Einleitung
Greift man zu wichtigen Nachschlagewerken und sucht man darin Informationen über Religions- oder Glaubensflüchtlinge, gewinnt man den Eindruck, dass es im Europa der Frühen Neuzeit immer nur Protestanten waren, die aus katholisch beherrschten Regionen flohen, oder Dissidenten, die anglikanisch oder protestantisch dominierte Länder verließen. So kennt der Artikel Flucht/Flüchtlingsfürsorge der Theologischen Realenzyklopädie von 1983 für die Frühe Neuzeit, das 16. bis 18. Jahrhundert, nur protestantische oder dissidentische Religionsflüchtlinge, Emigranten, Exulanten, Réfugiés oder Migranten – Täufer, österreichische protestantische Adelige in deutschen Reichsstädten, niederländische Reformierte und niederländische reformierte Fremdengemeinden in Wesel am Niederrhein, Emden in Ostfriesland, Köln oder Frankfurt am Main,1 niederländische Remonstratenten oder Arminianer, Sozinianer oder Antitrinitarier aus Polen, französische Hugenotten, Salzburger Lutheraner oder ostpreußische Mennoniten.2 Nur im Zusammenhang mit der Französischen Revolution spricht der Artikel von "einer großen Zahl von Geistlichen, die das Deportationsdekret vom 26.8.1792 zur Emigration zwang".3 Sofern dem Leser bewusst ist, dass es sich dabei nur um katholische Geistliche gehandelt haben kann, kommt damit – aber nur an dieser Stelle – eine Form katholischer Konfessionsmigration in den Blick. Im Übrigen kennt der Artikel keine katholische Konfessionsmigranten. Dass es auch im 19. Jahrhundert konfessionell motivierte Migration von Katholiken gegeben haben könnte, wird gar nicht deutlich. Auch der Artikel Auswanderung der Theologischen Realenzyklopädie, in dessen Mittelpunkt die "Auswanderung aus Glaubensgründen"4 steht, geht vor allem auf den evangelischen Adel Österreichs, die englischen Pilgrim Fathers von 1621, die Hugenotten nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 und die lutherischen Bergbauern des Erzstifts Salzburg ein, aber auch auf die aus der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts kommende Auswanderung württembergischer Spätpietisten ins Wolgagebiet 1836 oder auf die neulutherische Auswanderung nach Nordamerika und Australien im 19. Jahrhundert. Nur einmal ist auch von Katholiken die Rede, wenn es heißt: "König William III. von Oranien brachte 1689 das Toleranzgesetz (Act of Toleration) im Parlament zur Anerkenntnis, während der bis dahin maßgebende Earl of Clarendon (John Hyde) im Clarendon Code das alte Ideal der allumfassenden Kirche (comprehension) durchzusetzen bemüht gewesen war. Dadurch gehörten dort mehr Verfolgungen der Andersdenkenden – zuerst der römischen Katholiken, später der Dissenters – und die entsprechenden Glaubensflüchtlinge zum kirchengeschichtlichen Bild als in den übrigen nichtkatholischen Ländern".5
Auch wenn man diesen Befund dem Charakter der zwar überkonfessionellen, aber doch stärker der protestantischen als der katholischen Forschungstradition verbundenen Theologischen Realenzyklopädie zuschreiben möchte, so scheint es katholische Religionsflüchtlinge oder eine aus dem katholischen Glauben motivierte Konfessionsmigration doch nur marginal gegeben zu haben, zumal das eher katholisch geprägte Lexikon für Theologie und Kirche in seiner dritten Auflage aus den Jahren 1993 bis 2001 nicht einmal die Lemmata Glaubensflüchtlinge, Konfessionsflüchtlinge oder Religionsflüchtlinge hat. So geht der Artikel Flüchtlinge nur auf theologisch-ethische, sozialethische und pastorale Aspekte ein und blendet die historischen Aspekte völlig aus,6 während sich der sehr kurze Artikel Migration auf Definitionsfragen und auf wenige Worte über die kirchlich-soziale Arbeit mit Migranten beschränkt,7 so dass das Wenige, was der Artikel Auswanderung über die "römischen Katholiken" in England sagt, schon viel ist.
Tatsächlich gab es – mehr oder weniger erzwungene – katholische Religionsemigration und – mehr oder weniger freiwillige – katholische Konfessionsmigration. Ausgangspunkt waren in der Frühen Neuzeit vor allem die britischen Inseln, wobei englische katholische Religionsmigranten von schottischen und irischen und unter den irischen katholischen Religionsmigranten die gälischen und die anglo-irischen zu unterscheiden sind. Aus dem späteren 17. und aus dem 18. Jahrhundert sind das Exil der Jansenisten und aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die erzwungene Migration von Jesuiten im Zusammenhang mit der Aufhebung des Jesuitenordens zwischen 1761 und 1773 zu nennen, bevor mit der Französischen Revolution die große Zahl eidverweigernder Priester und Nonnen in der Emigration hinzukam. Auch das 19. Jahrhundert sah als Folge der Kulturkämpfe katholische Konfessionsmigranten.
Die englische katholische Konfessionsmigration
Die Trennung der Kirche Englands von Rom, hinter der zunächst keine dogmatischen oder liturgischen Fragen standen, sondern die Scheidung der Ehe König Heinrichs VIII. (1491–1547) aus dem Hause Tudor, wurde durch das Londoner Parlament mit dem Act of Appeals von 1533 vollzogen, bevor sich der König mit dem Act of Supremacy 1534 zum Oberhaupt seiner Kirche machte. Das trug zur Verbreitung antiklerikaler Strömungen bei, die den Boden für die Aufnahme reformatorischer Einflüsse vom Kontinent her vorbereiteten, die zum Book of Common Prayer von 1549 und danach zum Common Prayer Book von 1552 führten. Nach dem Tod Edwards VI. (1537–1553) und der katholischen Restauration unter Mary Tudor (1516–1558) entstand unter Elisabeth I. (1533–1603) die anglikanische Kirche. Dazu dienten das Settlement und der Act of Uniformity von 1559 sowie die 39 Articles of Religion aus demselben Jahr.8
Schon zu Beginn der Religionspolitik Heinrichs VIII. gab es einzelne katholische Religionsmigranten aus England, vor allem den Humanisten und Theologen Reginald Pole (1500–1558)[], der sich 1529/1530 in Paris um ein positives Gutachten der Sorbonne in der Ehesache Heinrichs VIII. bemühte, aber die ihm vom König angebotenen Bistümer York und Winchester ausschlug und 1532 nach Italien ging, wo er 1536 Kardinal wurde. Während der katholischen Restauration kehrte er nach England zurück, wurde 1555 Erzbischof von Canterbury und starb am selben Tag wie Mary Tudor – am 17. November 1558 – im Lambeth Palace.9
Das elisabethanische England sah, zumal in ländlichen Gebieten und in den von der Hauptstadt London weiter entfernten Regionen, das Überleben des Katholizismus,10 zugleich aber das Ende der katholischen Hierarchie und des öffentlichen Wirkens des katholischen Klerus. Katholische Bischöfe und Prälaten wie Thomas Watson (1513–1584),11 der letzte katholische Bischof von Lincoln, kamen in Haft. Watson war schon unter Edward VI. im Londoner Tower inhaftiert, kam mit der Thronbesteigung Mary Tudors frei und wurde, 1557 zum Bischof geweiht, unter Elisabeth I. 1559 erneut in den Tower geworfen, aber 1560 wieder entlassen. Sein Bistum wurde 1560 mit dem Anglikaner Nicolas Bullingham besetzt. Mit der Exkommunikation Elisabeths I. durch die Bulle Regnans in excelsis Papst Pius' V. (1504–1572) vom 25. Februar 1570 verschärfte sich die Lage. Bischof Watson musste zurück in den Tower, von wo aus er in die Haft in Wisbech Castle in Cambridgeshire gelangte, einem Sammelgefängnis für katholische Geistliche, in dem insgesamt 33 Priester festgehalten wurden, darunter der Abt von Westminster, John Feckenham (ca. 1515–1585),12 und nach 1598 der Jesuitenpater Christopher Holywood (1562–1626).13 Bischof Watson starb, wie auch Abt Feckenham, in der Haft in Wisbech Castle. Besser erging es Nicholas Hearth (ca. 1501–1578),14 der unter Mary Tudor 1555 Erzbischof von York geworden war und, nach kurzer Haft im Tower, zurückgezogen auf seiner eigenen Besitzung in Cobham (Surrey) leben konnte.
