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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in allen europäischen Staaten sozialistische Arbeiterbewegungen. Meist ging die Gründung von Gewerkschaften derjenigen politischer Parteien voraus; in Deutschland hingegen verlief der Prozess umgekehrt. Trotz bedeutender Wahlerfolge und rasch wachsender Mitgliederzahlen blieben die sozialistischen Bewegungen aber zu schwach und zu isoliert, um Regierungsverantwortung übernehmen zu können. Der internationalen Zusammenarbeit widmeten Europas Sozialisten besondere Aufmerksamkeit, denn der Kampf um die Befreiung des Proletariats müsse über Staatsgrenzen hinweg geführt werden, weil auch das Kapital international wirke.1
Das Streben nach internationaler Kooperation war freilich kein Alleinstellungsmerkmal der Arbeiterbewegungen. Das 19. Jahrhundert war nicht nur durch den Aufstieg von Nationalismus und Nationalstaat charakterisiert, auch die internationale Zusammenarbeit dehnte sich in der zweiten Jahrhunderthälfte spürbar aus. Neue supranationale Institutionen resultierten teils aus dem Wachstum des Welthandels (so der 1874 gegründete Weltpostverein), teils waren sie humanitären, insbesondere pazifistischen Ideen verpflichtet.2 Dies galt etwa für das 1863 entstandene Internationale Komitee des Roten Kreuzes oder für die Interparlamentarische Union von 1889. Im engeren politischen Bereich reüssierte der Internationalismus jedoch nur in der Arbeiterbewegung; hier wurde er zu einem programmatischen Grundpfeiler.
Die Internationale Arbeiterassoziation (1864–1876)
Seit den 1860er Jahren wurde die Überzeugung, internationale Solidarität sei unerlässlich für die Befreiung der Arbeiterklasse, immer mehr zum Allgemeingut der proletarischen Linken. Jenseits nationaler Schranken ihre Identität zu suchen, wurde den Arbeitern auch dadurch nahegelegt, dass ihnen in mehreren europäischen Ländern, allen voran im Deutschen Reich, die Anerkennung als gleichberechtigter Teil der Nation verwehrt wurde. Zugleich gelangten in diesen Jahren die englische und die französische Arbeiterbewegung zu neuer Stärke, und auch andernorts in Europa erlebten um 1860 Volksbewegungen wieder einen Aufschwung. Am Rande der Londoner Weltausstellung 1862 kam es schließlich zu ersten Kontakten einer französischen Arbeiterdelegation mit englischen Gewerkschaftern. Auf einem weiteren Treffen im folgenden Jahr entstand die Idee einer internationalen Arbeitervereinigung, woraufhin die englische Seite einen Aufruf an die Arbeiter Frankreichs verfasste, künftig solidarisch zusammenzuwirken. Mit ausdrücklichem Bezug auf die Kongresse, zu denen sich die Regierungen Europas immer wieder trafen, lud das Manifest die nationalen Arbeiterbewegungen dazu ein, ebenfalls grenzüberschreitende Treffen abzuhalten.3
Am 28. September 1864 trat der erste dieser Kongresse in London zusammen. Neben den französischen Arbeitern und führenden englischen Gewerkschaftern hatten auch Deutsche, Italiener, Polen und Schweizer Delegationen entsandt; viele von ihnen waren Exilgruppen. Das Antwortschreiben der französischen Arbeiter auf den englischen Aufruf wurde zur vorläufigen Grundlage der Internationale bestimmt. Es enthielt den programmatischen Satz: "Unsere Rettung liegt in der Solidarität."4 Die Versammlung wählte ein provisorisches Zentralkomitee mit Sitz in London.
In den folgenden Jahren dehnte sich die Internationale aus, vorrangig in West- und Südeuropa. An der Spitze der Organisation standen überwiegend Arbeiter. Politisch umfasste die Internationale eine Vielzahl von Richtungen, was zugleich Chance und Risiko bedeutete. Während in der italienischen Sektion die revolutionären Demokraten dominierten, war in Frankreich der Einfluss von Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865)[] und seiner Idee einer Föderation freier Kommunen besonders stark. Viele englische Gewerkschafter pflegten wiederum das parlamentarische Bündnis mit den Liberalen. Von langfristiger Bedeutung war die weit verbreitete anarchistische Strömung, deren Hochburgen sich in der romanischen Schweiz, Italien und Spanien befanden. Zu guter Letzt gab es diejenigen, die sich auf Karl Marx (1818–1883)[] bezogen. Marx, der die Konstituierung der Internationale mit seinen neu entfachten Hoffnungen auf eine baldige europäische Revolution verband, gehörte als Sekretär für Deutschland dem Generalrat der Internationale an, der im Übrigen von englischen Gewerkschaftern dominiert wurde.
