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Das "hölzerne Zeitalter"
Die Bedeutung des Walds für die Entwicklung der europäischen Gesellschaften kann kaum überschätzt werden. Der Nationalökonom Werner Sombart (1863–1941) hat die vorindustrielle Zeit deshalb als "hölzernes Zeitalter" charakterisiert.1 Zu Recht, denn Holz war eine Schlüsselressource der vor- und frühindustriellen Gesellschaften. Es war der wichtigste Brennstofflieferant, ohne den nicht gekocht, kein Brot gebacken und kein Ton gebrannt werden konnte. Man benötigte die Holzkohle, um Eisen zu verhütten und zu schmieden. Ohne die aus den Verbrennungsresten gewonnene Pottasche konnten keine Textilien gewaschen, gebleicht und gefärbt, keine Seife gekocht und kein Glas geschmolzen werden. Für viele Handwerker war Holz als Werkstoff unersetzbar. Gerade die spezialisierten Handwerker waren auf die besonderen Materialeigenschaften bestimmter Hölzer angewiesen, denn nicht jede Holzart eignete sich etwa zum Möbelbau oder als Wagnerholz. Viele Alltagsgegenstände, Werkzeuge und Geräte, die Webstühle und sogar die Mechanik in Mühlenwerken bestanden aus Holz. Als Baumaterial schließlich ist es bis heute in Gebrauch. Nicht nur Fachwerkbauten und viele ländliche Wirtschaftsgebäude bestanden zu großen Teilen aus Holz, in Steinhäusern wurde es ebenfalls verbaut: Deckenbalken, Dielen und Parkettböden, Treppen und Türen, Fensterrahmen und Läden sowie vor allem der Dachstuhl wurden aus Holz gefertigt. Die meisten Verkehrs- und Transportmittel – Schiffe und Boote, Kutschen, Wagen und Karren, selbst Sänften – bestanden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts größtenteils aus Holz. Das Holz begleitete den Menschen sein ganzes Leben von der hölzernen Wiege bis zur Bahre und zum Sarg. Holz war schlichtweg unersetzbar.2
Demgegenüber wurde die landwirtschaftliche Nutzung der Wälder in ihrer tatsächlichen Bedeutung oft unterschätzt, gerade von der an den Forstwissenschaftlichen Fakultäten beheimateten Forstgeschichte, aber auch von vielen Agrarhistorikern. Über Jahrhunderte hinweg nutzten Bauern in ganz Europa die Wälder als landwirtschaftliche Reservefläche, als "bäuerlichen Nährwald"3. Bei der Waldbrandwirtschaft wurde der mit frischer Asche gedüngte Waldboden vorübergehend beackert. In Laub- und Mischwäldern suchten sich Rinder, Pferde, Ziegen und Schafe ihr Futter. Eichen- und Buchenwälder dienten der Schweinemast. Durch Grasschneiden und Blätterrupfen wurde weiteres (Winter-)Futter für das Vieh gewonnen. Die Laubstreu war ein wichtiger Dünger, um die Fruchtbarkeit stark genutzter Äcker zu erhalten. In vielen Regionen waren diese agrarischen Nutzungen für die ländliche Bevölkerung fast wichtiger als die Holzgewinnung.4
Im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen naturräumlichen und klimatischen Voraussetzungen schufen die verschiedenen Nutzungsformen eine variantenreiche Vielzahl unterschiedlicher Kulturlandschaften. Wälder wurden nicht nur durch die Menschen geformt und waren deshalb höchst heterogen in ihrer biologischen Zusammensetzung, sondern besaßen immer auch eine Eigendynamik. Weil Bäume sehr langsam wachsen, benötigen sie oft viele Jahrzehnte, um ihre volle Größe zu erreichen. Ihre Lebenserwartung übersteigt die der Menschen oft um ein Vielfaches. Veränderungen im Wald vollziehen sich deshalb mit einer anderen Geschwindigkeit, als dies etwa in der Landwirtschaft der Fall sein konnte. Während nach einer zerstörten Ernte der Acker im darauf folgenden Jahr bereits wieder Früchte tragen konnte, war dies im Wald anders. Wurde ein Wald etwa im Zuge eines Kriegs zerstört, so dauerte es viele Jahrzehnte, bis wieder ein neuer Wald mit ähnlichen Baumbeständen herangewachsen war. Diese Eigenschaft bestimmte wesentlich den Umgang der Menschen mit den Ressourcen der Wälder. Fast überall war die Nutzung des Walds festgelegten Regeln unterworfen, und es wurden Institutionen geschaffen, die den Wald vor einer übermäßigen Inanspruchnahme durch den Menschen schützen sollten.