Andere Bischöfe flohen auf den Kontinent, wurden also Konfessions- oder Religionsmigranten, die ihre Heimat aus Glaubensgründen verließen. Das gilt etwa für Thomas Goldwell (ca. 1500–1585), von 1554 bis 1559 Bischof von St. Asaph in Wales, der sich seit 1561 in Rom aufhielt und später unter anderem Generalvikar des Mailänder Erzbischofs und Kardinals Carlo Borromeo (1538–1584) wurde.15 Er war der einzige katholische Bischof Englands, der am Konzil von Trient – an der dritten Sitzungsperiode 1562/1563 – teilnahm.16 16 unter Mary Tudor ernannte englische katholische Bischöfe, die 1559 den von Elisabeth I. wieder eingeführten Suprematseid von 1535 verweigerten, wurden eingekerkert.17
Nach der Thronbesteigung Elisabeths I. verließen englische Katholiken und insbesondere Priester und Ordensleute England und gingen vor allem auf die andere Seite des Kanals in die mit dem Spanien Philipps II. (1527–1598) verbundenen Niederlande, wo Löwen mit seiner 1425/1426 gegründeten Universität und der seit 1432 bestehenden Theologischen Fakultät, die im 16. Jahrhundert, wie die Universitäten von Paris und Köln, ein Bollwerk gegen den Protestantismus bildete, Anziehungskraft auf englische katholische Theologen ausübte.18 Hier fanden sich Männer wie William Allen (1532–1594),19 der – zuerst in Löwen, dann in Mecheln zum Priester geweiht, 1589 Kardinal und 1591 Präfekt der Bibliotheca Vaticana wurde – England 1561 verließ und in Rom starb, Thomas Stapleton (1535–1598), der 1563 auf den Kontinent ging, 1565 in Antwerpen seine Übersetzung des Geschichtswerkes des Beda Venerabilis (ca. 672/673–735) erscheinen ließ,20 1571 in Douai den theologischen Doktorgrad erwarb und als Professor der Theologie in Löwen starb,21 Thomas Harding (1516–1572), der sein Leben in Löwen beschloss, oder Nicholas Sanders (1530–1581),22 der 1559 nach Rom ging, 1572 Theologieprofessor in Löwen wurde und als päpstlicher Gesandter in Irland starb.
William Allen gründete 1568 im heute französischen, bis zum Frieden von Aachen von 1668 aber zu den Niederlanden gehörenden Douai an der dort seit 1562 bestehenden Universität ein English College – oder Seminar – , das dem Studium der Theologie und der Ausbildung englischer Priester mit dem Ziel ihres späteren Einsatzes als katholische Missionare in England dienen sollte und 1578 ins französische Reims verlegt wurde, nachdem sich Wilhelm von Oranien (1533–1584) im März 1578 der Stadt Douai bemächtigt hatte;23 1593 kehrte das English College von Reims nach Douai zurück.24 1578 und 1589 folgten English Colleges in Rom25 und in Valladolid26 in Spanien. Weitere English Colleges des Säkularklerus entstanden 1592 in Sevilla,27 1598 in Madrid,28 1611 in Paris und 1622 in Lissabon.29 Hinzu kamen die von den Jesuiten getragenen English Colleges in Saint-Omer30 (1593) und in Lüttich (1616) sowie ein Noviziat in Watten bei Saint-Omer31 (1611) und ein Professhaus in Gent (1662) und Niederlassungen englischer Benediktiner und Benediktinerinnen, Kartäuser, Dominikaner und Dominikanerinnen, Franziskaner und Klarissen, Karmeliten und Karmelitinnen, Augustinerinnen und Brigittinnen an zahlreichen Orten der Spanischen Niederlande und in Nordfrankreich, aber auch in Lothringen und im Hochstift Lüttich.32 Auch in Deutschland, in Lamspringe im Hochstift Hildesheim, ließen sich 1644 sechs englische Benediktiner nieder, womit dort bis zur Säkularisation 1803 ein englisches Benediktinerkloster bestand.33 Neben künftigen Priestern hielten sich im College von Douai und in anderen English Colleges auf dem Kontinent aber auch englische katholische Adelssöhne auf, die sich dem Studium der Rechte widmeten. Für 1576 werden allein für das College in Douai 120 Studenten genannt, für 1577 115 Personen.34 Nach der Übersiedlung nach Reims waren es dort 1578 71.35 Am English College in Rom gab es 1579 44 Studenten, überwiegend Theologen.36 Für Valladolid werden 1596 36 und 1598 45 bzw. 53 Studenten genannt,37 für Sevilla 1598 62,38 für Saint-Omer, das 1593 mit sieben Studenten begonnen hatte, 1602 12039 und 1687 ebenfalls 120.40 Ein Teil der Absolventen der English Colleges auf dem Kontinent ging tatsächlich als katholische Missionare nach England zurück,41 von denen viele – 116 Weltpriester, sieben Jesuiten, ein Benediktiner und ein Franziskaner42 – in England hingerichtet wurden, beginnend mit den Jesuiten Edmund Campion (1540–1581)[],43 Absolvent des College von Douai 1573, und Alexander Briant (1553–1581),44 1578 in Cambrai zum Priester geweiht, und Ralph Sherwin (1550–1581),45 Student an den English Colleges in Douai und Rom, die alle drei am 1. Dezember 1581 gehängt wurden.