Aus Marx' Feder stammten die Inauguraladresse und die Statuten der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA), die so formuliert waren, dass alle Strömungen sich darin wiederfinden konnten.5 Geplant war, dass einzelne lokale und nationale Arbeiterorganisationen Mitglied der IAA werden konnten, doch kam es tatsächlich auch zu Beitritten individueller Personen. Der Einfluss der IAA-Spitze auf die Sektionen war gering. Bis zur Einrichtung der Pariser Commune 1871 "war die Internationale eine lockere revolutionäre Organisation, die in erster Linie den Zweck verfolgte, Kontakte zwischen den Arbeiterbewegungen in den einzelnen Ländern herzustellen und die Voraussetzungen für ein gemeinsames Handeln zu schaffen."6
Die Mitgliederzahlen der IAA blieben stets sehr niedrig. Julius Braunthal (1891–1972) schätzt die individuellen Beitritte auf einige Tausend. Naturgemäß stärker vertreten waren die kollektiven Mitglieder, die Gewerkschaften und Arbeitervereine. 1869 gehörten der IAA aus England 28 Gewerkschaften mit 95.000 Mitgliedern an,7 doch auch diese Größenordnung lag weit unter den phantastischen Zahlen, welche die Gegner der IAA verbreiteten. Nur einige Beispiele: Im Juni 1870 sprach die französische Justiz von 811.153 Mitgliedern weltweit, die sonst so seriöse Londoner Times trieb die Zahl ein Jahr später sogar auf 2,5 Millionen hoch. Entsprechend üppig sollten verbreiteten Gerüchten zufolge die Finanzmittel der Organisation sein,8 aber tatsächlich verfügte die Internationale nur über minimale Einkünfte.9
Trotzdem gab es einen wahren Kern inmitten dieser Übertreibungen:
Der Generalrat intervenierte in der Tat in zahllosen Streiks, die durch ausländische Streikbrecher bedroht waren. ... Diese Akte hilfreicher Solidarität trugen den Ruhm der Internationale in tausende Arbeiterfamilien. … Das Ansehen der Internationale wuchs ins Legendäre, als bekannt wurde, daß es ihr da und dort gelungen war, Kämpfe der Arbeiter durch ihr Eingreifen zu einem erfolgreichen Abschluß zu bringen.10
Auch die Pariser Commune erhöhte das Ansehen der IAA bei Freund und Feind, obwohl sie ohne deren Zutun entstanden war und die Anhänger der Internationale in Paris in der Minderheit blieben. Allerdings bekannte sich der Generalrat rückhaltlos zur Commune.11 Die französische Regierung wiederum erklärte nach der Niederschlagung des Aufstandes die Internationale zur Urheberin und schrieb wenige Wochen nach dem Ende der Commune an die übrigen europäischen Regierungen, um diese von der Gefährlichkeit der IAA zu überzeugen.12 Die darauffolgende Repression gegen die französische Arbeiterbewegung schwächte die Internationale stark, da Frankreich bisher zusammen mit England die wichtigste Stütze der IAA gewesen war. Nun trat allmählich die kräftig wachsende deutsche Arbeiterbewegung an diese Stelle.
Hier muss bemerkt werden, dass die Internationale Arbeiterassoziation in gewisser Weise ein Medien-, besser: ein Propagandaphänomen war. Sowohl Anhä
Tatsächlich ist die kurze Geschichte der IAA voller programmatischer Auseinandersetzungen. Auf Dauer waren sie unvermeidlich, da gänzlich unterschiedliche Richtungen der Organisation angehörten. Im ersten dieser Konflikte standen sich die Anhänger von Marx und von Proudhon gegenüber. Letztere plädierten in einer Reihe von Fragen für dezentrale bzw. föderale Lösungen, doch den Marxisten schwebten staatliche Monopole und eine starke Regierung vor. Zudem lehnten die Proudhonisten Bündnisse mit bürgerlichen Kräften grundsätzlich ab, anders als die Anhänger von Marx. Von Kongress zu Kongress wurde der Einfluss der Ideen Proudhons weiter zurückgedrängt, bis es 1869 in Basel über die Frage der Überführung von Grund und Boden in Kollektiveigentum zur Scheidung kam. Marx' Standpunkt zugunsten des Kollektiveigentums setzte sich, unterstützt von den Delegierten aus England, Deutschland, der deutschsprachigen Schweiz und den im Übrigen anarchistisch gesinnten romanischen Delegierten, schließlich durch.13 Dieser Umschwung erschwerte es allerdings erheblich, Bauern als Bündnispartner zu gewinnen.
Im Streit der von Marx inspirierten IAA-Mehrheit mit den Anarchisten um Michail Bakunin (1814–1876)[] ging es um ähnliche Fragen. Bakunin plante einen putschartigen Sturz der Regierung, dem die Zerstörung der Staatsmaschine unmittelbar folgen sollte. Marx hingegen hielt den Aufbau einer politischen Partei des Proletariats in jedem Nationalstaat für erforderlich, denn ein lange währender Klassenkampf werde schließlich in der sozialen Revolution münden. Das Proletariat müsse den Staatsapparat erobern und transformieren, um den Übergang zur klassenlosen Gesellschaft einleiten zu können.14 Damit nahm Marx Abschied von der Erwartung einer bald bevorstehenden proletarischen Revolution, die er in den 1860er Jahren noch gehegt hatte. Das Scheitern der Pariser Commune besiegelte 1871 diese Wendung.
