Einleitung
In der europäischen Geschichte gehört der Fürstenhof zu den am schwersten zu fassenden Institutionen der gesellschaftlichen Elite und der politischen Kultur. Das gemeinhin als Inbegriff der Exklusivität geltende Protokoll beschränkte den Zugang zum Hof in der Regel auf den Hochadel, doch wurden vielfach Ausnahmen für Menschen von geringerem Stand gemacht: wenn es sich etwa um begabte Künstler oder fähige Beamte handelte, oder aber um außergewöhnliche Schönheiten. Höfe bildeten oft den Mittelpunkt eines aufkeimenden Nationalgefühls. Doch während einerseits landestypische Eigenheiten gepflegt und kontrastiert wurden, wirkten Höfe zugleich als paneuropäische Räume, an denen Höflinge, Diplomaten und Reisende unabhängig vom jeweiligen Ort bestimmte gemeinsame Charakteristika ausmachen konnten.
Das Herz jedes fürstlichen Hofes bildete der Begriff der "Dynastie". Doch auch dieser gab mithin Rätsel auf. Traditionellen Definitionen zufolge galt die Dynastie als Sippenverband, der auf eine (im Regelfall männliche) Gründergestalt zurückging und von gemeinsamen Interessen zusammengehalten wurde. Doch im griechischen Wortstamm δυναστεία (dynastéia) liegt ein spezifischer Machtbezug.1 Der Hofadel wiederum identifizierte sich mit einem Verwandtschaftsnetzwerk, das über die Stammlinie im engeren Sinn hinausging – etwa mit Cousins und Cousinen mütterlicherseits – und fühlte sich diesem mitunter enger verbunden als der eigenen Dynastie. Königliche Dynastien konnten einen Staat zusammenhalten oder spalten, manchmal entlang religiös-konfessioneller oder politisch-ideologischer Scheidelinien. Sie konnten auch staatliche Grenzen überschreiten. Häufig kam es vor, dass königliche Bräute in ausländische Dynastien einheiraten; ferner kennt die Geschichte transnationale höfische Adelsdynastien mit zwei oder mehr Zweigen, die jeweils einem eigenen Hof vorstanden. Königs- und Fürstendynastien, wie auch die Dynastien des führenden Hofadels, standen damit für aufkommende 'nationale' Zugehörigkeiten und fungierten zugleich als supranationale Gebilde, deren Verwandtschaftsnetzwerke Höfe und Nationalstaaten verbanden. Beispielhaft hierfür stehen etwa die Habsburger, die im 16. und 17. Jahrhundert in Spanien, Österreich und den Niederlanden präsent waren; die Bourbonen in Frankreich, Spanien und Italien im 18. Jahrhundert; sowie die Sachsen-Coburger in Großbritannien, Belgien, Portugal und Bulgarien im 19. Jahrhundert.
Um diese miteinander verflochtenen Begriffe von Hof und Dynastie, ihre Gemeinsamkeiten und Widersprüche im Zeitraum von 1450 bis 1918, soll es in diesem Beitrag gehen. Freilich existierten Hof und Dynastie schon lange vor 1450 und überdauerten auch das Jahr 1918, doch reichte die große Ära des dynastischen Prinzips im europäischen Maßstab – im Gegensatz zu seinen im Mittelalter vorherrschenden, eher lokalen Ausprägungen – von der Zeit der italienischen Renaissance bis zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Der chronologische Schwerpunkt wird indessen weitgehend auf der Zeit vom 16. bis 18. Jahrhundert liegen, während derer sowohl das dynastische Prinzip als auch die höfische Macht ihren Höhepunkt erreichten. Es war dies die Ära einer prunkvollen Hofkultur, die im Versailles Ludwigs XIV. (1638–1715)[] ihre vollendete Form fand. Doch auch während dieser Zeit konnten sich andere höfische Kulturen behaupten, etwa die eher in sich gekehrten Höfe der Habsburger im Madrid oder Wien des 17. Jahrhunderts, oder die vergleichsweise schlichten höfischen Kulturen im London oder Berlin des 18. Jahrhunderts. Allerdings sollten auch die Höfe sozusagen zweiten Ranges nicht übergangen werden, die – von Kopenhagen bis München, von Nancy bis Parma – den zahlenmäßig größeren Teil der europäischen Höfe ausmachten. Im 19. Jahrhundert avancierten viele europäische Höfe zu Zentren einer Kultur des Zeremoniells, durch die sich die historische Dynastie mit dem neu entstehenden Nationalstaat und den Identitäten und Bestrebungen seiner Bevölkerung verband. Andere Höfe wiederum blieben Horte der Exklusivität, in denen das alte Bündnis zwischen Dynastie und traditionellem Adel am Hof wie in der Regierung weiterhin den Ton angab.2
Um eine möglichst breite Sicht auf die europäischen Fürstenhöfe dieser Zeit zu gewinnen und um einige der Veränderungsprozesse, aus denen solche Unterschiede erwuchsen, nachzuvollziehen, beginnt dieser Überblicksartikel mit einer Definition des Hofes und seiner Schlüsselinstitution, den Hofbeamten oder -chargen. Danach wendet sich der Blick auf das (Selbst-)Bild der Dynastien im Wandel von einem Verbund lebender Verwandter (horizontales Dynastieverständnis) hin zu einer längeren zeitlichen Perspektive, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenbringt (vertikales Dynastieverständnis). Schließlich wird untersucht, wie höfisch-dynastische Praktiken geteilt und übertragen wurden und damit auch die Verhaltensnormen an benachbarten Höfen prägten, vom Zugang zum Fürsten hin zur Frage der Zugehörigkeit zur herrschenden Dynastie. Wieder einmal zeigen sich der erstaunliche Kontrast zwischen sowie die nicht minder erstaunliche Koexistenz von dynastischer Herrschaft auf territorialer wie supra-territorialer Basis. Erstaunlich mag auch der Fortbestand beider bis weit ins 20. Jahrhundert scheinen. Der folgende Überblick widmet sich vorwiegend den größeren, bekannteren – und bedeutenderen – königlichen Höfen Frankreichs, Spaniens und Englands, dem kaiserlichen Hof in Wien sowie den Höfen, auf die diese Kulturen am stärksten ausstrahlten, etwa jenen in Berlin und St. Petersburg.