Für eine Periodisierung der europäischen Geschichte des Walds ergeben sich hieraus mehrere Probleme: Neben der Verschiedenheit natürlicher Wachstumsbedingungen, der unterschiedlichen politischen, ökonomischen, soziokulturellen Entwicklung europäischer Regionen besteht hinsichtlich des Walds ein zeitbezogenes Problem. Denn grundlegende Veränderungen im Umgang der Menschen mit dem Wald zeigen ihre Auswirkungen häufig erst mit großer Verzögerung. Viele Transformationsprozesse – ob Übernutzungen oder das Eindringen neuer Arten – vollziehen sich über lange Zeiträume hinweg und werden als "schleichende Prozesse" erst spät sichtbar und in den Quellen fassbar. Umbrüche und Zäsuren lassen sich deshalb oft nur im Fall drastischer Waldzerstörungen präzise fassen. Eine Umweltgeschichte, die sich nicht auf die Geschichte fortschreitender und wiederholter Naturzerstörungen beschränken will, wird deshalb auf eine solche in Jahreszahlen zu fassende Periodisierung verzichten müssen. Allenfalls der Beginn längerer, geplanter, oft staatlich initiierter Transformationsprozesse kann mitunter konkret datiert werden, würde dadurch jedoch eine staatlich-politische Sichtweise privilegieren. Es ist zweifelhaft, ob eine solche Periodisierung der Waldgeschichte speziell für die Frühe Neuzeit angemessen wäre.5 Im Folgenden werden deshalb die wichtigsten Entwicklungsprozesse der Wälder in Europa in ihrer politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Dimension kurz skizziert.
Wald und Herrschaft
In politischer Hinsicht lassen sich Wälder als ein Feld der Machtansprüche und der Machtausübung beschreiben, auf das verschiedene Akteure einen unterschiedlich großen Einfluss ausübten. Der wichtigste Entwicklungstrend seit dem 15. Jahrhundert war die kontinuierlich zunehmende Kontrolle des Staates auch über die Wälder von Gemeinden, Genossenschaften und Privatbesitzern. Ältere Institutionen und lokale Regelungssysteme wurden aufgebrochen und durch ein neues System "rationaler" Forstbewirtschaftung ersetzt. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gelang es überall in Europa, eine nach einheitlichen Richtlinien verfahrende und professionelle Forstverwaltung einzurichten und die staatliche Forsthoheit flächendeckend durchzusetzen. Diese Entwicklung des Forstwesens war eng mit dem Prozess der europäischen Staatsbildungen verwoben.6 Zwar gab es schon in Florenz und in Nürnberg forstpolitische Vorläufer, doch erschienen in Mitteleuropa erst im 16. Jahrhundert hunderte von Forstordnungen, die über Entwaldung und Raubbau klagten und so die staatliche Forsthoheit legitimierten.7 In diesen Klagen ging es nicht nur um den Schutz der Wälder, sondern vor allem um die Etablierung herrschaftlicher Kontrolle über die Wälder. Die Regelungsflut erfasste selbst kleinste Herrschaften, die ebenfalls eigene Forstordnungen erließen. Vorreiter einer auf nationaler Ebene geregelten Forstwirtschaft waren Staaten wie Schweden und Frankreich, in denen der Staatsausbau bereits weiter fortgeschritten war als im deutschen Sprachraum, in den übrigen Mittelmeerstaaten, auf dem Balkan oder in Osteuropa. Dort, wo die Staatsgewalt nur eingeschränkt ausgebildet war und nur wenige Forstbedienstete für oft sehr große Waldbezirke zuständig waren, konnten die neuen Regeln jedoch gegenüber den Waldbesitzern und der Landbevölkerung nur unzureichend oder gar nicht durchgesetzt werden. Oft wurden die traditionellen Formen der Waldnutzung fortgeführt; dies belegen gerade auch die oft verhängten Strafen wegen so genannter "Forstfrevel". Die Einkünfte aus diesen Forststrafen waren in vielen Territorien höher als die Einnahmen aus dem Holzverkauf.