Der Widerstand, den Bakunin dem entgegensetzte, lässt sich nicht nur durch die grundlegenden programmatischen Differenzen erklären. Es ging auch, womöglich sogar vorrangig, um die Macht innerhalb der IAA. Der Kongress der IAA in Den Haag im September 1872 brachte die Entscheidung zugunsten der Anhänger von Marx, bedeutete aber zugleich die Spaltung der Internationale. Der Sitz des Generalrates der IAA wurde nach New York verlegt, da in London eine Machtübernahme der Blanquisten15 gedroht hätte, die nach der Flucht vor der französischen Regierung zahlreich in der englischen Hauptstadt vertreten waren. In der Auseinandersetzung mit Bakunins Anhängern hatten sie auf Seiten der Marx'schen Sozialdemokraten gestanden, aber ihre Putsch-Strategie stand völlig konträr zu den Vorstellungen von Engels und Marx. In den vier Jahren bis zum letzten Kongress, der in Philadelphia abgehalten wurde, stürzte die IAA in die Bedeutungslosigkeit. Aber auch Marx' Konkurrenten gelang es nicht, dauerhaft eine neue Internationale zu etablieren.
Die Organisation an sich fiel zwar den Fraktionskämpfen zum Opfer, doch der Mythos der "Internationale" blieb erhalten, am prägnantesten formuliert in Eugène Pottiers (1816–1887) Gedicht von 1871, das 1888 vertont wurde. Zudem hatte sie dauerhafte inhaltliche Klärungen ermöglicht, die in der Folgezeit den sozialistischen bzw. sozialdemokratischen, in der Regel von Friedrich Engels (1820–1895) und Marx inspirierten Arbeiterparteien als Richtschnur dienten. Dazu gehören nicht nur der Vorrang des politischen vor dem gewerkschaftlichen Kampf und vor der Etablierung von Genossenschaften, sondern auch der Einsatz für staatliche Sozialreformen im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft wie die Reduzierung der Arbeitszeit oder die Forderung nach der Verstaatlichung zentraler Wirtschaftszweige, z. B. der Bergwerke und Eisenbahnen.16
Auch die Haltung der Arbeiterbewegung zum Krieg, an der 1914 die Zweite Internationale zerbrechen sollte, wurde bereits in der IAA debattiert. Der Brüsseler Kongress von 1868 lehnte stehende Heere ab und forderte, Kriege durch Generalstreik zu verhindern. Davon unberührt sollte das Recht zur Verteidigung bleiben, wie die Debatte um den preußisch-französischen Krieg 1870/1871 in der Internationale zeigte. Diese Diskussion machte aber auch klar, wie schwer es werden würde, reine Verteidigungskriege von provozierten Angriffen zu unterscheiden.17
Die Zweite Internationale (1889–1914)
Während die internationale Kooperation der Arbeiterbewegungen aufgrund der inneren Zerwürfnisse in der IAA und der Repression nach der Pariser Commune zurückging, erlebten die nationalen Arbeiterbewegungen im Zuge der immer weiter ausgreifenden Industrialisierung einen stetigen Aufschwung. Nach mehreren gescheiterten Anläufen führte der internationale Arbeiterkongress, der am hundertsten Jahrestag des Bastille-Sturmes in Paris zusammentrat, zur dauerhaften Wiederaufrichtung der Internationale, in der nun klar der Marxismus dominierte. Wie lose diese Organisation war, noch weniger zentralisiert als die IAA, zeigte sich augenfällig in der Namenlosigkeit des neuen Gebildes. "Der Name 'Zweite Internationale' wurde ihr […] von der Zeitungsliteratur und den Historikern verliehen."18 Man traf sich auf Einladung der ausrichtenden (und finanzierenden) Partei, und die Internationale existierte zunächst nur, wenn sie sich als Kongress konstituierte. Erst nach elf Jahren wurde das "Internationale Sozialistische Bureau" aus zwei Vertretern jeder Mitgliedsorganisation zusammengesetzt. Es erhielt das Recht, zu aktuellen Fragen Stellung zu nehmen. Ein Exekutivkomitee mit Sitz in Brüssel war für die laufenden Geschäfte zuständig.