Es gab am College in Douai und an den anderen English Colleges auf dem Kontinent bedeutende theologische Lehrer, die selbst katholische Religionsmigranten aus England waren und zuvor zumeist in Oxford gelehrt hatten, darunter der Kontroverstheologe und Bibelwissenschaftler Richard Bristow (1538–1581)46 vom Exeter College in Oxford oder der am College in Reims lehrende Hebraist Gregory Martin (ca. 1540–1582),47 der vor dem Exil am St. John's College in Oxford gewesen war und später die Leitung des English College in Rom übernahm. Gregory Martin war der Hauptübersetzer der auf der lateinischen Vulgata beruhenden Douai Bible ins Englische, die seit 1582 in Reims erschien und 1610 vollendet war, bevor sie in den Jahren 1749 bis 1772 von Richard Challoner (1691–1781) und anderen revidiert wurde.48
Das English College in Douai bestand bis in die Zeit der Französischen Revolution. Nach dem Beginn des Krieges zwischen Frankreich und Großbritannien am 1. Februar 1793 wurden die Bewohner des English College interniert und 1795 nach England überstellt. Nach dem Konkordat Napoleon Bonapartes (1769–1821) mit Pius VII. (1742–1823) vom 15. Juli 1801 wurde dem English College am 17. September 1801 der Immobilienbesitz in Douai restituiert, bevor die Gebäude 1834 an den französischen Staat verkauft wurden.49 Das English College in Lissabon bestand, in der Zeit der napoleonischen Besetzung Portugals zwischen 1807 und 1814 geschlossen, noch 1885.50 In anderen Fällen führte die Aufhebung des Jesuitenordens – in Frankreich 1762, in Spanien 1767, in der gesamten katholischen Kirche 1773 – zum Ende oder zur Umgestaltung der zwischenzeitig von Jesuiten übernommenen English Colleges. So verließ das English College 1762 das französische Saint-Omer und ging nach Brügge in den Österreichischen Niederlanden. Hier misslang 1773 der Versuch, englische Dominikaner an die Stelle der Jesuiten in der Leitung des College treten zu lassen, woraufhin das College nach Lüttich verlegt wurde, wo es bis zur französischen Besetzung des Hochstifts Lüttich 1794 blieb, um dann nach Stonyhurst in Lancashire, England zu gehen – jetzt in die Emigration vor der Französischen Revolution.51
Die englische Konfessionsmigration blieb keine rein männliche Erscheinung. Nachdem sich am 5. November 1605 in London der Gunpowder Plot ereignet hatte – der katholische Attentatsversuch gegen König James I. (1566–1625), die königliche Familie, die Regierung und das Parlament, der die Verfolgung der Katholiken in England steigerte und ihre Benachteiligung für die nächsten 200 Jahre befestigte52 – , floh die englische Katholikin Mary Ward (1585–1645)[]53 1606 in die Spanischen Niederlande. Sie ließ sich zunächst bei den Wallonischen Klarissen in dem damals noch niederländischen, heute französischen Saint-Omer nieder. Hier entstand 1611 unter ihrer Leitung eine Frauengenossenschaft zur Erziehung und Ausbildung exilierter katholischer Mädchen aus England.54 Daraus gingen die Englischen Fräulein – oder Mary-Ward-Schwestern – hervor,55 die endgültig 1703 die päpstliche Anerkennung erfuhren.
Die schottische katholische Konfessionsmigration
Bis in das frühe 18. Jahrhundert waren Schottland und England unabhängige Königreiche, die erst durch die Real- und Parlamentsunion von 1707 vereinigt wurden. Doch war schon das 16. Jahrhundert durch dauernde Auseinandersetzungen zwischen England und Schottland geprägt, was sich auch mit konfessionellen Fragen verband.56 In Schottland drang die Reformation nur sehr langsam ein – das Königshaus der Stuart war und blieb katholisch. Erst ab 1578 und vor allem im 17. Jahrhundert erhielt Schottland, das seit 1603 unter James VI. Stuart, der sich in England James I. nannte, mit England in Personalunion verbunden war, seine calvinistische Prägung.57 Bei Religionsflüchtlingen aus Schottland denkt man zuerst an den späteren Führer des schottischen Calvinismus – oder Presbyterianismus – , John Knox (1505–1572), der 1554 bei der Thronbesteigung der katholischen Königin Mary Stuart (1542–1587) nach Genf flüchtete, bevor er 1559, während des Aufenthaltes Mary Stuarts als Gemahlin Franz' II. (1543–1560) in Frankreich, nach Edinburgh zurückkehrte und dort 1560 mit der Confessio Scotica die calvinistische Konfessionalisierung einleitete. Es gab aber auch katholische Konfessionsmigranten aus Schottland. 1561 kam Mary Stuart nach Schottland zurück, womit noch einmal ein katholischer Restaurationsversuch begann. 1568 unterlag die Königin und floh nach England, wo sie als Gefangene Elisabeths I. 1587 enthauptet wurde, während sich in Schottland seit der Rückkehr Andreas Melvilles (1545–1622) aus Genf 1574 der Presbyterianismus durchsetzte. Die katholische Hierarchie brach zusammen. Der Erzbischof von St. Andrews, John Hamilton (ca. 1511–1571), starb in Pontifikalgewändern am Galgen.58 1574 erklärte der schottische Privy Council die führenden katholischen Geistlichen des Landes zu Rechtlosen und Rebellen. An der Spitze der Liste stand der Erzbischof von Glasgow, James Beaton (1517–1603)[],59 der fliehen konnte und 1603 in Paris starb. Wegen der politischen Verbindungen zwischen Schottland und Frankreich wurde Paris zum wichtigsten Asylort schottischer Katholiken. Hier wurde 1603 ein Scottish College gegründet,60 dem schottische Colleges in Douai (1576) und in Rom (1600) vorangegangen waren, bevor 1627 auch in Madrid ein Scottish College entstand. Wie in den English Colleges – und in den irischen – auf dem Kontinent, so dienten auch die Scottish Colleges außerhalb Schottlands der Ausbildung künftiger Priester für die "Rekatholisierungsmission".61 Und wie die englischen, so bestanden auch die schottischen Colleges zumeist bis an das Ende des 18. Jahrhunderts, das Pariser College bis in das Revolutionsjahr 1792. Aber nicht nur Menschen flüchteten, auch Archivalien, Paramente und Vasa Sacra wurden ins Ausland verbracht, so z.B. das Archiv und der Kirchenschatz der Kathedrale von Glasgow ins Scottish College in Paris.62
Die anglo-irische Konfessionsmigration aus Irland
In Irland63 ist unter englischer Herrschaft ein einheimischer – gälischer – und ein anglo-irischer Katholizismus und dementsprechend eine gälische und eine anglo-irische katholische Konfessionsmigration zu unterscheiden, mit der ein einheimischer und ein kontinentaler irischer Katholizismus nebeneinander standen,64 wobei die anglo-irische katholische Emigration früher einsetzte als die gälische.