Erst mit dem massiven Ausbau der Staatsverwaltungen in der napoleonischen Zeit gewann nicht nur in Frankreich der staatliche Zugriff auf den Wald eine neue Dimension. Dieser Prozess lässt sich von Schweden über Nordwest- und Mitteleuropa bis nach Norditalien beobachten.8 Die stark ansteigende Zahl staatlicher Förster und Waldaufseher ermöglichte eine bessere Organisation des Forstbetriebs und eine strengere Überwachung der Nutzungen. Auslöser dieser Reformen und wesentliches Motiv für den Aufbau von Forstverwaltungen waren in der Regel finanzielle Engpässe, was sich auch in der Tatsache zeigt, dass diese meist dem Finanzministerium untergeordnet waren. Schon im 17. und 18. Jahrhundert hatten viele Herrschaften mit günstig zum Transport an Flüssen gelegenen Wäldern große Einnahmen aus dem Holzfernhandel mit Niederländern und Engländern erzielt, im Baltikum und Skandinavien ebenso wie an den Oberläufen und Zuflüssen des Rheins. Ähnlich wie Domänenbetriebe, staatliche Bergwerke oder später Eisenbahnen und die Post entwickelten sich die Staatsforstverwaltungen zu einer Art staatlichem Unternehmen, das Gewinne für die Staatskasse abwerfen sollte. Auch im 19. und 20. Jahrhundert wurden aus Holzverkäufen große Einnahmen erzielt, was die Entscheidung erleichterte, Forstschulen und Forstwissenschaftliche Fakultäten einzurichten und eine professionelle Ausbildung für alle Förster zu verlangen.9
Ökonomie des Walds
In wirtschaftlicher Hinsicht sind europaweit ähnliche Entwicklungspfade zu beobachten. Die Entwicklung ging von der multifunktionalen Nutzung der Wälder, für den Nießbrauchrechte wichtiger als Eigentumsrechte waren, hin zu staatlich bewirtschafteten Forsten, die sich vor allem auf die Nutzholzproduktion konzentrierten. Beobachten ließ sich auch die Abkehr von einer kollektiven, oft genossenschaftlich organisierten Ressourcennutzung zugunsten einer Kommerzialisierung von Waldprodukten. Diese wurden nicht mehr nur auf lokalen Märkten angeboten, sondern mehr und mehr Güter einer global verflochtenen Wirtschaft. Die räumliche Ordnung veränderte sich: Regionen aus der einstigen Peripherie entwickelten sich zu Zentren weltweiter Netzwerke, während zuvor wichtige, auf Waldreichtum basierende Montangebiete ihre Bedeutung komplett einbüßten. Die Rolle des Walds als Lieferant zentraler Schlüsselressourcen für alle möglichen Produktionszweige ging insgesamt verloren, denn die hölzernen Rohstoffe wurden zunehmend durch fossile Energieträger und neue Stoffe ersetzt.