Gleich der erste Kongress fasste einen Beschluss, der die internationale Verbindung der Arbeiterbewegungen nachhaltig spürbar machen sollte: Am 1. Mai sollte weltweit für den Achtstundentag demonstriert werden. Strittig war, ob die Forderung durch Streik genau an diesem Tag erhoben werden solle – dafür plädierten etwa die Franzosen und Österreicher – oder ob es genüge, in Aufzügen oder Saalveranstaltungen am Abend oder am darauffolgenden Sonntag zu demonstrieren, wie es die deutsche und die englische Arbeiterbewegung taten. Eindrucksvolle Kundgebungen wurden es so oder so.19 Wie die IAA durch internationale Aufrufe zur finanziellen Unterstützung streikender Arbeiter und gegen Streikbrecher bekannt wurde, so gelangte die Zweite Internationale durch die Mai-Demonstrationen umgehend in das Bewusstsein breitester Kreise. Sie konnte an den alten Mythos anknüpfen, auch in den Köpfen ihrer Gegner.
Die Debatten über die Form der Maifeier waren ein Auftakt zum großen, bis 1914 nicht entschiedenen Streit um den Weg zum Sozialismus. Neben der Frage, wie Kriege verhindert werden könnten, war dies das wichtigste Thema der Zweiten Internationale. Die französische und die deutsche Arbeiterbewegung waren ihre entscheidenden Protagonisten. Dabei war die SPD nicht nur die stärkste Organisation der Internationale, ihr Erfurter Programm von 1891 wurde auch inhaltlich zum Vorbild für viele Parteien. Karl Kautsky (1854–1938) als führender Interpret des Marx'schen Gedankengebäudes zählte zu ihren Reihen, aber auch seine späteren Widersacher Eduard Bernstein (1850–1932) und Rosa Luxemburg (1871–1919) wirkten in der SPD. Das Land aber, in dem Revolutionen gesiegt hatten (1789, 1848) oder zumindest versucht wurden (1871), war Frankreich. Von dort kamen die größten ideologischen Herausforderungen an die SPD. Denn die deutschen Sozialdemokraten eilten zwar mit Ausnahme des Jahres 1907 von Wahlsieg zu Wahlsieg, ihre Mitgliederzahlen und die der Gewerkschaften stiegen fortlaufend und waren im Rest Europas unerreicht, doch ihr Einfluss auf den politischen Kurs des Landes war minimal.
Jean Jaurès' (1859–1914)[] Kritik auf dem Amsterdamer Kongress der Internationale von 1904 lief auf die Ablehnung des "revolutionären Attentismus"20 der SPD hinaus, demzufolge der Sozialismus mit naturgesetzlicher Kraft kommen werde. Jaurès' Alternative war eine aktivistische Politik, die sowohl punktuelle parlamentarische Bündnisse mit bürgerlichen Kräften für möglich hielt als auch außerparlamentarische Zwangsmittel (insbesondere den Massenstreik), die zur Abwehr reaktionärer Anschläge auf Errungenschaften der Republik wie die Trennung von Staat und Kirche gedacht waren. Wenngleich leicht zu erkennen war, dass die Positionen in gänzlich unterschiedlichen politischen Systemen wurzelten, war es doch auch ein Fundamentalkonflikt über den Wert demokratischer Reformen. Für August Bebel (1840–1913)[] etwa machte es kaum einen Unterschied, ob der Klassenkampf in einem Kaiserreich oder in einer Republik geführt werden musste. Zu Zeiten der Ersten Internationale hatte die marxistische Mehrheitsströmung in der IAA Bündnisse mit bürgerlichen Kräften nie abgelehnt, ganz im Gegensatz zu den Proudhonisten und Anarchisten. Aber damals ging es auch nicht um eine Beteiligung an oder Unterstützung von mehrheitlich bürgerlichen Regierungen.
Der Konflikt konnte ebenso wenig beigelegt werden wie der um mögliche Massenstreiks. Während bewaffnete Aufstände von der marxistischen Programmatik als Blanquismus verurteilt wurden, gewann der Massenstreik an Anhängern. Mit ihm konnten, so hoffte man, grundsätzliche Forderungen durchgesetzt werden, auch bereits innerhalb der Schranken der kapitalistischen Gesellschaft. Das allgemeine Männerwahlrecht bzw. wichtige Schritte dorthin konnten in einigen Ländern (Belgien, Österreich, Schweden) damit erreicht werden, in Finnland sogar auch das Frauenwahlrecht. Aber die Gegenargumente waren bedeutsam, gerade wenn es nicht nur um Einzelforderungen wie das Wahlrecht, sondern um die Durchsetzung des Sozialismus per Massenstreik gehen sollte: Würde der Staat nicht mit Repressionen antworten, an deren Ende die Arbeiterbewegung alle bisherigen Errungenschaften verlieren würde? Konnte man sicher sein, dass die Bewegung nicht den Führern entgleiten würde? Reichte die Kraft der klassenbewussten, organisierten Arbeiter, um den Streik durchzusetzen, oder war Streikbruch durch die vielen Indifferenten zu befürchten? Die Mehrheit der SPD-Führung war ablehnend, während die französischen Sozialisten, einschließlich der Reformisten um Jean Jaurès, mit dieser Strategie liebäugelten. Der (anfängliche) Erfolg der Massenstreiks des russischen Proletariats 1905 befeuerte die Debatte ungemein, insbesondere in der SPD. Dennoch kam es nie zu einem klaren Bekenntnis der führenden Partei oder der Internationale selbst zum Massenstreik, außer als Defensivmittel, z. B. gegen Versuche, das allgemeine Männerwahlrecht zum Reichstag rückgängig zu machen.