Was ist der Hof?
Der Hof nach neuzeitlichem Verständnis entstand im Spätmittelalter aus dem erweiterten Haushalt des Fürsten, der seine Bediensteten ebenso einschloss wie seine engsten Freunde und Berater. Wenn wir uns den Hof also zunächst als Ort oder Gebäude vorstellen, konnte der Begriff sich ebenso auf die Menschen beziehen, die den "Hofstaat" bildeten und als solcher den Fürsten auf seinen jährlichen Reisen durch sein Herrschaftsgebiet begleiteten. Zum Hof gehörten damit seit frühester Zeit immer auch einige regierungsamtliche Elemente – Kanzlei, Staatskasse, Militär –, die den Fürsten bei seiner alltäglichen Verwaltungstätigkeit unterstützen sollten. Tatsächlich kreiste um die Unterscheidung zwischen privaten, häuslichen Räumen und öffentlich-politischem Verwaltungswesen eine der ersten historiographischen Debatten in der heute als court studies bezeichneten Disziplin, die sich ab den frühen 1970er-Jahren herausbildete. Dabei ging es um das Ausmaß, in dem ein 'modernes' Berufsbeamtentum im 16. Jahrhundert die adeligen Höflinge als Berater der Monarchen und Regierungsfunktionäre verdrängte. Man ging davon aus, dass die echte Macht bei der Regierung gelegen habe und der Hof bedeutungslos geworden sei. Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass zwar während dieser Zeit durchaus eine Professionalisierung der königlichen Regierungen stattgefunden hat, von einer scharfen Trennung zwischen aus dem Volk rekrutierten Staatsbeamten und Adeligen in der Rolle persönlicher Berater am Hof des Monarchen aber noch keine Rede sein konnte. Tatsächlich waren damals viele Höflinge, die zum persönlichen Gefolge des Monarchen gehörten, zugleich an der Verwaltung des Staates beteiligt, ob als Berater, Diplomaten oder Militärs.3
Die unscharfe Trennlinie zwischen den privaten und öffentlichen Bedürfnissen des Fürsten kann auch andere Unterscheidungen erschweren – so etwa jene zwischen den beiden Bedeutungen des englischen Wortes court, das sowohl einen (königlichen) Hof als auch ein(en) Gericht(shof) bezeichnen kann. Beide Bedeutungen bezogen sich ursprünglich auf ein und denselben Ort, nämlich den, wo der Fürst herrschte und häufig Recht sprach. Mit cors hatten die Römer einen Adelssitz bezeichnet; das Wort ist abgeleitet von co-hortus, einem bäuerlichen Hof oder einer Einfriedung. (lat. Co-hortus konnte allerdings auch ein militärisches Gefolge bezeichnen, daher "Kohorte".) Aus cors wurde in den romanischen Sprachen Europas corte (Spanisch/Italienisch) und cour (Französich), aus dem wiederum das englische court hervorging. Ihrerseits hatten die Römer dem Griechischen das Wort aulé entlehnt, aus dem im Lateinischen aula wurde. Viele höfische Gesellschaften kennen das Adjektiv "aulisch", das sich auf den Hof und besonders auf Ämter und Ränge bezieht. Am bekanntesten ist der Reichshofrat (Consilium Aulicum), dem persönlichen Beratungsgremium des Kaisers im Heiligen Römischen Reich in Unterscheidung zu den Reichstagen, zu denen sich die Reichsfürsten versammelten.4 Auch das in verschiedenen slawischen Sprachen vorkommende Wort dvor bezeichnete zunächst einen (Innen-)Hof oder ein Gutshaus.