Irland stand seit 1171 unter englischem Einfluss, auch wenn sich die englische Herrschaft noch gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf die Stadt Dublin und die vier Grafschaften Louth, Kildare, Meath und Dublin beschränkte, während im übrigen Irland regionale Könige gälischer Herkunft oder Feudalherren englischer Abstammung herrschten. Heinrich VII. (1457–1509) band 1494 die Gesetzgebung des seit 1297 bestehenden irischen Parlaments an die Zustimmung des Königs von England. Die Trennung der Kirche Englands von Rom 1533/1534 versuchte Heinrich VIII. auf Irland zu übertragen. Das gilt auch für die Klostersäkularisationen, die 1535 das monastische Leben in England vernichtet hatten65 und auf Irland ausgedehnt wurden, wo Heinrich VIII. seine Anhänger, darunter anglo-irische Lords, mit säkularisiertem Klostergut ausstattete. Doch stieß die Religionspolitik Heinrichs VIII., der sich 1536 durch Beschluss des irischen Parlaments zum Supreme Head of the Church of Earth (bzw. zum Head of the Church of Ireland) gemacht hatte und 1541, wieder durch Beschluss des irischen Parlaments, den Titel King of Ireland anstelle des von den englischen Königen seit 1171 geführten Titels Lord of Ireland annahm, in Irland auf erbitterten Widerstand, an dessen Spitze gälische Clanführer standen: Shane O'Neill (ca. 1530–1567), Hugh O'Neill (ca. 1540–1616), der 2. Earl of Tyrone, und später Hugh Roe O'Donnell (ca. 1572–1602). In diesem Widerstand verband sich die nationale Selbstbehauptung der Iren gegen die Engländer mit dem Kampf gegen die Protestantisierung. Als Ergebnis blieb Irland katholisch, auch unter dem Druck der Religionspolitik Elisabeths I.
Von 1569 bis 1573 fand die erste Desmond-Rebellion – benannt nach Gerard FitzGerald (ca. 1533–1583), dem 14. Earl of Desmond – statt, die wie die zweite Desmond-Rebellion der Jahre 1579 bis 1583 von der Provinz Munster im Südwesten Irlands ausging und sich gegen die Regierung Elisabeths I. in Dublin wandte. In beiden Aufständen verband sich der national-irische antienglische Selbstbehauptungswille mit dem katholischen Widerstand gegen anglikanisch-protestantische Überfremdung. Der Ausgang der beiden Desmond-Rebellions brachte den Sieg des Tudorkönigtums in Irland, der im Neunjährigen Krieg der Jahre 1594 bis 1603, dem Todesjahr Elisabeths I., besiegelt wurde. Höhepunkt dieser auch als Tyrone's Rebellion bekannten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem 2. Earl of Tyrone, Hugh O'Neill, und seinen Anhängern und der englischen Regierung in Irland mit ihren Truppen war die Schlacht bei Kinsale 1602, die die Niederlage der aufständischen Iren und der zu ihrer Unterstützung nach Irland gekommenen Truppen Philipps III. von Spanien (1578–1621) brachte.66 Aber auch nach der Flight of the Earls 1607 – Hugh O'Neill und die anderen gälischen Lords flohen auf den Kontinent; Hugh O'Neill starb als Flüchtling in Rom; ihre Besitzungen wurden konfisziert und englischen Lords übergeben – gelang der englischen Regierung in Dublin weder die volle Durchsetzung der englischen Herrschaft noch die Zwangsintegration der irischen Bevölkerung in die anglikanische Kirche. Vor dem Hintergrund der Englischen Revolution kam es in Irland im Oktober 1641 und erneut nach der Hinrichtung des Stuartkönigs Karl I. von England, Schottland und Irland (1600–1649) im Juni 1649 zu Aufständen gegen die englische Herrschaft.67 Nach der Niederschlagung des Aufstands von 1649 durch Oliver Cromwell (1599–1658) wurden die Güter der Katholiken konfisziert. Nur bei Abgabe einer Loyalitätserklärung durften sie zwei Drittel ihres Landbesitzes behalten. Lediglich im entlegenen Westen der irischen Insel konnten Katholiken noch Land besitzen. Der katholische Klerus wurde deportiert. Zwar brachte die Restauration des Stuart-Königtums nach der Zeit der Englischen Revolution 1660 unter Karl II. (1630–1685) eine relative Besserung der Lage des Katholizismus in Irland und unter dem katholischen König James II. Stuart (1633–1701) sogar die Anerkennung der katholischen Kirche in Irland, doch endete diese Phase 1688 mit der Glorious Revolution in England, mit der James II. – er starb als Flüchtling in Saint-Germain-en-Laye in Frankreich – entthront wurde. Nach dem Sieg seines Schwiegersohns und Nachfolgers, des Protestanten Wilhelm III. von Oranien (1650–1702), in der Schlacht am Fluss Boyne in Irland am 1. Juli 1690 wurden in Irland die Katholiken von öffentlichen Ämtern zugunsten der protestantischen Minderheit ausgeschlossen. Es kam zur nahezu vollständigen Ausschaltung der katholischen Oberschicht. Nur noch der niedere Klerus vertrat die katholische Bevölkerung. Auch wenn sich die Lage der irischen Katholiken im Laufe des 18. Jahrhunderts besserte, so blieb die Situation doch im Wesentlichen die gleiche bis zur Katholikenemanzipation von 1830, nach der der katholische Daniel O'Connell (1775–1847) als erster Vertreter Irlands Abgeordneter im Londoner Parlament werden konnte. Es blieb auch dabei, dass der irische "Klerus in Priesterseminaren in Frankreich, in Rom oder in den Österreichischen Niederlanden studieren musste".68