Zu den Zielen eines Massen- oder Generalstreiks konnte natürlich auch gehören, einen Krieg zu verhindern. Aber was tun, wenn der Aufruf zum Streik in den am stärksten industrialisierten Ländern befolgt wird, aber nicht in den rückständigen, namentlich in Russland? Würden nicht dann die westeuropäischen Sozialisten dem reaktionären Zarismus den Weg bahnen?21 Bis 1914 fand die Internationale keine Antwort auf diesen und ähnliche Einwände. Auch die Frage, wann ein Krieg gar die Unterstützung von Sozialisten finden könnte, sofern es um die Verteidigung oder Durchsetzung fortschrittlicher Zustände ginge, fand ganz unterschiedliche Antworten. Für August Bebel war es notwendig, das halb-parlamentarische Deutschland mit seinen Keimzellen eines Sozialstaates gegen das despotische und rückständige Russland zu verteidigen. Für die Franzosen hingegen war ihre demokratische Republik schützenswert gegen den preußischen Militarismus.
Trotz all dieser Debatten hatte niemand die Situation vorausgesehen, zu der es im Sommer 1914 kam. In der letzten Juliwoche trat das Internationale Sozialistische Büro in Brüssel zusammen. Den meisten dort vertretenen Parteien war bewusst, dass die internationale Lage sehr angespannt war, aber sie glaubten nicht, dass ihre Regierungen den Krieg riskieren würden. Die Antikriegsdemonstrationen sollten zwar weitergehen, doch schärfere Maßnahmen wurden nicht vereinbart, denn die Internationale "setzte auf eine weitere Fortdauer der schwelenden Krise. Im Rückblick ist dies ihr schwerwiegendster Fehler gewesen."22 Auf den Kriegsausbruch reagierte sie gar nicht mehr; bis zum Ende der militärischen Auseinandersetzungen verschwand sie weitgehend von der politischen Bühne. Fast alle Mitgliedsparteien stellten sich hinter ihre Regierungen und unterstützten den Waffengang, den sie als legitime Verteidigung ihres jeweiligen Vaterlandes betrachteten. Nur in Russland und in Serbien stimmten die Sozialisten gegen den Krieg.23
Wie kam es zu dieser Reaktion? Am bekanntesten ist die kommunistische These vom Verrat der Grundsätze der Internationale durch die rechten Parteiführer. Einer ernsthaften historischen Analyse hält sie nicht stand. Vier andere Erklärungsstränge sind überzeugender, insbesondere wenn sie nicht jeweils alleine das Umdenken der meisten sozialistischen Parteien erklären sollen, sondern als einander ergänzend betrachtet werden:
- Weder die Internationale als politische Organisation noch ihre Mitgliedsparteien verfügten jenseits der Kongressdeklarationen über eine Strategie zur Beeinflussung der internationalen Politik. Dies wurde nun evident.24
- Überall wurden die Sozialisten von der patriotischen und nationalistischen Welle mitgerissen. Die internationale Arbeiterbewegung hatte sich in den Jahren und Jahrzehnten zuvor nie mit dem Potenzial dieser Strömungen beschäftigt und ihren Einfluss auf die Arbeiterschaft sträflich unterschätzt, ebenso aber auch die Integration der eigenen Organisation in die bestehende Gesellschaft.25
- Nicht nur, aber besonders in Deutschland hatte die Arbeiterbewegung vielfältige und starke Organisationen aufgebaut, deren Zerschlagung durch den Staat im Falle radikaler Antikriegsmaßnahmen, z. B. eines Generalstreikaufrufes, befürchtet wurde.
- Schließlich wird kontrafaktisch ein situativer Faktor angeführt: Hätte die SPD die Kriegskredite verweigert oder sich der Stimme enthalten, wären ihr angesichts der Vorbildfunktion dieser Partei in der Internationale möglicherweise andere Parteien, insbesondere die französische, gefolgt. Der Krieg wäre wohl nicht verhindert worden, aber die Spaltung der Internationale wäre ausgeblieben.26
Der militärische Konflikt veränderte die Stellung vieler Sozialisten zum Staat grundsätzlich. Bis 1914 hatte es in Europa keinen unter ihnen gegeben, der mit Billigung seiner Partei Minister geworden war. Der "Burgfrieden", der nun in den meisten kriegführenden Staaten vereinbart wurde, beendete dieses Tabu. Am Ende des Krieges war die Regierungsbeteiligung von Sozialisten nur noch von den Wahlergebnissen abhängig, aber nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Aber nicht alle Parteimitglieder trugen diesen Wandel mit. Über die Haltung zum Krieg generell und zum Eintritt in ein Kabinett zerbrach in vielen Ländern die Parteieinheit, in Deutschland etwa spaltete sich 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) von der SPD ab. Die mitteleuropäische Revolution von 1918 vertiefte den Graben weiter und erhöhte die Zahl sozialistischer Minister in den Kabinetten.