Den Auftakt für die Kommerzialisierung des Holzes bildeten die großen Schiffsbau- und Flottenrüstungsprogramme Venedigs (13.–16. Jahrhundert), der Niederlande (16. Jahrhundert) und Englands (16. und 17. Jahrhundert). Rund um die Ostsee und die Adria sowie auf den Flusssystemen des Rheins und Pos entwickelte sich ein bedeutender Fernhandel mit Bauholz. Der Flächenstaat Frankreich bevorzugte die Marine bei den Holzschlägen und versorgte so seine Werften mit Schiffsbauholz; hier verlief der Fernhandel innerhalb der Landesgrenzen.10 Im zentraleuropäischen Hinterland waren Eisenwerke, Salinen oder Glashütten die vorindustriellen Großabnehmer. Die frühneuzeitlichen Regulierungen des Holzmarkts zielten auffällig oft darauf, die Versorgung dieser Gewerbe zu sichern und so das Holz gewinnbringend zu veräußern. Wegen der sehr hohen Transportkosten boten Gewerbe, die auf Holzkohle und Pottasche beruhten, oft die einzige Möglichkeit, das Holz in verkehrstechnisch abgelegenen Wäldern in Wert zu setzen.11
Die Kommerzialisierung dehnte sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert immer stärker auf den gesamten Holzmarkt aus, so dass in weiten Teilen Europas auch Brennholz oft nur noch gegen Bezahlung erhältlich war.12 Selbst die kommunalen Waldbesitzer verteilten immer weniger Gabholz an ihre Bürger. Viele Gemeinden finanzierten ihre Investitionen in Schulen, Kirchen, Friedhöfe, Feuerwehren, Brunnen, Waschplätze, Wasserleitungen und Straßenbauten durch die Erlöse öffentlicher Holzversteigerungen. Weil lokal oft Monopole oder Oligopole auf dem Holzmarkt bestanden, sind die steigenden Holzpreise nicht unbedingt auf sinkende Vorräte zurückzuführen, sondern vielfach auf ein verknapptes Angebot bei steigender Nachfrage. Mit dem Ausbau von Forstwegen und Floßbächen sowie dem Eisenbahnbau wurden selbst entlegene Dörfer in diesen kommerzialisierten Holzmarkt einbezogen, die potentiellen preissenkenden Auswirkungen blieben jedoch wegen weiter steigender Nachfrage aus.13 Aufstrebende Industrieländer wie Deutschland oder Belgien konnten schon ab den 1860er Jahren ihren Holzbedarf nicht mehr aus inländischer Produktion decken und waren auf Importe vor allem aus dem Baltikum angewiesen. Auch wenn beispielsweise der fossile Energieträger Kohle für eine spürbare Entlastung des Brennstoffmarkts sorgte und neue Stoffe wie Soda teilweise die Pottasche und der Kunstdünger die Waldstreu ersetzten, so stand dem eine verstärkte Nachfrage an Nutzholz gegenüber. Aus diesem Grund konnten etwa die bereits viel früher auf die Nutzholzproduktion setzenden Staatsforstverwaltungen vieler deutscher Staaten weiterhin beträchtliche wirtschaftliche Erfolge aufweisen.14
Für die Landwirtschaft verlor der Wald seine Funktion als Reservefläche und "Nährwald" schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Denn die Forstverwaltungen taten alles, um die traditionellen Nutzungen zur Futter- und Düngergewinnung zu unterbinden. Erfolgreich waren diese Maßnahmen in der Regel jedoch erst, als parallel zu den forstlichen Regulierungen und Verboten auch Agrarreformen durchgeführt wurden oder stoffliche Alternativen verfügbar waren, die die Abhängigkeit von den Waldressourcen minderten. Diese Entwicklung traf vor allem auf die mitteleuropäischen Regionen zu; in vielen Mittelmeerländern und auch in Osteuropa blieb die Verschränkung von Land- und Forstwirtschaft deutlich länger bestehen. Frankreich nimmt in dieser Hinsicht eine Mittelstellung ein, da hier die staatliche Forstwirtschaft zwar stark ausgebildet war, jedoch die Interessen der Landbevölkerung für die französischen Regierungen des 19. Jahrhunderts ein großes politisches Gewicht hatten.15
Wald und Gesellschaft
Die wichtigsten sozialgeschichtlichen Entwicklungen im Hinblick auf eine Geschichte des Walds waren ein beträchtliches Bevölkerungswachstum seit dem 15. Jahrhundert und damit einhergehende große Migrationsprozesse, die generell zu den wichtigsten Faktoren umwelthistorischer Veränderungen gehören, sowie eine zunehmende soziale Exklusion bei der Waldnutzung und die Etablierung einer Expertenhegemonie über alle den Wald betreffenden Dienstleistungen. Diese Prozesse verstärkten in aller Regel den Druck auf den Wald, nicht nur durch den Anstieg des Brenn- und Nutzholzverbrauchs, sondern auch durch steigende Viehbestände und entsprechenden Futterbedarf. Die meisten Waldnutzungsrechte waren auf einen bestimmten Personenkreis begrenzt, wie etwa die vollberechtigten Gemeindebürger oder Mitglieder einer Genossenschaft. Alle Rechteinhaber und die Waldbesitzer hatten ein gemeinsames Interesse daran, den Kreis der Berechtigten nicht auszudehnen und Zugezogenen die entsprechenden Berechtigungen möglichst zu verweigern. Das zeugt von einem klaren Bewusstsein für die Beschränktheit der natürlichen Ressourcen.
