Seeweges um das Kap der Guten Hoffnung in den Indischen Ozean wird stark das Bemühen süd-, mittel- und westeuropäischer Kaufleute und Konsortien sichtbar, ihre Interessen mittels Agenten wahrzunehmen. So schalten sich etwa Nürnberger und Augsburger Großkaufleute sowie Niederländer in die ersten Indienfahrten ein. Die Portugiesen begannen, im Wege der Punktkolonisation an strategisch wichtigen Orten Häfen und Städte zu befestigen und quasi uneinnehmbar zu konstruieren. Beispiele an der indischen Westküste sind die Städte Calicut und Goa. Die frühneuzeitliche Entwicklung stand im Zeichen der privilegierten Handelskompanien der Niederländer und Engländer, aber auch kleinerer Staaten wie etwa Dänemark.38
Vom 17. Jahrhundert an wurden im Handel Europas mit der außereuropäischen Welt die Niederlande tonangebend, insbesondere was das Asiengeschäft anbelangt. Im 18. Jahrhundert dominierte Großbritannien die asiatischen Märkte, allerdings mit dem Schwerpunkt Indien an Stelle von Indonesien und Südostasien. Die englische East India Company von 1600 und die niederländische Ostindienkompanie von 1602 waren im Indischen Ozean und teilweise im Südchinesischen Meer marktbeherrschend. Ihre Macht reichte weit über das Handelsgeschäft hinaus und trug dazu bei, dass Holland mit seinem Zentrum Amsterdam ein "Goldenes Zeitalter" erlebte.39
Im 18. und 19. Jahrhundert gelangten Teile Asiens zunehmend in den Sog der europäischen Industrialisierung. Vor allem Indien erlangte im Machtbereich des Commonwealth Bedeutung als Lieferant von Rohstoffen (allen voran Baumwolle) und Nahrungs- bzw. Genussmitteln (vor allem Tee). Die Phase der Industrialisierung und des aufstrebenden Bürgertums in Europa ist ohne diese Zulieferungen und die Intensivierung des Austauschs mit dem asiatischen Orient kaum vorstellbar. Der Eisenbahnbau, eine europäische Innovation, wurde im 19. Jahrhundert mit nachhaltigen Wirkungen für die Territorialisierung von Wirtschaft und Gewerbe in der Türkei, Indien, Japan und China eingeführt und schuf die Grundlage für weiteren Handelsaustausch. Durch die von Siemens gebaute Telegrafenlinie zwischen Kalkutta und London, die 1870 eröffnet wurde, erhielt der Handels- und Informationsaustausch zwischen Europa und Asien wesentliche Impulse. In allen Regionen Asiens verblieben Teilregionen oder Städte zum Teil bis zur Jahrtausendwende in europäischem Besitz, so etwa das 1997 von den Briten freigegebene Hongkong.
Amerika, der Pazifik und Asien
Definiert man Interdependenz als regelmäßigen, geplanten, systematischen, nachhaltigen und wechselseitigen Austausch von Informationen und Waren, so wird man den Anfang der amerikanisch-asiatischen Beziehungen im Jahre 1519 verorten können, als die Manila-Flotten regelmäßig von Acapulco (Mexiko) nach Indonesien zu segeln begannen, genauer in die Hafenstadt und das Handelszentrum Manila auf den Philippinen. Sie brachten Edelmetalle, insbesondere Silber, von Mittelamerika nach Asien und hatten bei der Rückfahrt in der Regel Gewürze, Seiden, Porzellan und Edelsteine geladen. Auch Perlen von den Venezuela vorgelagerten Inseln Cubagua und Margarita gelangten in den Überseehandel. Hier hatten im 16. Jahrhundert oberdeutsche Kaufleute wie Christoph Herwart (1464–1529) ein besonderes Interesse, sich in den Indienhandel einzuschalten.40
Europa trifft Australien im 17. Jahrhundert