Diese unterschiedlichen Wörter für "Hof" verweisen auf ein wesentliches Merkmal der höfischen Kultur, nämlich auf die Vorstellung, dass der Zugang zu höfischen Räumen über eine 'Schwelle' führt. Wer berechtigt war, die Schwelle zu überschreiten und in die Nähe des herrschenden Fürsten zu gelangen, durfte sich zur Elite einer jeden höfischen Gesellschaft rechnen.5 Während ihrer langen Geschichte waren Fürstenhöfe stets von einer räumlichen Trennung bestimmt, insbesondere einer Trennung zwischen öffentlichen und privaten Räumen. Das einfachste Muster der Herrscherresidenz im mittelalterlichen Europa unterschied den öffentlichen 'Saal' von der privaten 'Kammer'. Der Zugang zu den Privatgemächern war maßgeblich für den Status eines Höflings, und aus dieser Unterscheidung entstand im ausgehenden Mittelalter, um 1450 herum, eines der Kennzeichen des frühneuzeitlichen Hofsystems, die Enfilade.6 Königspaläste wurden nun mit langen Zimmerfluchten gebaut, die durchschreiten musste, wer Zugang zum Monarchen erhalten wollte. Die Mehrzahl der Menschen sah allenfalls die ersten dieser Räume, deren Reihe in der Regel mit einem Wachzimmer begann, das mit eindeutigen Symbolen militärischer Macht verziert war. Von dort ging es in ein Vorzimmer, in dem ein Minister des Königs entschied, ob die jeweilige Nachricht oder das jeweilige Anliegen die Aufmerksamkeit des Souveräns verdiente. Dann erst kam der Audienz- oder Thronsaal, wo der Fürst öffentlich seinen Untertanen begegnete. Dahinter begann eine Reihe eher privater Räume, die nur aufgrund hohen Ranges oder Amtes oder der persönlichen Gunst des Monarchen zugänglich waren. Ein Raum war dem Geheimen Rat vorbehalten (Ratsstube), ein anderer den persönlichen Freunden des Monarchen (ein Kabinett, in dem etwa Kartenspiele stattfanden), ein weiterer seinem intimeren Leben (die Schlafkammer). In späteren Entwicklungsstadien wurde die Schlafkammer weiter aufgeteilt: in ein eigentliches Schlafzimmer und in einen Prunkraum, in dem der Monarch allnächtlich von hochrangigen Höflingen feierlich zu Bett gebracht wurde.7 Auf diese privaten Gemächer folgten in der Regel noch privatere Räume, in denen der Monarch beispielsweise eine Mätresse empfing, betete oder meditierte (ein Andachtsraum oder eine Privatkapelle), oder sich in einer Bibliothek oder in einem Kuriositätenkabinett (studiolo oder Kunstkammer) seinen Studien widmete. Viele Großadelige übernahmen diese Anordnung für ihre eigenen Landgüter, so etwa die Herzöge von Devonshire für Chatsworth in England oder die Fürsten von Eggenberg für ihr gleichnamiges Schloss in Österreich.
Den Räumen der Enfilade, von den öffentlichen bis hin zu den privaten, standen unterschiedliche Hofchargen vor. Deren Bezeichnungen unterschieden sich von Hof zu Hof, von Staat zu Staat, und mit ihnen auch oft die genauen Zuständigkeiten, doch im Allgemeinen folgten die meisten Höfe einer ähnlichen Struktur.8 Zunächst wurde zwischen Innen- und Außenräumen unterschieden, dann kam eine Dreiteilung zwischen dem Vorsteher der Hofhaltung (manchmal auch Truchsess genannt), dem Kammerherrn und dem Stallmeister. Etwas außerhalb dieser Struktur lag der aus verschiedenen Elite-Wachregimentern bestehende militärische Haushalt, dessen Angehörige teils innerhalb, teils außerhalb der Residenz positioniert waren.9
Im Palast selbst kümmerte sich um die eher öffentlichen Aspekte des alltäglichen Lebens des Monarchen der oberste Vorsteher der Hofhaltung, in England und Schottland Lord Steward, in Spanien Mayordomo mayor und an deutschen Höfen Obersthofmarschall genannt. Der Vorsteher der Hofhaltung war zuständig für Mahlzeiten und Unterhaltung des Fürsten sowie für die Pflege des Gebäudes. Er war damit der Vorgesetzte untergeordneter Hofchargen, etwa dem Küchen- oder dem Zeremonienmeister. An manchen Höfen gab es einen speziell für die Aufsicht über die Tafel zuständigen Truchsess (zuweilen auch anschaulich bouche, Mund, genannt), so etwa in Burgund unter dem Haus Valois und bei dessen Nachfolgern, den spanischen Habsburgern. Um den Wein kümmerte sich der Mundschenk oder Grand Sommelier; ebenfalls für das leibliche Wohl – speziell für das Brot (frz. pain) und dessen Aufbewahrung (engl. pantry) – zuständig war der Pantler oder Brotmeister. Die eher privaten Bereiche des Hofes oblagen der Zuständigkeit des Hofmarschalls, Oberkammerherrn oder Oberstkämmerers (engl. Lord Chamberlain. ital. Camerlengo; span. Camarera), dessen Erkennungszeichen – die gekreuzten Schlüssel – seine Autorität sinnfällig machten: Wer sich von den öffentlichen in die privaten Räume des Hofes begeben wollte, brauchte dafür in der Regel die Erlaubnis des Kammerherrn.10 Zum Zuständigkeitsbereich des Kammerherrn gehörten untergeordnete Beamte wie der Garderobenmeister (engl. Master of the Wardrobe), der sich um die Kleidung des Fürsten kümmerte, und andere, die sich um die täglichen Bedürfnisse des Monarchen kümmerten, wie der englische Premier Gentleman of the Chamber oder der französische Premier Valet (oberster Kammerdiener). Ins Ressort des Kammerherrn fielen in der Regel auch die königlichen Leibärzte und ein Schatzbeamter wie der englische Keeper of the Privy Purse. Dieser geht auf die der Frühzeit des Königtums zurück, als der persönliche Reichtum des Fürsten in einer verschlossenen Truhe in seinem Schlafgemach aufbewahrt wurde, dem sichersten Raum der Residenz. In der Regel gab es weibliche Pendants zu diesen Chargen: die Superintendentin des Haushalts der Königin oder die Première Dame d'honneur, die in Frankreich den Haushalt des Gemahls leitete; die First Lady of the Bedchamber in England; die Camarera Mayor in Spanien. Der gesonderte Raum, den eine Königin-Gattin einnahm, konnte sich oft zu einem politischen Raum eigener Art entwickeln, der als fremdartig und potentiell gefährlich angesehen wurde.11
Wenn der Monarch sich jenseits der königlichen Residenz begab, so kümmerten sich um ihn der Oberstallmeister, der Großjägermeister und verschiedene Militäroffiziere (z. B. der Groß-Konnetabel oder der Großadmiral). In Frankreich wurde der Oberstallmeister als Grand Écuyer bezeichnet; er begleitete den König stets außerhalb der Palastmauern, sorgte für dessen Jagdpferde oder Schlachtrosse sowie für Kutschen für längere Reisen. Zu feierlichen Anlässen – etwa der Krönung, die er mitorganisierte – trug er das Staatsschwert.12 In England kam es zur Trennung dieses Amtes von dem des Earl Marshal, wobei beide sowohl an der Aufsicht über den Marstall als auch an der Planung von Staatsakten (z. B. Begräbnissen) beteiligt waren.13 In Spanien entsprach dem Oberstallmeister der Titel des Caballerizo Mayor. Die meisten Höfe verfügten zudem über einen Zeremonienmeister, zu dessen Aufgaben die Durchführung öffentlicher Anlässe wie Prozessionen oder diplomatischer Empfänge, sowie über einen Vorsitzenden der Hofgeistlichkeit, einen Großalmosenier oder Oberkaplan. Betrachtet man die Geschichte des höfischen Lebens, so fällt auf, wie bestimmte Aspekte der Hofkultur zwischen den Zuständigkeitsbereichen der verschiedenen Hofämter aufgeteilt waren oder sich überschnitten. So kam es beispielsweise oft vor, dass Musiker aufgeteilt wurden in die Instrumente für den Innenbereich (etwa die Geigen), die dem Kammerherrn unterstellt waren, solchen für 'draußen', die dem Oberstallmeister unterstanden, sowie jenen, die speziell der Hofkirche oder -kapelle zugeordnet waren.14 Andere mächtige Personen waren die Inhaber der 'Großämter' von Krone und Staat, die schon im früheren Mittelalter die Residenz verlassen und sich professionalisiert hatten. Hierbei handelte es sich, mit anderen Worten, zunehmend um Verwaltungsbeamte mit (oft juristischer oder theologischer) Ausbildung statt um Angehörige des Großadels. Hierzu gehö
Dem Adel der jeweiligen Königreiche und Fürstentümer verhalfen diese Ämter zu ehrenhaften Stellungen im Dienst des Landesherrn. Als solche waren sie hoch begehrt, sodass der Adel an den Hof drängte, um Sohn oder Tochter als Page, Leibdiener, Stallmeister oder Kammerzofe unterzubringen. Wer dabei positiv auffiel, durfte auf eine erfolgreiche Karriere in Militär oder diplomatischem Korps hoffen, oder auf eine Ehe, die sowohl die eigene Stellung als auch die der Familie in der adeligen Gesellschaft festigen konnte. Besonders erfolgreiche Höflinge beiderlei Geschlechts konnten in Stellungen von beträchtlicher Macht aufsteigen, etwa die eines Oberkammerherrn