Eine neue Qualität gegenüber dieser traditionellen Abschließung ländlicher Gesellschaften mit begrenzten Ressourcen gewann der von der Forstverwaltung seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert massiv vorangetriebene Prozess des Ausschlusses landwirtschaftlicher Nutzer aus dem Wald. Dieser zog zunächst eine große Welle von Gerichtsprozessen nach sich, in denen Besitzansprüche geklärt, Berechtigungen nachgewiesen oder über die Rechtmäßigkeit von forstwirtschaftlichen Maßnahmen entschieden wurden.16 Dass der Wald ein zentraler Konfliktherd der vorindustriellen Zeit war, zeigte sich nicht zuletzt darin, dass der Prozess der Verschriftlichung und vertraglichen Absicherung der den Wald betreffenden Rechtsbeziehungen bemerkenswert früh einsetzte. Nicht nur im deutschen Bauernkrieg, sondern auch in anderen sozialen und politischen Protestbewegungen der ländlichen Gesellschaft spielte der Wald eine prominente Rolle. Die ländlichen Proteste in Nordwest- und Mitteleuropa klangen erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich ab, während sie auf der iberischen Halbinsel und im Mittelmeerraum noch häufig zu beobachten waren.17
Der Ausschluss agrarischer Waldnutzer konnte diese in ihrer wirtschaftlichen Existenz ernsthaft bedrohen. Überall dort, wo die entsprechenden Ausfälle in der landwirtschaftlichen Produktionskette nicht kompensiert werden konnten oder vor allem den kleineren und mittleren sowie teilselbstständigen Bauern die Gelder zum Erwerb von Surrogaten (Futter, Dünger, Kohle) fehlten, kam es besonders häufig zu Verstößen gegen das Forstrecht und zu einer damit einhergehenden Kriminalisierung ländlicher Unterschichten. Wem die entsprechenden finanziellen Mittel fehlten, dem blieb oft kein anderer Ausweg als die illegale Selbsthilfe.18
Durch Binnenmigration in die Industriestädte und Fernmigration vor allem nach Amerika stieg der Bevölkerungsdruck auf den Wald zumindest ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht weiter an. Zusammen mit den neuen Stoffen entlastete dies den Wald spürbar. Nicht nur die Forstfrevel, sondern auch die gerichtlich ausgetragenen Konflikte und der soziale Protest gingen stark zurück. Das unterstreicht wiederum die These eines relativen Bedeutungsverlusts der Wälder.