Man kann davon ausgehen, dass die Entdeckung der Halbinsel Kap-York durch den Niederländer Willem Jansz (ca. 1570–1630) im Jahre 1606 zu den ersten europäischen Wirtschaftskontakten mit Australien gehörte. Ein Jahrzehnt später erreichte Dirk Hartog (1580–1621) die australische Westküste. Im Lauf des 17. Jahrhunderts wurden dann von Willem de Vlamingh (1640–1698) und William Dampier (1651–1715) andere Teile des australischen Kontinents "entdeckt", so dass eine zunehmend dichte Erschließung und kartographische Bestandsaufnahme Australiens möglich wurde. Im Handel spielte Australien aus europäischer Sicht keine große Rolle, obwohl Großbritannien vor dem Ersten Weltkrieg einen Teil seiner Auslandsinvestitionen in Australien tätigte. Dabei wurden dort vor allem Infrastrukturprojekte (Eisenbahn, Hafenanlagen, öffentliche Einrichtungen etc.) gebaut und finanziert. Im Gegenzug gelangte Wolle und Schaffleisch nach Europa.41
Europa, der Atlantik und Amerika
Die Aufnahme einigermaßen regelmäßiger Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Amerika geht auf das 16. Jahrhundert zurück. Im Falle der ersten Amerika-Kontakte der Wikinger um Erich den Roten (950–ca. 1005) um 1000 n. Chr. kann sicher noch nicht von einem nachhaltigen Austausch gesprochen werden ebenso wenig wie in den zwei oder drei Jahrzehnten nach der Wiederentdeckung Amerikas durch den Genuesen Christoph Kolumbus (1451–1506).42
Der Austausch zwischen Alter und Neuer Welt erlebte stets konjunkturelle Schwankungen und wachstums- und innovationsbedingte Oszillationen, etwa durch das Auffinden, den Abbau und die Beförderungsmodalitäten der Edelmetalle. Dies betraf insbesondere Silber und Gold aus Süd-, Mittel- und später Nordamerika. Die Versorgung der europäischen Staaten mit Münzmetall aus Übersee beeinflusste die Währungsstabilität, Liquidität, geldpolitische Unabhängigkeit und schließlich auch die Rentabilität der neuzeitlichen Kapitalmärkte. Allerdings ist zu bedenken, dass Spanien aufgrund unzureichender Eigenproduktion stets auf Importe aus Asien angewiesen war, sodass ein nicht unerheblicher Teil der Edelmetalle aus Südamerika als Bezahlung via Cádiz und Sevilla in asiatische Länder gebracht wurde. Dementsprechend sollte die in Spanien und Portugal zur Ausmünzung gelangte Menge Edelmetalls nicht überschätzt werden. Ähnlich kritisch ist die potentiell inflationswirksame Geldmenge zu sehen.43
Um die Wende zum 16. Jahrhundert wandten sich die Portugiesen im Rahmen der Doppelexpansion nach Westen und begannen jenseits des Atlantiks mit der Kolonialisierung Brasiliens. Es entstanden direkt an der Küste prächtige Kolonialstädte wie z.B. die erste Hauptstadt Brasiliens, Salvador do Bahia. Der östliche Teil Südamerikas war den Portugiesen im Rahmen des Vertrages von Tordesillas (1494) von Papst Alexander VI. (1492–1503) zugesprochen worden. Um 1500 nahm Pedro Alvarez Cabral (ca. 1468–1520) für Portugal das brasilianische Festland ein, das im Laufe des 16. Jahrhunderts durch Expeditionen wie die von Martim Afonso de Sousa (1500–1564) erschlossen wurde. In dieser Zeit gründeten mehrere Gruppen portugiesischer Jesuiten in Brasilien Städte und erste Zuckerrohrplantagen. Eine solche Zuckermühle wurde 1540 von der Antwerpener Firma Schetz erworben.44 Die Zuckerproduktion in Brasilien wurde dank der Arbeitskraft afrikanischer Sklaven in immer größerem Maßstab betrieben, so dass sich die Grundformen tropischer Agrarproduktion herausbildeten, die später in den Ländern Hispanoamerikas und in der Karibik sowie im Süden Nordamerikas vorherrschend blieben. An der Versorgung Europas mit günstigem Zucker hatte Brasilien in der Frühen Neuzeit einen hohen Anteil, da die Produktivität beim Zuckerrohranbau stark gesteigert und so der Zuckerpreis entsprechend gesenkt werden konnte. Ähnliches galt für Mais, Kakao, Kaffee, Tabak und Baumwolle.