Das erste Irish Collegeauf dem Kontinent69 wurde 1592 im spanischen Salamanca gegründet70 und – seit 1610 unter dem Namen El Colegio Real de los Nobles Irlandeses – vom König von Spanien finanziell unterstützt. Obwohl ein anglo-irischer Jesuitenpater als erster Rektor an der Spitze stand, diente das Irish College in Salamanca – wie die Mehrzahl der English Colleges auf dem Kontinent – der Ausbildung künftiger Weltpriester für den Einsatz in der Heimat. Es folgten in dem von 1580 bis 1640 in der Iberischen Union mit Spanien unter einem Herrscher verbundenen Portugal 1593 das Irish College in Lissabon und in den Spanischen Niederlanden 1594 das St. Patrick's College in Douai und 1610 das Irish College in Antwerpen, ferner in Spanien die Irish Colleges in Santiago (1605), Sevilla (1612), Madrid71 (1629) und Alcalá72 (1649) und in den Spanischen Niederlanden in Lille (1610) und in Tournai (1616). Das größte Irish College auf dem Kontinent entstand nach Gründungen in Bordeaux (1603) und Toulouse (1603) 1605 in Paris73 – mit Vorläuferinstitution seit 157874 – , gefolgt von dem Irish College in Rouen (1610).75 Nach zeitgenössischen Angaben lebten 1600 im St. Patrick's College in Douai 60 junge Männer aus anglo-irischen Gentry-Familien.76 Auch die Irish Colleges auf dem Kontinent bestanden zumeist bis zum Ende des 18. Jahrhunderts – in Frankreich die Colleges von Paris, Nantes, Bordeaux, Douai, Toulouse und Lille, davon Toulouse und Lille nur noch mit zehn bis zwölf Studenten, Nantes, Bordeaux und Douai mit 30 bis 80 und Paris mit 180 Studenten.77 Für den gesamten Zeitraum von 1590 bis 1789 werden für Paris 1.21478 und für Toulouse 278 Studenten genannt.79
Die gälische katholische Konfessionsmigration aus Irland
Trotz der Größe des College von Paris waren Douai und Salamanca die wichtigsten Irish Colleges anglo-irischer Prägung auf dem Kontinent. Erst nach dem Neunjährigen Krieg kam der gälische Exodus hinzu. "Die gälischen Regularkleriker" – also Ordenspriester – "gliederten sich nicht in die vorhandenen Irish Colleges ein, sondern bemühten sich um eigene Gründungen".80 In Löwen in den Spanischen Niederlanden entstanden 1606 das St. Anthony's College der Franziskaner und 1624 das Holy Cross College der Dominikaner, gefolgt von dem 1625 gegründeten St. Isidor's College der Franziskaner in Rom.81 Auch die Irish Colleges auf dem Kontinent, die anglo-irischen ebenso wie die gälischen, dienten der Ausbildung künftiger Priester bzw. Missionare, die nach ihrer Ausbildung nach Irland zurückkehren sollten. In Salamanca mussten sich die Studenten bei ihrem Eintritt in das College eidlich verpflichten, nach ihrem Studium in die irische Mission zu gehen.82 Einige wurden Bischof in Irland.83 Auffällig ist aber auch die große Zahl derer, die "never returned to Ireland at all, but made a career for themselves in France".84
So wird das Wiederaufleben des gälischen Katholizismus in den Irish Colleges gälischer Regularkleriker auf dem Kontinent85 als "a response to Elizabethan Anglophone catholic nationalism" angesehen,86 wobei "der Struktur der irischen Colleges auf dem Kontinent die alte Zweiteilung zwischen der 'Ecclesia inter Anglicos' und der 'Ecclesia inter Hibernicos'" entspricht.87
Das Exil der Jansenisten
Der Jansenismus war eine originär französische Erscheinung und eine katholische Reformbewegung, die als häretisch verurteilt wurde, obwohl er auf Cornelius Jansenius den Jüngeren (1585–1638) – den aus Holland stammenden Theologieprofessor der Universität Löwen in den Spanischen Niederlanden und späteren Bischof von Ypern – und sein 1640 postum erschienenes Werk Augustinuszurückgeht.88 Die Verurteilung des Jansenismus begann mit der Bulle Cum occasione Innozenz' X. (1574–1655) von 1653, die Alexander VII. (1599–1667) mit der Bulle Ad sacram von 1656 bestätigte, nachdem die Pariser Sorbonne 1656 die zweite Gründergestalt des Jansenismus, den Priester und Theologen Antoine Arnauld (1612–1694)[],89 verurteilt und aus den Reihen ihrer Professoren ausgeschlossen hatte. Antoine Arnauld zog sich bis 1668 zurück, bevor er 1679 in die Spanischen Niederlande floh. Er starb als Emigrant in Brüssel. 1705 brach der Konflikt um den Jansenismus mit der Bulle Vineam Domini Sabaoth Clemens' XI. (1649–1721) erneut aus. 1710 ließ König Ludwig XIV. (1638–1715) das Kloster Port-Royal-des-Champs, bis dahin das intellektuelle Zentrum des Jansenismus, dem Erdboden gleichmachen, bevor Clemens XI. mit der Bulle Unigenitus von 1713, mit der er auf Verlangen Ludwigs XIV. Pasquier Quesnels (1634–1719) Abrégé de la morale de l'Évangile von 1671 verbot, die früheren päpstlichen Entscheidungen gegen den Jansenismus bestätigte. Pasquier Quesnel,90 der wichtigste jansenistische Theologe der Generation nach Antoine Arnauld, der nach dem Erscheinen seines Werkes Le Nouveau Testament en français, avec des Réflections morales sur chaque verset von 1692 unter Häresieverdacht geriet, lebte schon seit 1685 im Exil in Brüssel. Hier wurde er nach einer Intervention Ludwigs XIV. bei König Karl II. von Spanien (1661–1700) verhaftet, konnte aber aus der Haft entkommen und floh 1703 nach Amsterdam, wo er 1719 starb. Im Exil in Amsterdam lebte seit 1704 auch der jansenistische Theologe Nicolas Petitpied (1665–1747),91 der nach dem Tod Ludwigs XIV. 1715 nach Frankreich zurückkehrte, aber von 1728 bis 1735 erneut das Exil in Utrecht suchte und in Paris starb. Auch Ernest Ruth d'Ans (1653–1728)92 wählte das Exil in den Niederlanden, wie auch Jacques-Joseph Duguet (1649–1733)93 nach Brüssel floh, auch wenn er später nach Frankreich zurückkehrte und in Paris starb, anders als der jansenistische Theologe Jean-Baptiste Le Sesne de Ménilles d'Étemare (1682–1770), der seit 1754 in Holland lebte und dort starb.94 Schon mit Pasquier Quesnels Exil in Amsterdam seit 1703 begann sich das intellektuelle Zentrum des französischen Jansenismus von Port-Royal nach Holland zu verlagern, wo 1723 die von Rom getrennte jansenistische schismatische "Kirche von Utrecht" mit Cornelius Steenoven (1661–1725), einem geborenen Holländer, als erstem Bischof gegründet wurde.