Die Kontrolle über den Wald lag seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in den meisten Regionen in den Händen einer spezialisierten Berufsgruppe, den Förstern. Die in den Forstschulen und an forstwissenschaftlichen Fakultäten ausgebildeten Förster bewirtschafteten den Wald nun nach wissenschaftlichen Kriterien. Sie folgten einem speziellen und kontrollierten Verhaltenscode und definierten ihre Tätigkeit als selbstlosen Dienst für die Allgemeinheit, über die Interessen der Gegenwart hinweg.19 Diese Ärzten oder Juristen vergleichbare Professionalisierung half ihnen, sich unangefochten als Experten zu etablieren und den Dienstleistungsmarkt hinsichtlich der Wälder in ganz Europa zu monopolisieren.20
Schließlich betrat seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine weitere, neuartige Gruppe von Waldnutzern die Szenerie, als die Städter den Wald als einen Erholungsraum entdeckten. Touristen, Wanderer und Sportler begannen den Wald nun vor allem an den Wochenenden neu zu bevölkern. Naturfreunde und Wandervereine errichteten Hütten im Wald und legten ein markiertes Netz aus Wanderpfaden an. Der Wald wurde zunehmend beschildert und möbliert: An Aussichtspunkten schützen Geländer unvorsichtige Wanderer vor dem Absturz, Bänke luden zum Ausruhen und Picknicken ein, Schilder wiesen den Weg und informierten über Entfernungen und Sehenswürdigkeiten.
Forst-Kultur
Wenn im Folgenden von der kulturellen Dimension der Wälder die Rede ist, so ist damit hier nicht ihre Repräsentation in den bildenden Künsten, in Musik und Literatur gemeint. Wichtiger erscheint demgegenüber eine historisch-ethnologische Perspektive, die danach fragt, wie die den Wald nutzenden Menschen darüber dachten, mit welchen Bedeutungen sie ihn versahen und wie sie ihr Verhalten erklärten und legitimierten. Die Konflikte um den Wald zeigen, dass immer mehrere konkurrierende Konzepte nebeneinander existierten, wie ein Wald beschaffen sein und genutzt werden sollte.21 Diese kulturelle Dimension lässt sich deshalb vielleicht besser durch verschiedene Pole des Denkens beschreiben als durch klare Entwicklungsstufen. Dazu lassen sich die Gegensatzpaare Stabilität/Gleichgewicht und Wachstum, das Streben nach Gewinn und die Beschränkung auf Notdurft und Auskommen, das individuelle und die gemeinschaftlichen Interessen sowie (plakativ) Nachhaltigkeit und Raubbau einander gegenüberstellen.
Für die bäuerlichen Waldnutzer spielte der Wald eine wichtige Rolle zur Ergänzung ihrer Futter- und Düngerversorgung. Dabei ging es ihnen meist nicht um maximale Erträge aus dieser Nutzung, sondern um ihr "Auskommen", die "Notdurft" des Haushalts. Die Holzhändler und Handelsgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts bildeten demgegenüber die Avantgarde einer zunehmend kapitalistischen Orientierung der Waldwirtschaft. Durch Hofhaltung, Lebensstil und Militärausgaben notorisch unterfinanzierte Herrschaften entdeckten den Wald nicht mehr nur als Ort für die symbolische Inszenierung der Jagd, sondern als Einkommensquelle. Das galt auch für die Städte und Gemeinden, die ebenfalls dazu übergingen, Holz zu vermarkten. Mit der beginnenden Kommerzialisierung des Holzes begann auch ein neues Denken über den Wald zu entstehen. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts befassten sich vor allem Kameralisten mit der Frage, wie man die Holzproduktion der Wälder dauerhaft steigern könnte, ohne die Nachhaltigkeit der Versorgung zu gefährden. Hinter der forstlichen Nachhaltigkeit stand dabei kein ökologisches Prinzip, sondern das ökonomische Ziel nachhaltiger Gewinne. Nun entwickelte und verfeinerte man Techniken, um die Waldentwicklung systematisch zu erfassen, den Wald zu planen und zu bewirtschaften. Seit dem 18. Jahrhundert wurden die Wälder zunehmend vermessen und kartiert, die Waldbestände statistisch erhoben und die weiteren Maßnahmen geplant. Neben der Holzernte wurden auch systematische Durchforstungen sowie Pflanzungen und Saaten durchgeführt. Diese Entwicklung, die besonders in den deutschen Reformstaaten an der Wende zum 19. Jahrhundert begann, erfasste von den deutschen Forsthochschulen ausgehend sehr bald die Nachbarländer, in denen es in den folgenden Jahrzehnten ebenfalls zur Gründung forstlicher Ausbildungszentren kam.22 Nachzügler waren hier die Engländer, die erst auf dem Umweg über Indien und Schottland die so genannte "rationale Forstwirtschaft" einführten.23
Die rationale Forstwirtschaft prägte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts die Gestaltung der Wälder, die im Rahmen der so genannten "Forsteinrichtungsverfahren" systematisch durchgeplant wurden, meist über mehrere Generationen. Die deutsche Besonderheit lag dabei in einer Bevorzugung der Hochwaldwirtschaft, die vor allem große Mengen wertvollen Bau- und Nutzholzes zu liefern versprach. In Frankreich und in zahlreichen Regionen des Mittelmeerraums hielt man hingegen noch lange an der Nieder- und Mittelwaldwirtschaft fest, die die Interessen der Landbevölkerung stärker berücksichtigte. Hier setzten oft politische Rücksichtnahmen und fehlende Durchsetzungsfähigkeit der Forstpolitik Grenzen, denn auch die französischen oder italienischen Förster waren kaum weniger als ihre deutschen Kollegen vom Ideal des Hochwalds fasziniert.24
Die kulturellen Umbrüche in der Forstwirtschaft kamen auch in der Entwicklung einer eigenen forstlichen Fachsprache zum Ausdruck: Die Wälder wurden "eingerichtet", landwirtschaftliche Nutzungen wurden zu "Nebennutzungen" abgewertet, die "Forstwirtschaft" und der "Waldbau" bildeten nun auch in sprachlicher Hinsicht ein Pendant zu "Landwirtschaft" und "Ackerbau". Insgesamt sah man in der Umsetzung der rationalen Forstwirtschaft eine der frühen Landnahme vergleichbare Pionierleistung, die man auch auf die europäischen Kolonien übertragen wollte (z.B. Algerien, Indien, Indonesien, Tanganjika).
Der forstliche Diskurs, wie er sich in den Fachzeitschriften und Forstakademien ausgebildet hatte, bestimmte in ganz Europa die Forstpolitik.25 Professionelle Forstwirte hatten hinsichtlich des Walds eine kulturelle Hegemonie im Sinne des marxistischen Philosophs Antonio Gramsci (1891–1937) errichtet. Demgegenüber waren die von Dichtern, Künstlern und Musikern entworfenen "Waldbilder", in denen der Wald mitunter nur als Projektionsfläche für eigene romantische Ideen oder nationalistische Verklärungen diente, von untergeordneter Bedeutung. Sie waren für die Entstehung von Wanderbewegung oder Naturfreunden sicherlich wichtig, doch einen bestimmenden Einfluss auf die Gestalt der Wälder nahmen sie nicht.
Ökosystem Wald
Die biologische Zusammensetzung der Wälder ist durch die Jahrhunderte lange Interaktion zwischen Menschen und dem Rest der Natur geprägt. Holzschnittartig verkürzt kann man die wichtigsten Veränderungen des Ökosystems Wald in der Umgestaltung von heterogenen Wäldern in homogene Waldbestände sehen, dem Trend einer Entwicklung von Mischwäldern mit hoher Biodiversität hin zu plantagenartigen Monokulturen mit hohem Nadelholzanteil, von extensiver Waldnutzung zu intensivem Waldbau, von Übernutzung und Raubbau hin zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung.