oder einer Première dame d'honneur. Die Besetzung dieser Ämter stand dem Monarchen zu, doch einige von ihnen nahmen spätestens zum Ende des 17. Jahrhunderts hin einen erblichen Charakter an. In Frankreich hatte das Haus Lothringen von 1643 bis zum Untergang des Ancien Régime das Amt des Oberstallmeisters in der Hand, während die Familie La Tour d'Auvergne für einen Großteil der fraglichen Zeit das Amt des Oberkammerherrn versah.15 In England entstammte der Lord Chancellor seit dem 12. Jahrhundert der Familie de Vere, den Grafen von Oxford. Als deren direkte Linie 1626 ausstarb, wurde das Amt vollends erblich und ging auf den nächsten Verwandten über, Baron Willoughby de Eresby. Als dessen Linie 1779 endete, hatte sich die Verbindung von Amt und Abstammung derart verfestigt, dass die beiden Erben Willoughbys und deren jeweilige Nachkommen das Amt abwechselnd ausübten. Ähnliches lässt sich in Spanien beobachten, wo das Amt des Konnetabels von Kastilien von 1473 bis zu dessen Abschaffung 1713 von den Herzögen von Frias aus dem Haus Fernández de Velasco ausgeübt wurde. Praktisch bedeutete dies für viele der großen Monarchien Europas, dass Hofämter, deren Zweck ursprünglich im Dienst an der Dynastie bestanden hatte, nicht selten deren Geschicke beherrschten. Die Vorstellung eines 'goldenen Käfigs', in dem der Hochadel im ausgehenden 18. Jahrhundert zu Versailles gesessen habe, war damit auf den Kopf gestellt: In Wirklichkeit konnte ein König wie Ludwig XVI. (1754–1793) nichts ohne die Zustimmung seiner höchsten Hofchargen tun.16 Inzwischen hatten Monarchen oft Entscheidungsspielraum in Gelddingen eingebüßt – besonders in Großbritannien, wo ab 1760 König Georg III. (1738–1820)[] sein erbliches Einkommen aus dem Krongut (Crown Estate) dem Parlament überließ, das sich im Gegenzug verpflichtete, für den Großteil der Kosten der Zivilregierung aufzukommen und den Mitgliedern des Königshauses eine jährliche Unterhaltszahlung zu gewähren.17 Doch selbst mit einem solchen Kompromiss war die Öffentlichkeit immer weniger geneigt, den ausschweifenden Lebensstil einer zunehmenden Anzahl königlicher Personen zu finanzieren, die alle Anspruch auf Zugehörigkeit zur Dynastie anmeldeten. Von den bekanntesten Monarchen des 18. Jahrhunderts hatte Philipp V. von Spanien (1683–1746) zehn, Maria Theresia von Österreich (1717–1780)[] sechzehn Kinder. Von den fünfzehn Kinders Georgs III. erreichten bis auf zwei alle das Erwachsenenalter und benötigten die Mittel für ihre jeweiligen Haushaltungen, für Mitgiften und andere Unkosten.18 Maria Theresia veranschaulichte das Problem, indem sie ab den 1750er-Jahren darauf bestand, dass ihre Kinder am Hof alle als "Königliche Hoheit" anzusprechen und entsprechend zu behandeln seien.19 Angesichts einer solchen Anzahl königlicher Prinzessinnen und Prinzen am Hof tat eine Neudefinition der des Begriffs der königlichen Dynastie allmählich Not.
Was ist die Dynastie?
Im Mittelalter nahmen Monarchen und ihr führender Hofadel bisweilen große Kosten auf sich, um aufwendig illustrierte Stammtafeln erstellen zu lassen. Diese folgten in der Regel dem Schema eines sich aus einer einzigen Wurzel verästelnden Baumes, wofür die von der Kirche in Auftrag gegebenen Genealogien, die von Jesse und dem Haus Davids zu Jesus von Nazareth führten, das Vorbild abgaben. Solche visuellen Darstellungen der Stammlinie verfolgten den Zweck der dynastischen Identitätsstiftung und der Legitimierung der Herrschaft einer Familie sowie deren Abgrenzung von benachbarten Familien. Sämtliche Nachkommen eines einzigen Gründers galten somit als 'Dynastie' oder 'Haus'. Dieser Gründer war häufig ein Heiliger. In Frankreich feierte die Dynastie ihre Abstammung von Ludwig dem Heiligen (Ludwig IX., 1214–1270)[] – sie bezeichnete sich nicht mit den heutigen Begriffen 'Kapetinger' oder 'Valois', sondern als 'Söhne Ludwigs des Heiligen'.20 Andere Dynastien verfuhren auf ähnliche Weise: Als heilige Stammväter galten in Böhmen der heilige Wenzel (907–935), in Russland der heilige Alexander Newski (1220–1263), in Norwegen der heilige Olaf (995–1030) usw. Hier tat sich ein Unterschied auf zu einer früheren, stärker textbasierten (oder auch mündlichen) Kultur, in der königliche Familien sich in der Regel über lebende Angehörige definierten, über horizontale Verbindungen durch Blutsverwandtschaft. Beispielsweise verstand der fränkische Herrscher Karl der Große (747–814) unter 'Familie' auch die Sippschaft anderer germanischer Stämme, mit denen er durch Heirat verbunden war.21 Doch damit sollte in späteren Zeiten Schluss sein; nun galt Dynastie als eher vertikaler Verband, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart verknüpften.22