Das Exil der Jesuiten
Eine besondere Form der Konfessionsmigration stellte das Zwangsexil von Jesuiten im Zusammenhang mit der Aufhebung des Jesuitenordens dar,95 die 1755 einsetzte, als der portugiesische Minister Sebastião José de Carvalho Marquês de Pombal (1699–1782) den Jesuiten die weltliche Verwaltung der Indianersiedlungen in Südamerika entzog und als 1758 der portugiesische Hof Benedikt XIV. (1675–1758) ersuchte, die portugiesischen Jesuiten als Aufrührer zu bestrafen, bevor ihnen das Anfang September 1758 erfolgte Attentat auf König José I. (1714–1777) zur Last gelegt wurde und im November 1761 der Jesuitenpater Gabriele Malagrida (1689–1761) in Lissabon hingerichtet wurde, nachdem schon im Januar 1759 drei Jesuiten in Belém hingerichtet worden waren. Nach der Beschlagnahmung aller Jesuitengüter in Portugal wurden im Herbst 1759 rund 1.000 Jesuiten aus Portugal und seinen Kolonien in den päpstlichen Kirchenstaat deportiert,96 wobei die Vertreibung der Jesuiten aus den außereuropäischen Missionsgebieten eine Erlahmung der Missionsdynamik der katholischen Kirche zur Folge hatte. In Frankreich verurteilte das Parlement de Paris 1761 die Lehren wichtiger Jesuitentheologen, deren Bücher öffentlich verbrannt wurden und ordnete die Schließung der Jesuitenkollegien an. Daraufhin verließen 1764 viele Jesuiten Frankreich und gingen ins Exil – von rund 360 bis zu diesem Zeitpunkt noch im Bezirk des Pariser Parlement verbliebenen Jesuiten mehr als die Hälfte,97 also wahrscheinlich rund 200. 1767 wurden die Jesuiten aus Spanien ausgewiesen, danach auch aus dem Königreich Neapel und aus dem Herzogtum Parma und Piacenza, bevor 1769 die Gesandten der Bourbonenhöfe von Spanien, Frankreich und Neapel Clemens XIII. (1693–1769) gegenüber den Wunsch ihrer Herrscher nach Aufhebung des Jesuitenordens zum Ausdruck brachten, den schließlich Clemens XIV. (1705–1774), um Aussöhnung des Heiligen Stuhls mit den bourbonischen Höfen und mit Portugal bemüht, 1773 erfüllte.
Die französischen geistlichen Emigranten der Revolutionszeit
Eine bedeutende Welle katholischer Konfessionsmigration kam mit den geistlichen Emigranten der Zeit der Französischen Revolution. Am 28. Oktober 1789 erklärte die Constituante in Frankreich die Ordensgelübde für unwirksam. Am 2. November 1789 wurden alle Gelübde verboten und die geistlichen Korporationen aufgelöst. Nur solche Ordensgemeinschaften, die sich dem Erziehungswesen oder der Armen- und Krankenpflege widmeten, blieben bis August 1792 bestehen. Aber das alles betraf nur Ordensleute, Regularkleriker und Nonnen. Den gesamten Klerus und also auch die Weltgeistlichkeit traf die zivilrechtliche Konstitution des Klerus (la Constitution civile du clergé), die am 12. Juli 1790 verfügt wurde. Die Pfarrer und die Bischöfe der von mehr als 130 auf 83 Diözesen reduzierten und mit den neuen Départements zur Deckung gebrachten Bistümer wurden von nun an von weltlichen Wahlmännern gewählt und, ohne Bestätigung der Bischöfe durch den Papst, vom Staat eingesetzt und besoldet. Hinzu kam die Verpflichtung der Bischöfe und Pfarrer zu einem Treueid auf die Nation, das Gesetz und den ja immer noch im Amt befindlichen König, mit dem die Einhaltung der von der Nationalversammlung beschlossenen und vom König angenommenen Verfassung – die Constitution datiert erst vom 3. September 1791 – beschworen werden sollte. Am 10. März 1791 und am 13. April 1791 verurteilte Pius VI. (1717–1799) die Zivilkonstitution mit den Breves Quod aliquantum und Caritas. Beinahe die Hälfte des katholischen Klerus Frankreichs und der überwiegende Teil der Bischöfe verweigerte den Eid. So standen sich von nun an ein konstitutioneller Klerus (les constitutionnels) und eidverweigernde Priester (les non-jureurs, les réfractaires) gegenüber. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1792 eskalierte diese Situation auch unter dem Druck der ausländischen Intervention und des am 20. April 1792 von der Législative an Österreich erklärten Krieges – am 25. Juli das Manifest des Herzogs von Braunschweig, am 10. August der Sturm auf die Tuilerien, am 21. September die Abschaffung der Monarchie – in scharfer Verfolgung der eidverweigernden Priester, in denen man die Hilfstruppe der Gegenrevolution sah und gegen die am 26. August 1792 das Ausweisungsgesetz (la loi sur la déportation en Guyane des prêtres réfractaires du 26 août 1792) erlassen wurde.
Jetzt – vor dem Hintergrund der Priestermorde vom 2. September 1792 und der übrigen Septembermorde, aber lange vor der erst im September 1793 einsetzenden Terreur und vor der Déchristianisation, die mit der Einführung des Revolutionskalenders am 5. Oktober 1793 ihren Anfang nahm und in dem am 8. Juni 1794 begründeten Fest des höchsten Wesens (la Fête de l'Étre Suprême) gipfelte – begann der Exodus des Klerus, der sich bald mit der Emigration der Aristokraten mit den Brüdern des am 21. Januar 1793 hingerichteten Ludwig XVI. (1754–1793), dem Grafen von Provence, seit 1814 Ludwig XVIII. (1755–1824) und dem Grafen von Artois, seit 1824 Karl X. (1757–1836), an der Spitze verband, zumal dann, wenn die aus Frankreich geflüchteten Geistlichen dem Adel entstammten.