Auch die Oktoberrevolution in Russland war ein Ergebnis des Ersten Weltkriegs. Die kommunistische Machtübernahme im ehemaligen Zarenreich spaltete die internationale sozialistische Arbeiterbewegung irreversibel; denn durch sie entstand eine dritte, nominell marxistische Strömung, die 1919 zur Kommunistischen oder Dritten Internationale wurde, neben den Befürwortern einer Zusammenarbeit mit bürgerlichen Demokraten einerseits und den Linkssozialisten andererseits. Unter den nichtkommunistischen Linken wurde die Haltung zur Sowjetunion ein immer wieder kontrovers debattiertes Thema, das in seiner Bedeutung für die Internationale mit der Frage der Regierungsbeteiligung oder der Kriegsverhinderung vor 1914 vergleichbar war.
Die Internationale in der Zwischenkriegszeit
Bemühungen zur Wiederaufrichtung der Internationale während des Krieges waren gescheitert,27 und auch die erste Konferenz nach Kriegsende, die im Februar 1919 in Bern zusammentrat, war kein verheißungsvoller Neuanfang. Die belgischen Sozialisten weigerten sich, mit den deutschen Mehrheitssozialdemokraten an einem Tisch zu sitzen, da diese nicht gegen die Verletzung der belgischen Neutralität protestiert hatten. Die deutsche USPD hingegen war anwesend. Beherrscht wurde die Tagung von den Debatten um die Haltung der deutschen Sozialdemokratie während des Krieges und um die Stellung zur bolschewistischen Herrschaft. Die Versammlung beschloss eine Resolution, dass die Internationale "unerschütterlich auf dem Boden der Demokratie" stehe, vermied aber eine direkte Verurteilung der russischen Kommunisten. Um den Wiederaufbau der Internationale voranzutreiben, wurde eine Kommission eingesetzt.28
An der Frage der Beziehungen zu den Bolschewisten scheiterte diese Kommission jedoch. Die USPD sowie die Parteien aus Italien, Norwegen, Österreich und Spanien weigerten sich, an der Neugründung der Zweiten Internationale teilzunehmen. Folglich war es eine Rumpf-Organisation, die Anfang August 1920 in Genf wieder zusammenkam. Sie grenzte sich eindeutig von Vladimir Il'ič Lenins (1870–1924) Kurs ab, schlug aber dennoch vor, die Einheit der Internationale in Gesprächen mit allen Kräften, auch den Kommunisten, wieder zu erlangen.29 Der Sitz des Sekretariates wurde nach London verlegt.
Die linkssozialistische Zwischenströmung errichtete parallel dazu im Februar 1921 in Wien die "Internationale Arbeitsgemeinschaft Sozialistischer Parteien", der 20 Parteien aus 13 Ländern angehörten. Die internationale Arbeiterbewegung war nun in drei konkurrierende Organisationen zerfallen. Die Bemühungen um eine Verständigung mit der kommunistischen Dritten Internationale (Komintern) scheiterten, wohingegen die Gespräche der gemäßigten Kräfte mit der linkssozialistischen Arbeitsgemeinschaft erfolgreich verliefen. Befördert wurden sie durch die Unnachgiebigkeit, mit der die Kommunisten auch gegenüber der Wiener Internationale auftraten. Hinzu kam die vorherige Wiedervereinigung des rechten Flügels der USPD mit der MSPD zur SPD im Jahre 1922, nachdem sich der linke Flügel 1921 der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zugewandt hatte. Im Mai 1923 konnte die Einheit der nichtkommunistischen Linken im internationalen Maßstab auf einem Kongress in Hamburg vollzogen werden. Die nun als Sozialistische Arbeiterinternationale (SAI) firmierende Organisation beschloss kein Programm, aber ihre Statuten definierten sie "als eine Vereinigung sozialistischer Arbeiterparteien, die in der Ersetzung der kapitalistischen Produktionsweise durch die sozialistische das Ziel und im Klassenkampf … das Mittel der Emanzipation der Arbeiterklasse erkennen." Um die Wiederkehr einer Situation wie im August 1914 zu verhindern, bestimmten die Statuten, dass die Mitgliedsparteien "bei Konflikten zwischen Nationen" die SAI "für sich als höchste Instanz" anerkennen sollten.30
Für die wiedergewonnene Einheit war es unabdingbar, dass die SAI eine gemeinsame Haltung zur Sowjetunion formulierte. Der Kongress verurteilte die brutale Unterdrückung der politischen Freiheiten, erklärte sich aber auch einstimmig gegen "jede Absicht einer militärischen Intervention[, die] nicht die Fehler der gegenwärtigen Phase der russischen Revolution beseitigen [würde], sondern die Revolution selbst." Diese Position vertrat die SAI bis zum Hitler-Stalin-Pakt 1939.31
Nie wieder erlangten die Kongresse der Internationale eine ähnliche Bedeutung wie vor 1914. Zur Verhinderung von Kriegen setzte die SAI, zu der 1928 36 meist europäische Parteien gehörten, auf Schiedssprüche des Völkerbundes, der 1920 seine Arbeit aufgenommen hatte. Sollte ein Land dennoch zu den Waffen greifen, waren die SAI-Mitglieder zum "stärkstmöglichen Druck der Massen, selbst in der revolutionären Form" aufgerufen.32 Es ist fraglich, ob die Delegierten dies angesichts der Erfahrungen von 1914 für realistisch hielten. Nationale Entwicklungen zu beeinflussen vermochte die Internationale jedenfalls nicht – dies zeigte die Entstehung des Faschismus in Italien 1923 ebenso deutlich wie der Aufstieg der NSDAP in Deutschland ab 1929.