Diese Veränderungen im Verständnis der Zugehörigkeit zur Herrscherfamilie gingen einher mit der Entwicklung dynastischer Erbfolgeregelungen. In manchen Königreichen entwickelten sich Systeme, die eine weibliche Erbfolge zuließen und damit die Annahme einer fremden Stammlinie durch das Herrscherhaus. Anderswo wurde gerade dies ausdrücklich verhindert, so etwa in Frankreich mit der altfraenkischer Sitte entsprechenden Lex Salica. Diesem Prinzip folgte auch die Mehrzahl der germanischen Staaten. Zu einem berühmten Anwendungsfall kam es 1837, als Königin Victoria von Großbritannien (1819–1901) von der Thronfolge ihrer hannoverischen Stammlande ausgeschlossen wurde.23
Ein Großteil dieser Veränderungen verfestigte sich um das Jahr 1500, als königliche Dynastien mit der Nutzung neuer Drucktechnologien begannen, um ihre dynastische Identität propagandistisch zu kommunizieren. Nicht selten schufen sie dabei historische Erzählungen, in denen ihre gegenwärtige Macht mit einer ruhmreichen (wenn auch mitunter vollständig erfundenen) Vergangenheit verknüpft wurde – etwa mit der Abkunft von einem der Söhne Noahs oder den biblischen Trojanern, um nur zwei Beispiele zu nennen.24 Mit großer Begeisterung betrieb dies Kaiser Maximilian (1459–1519). Er, dessen tatsächliche Macht beschränkt war, 'lieh' sich den Ruhm der ältesten Dynastie der Christenheit, um sich etwas von ihrer Macht anzueignen. Auch andere höfische Familien begannen nun, ähnliche 'genalogische Geschichten' zu publizieren, wiederum in der Absicht, ihre Macht und ihren Rang am Hof zu legitimieren. Mehr noch als Verdienst oder gar die persönliche Gunst des Fürsten galt nun 'Ancienneté' als Berechtigung für den Zugang zum Machthaber.25
In den 1570er- und 1580er-Jahren fanden sich königliche Dynastien in ganz Europa von zunehmend mächtigen adeligen Höflingen herausgefordert. Als Reaktion darauf entstanden Bestimmungen zur Beschränkung adeliger Macht sowie, besonders im Hinblick auf höfische Räume, zur Regelung des Zugangs zum Monarchen, wobei bestimmten Höflingen Vorrang vor anderen gewährt wurde. Der Sinn dieser Regularien lag nicht zuletzt in der genaueren Definition der Zugehörigkeit zur königlichen Familie. In Frankreich galten nur die Nachkommen Ludwigs des Heiligen in der männlichen Linie als 'Prinzen von Geblüt' und kamen damit in den Genuss bestimmter Privilegien, einschließlich des Zugangs zum König.26 Andere Monarchien folgten diesem Vorbild. Doch diese Regularien kamen immer wieder in Konflikt mit den Granden und deren wachsendem Ehrgeiz. Mitte des 17. Jahrhunderts entwickelten Monarchen und ihre Diplomaten deshalb ein System der Anrede, aus dem klar hervorgehen sollte, wer vollwertiger Angehöriger eines großen Herrscherhauses war ('königliche Hoheit') oder stattdessen einer Macht zweiten Ranges ('Durchlaucht') oder des hohen Adels ('Hochgeboren'). Als nützlich erwies sich dieses System vor allem im diplomatischen Verkehr, denn die Frage, welche Dynastien in der Arena internationaler Beziehungen eine Rolle spielten, gewann zunehmend an Bedeutung. So erklärte sich in den 1630er-Jahren das Haus Savoyen zum vollwertigen Königshaus und wurde auch (allmählich) entsprechend behandelt. Das Haus Lothringen tat es ihm in den 1690er-Jahren gleich, wurde jedoch weitgehend ignoriert und ging mit seinem Territorium nach und nach im großen Nachbarn Frankreich auf.27 Bis Mitte des 18. Jahrhunderts hatte sich die Rangfolge weitgehend verfestigt und wurde, um Diplomaten vor etwaigen Fehltritten zu bewahren, in entsprechenden Handbüchern festgeschrieben.28 Eine Erschütterung erfuhren sie durch die Napoleonischen Kriege und mussten 1815 durch die Gremien des Wiener Kongresses[] neu ausgehandelt werden.