Im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts verdichten sich die transatlantischen Beziehungen, unter anderem aufgrund der Edelmetallvorkommen in Südamerika. Im Rahmen der Entdeckung des amerikanischen Kontinents begegneten sich nicht nur Menschen unterschiedlicher Ethnien, sondern auch die materielle Kultur wurde um ein Vielfaches bereichert, etwa durch in Europa bisher unbekannte Pflanzen, Tiere und Güter. So kannte beispielsweise das europäische Mittelalter keinen Kakao und somit keine Schokolade. Auch heutige Massennahrungsmittel wie der Mais oder die Kartoffel, die ebenso wie Maniok und die Kapuzinerkresse Kohlenhydrate liefern, waren in Europa noch unbekannt. Hinzu kamen zuckerhaltige Pflanzen wie der Zuckerahorn oder eiweißhaltige Leguminosen wie die Bohnen. Andere Pflanzen wie die Erdnuss lieferten Öl und Fett. Neue Gemüsesorten wie Tomate, Gemüsepaprika, Kürbis usw.; Nüsse und Obst von der Avocado und der Ananas bis hin zu Guave und Papaya eroberten die Tafeln der europäischen Zeitgenossen. Europa machte zudem Bekanntschaft mit Rauschmitteln wie den Erzeugnissen von Matebaum und Kokastrauch. Für die Verfeinerung des Speiseplans sorgten Gewürze wie die Vanille, Nelkenpfeffer oder Chili. Tabak wurde ebenfalls erst im Laufe der Frühen Neuzeit in Europa angebaut. Fraglos haben sich mit dem Austausch neuer Lebens- und Genussmittel in der Neuzeit auch entsprechende Verhaltensweisen und selbst die Architektur verändert. In den Villen des 18. und 19. Jahrhunderts waren die Raucherzimmer oder Herrenzimmer geradezu selbstverständlich, in denen Pfeifenständer, Aschenbecher, Zündhölzer und ähnliche Utensilien zu finden waren. Kaffeehäuser wiederum waren nicht selten beliebte Treffpunkte von Künstlern und Literaten und somit vielfrequentierte Orte der Begegnung und der Kommunikation, die die Kultur der europäischen Großstädte wesentlich prägten.
Neuartige Hölzer seltener Kiefernarten oder Mahagoni fanden Eingang in die Wohnzimmer der Wohlhabenden. Quebracho oder diverse Mangrove-Arten lieferten Gerbstoff. Aus Gummibäumen und Batatabäumen wurde Kautschuk gewonnen, während die Wachspalme, die Carnaubapalme und die Jojoba Wachs lieferten. Auch die Vielfalt an verfügbaren Farbstoffen nahm durch die tropischen Pflanzen zu, vom Brasilholz angefangen über das Rot-, Blau- und Gelbholz bis hin zum Indigo, das in Europa den Waid zu ersetzen begann. Aus der Neuen Welt bezog man schließlich eine Menge Insektizide liefernde Pflanzen wie die Barbascowurzel, den Bitterholzbaum, die Cashewnuss; selbst der Tabak wäre hier zu nennen. Heute wird sogar der Kraftstoffgehalt "amerikanischer" Pflanzen genutzt, wie Experimente mit Maniok, Mais und Copaifera-Arten zeigen.45
Umgekehrt bereicherte Europa den amerikanischen Kontinent durch neue Arten von Fauna und Flora ebenso wie durch Erfindungen, Kulturtechniken und Ideen. Hier reicht die Palette vom Pferd, Rind, Esel und Huhn über die Honigbiene bis hin zur Seidenraupe, von neuen Getreidearten wie der Gerste über den Apfel, die Aprikose, die Mandel, diverse Arten des Kohls und Karotten bis hin zu Auberginen, Flachs und Knoblauch. Dazu kamen vielfältige Waffen und Handwerkszeuge sowie institutionelle Neuerungen wie das Römische Recht, das man in vielen Staaten des nördlichen und südlichen Amerika etablierte. Man denke auch an Innovationen wie das Amalgamierungsverfahren zur Extrahierung von Silber und Gold aus Erzen mit Hilfe von Quecksilber oder an den Buchdruck, der den Informations- und Wissenstransfer von der Alten in die Neue Welt beschleunigte und intensivierte.
Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die Begegnung zwischen der materiellen und geistigen Kultur Europas und Amerikas eine enorme gegenseitige Anregung und Bereicherung bedeutete.46 Allerdings ist auch an negative Effekte wie die wechselseitige Übertragung von Krankheiten zu denken. Es kamen bei weitem mehr Indios durch "europäische" Krankheiten zu Tode als durch die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Rahmen der Conquista. Umgekehrt wurden europäische Reisende mit "amerikanischen" Seuchen infiziert, die das europäische Mittelalter noch nicht kannte.
Sowohl die Niederlande als auch England, Frankreich und andere europäische Länder (Dänemark, Schweden, Österreich, Preußen, Schweiz etc.) versuchten sich mittels privilegierter Kompanien in das Asien-, Afrika- und Amerikageschäft einzuschalten. Im 17. und 18. Jahrhundert geschah dies häufig im sogenannten Dreieckshandel, also durch Einschaltung in das Geschäft mit Afrika, Amerika/Karibik und dem übrigen Europa, wobei das Afrikageschäft vor allem als Synonym für den Handel mit Sklaven stand. Diese wurden dort gegen europäische Manufakturwaren eingehandelt und später auf speziellen Sklavenschiffen auf die Latifundien Westindiens und Amerikas gebracht.47 Auf diese Weise sind in der Frühen Neuzeit wohl 10 bis 12 Millionen Afrikaner in die Neue Welt verschleppt worden, aus der die Europäer Kolonialprodukte nach Europa transportierten. Dabei waren im atlantischen Handelsraum wiederum europäische privilegierte Handelskompanien im Einsatz, so etwa die Royal African Company und die Hudson's Bay Company, die Niederländisch-Westindische Compagnie und die entsprechenden französischen Gesellschaften.
Die sich ausbreitenden europäischen Siedlungen in Amerika bedurften einer steigenden Zahl von Arbeitskräften für die Arbeit auf den Plantagen und sonstigen Besitzungen, so dass das Dreiecksgeschäft bis zur Abolitionsbewegung im 19. Jahrhunderts Bestand hatte. Dänemark und Großbritannien schafften 1807 die Sklaverei ab, die USA 1808, Holland und Frankreich 1814. Dabei waren neben der Durchsetzung von Freiheits- und Menschenrechten im Zuge der Revolutionen in Frankreich und Amerika auch wirtschaftliche Interessen ausschlaggebend. Die von den Industriellen Revolutionen bestimmten Wirtschaftssysteme begannen, die alten merkantilistischen Formen zu verdrängen. Mit der polypolistischen Vielfalt der Märkte ging eine Intensivierung der Marktbildung und des Wettbewerbs einher. Es vollzog sich ein wirtschaftlicher Wandel mit neuer institutioneller Prägung, einer liberalisierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und einer vehementen Integration der Weltmärkte. Daraufhin stieg der Anteil des Weltexports am Weltsozialprodukt von ca. 1 % (1825) auf ca. 8 % (1900) und bis 2000 auf ca. 16 %. Die Weltwirtschaftsleistung erhöhte sich somit seit 1820 um den Faktor 44, und der Welthandel hat heute etwa das 600-fache Volumen.
Bis zum Ersten Weltkrieg trug Westeuropa zweifellos das Meiste zum Weltbruttosozialprodukt bei. 1913 lag der Anteil bei 906 Milliarden internationale Dollar (von 1990), das heißt 33,5% des World Gross Domestic Product (GDP). 1950 war er auf 26,3 %, 1998 auf 20,6 % gesunken.48 Dabei nahm der Handel Europas mit den überseeischen Territorien in absoluten Zahlen zwar zu, verlor in relativer Betrachtung aber an Bedeutung, da die Austauschbeziehungen zwischen den Industrieländern weit überproportional zunahmen.