"Bis zu diesem Datum mag die 'freiwillige Emigration' des Klerus vielleicht eine Stärke von 6.000 Personen erreicht haben. Jetzt, im September 1792, vollzog sich jedoch der massenhafte Exodus der schätzungsweise 30.000–40.000 Geistlichen aus Frankreich. ... Wer nicht außer Landes ging, dem blieb in der Regel nur das Wagnis des Untergrundlebens. Auch die Deportation nach Französisch-Guayana wurde verhängt, ohne daß genauere Schätzungen möglich wären."98 Die Städte und Länder, in die die flüchtenden Kleriker – aber auch viele Nonnen – gingen, waren dieselben, in denen sich auch die Zentren der Emigration der Aristokraten befanden: London, Turin, die Schweiz, die Niederlande und die deutschen Territorien am Rhein, hier besonders das kurtrierische Koblenz. Nachdem die französischen Revolutionstruppen im November 1792 die Österreichischen Niederlande erobert hatten, wurde Westfalen zum Ziel adeliger, aber auch geistlicher Flüchtlinge. Trotz der restriktiven Politik des Kölner Kurfürst-Erzbischofs – zum Erzstift Köln gehörten mit dem kurkölnischen Herzogtum Westfalen und dem Vest Recklinghausen weite Teile des rechtsrheinischen Westfalen – und Fürstbischofs von Münster, Maximilian Franz von Österreich (1756–1801), und anderer westfälischer Landesherren lebten 1794/1795 allein im Hochstift Münster mehr als 2.000 geflohene katholische Geistliche aus Frankreich und aus den von Frankreich okkupierten Österreichischen Niederlanden oder aus dem ebenfalls französisch besetzten Hochstift Lüttich, davon über 400 in der Stadt Münster, knapp 80 in Borken, über 70 in Warendorf, fast 50 in Telgte, über 40 in Coesfeld und in Dörfern wie Nottuln oder Roxel bei Münster jeweils um 30.99 Auch das Hochstift Paderborn nahm zahlreiche Emigranten auf, ebenso das Herzogtum Westfalen, hier vor allem die Stadt Arnsberg.100 Einer der als Emigranten nach Westfalen gekommenen französischen Kleriker war der Prämonstratenser Jean-Baptiste Henry (1742–1813), der nach Münster, Paderborn und in die Prämonstratenserabtei Wedinghausen bei Arnsberg kam und schließlich Asyl im Prämonstratenserstift Clarholz in der Herrschaft Rheda fand.101 Die meisten Emigranten kehrten nach der 1802 von Napoleon erlassenen Generalamnestie nach Frankreich zurück, während andere in Westfalen blieben.102 Noch bei der Säkularisation von 1803 fanden sich in manchen Klöstern Westfalens einzelne emigrierte Mönche oder Nonnen aus Klöstern in Frankreich oder in den ehemaligen Österreichischen Niederlanden, so etwa im Prämonstratenserinnenstift Rumbeck bei Arnsberg zwei Emigrantinnen aus Maastricht und aus Montzen bei Aachen.103 Im Paderborner Franziskanerkloster hängt noch heute das Gemälde mit dem Porträt des Bischofs von Le Mans, François-Gaspar de Jouffroy-Gonssans (1723–1799), der als Flüchtling in Paderborn starb und im Dom von Paderborn beigesetzt wurde.104
Sehr interessant sind die Lebensverhältnisse und das Profil des französischen Exilklerus in Westfalen sowie die statistische Erfassung der emigrierten Geistlichen nach ihrer räumlichen Herkunft.105 Deutlich ist ein Schwerpunkt im Norden Frankreichs um Arras, Amiens oder Rouen, wobei Verkehrswege, räumliche Nähe und Erreichbarkeit eine Rolle spielten, so dass man bretonische Exilkleriker eher in England als im Hochstift Münster findet. Die meisten geistlichen Emigranten lebten in materiell sehr bedrängten Verhältnissen. Das zeigt vor allem die elende Lage vieler emigrierter Nonnen und ihre Unterstützung durch den Generalvikar Franz von Fürstenberg (1729–1810), der dazu auch private Geldmittel einsetzte, was aber an den ärmlichen Lebensverhältnissen der geflüchteten Religiosen wenig ändern konnte. Fürstenberg beabsichtigte, die emigrierten Nonnen "'so viel möglich als Dienst Mägde unterbringen zu lassen'. Dieses Vorgehen mag ungewöhnlich, wenn nicht sogar hart erscheinen, aber es senkte die Unterhaltskosten angesichts der herrschenden Not".106 Doch stand das im Kontrast zu den Lebensumständen geistlicher Emigranten wie des in Münster gestorbenen Bischofs von Gent, Ferdinand Maria von Lobkowitz (1726–1795), und vor allem des ebenfalls in Münster gestorbenen Erzbischofs von Rouen und Kardinals Dominique La Rochefoucauld (1713–1800), der ein pompöses Begräbnis im Dom von Münster erhielt.
Kulturkampf und katholische Konfessionsmigration
Die Kulturkämpfe des späteren 19. Jahrhunderts107 lösten ebenfalls die Emigration von Religiosen aus, wobei es sich oft um die Emigration ganzer Klöster handelte. Wenn man nur auf Preußen blickt, so begann der Kulturkampf hier im Juli 1871 mit der Aufhebung der katholischen Abteilung des preußischen Kultusministeriums. Am 10. Dezember 1871 wurde der sogenannte Kanzelparagraph in das Strafgesetzbuch108 eingefügt, der es Geistlichen verbot, staatliche Angelegenheiten "in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise" zu erörtern (§ 130a StGB). Durch das Schulaufsichtsgesetz vom März 1872 wurde die geistliche Schulaufsicht eingeschränkt, durch das Jesuitengesetz des Reichstags vom Juli 1872 wurden die – 1814 restituierten und 1820 nach Deutschland zurückgekehrten – Jesuiten und Orden wie die Redemptoristen vom Staatsgebiet des Deutschen Reiches ausgeschlossen, deren Niederlassungen aufgelöst und die einzelnen Ordensmitglieder Aufenthaltsbeschränkungen unterworfen. Vorausgegangen war die Schweiz, wo die 1814 nach Brig und Sitten, 1818 nach Fribourg und 1845 nach Luzern zurückgekehrten Jesuiten, die sich 1827 bzw. 1836 auch in Estavayer-le-Lac und in Schwyz niedergelassen hatten, nach dem Sonderbundskrieg von 1847 des Landes verwiesen wurden, bevor das erst 1973 aufgehobene Jesuitenverbot in der Bundesverfassung von 1848 (Art. 58) verankert wurde.109 Durch die Maigesetze von 1873 wurden für die katholische Kirche in Preußen weitere Beschränkungen eingeführt, darunter Bestimmungen über Studium, Anstellung und Entlassung der Geistlichen und die Einführung des sogenannten "Kulturexamens". Diese Gesetze wurden 1874 und 1875 durch weitere Gesetze ergänzt, so durch das Expatriierungsgesetz vom Mai 1874, das es den Regierungen der Bundesstaaten des Deutschen Reiches erlaubte, Geistlichen einen bestimmten Aufenthaltsort zuzuweisen oder sie aus dem Reich auszuweisen. Hinzu kam das Klostergesetz vom Mai 1875, das die Niederlassungen aller Orden mit Ausnahme der Krankenpflegeorden in Preußen aufhob. 1880 begann der Abbau der Kulturkampfgesetze in Preußen, wobei die Maigesetze bis 1887 schrittweise aufgehoben wurden. Das Jesuitengesetz wurde jedoch erst 1904 und 1917 in zwei Schritten außer Kraft gesetzt.110