Nachdem Adolf Hitler (1889–1945) zum Reichskanzler ernannt worden war, rief die SAI am 18. Februar 1933 alle Arbeiter in Deutschland auf, "die gegenseitigen Angriffe einzustellen und gemeinsam gegen den Faschismus zu kämpfen." Diesem Appell war allerdings kein Erfolg beschieden. Schlimmer noch: Ende März trat der SPD-Vorsitzende Otto Wels (1873–1939)[] aus dem Sekretariat der Internationale aus, um – wie er ausführte – der neuen Regierung keinen Vorwand für die "durch Jahre angekündigten Vernichtungsmaßnahmen gegen die Organisationen und Institutionen der Arbeiterklasse" zu bieten. Als klar wurde, dass diese Taktik nicht aufging, widerrief Wels am 18. Mai seinen Schritt.33
Erst ab 1934 zeigten sich die Kommunisten bereit, ihre Angriffe auf die Sozialdemokraten einzustellen und mit ihnen gemeinsam gegen den Faschismus aufzutreten. Nun aber wurde die Internationale von der Propaganda der Komintern überrollt und geriet angesichts der kommunistischen Volksfrontstrategie in die Defensive. Denn eine Zusammenarbeit mit der Dritten Internationale war für manche SAI-Mitglieder angesichts der vorherigen Attacken schwer vorstellbar, so dass nur die Franzosen, die Italiener und die Spanier unmittelbar auf die Offerte aus Moskau eingingen. Die Internationale entkam diesem Dilemma nur dadurch, dass sie die Entscheidung über Bündnisse den einzelnen Parteien überließ.34
Auch während des Spanischen Bürgerkrieges (1936–1939) kam es zu keinen gemeinsamen Aktivitäten der beiden Internationalen. Die 1936 einsetzenden Moskauer Prozesse unter der Herrschaft Iosif V. Stalins (1879–1953) und deren Fernwirkungen in Spanien, wo sowjetische Agenten hinter der Front Jagd auf Gegner aus den Reihen der Linken machten, bestärkten die Skepsis vieler SAI-Mitglieder, ob die Kommunisten an einer ehrlichen Zusammenarbeit interessiert waren. Zugleich aber gelang es der SAI nicht, sich mit der Spanischen Republik auch nur annähernd so solidarisch zu zeigen wie die Komintern, trotz der Aktivitäten einzelner Parteien, besonders aus Skandinavien. Die französische Volksfrontregierung unter dem Sozialisten Léon Blum (1872–1950)[] hielt sich weitgehend an den Nichtinterventionspakt. Die von der Komintern rekrutierten Internationalen Brigaden erschienen als ein rein kommunistisches Projekt, obwohl auch Sozialisten in ihnen gegen die Putschisten unter Francisco Franco (1892–1975) kämpften.
Das Ende der SAI zeichnete sich ab, als sie zu keiner gemeinsamen Haltung zum Münchner Abkommen fand, mit dem Italien, Großbritannien und Frankreich im September 1938 ihre Zustimmung zum Anschluss des Sudetenlandes an das nationalsozialistische Deutschland festhielten. Die britische Labour Party lehnte die Vereinbarung rundweg ab und forderte zum wehrhaften Widerstand gegen die Expansionsgelüste des NS-Regimes auf, während die französischen Sozialisten das Abkommen unterstützten. Die tschechischen Sozialdemokraten wiederum traten aus der SAI aus, schworen dem Klassenkampf sowie dem Internationalismus ab und schlossen Juden aus ihren Reihen aus.35 Angesichts dieser politischen Lähmung trat die Führungsspitze der SAI im Mai 1939 zurück. Zwar tagte die Exekutive danach noch einige Male, zuletzt im April 1940, aber die Handlungsfähigkeit der Internationale ließ sich nicht wiederherstellen. Sang- und klanglos verschwand die Dachorganisation der nichtkommunistischen Arbeiterbewegung von der politischen Bühne.