Nach dieser Phase der Umwälzungen und Erschütterungen standen die königlichen Familien des 19. Jahrhunderts unter Druck, ihr Verständnis von Dynastie abermals zu überdenken. Die Monarchie galt nun als Repräsentantin von Volk und Nation, nicht als 'Eigentümerin' des Staates.29 Königin Victoria musste sich zum Beispiel nicht nur mit der Frage auseinandersetzen, wie sie mit ihrer eigenen großen Kinderschar verfahren, sondern auch wie sie mit ihren Vettern in anderen Zweigen des Hauses Hannover umgehen sollte. Offiziellen Erklärungen von 1864 und 1898 zufolge blieb der Titel 'königliche Hoheit' (His/Her Royal Highness, HRH) fortan den Kindern und Enkeln des Monarchen vorbehalten, indessen die entfernteren Verwandten sich mit dem Titel einer bloßen 'Hoheit' (His/Her Highness, HH) begnügen mussten.30 Andere Königshäuser folgten diesem Vorbild. In den 1880er-Jahren hatte das russische Zarenhaus der Romanow mehr als 20 männliche Angehörige, die für den Titel einer 'kaiserlichen Hoheit' in Frage kamen. Darauf reagierte Zar Alexander III. (1845–1894), indem er diesen Titel sowie den eines 'Großfürsten von Russland' – wie zuvor Victoria – auf die Kinder und die Enkel in männlicher Linie beschränkte.31 Auch die in Österreich-Ungarn herrschenden Habsburger hatten sich erstaunlich vermehrt. Gegen Ende der Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph (1830–1916) lebten 30 männliche Nachkommen, die Anspruch auf den Titel 'kaiserliche und königliche Hoheit, Erzherzog von Österreich, Prinz von Ungarn' hatten.32 Die Dynastien Romanow und Habsburg waren jedoch einer in Großbritannien unbekannten Beschränkung unterworfen, nämlich Hausgesetzen, die für die Erbfolge eine ebenbürtige Eheschließung verlangten. Infolge in den 1820er- und 1830er-Jahren erlassener Gesetze mussten Angehörige dieser Königshäuser sich mit Angehörigen von Königshäusern gleichen Ranges verheiraten; wer jeweils in Frage kam, ging aus penibel geführten Listen hervor.33
Diese Regelungen bieten ein anschauliches Beispiel für die Übertragung bestimmter Praktiken zwischen Dynastien. Welche länder- und familienübergreifenden Praktiken gab es noch, und wie gut lassen sich solche kulturellen Austauschbeziehungen nachverfolgen?
Die Übertragung höfischer und dynastischer Praktiken auf benachbarte Höfe
Eine Form kulturellen Austauschs, über die in jüngster Zeit eingehend geforscht worden ist, ist jener Austausch, der durch die Verheiratung von Bräuten von einem Hof zum anderen stattfand. Deutliche Beispiele solch höfischen Kulturtransfers bieten die Patronage-Netzwerke der Königin Bona Sforza (1494–1557), mit der die Renaissance in Polen-Litauen Einzug hielt, oder die in Frankreich geborene Königin Henrietta Maria (1609–1669), die von den 1620er- bis in die 1640er-Jahre den Hof der Stuarts mitprägte.34 Unter der gesellschaftlich-kulturellen Führung solcher Gemahlinnen begann die höfische Kultur in der frühen Neuzeit in puncto Etikette, Unterhaltung und Ritual ein einheitlicheres Gesicht zu entwickeln.
Zu den höfischen Ritualen, die gleichsam im Paket weitergegeben wurden, gehörte das System, das die Funktionsweise des fürstlichen Haushalts im Alltag regulierte: Wer hatte Zugang zum Souverän und zu den Privatgemächern, wie hatten sich Adelige in Gegenwart des Fürsten zu verhalten usw. In der Geschichtswissenschaft spricht man mitunter vom 'burgundischen Hofzeremoniell'. Dieses entstand im späten 14. Jahrhundert am Hof der Herzöge von Burgund – nicht zuletzt, um die körperliche Unversehrtheit des Fürsten zu schützen. Von Burgund aus verbreitete es sich über ganz Europa und entwickelte sich zu einem hochraffinierten System, das regelte, wer am Hof dem Fürsten wie nahe kommen durfte, wer stehen musste und wer sitzen durfte, wer wann sprechen durfte und weitere solche Fragen, in denen es um die Ehren und Vorrechte der Menschen am Fürstenhof ging.35 Ein frühes Beispiel für den Kulturtransfer mittels eines Hofzeremoniells bietet Margareta von York (1446–1503), die 1468 den Herzog von Burgund (1433–1477) heiratete. Ihr Einfluss spiegelt sich in der Entwicklung von Ritual und Zeremoniell am Hof ihres Bruders, König Edward IV. von England (1442–1483).36 Zu den Eigenheiten des burgundischen Hofzeremoniells gehörte eine zunehmende Entfernung zwischen dem Fürsten und seinen Höflingen, im Gegensatz zur traditionellen Offenheit der mittelalterlichen Höfe, wie sie besonders in Frankreich ausgeprägt war. Zu beobachten ist dies anhand des spanischen Hofes, dessen Könige zugleich Herzöge von Burgund waren. Kaiser Karl V. (Karl I. von Spanien) (1500–1588) brachte den neuen 'burgundischen Haushalt' nach Spanien mit, während seine Brüder ihn an den Höfen von Wien und Prag einführten.37 Ironischerweise