Hatte das Jesuitengesetz von 1872 schon zur Schließung der Niederlassungen der Jesuiten und der Redemptoristen – z.B. 1872 der Häuser der Jesuiten in Münster und 1873 der Redemptoristen in Rorup bei Dülmen im Münsterland und in Bochum – geführt und die Betroffenen in die Emigration gezwungen, so brachte das Klostergesetz von 1875 in den Jahren 1875 bis 1878 das Ende zahlreicher Klöster. Oft waren die Niederlande oder Belgien das Ziel der Emigration, aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika. Dazu drei Beispiele: 1. Die aus Deutschland vertriebenen Jesuiten unterhielten in dem zu Preußen gehörenden Maria Laach in der Eifel – eine 1093 gegründete und 1802 säkularisierte Benediktinerabtei – seit 1863 ein der Ausbildung des Ordensnachwuchses dienendes Scholastikat. Sie gingen mit dieser Einrichtung 1873 zunächst nach England und dann nach Valkenburg in der niederländischen Provinz Limburg. Der Verkauf von Maria Laach an die Beuroner Kongregation des Benediktinerordens – Maria Laach ist noch heute eine Benediktinerabtei der Beuroner Kongregation – ermöglichte ihnen 1893 die Errichtung des "Ignatiuskolleg" genannten Scholastikats in Valkenburg, das sich zu einer bedeutenden Ordenshochschule entwickelte und bis zur Schließung durch die deutsche Gestapo während der deutschen Besatzung der Niederlande 1942 bestand.111 2. In die niederländische Provinz Limburg gingen auch die Karmelitinnen von Köln. In Köln gab es seit 1637 ein Karmelitinnenkloster des Teresianischen Karmel, und zwar am heutigen Standort der Karmelitinnen, dem Karmel Maria zum Frieden. Dieses Kloster wurde 1802 säkularisiert. 1850 entstand in Köln ein neues Karmelitinnenkloster, seit 1853 als Karmel St. Joseph am Gereonskloster. 1875 ging der Kölner Karmel in die Emigration nach Echt in der niederländischen Provinz Limburg, wo durch den Verkauf des Klostergebäudes in Köln die Errichtung eines neuen Klosters möglich wurde. 1896 kehrte ein Teil der Nonnen nach Köln zurück; andere blieben in Echt.112 3. Die Vereinigten Staaten waren das Emigrationsziel der Schwestern Unserer Lieben Frau, deren Kloster in Coesfeld im Münsterland seit Anfang der 1850er Jahre bestand. Bereits 1874 gingen die Schwestern in die USA, wo sie in Cleveland, Ohio, und in Covington, Kentucky, Niederlassungen gründeten, bevor sie 1887 nach Deutschland zurückkehrten.113
Netzwerke
Die verschiedenen katholischen Konfessionsmigrationen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert – englische, schottische und irische Katholiken, französische Jansenisten, exilierte Jesuiten, geistliche Emigranten der Französischen Revolution und der deutschen Kulturkämpfe – waren nicht Emigrationen Einzelner, die sich an den Asylorten in kleinen Gruppen zusammenfanden und im Übrigen unverbunden nebeneinander existierten. Tatsächlich waren sie eng verbunden oder formierten Netzwerke – so der seit Ende der 1960er Jahre von der Soziologie zuerst in der englischsprachigen Literatur als "Social Network" übernommene Begriff. Das zeigen – um nur diese als Beispiele zu nehmen – die irischen Katholiken und die Jansenisten.
Die Irish Colleges auf dem Kontinent bildeten teilweise Filialsysteme, die an die Organisationsstruktur von Orden und Kongregationen erinnern. So stand das St. Patrick's College in Douai als Mutterhaus an der Spitze von Tochtergründungen wie den Irish Colleges in Antwerpen, Lille und Tournai, unabhängig von der herausragenden Stellung des Irish College in Paris als des größten College auf dem Festland. Dort, wo die Colleges nicht für künftige Weltpriester bestimmt waren, sondern von Orden getragen wurden und der Heranbildung von Regularklerikern dienten, waren sie zudem in die Organisation der Orden und in deren Netzwerke eingebunden, was auch säkulare Colleges einbezog. So ist zu betonen, dass es mit der Gründung in Poitiers von 1674 nur ein "offizielles Jesuiten-College" gab, dass aber vielen secular Colleges Jesuiten als Rektoren vorstanden. Darüber hinaus erscheint die gesamte irische Konfessionsmigration – sei es in Spanien, in den Spanischen Niederlanden oder in Frankreich – von der Verschiffung von irischen Häfen aus bis zur Rückkehr und zum Einsatz der Priester in der Mission in Irland als "gut organisierte Untergrundaktion", wobei irische Kaufleute eine wichtige Rolle spielten und "soziale Netzwerke" in der Heimat Schutz boten.114 Im Falle der jansenistischen Emigration in den Niederlanden waren es Personen wie die Historikerin Françoise-Marguerite de Joncoux (1668–1715)[], eine der Amies de Port-Royal – auch die Amis-de-Port-Royal waren ein soziales Netzwerk115 – , die bis zu ihrem Tod 1715 rund 20 Jahre lang als eine Art Generalsekretärin den Briefwechsel der jansenistischen Theologen koordinierte, finanzielle Transaktionen zwischen Frankreich und den Niederlanden leitete und in Paris einen jansenistischen Salon hielt und Zusammenkünfte jansenistischer Theologen ermöglichte, aber auch als Verbindungsperson zwischen dem Kloster Port-Royal-des-Champs wirkte und so zum Mittelpunkt eines Netzwerkes wurde.116 Aber die Mademoiselle de Joncoux war eine Einzelne; als es Port-Royal-des-Champs längst nicht mehr gab, war die jansenistische Untergrundzeitschrift Nouvelles ecclésiastiques ou Mémoires pour servir à l'histoire de la Constitution Unigenitus,117 die zwischen 1728 und 1803 wöchentlich mit einer Auflage von 2.000 bis 6.000 Exemplaren erschien, als Netzwerk des Jansenismus im Exil und im Secretum in Frankreich weit wichtiger.118
Schluss
Die vorgestellten Beispiele katholischer Konfessions- oder Religionsmigration unterscheiden sich signifikant von der Emigration von Täufern, niederländischen Reformierten, französischen Hugenotten oder Salzburger Lutheranern. Es handelte sich nicht um das Exil von Handwerkern und Kaufleuten, Adeligen oder Bergbauern, die ihre Heimat aus Glaubensgründen verließen, oft gemeinsam und nicht selten unter der Leitung von Täuferführern, lutherischen Prädikanten oder reformierten Predigern. Die katholische Konfessionsmigration war ein – soziologisch gesprochen – Elitephänomen. Hier gingen vor allem – theologisch gesprochen – geweihte Personen ins Exil, Kleriker, Bischöfe, Priester, Ordensleute, aber auch Seminaristen und Theologiestudenten, die das Priestertum anstrebten, und fromme Frauen, Nonnen, die ihre Kloster verließen und als Einzelne oder als geschlossener Konvent emigrierten oder, wie Mary Ward, in der Emigration als Ordensgründerin tätig wurden. Zwar emigrierten auch katholische Laien, doch ist die Klerikeremigration so augenfällig, dass die Gegenüberstellung von katholischer und protestantischer Konfessionsmigration auch etwas aussagt über die Unterschiede dessen, was "Kirche" im katholischen und im protestantischen Raum ausmacht.