Fazit
Legt man die Maßstäbe der sogenannten Realpolitik an, wurde die Macht der Internationale von Anhängern und Gegnern stets überschätzt. Bis 1914 hielt man sie (und sie sich selbst) für fähig, in einer existenziellen Krise des Kapitalismus den Sieg des Proletariats über Ländergrenzen hinweg zu organisieren. Aber dies erwies sich als utopisches Denken, trotz aller Berufung auf die marxistische Programmatik. Wie der Kriegsbeginn 1914 zeigte, war auch die Politik der Sozialisten primär von nationalen Faktoren geprägt. Dies galt umso mehr nach 1918, als in vielen Ländern Mitgliedsparteien in nationale Regierungen eintraten. Man hätte vermuten können, dass vermittels dieser Regierungsbeteiligungen die Macht der Internationale in der Zwischenkriegszeit anwachsen würde. Doch das Gegenteil war der Fall. Der Mythos von der Vorkriegs-Internationale, die vermeintlich das Weltproletariat anführte, war dahin, und die einzelnen Parteien waren stärker denn je in die nationale Politik eingebunden und damit auch berechenbarer geworden. Die wenigen Impulse, die von der Internationale noch ausgingen, scheiterten an den inkompatiblen nationalen Rahmenbedingungen.
Die Internationale Arbeiterassoziation und die Zweite Internationale bis 1914 waren kaum durchsetzungsfähiger gewesen als die Sozialistische Arbeiterinternationale nach dem Ersten Weltkrieg, aber sie waren Teil der heroischen Phase der Arbeiterbewegung. In der Vorkriegszeit dienten die Kongresse der Internationale der programmatischen Selbstverständigung, was auch mit sich brachte, dass unvereinbare Positionen zur organisatorischen Trennung führen konnten (dies geschah besonders in der IAA). Aber nie war die Internationale tatsächlich die einheitlich agierende Weltpartei des Proletariats. Der Glaube ihrer Anhänger und die Furcht ihrer Gegner waren die zentralen Ressourcen ihrer Macht.
Zur weiteren Entwicklung und Historiographie der Internationale
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde 1951 in Frankfurt am Main als Nachfolgeorganisation der SAI die Sozialistische Internationale (SI)36 begründet, nachdem zunächst mehrere Anläufe an der Frage, ob die SPD zugelassen werden dürfe, gescheitert waren. Bis Ende der 1950er Jahre dominierte die britische Labour Party die SI, doch in der Folgezeit gewannen die deutschen, österreichischen und schwedischen Sozialdemokraten eine beherrschende Position. Lange blieb die Sozialistische Internationale im Wesentlichen auf Europa beschränkt. Erst in den Jahren von 1976 bis 1992, in denen der ehemalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt (1913–1992) der SI vorstand, schlossen sich ihr in großer Zahl Parteien aus Lateinamerika, Afrika und Asien an, so dass die Organisation erkennbaren Einfluss in der internationalen Politik erlangte.37
Die Erforschung der Geschichte der Internationalen Arbeiterassoziation setzte bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit der Zusammenstellung verstreuter Dokumente ein.38 1920 begann das Marx-Engels-Institut39 in Moskau, 1935 auch das Internationale Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam mit der systematischen Archivierung und Auswertung von Unterlagen zur Geschichte der Ersten und der Zweiten Internationale. Das Archiv der Sozialistischen Arbeiter-Internationale konnte nach dem Zweiten Weltkrieg dem IISG Amsterdam40 übereignet werden. Seit der Mitte der 1950er Jahre wurden erste Überblickswerke zur Geschichte der Internationale veröffentlicht.41 Im folgenden Jahrzehnt legte dann Julius Braunthal, der mehrere Jahre Sekretär der SI war, eine dreibändige Geschichte der Internationale vor, die bis heute das Standardwerk zu diesem Thema ist, obwohl sie streckenweise in journalistischem Stil geschrieben ist und oft eher apologetisch argumentiert.42 Parallel dazu wurden die Konferenzprotokolle der Zweiten Internationale ediert.43 Seitdem ist jedoch keine neue Gesamtdarstellung der Internationale bis 1940 erarbeitet worden. In der DDR existierte zwar eine Forschergruppe zur Geschichte der Zweiten Internationale, doch blieb ihre Forschung den engen ideologischen Vorgaben des Marxismus-Leninismus verpflichtet.44 Allerdings weckte die Reaktion der internationalen Arbeiterbewegung auf den Ersten Weltkrieg immer wieder das Interesse der Wissenschaft.45