Seit dem Mittelalter waren die Wälder auf vielfältige Weise genutzt worden, und diese Nutzung hatte die Zusammensetzung von Flora und Fauna geprägt. Wo viel Vieh sein Futter suchte, vermehrten sich Baumarten, die viel Licht zum Wachstum benötigten, wie beispielsweise die Eichen. Buchen, die eine dunklere Stellung bevorzugen, wurden hingegen zurückgedrängt. Durch den Viehverbiss entstanden immer wieder größere Blößen und Lichtungen im Wald, an vielen Orten taten sich die Vermesser des 18. Jahrhunderts schwer damit zu entscheiden, ob es sich bei einer Fläche um eine mit lockerem Baumbewuchs bestandene Weide oder einen stark gelichteten Wald handelte. Die Ränder dieser Lichtungen waren viel artenreicher als die dunklen Tannenforste und Douglasienbestände des 19. Jahrhunderts. Wo der Wald zu intensiv genutzt wurde, etwa in Kombination von umfangreichen Holzschlägen mit nachfolgendem Wanderfeldbau und Waldweide, konnten sich die Bestände oft nicht regenerieren. Da Veränderungen im Wald oft erst langfristig sichtbar werden, konnten die Bestände so schleichend geplündert und "devastiert" werden. Vor allem Heidegebiete zeugen in vielen Teilen Europas von einer entsprechenden zerstörerischen Nutzungsgeschichte. Nicht erst zur Zeit der Französischen Revolution, als die Klagen über Raubbau am Wald und seine Zerstörung besonders laut erklangen, bestand auch eine tatsächliche Bedrohung vieler Wälder. Die mit dem "Holznot"-Alarm und dem Schutz der Wälder legitimierte Intervention der Staatsforstverwaltungen war deshalb durchaus ambivalent: Einerseits bestand ein offensichtliches Interesse der Herrschaften an einer zunehmenden Kontrolle der immer wertvoller werdenden Holzressourcen;26 andererseits ist die schleichende Übernutzung vieler Wälder nicht von der Hand zu weisen.27 Was hierbei jeweils überwog, lässt sich nur durch intensive Prüfung im Einzelfall entscheiden; in der Regel lassen sich beide Aspekte beobachten.
Die Auswirkungen der försterlichen Eingriffe waren in ökologischer Hinsicht jedoch nicht immer positiv. Viele einst heterogen aufgebaute und artenreiche Wälder wurden durch Bestände ersetzt, die nur aus ein oder zwei Baumarten gleichen Alters und gleicher Größe bestanden. Die Bestände wurden dichter bestockt und waren insgesamt dunkler, die unerwünschten Pflanzen und Baumarten wurden unterdrückt oder im wörtlichen Sinne "ausgerottet".28 In homogenen Wäldern konnte man die Nachhaltigkeit der Holzproduktion sicher berechnen, Raubbau oder schleichende Übernutzung wäre sofort sichtbar geworden. In den Wäldern, die multifunktional genutzt wurden, aus vielen verschiedenen Baumarten unterschiedlichen Alters und Wuchses bestanden und in unterschiedlicher Dichte bestockt waren, konnte man eine solche schleichende Übernutzung kaum nachweisen oder verhindern. Auch deshalb bekämpften die Förster die agrarischen "Nebennutzungen" und favorisierten den Nadelholzanbau, der viele der traditionellen Nutzungen wie die Weide ausschloss. Insofern leistete die neue Übersichtlichkeit der stufenweise aus altersgleichen Bäumen aufgebauten Wälder einen wesentlichen Beitrag zur forstlichen Nachhaltigkeit. Eine ökologische Nachhaltigkeit war mit dieser Forstwirtschaft hingegen nicht zu erreichen. Doch viele Förster und einige Verwaltungen erkannten bereits im 19. Jahrhundert die Nachteile der neuen Wälder und entwickelten alternative Waldkonzepte wie den "gemischten Wald" (Karl Gayer (1822–1907)) und den "naturnahen Waldbau", die zwar das Kriterium der ökologischen Nachhaltigkeit nicht ganz erfüllen, aber doch deutlich artenreicher und widerstandsfähiger sind als viele Nadelholzkulturen.
Wo noch im 18. Jahrhundert die Unterscheidung zwischen Wald und Weiden schwer zu treffen war und viele Übergangsländereien bestanden, bildete sich in der Folgezeit eine optisch in der Landschaft wahrnehmbare scharfe Grenzlinie zwischen Wald und Feld heraus. Der neue rational geplante und industrialisierte Wald wurde auf seine Funktion zur Holzproduktion reduziert. In weiten Teilen Mitteleuropas war so in einem langen Prozess von ca. 1750 bis 1850 eine neue Kulturlandschaft entstanden.