kehrte dieses Protokoll erst im 17. Jahrhundert nach Frankreich 'zurück': Mit zwei in Spanien geborenen Königinnen setzte sich ein stärker 'burgundisch' geprägtes Hofzeremoniell durch, besonders in Gestalt der Enfilade und des beschränkten Zugangs zum König, das im 'Modell Versailles' unter Ludwig XIV. gipfelte.38 Am englischen Hof wurde dieses Modell wiederum durch Henrietta Maria begünstigt sowie später durch den Umstand, dass ihr Sohn Karl II. (1630–1685) einen beträchtlichen Teil seines Exils in den 1650er-Jahren am französischen Hof verbracht hatte.39 Bis Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich eine europaweite französischsprachige höfische Kultur entwickelt, in der sich Diplomaten von Lissabon bis St. Petersburg auf vertrautem Boden wähnen durften.40
Ein weiteres sinnfälliges Beispiel für solchen Transfer bietet die Übernahme des spanischen Throns durch die Bourbonen in der Person König Philipps V.41 Die 'Bourbonisierung' des ehemals habsburgischen Hofes bedeutete vor allem die Zentralisierung des Regierungsapparats, umfasste jedoch auch Elemente des französischen Zeremoniells – darunter das tägliche öffentliche Tafeln – sowie Regelungen zur dynastischen Erbfolge. Dazu gehörte die Betonung der Lex Salica, durch die künftige spanische Infantinnen von der Thronfolge ausgeschlossen werden sollten, auch wenn oder gerade weil die Bourbonen ihrerseits nur so auf den Thron gekommen waren. Ähnliches planten die österreichischen Habsburger 1713, wenn auch mit entgegengesetzter Stoßrichtung, nämlich der Ermöglichung einer weiblichen Thronfolge. Auch andere europäische Höfe regelten die Thronfolge fortan strenger. In Großbritannien etwa konnten auch weibliche Nachkommen den Thron besteigen, sie mussten jedoch protestantischer Konfession sein. 1797 kam es unter Zar Paul von Russland (1754–1801) zu einem Bruch mit der Romanow'schen Familientradition, indem er – womöglich aus später Rache an seiner Mutter Katherina II. (1729–1796)[] – Frauen ganz von der Thronfolge ausschloss.42 Verboten waren fortan auch nicht ebenbürtige Ehen, womit eine eher germanische Norm angenommen wurde. Ähnlich war schon das Haus Hannover in Großbritannien mit dem Royal Marriages Act 1772 verfahren, das allerdings weniger detaillierte Regelungen enthielt und dem Monarchen noch einigen Ermessensspielraum ließ.43
Schlussbetrachtung
In der Zeit von 1450 bis 1818 erlebte die höfisch-dynastische Kultur gewaltige Veränderungen. Diese begannen mit einem sich wandelnden Verständnis von Dynastie als solcher, weg von einem losen Sippenverband hin zu einem enger umrissenen, auf Einigkeit ausgerichteten Herrscherhaus. Die Fürstenhöfe selbst erfuhren durch das Ritual eine Verwandlung von eher auf praktische Bedürfnisse ausgerichteten Wohnstätten hin zu zeremoniell bestimmten Räumen. Beispielsweise im Burgund des 15. und im Frankreich des 18. Jahrhunderts entstanden prägende Muster, die in ganz Europa nachgeahmt wurden. Das Leben sowohl der Fürsten selbst als auch ihrer Höflinge wurde zunehmend durch Praktiken reguliert, die als 'Protokoll' oder 'Etikette' kodifiziert wurden. Gegenstand ständiger Aushandlungsprozesse war auch das Verhältnis zwischen dem Monarchen und seinem Hofstaat. Die führenden Adelsgeschlechter behaupteten ihren Rang nicht zuletzt als Inhaber der höchsten Hofämter. Die Fürstenhäuser wiederum suchten ihren Status durch Titel wie 'königliche Hoheit' zu betonen und zu sichern. Vom 15. bis zum 19. Jahrhundert entwickelte sich so über Europa hinweg eine transnationale Hofkultur, gefestigt durch Eheschließungen zwischen königlichen Dynastien und dem oft königlichen Frauen zu verdankenden Kulturtransfer.
Im 19. Jahrhundert, unter dem Eindruck der Französischen Revolution und ihrer Verwerfungen, setzte sich an vielen Höfen ein schlichterer Stil durch. Eine Vorbildfunktion erfüllte hierbei Berlin (bzw. Potsdam) im 18. Jahrhundert. Dort nahm eine eher aufgeklärt-rationale Vorstellung eines Hofes ihren Ausgang, in der der Fürst nicht mehr als autokratischer Herrscher, sondern als 'erster Diener des Staates' figurierte. Auch war diese Art der Hofhaltung deutlich günstiger.44 Europäische Monarchien galten nun als Repräsentanten des Volkswillens, und das Volk hinterfragte zunehmend die Notwendigkeit des prunkvollen Hofzeremoniells und der großen Anzahl adeliger Höflinge. Die Hofstaaten des 19. Jahrhunderts wurden in Umfang und Funktion bescheidener, beispielsweise in Großbritannien, während sich etwa in Russland große höfische Kulturen behaupteten. Diese wurden mehrheitlich durch die Revolutionen im Gefolge des Ersten Weltkriegs hinweggefegt, auch wenn sich in manchen Ländern Elemente des Hofzeremoniells und der Verehrung königlicher Dynastien gehalten haben.