Konfessionsverbünde und ökumenische Netzwerke im 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert war geprägt von einem enormen Globalisierungsprozess, der nicht nur die Ökonomie betraf. Das lag auch an der Verbesserung der Kommunikationsmittel und der Reisemöglichkeiten (Telegraphie, Dampfschifffahrt, Eisenbahn). Es gab folglich eine allgemeine Tendenz zur Internationalisierung.1 Europäische bzw. Weltorganisationen bildeten sich, globale Konferenzen fanden statt (u.a. 1843 British and Foreign Anti-Slavery Society, 1851 erste Weltausstellung in London, 1864 Internationales Rotes Kreuz, 1864 Internationale Arbeiter-Assoziation – I. Internationale –, 1896 Olympische Spiele der Neuzeit).
Auf Weltebene entstanden konfessionelle Zusammenschlüsse. Die christlichen Konfessionen wollten sich als internationale Gemeinschaften formieren und zugleich nach außen sichtbar präsentieren. So versuchten sie einerseits durch das Interesse an einem gemeinsamen christlichen Zeugnis, nationale Verengungen zu überwinden, andererseits liefen sie Gefahr, bezogen auf das Christentum als Ganzes, durch die Betonung konfessioneller Identität die Abgrenzung gegenüber den anderen "Konfessionsfamilien" voranzutreiben. Zu den konfessionellen Zusammenschlüssen gehörten 1867 die Lambethkonferenzen,2 das Erste Vatikanische Konzil 1869 bis 1870,3 1875 der Reformierte Weltbund / Weltbund der Presbyterianer (World Alliance of the Reformed Churches holding the Presbyterian System; 2010 Zusammenschluss mit dem Reformierten Ökumenischen Rat zur Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen),4 1881 die Ecumenical Methodist Conferences (seit 1951 mit Methodistischem Weltrat),5 1889 die Altkatholische Union von Utrecht,6 1891 der International Congregational Council und 1905 die Baptist World Alliance.7 1923 folgte der Lutherische Weltkonvent (1947 Lutherischer Weltbund).8 Es handelte sich auf protestantischer Seite um lockere Gemeinschaften ohne judikative Befugnisse über die ihnen angehörenden Kirchen.
Neben diesen Zusammenschlüssen institutionalisierter Kirchen entstand ein die christlichen Konfessionen übergreifendes, interkonfessionelles Netzwerk ökumenischer Initiativen. Es ging von christlichen Gruppen und Bewegungen und von zumeist charismatisch begabten Einzelpersonen aus und steht kirchengeschichtlich im Kontext der Erweckungsbewegung in Europa und den USA9 und des Verbandsprotestantismus.10 Besonders engagiert in diesen Zusammenschlüssen waren englische und nordamerikanische Protestanten, aber auch in Frankreich gab es von Beginn an eine intensive Mitarbeit. Sprachlich dominierte das Englische, der größte linguale "Globalisierungsgewinner" im Laufe des 19. Jahrhunderts.11 Am bekanntesten und schlagkräftigsten waren die Evangelische Allianz (1846),12 der Christliche Verein junger Männer / "Weltbund der Christlichen Vereinigung junger Männer" (YMCA / CVJM 1854),13 der Christliche Studentenweltbund 189514 und der Weltbund Christlicher Verbände Junger Frauen 189415 sowie die Weltsonntagsschulbewegung.16 Eine weibliche Initiative war die Weltgebetstagsbewegung mit Wurzeln im 19. Jahrhundert.17
Die Evangelische Allianz ist ein frühes Beispiel für die Entwicklung einer ökumenischen Dynamik, aber auch für Schwierigkeiten in diesem Feld christlicher Kooperation. Zunächst geplant als ein internationales Begegnungs- und Austauschforum für Christen zur Förderung einer kirchlichen Erneuerung18 unter der Zielperspektive der Einheit der Christen, nicht zuletzt als Signal angesichts der als zunehmend offensiver empfundenen Politik des Vatikans, engagierte sich die Allianz bald gegen die Verletzung des Prinzips der Religionsfreiheit19 in verschiedenen Ländern und entwickelte hier zumindest partiell die Qualität einer Nichtregierungsorganisation. Soziale Notlagen und Kriege wurden ebenso aufgegriffen und gaben Anlass zu ethischen Reflektionen (v. a. Wirtschaft und Friedensfrage),20 nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/1871 lag der Allianz an einer Aussöhnung zwischen in ihr engagierten Christen beider Länder. In regelmäßigen Abständen fanden in verschiedenen Großstädten Europas und der USA größere internationale Konferenzen statt, auf denen die Lage des Christentums in einzelnen Ländern und Regionen und allgemein interessierende dogmatische und zumeist aktuelle ethische Themen reflektiert wurden. Auf der anderen Seite blieben Konflikte nicht aus – die zunächst unterschiedlichen Auffassungen von Briten und US-Amerikanern über die Frage der Sklaverei, die auf der Gründungsversammlung 1846 in London das Unternehmen fast zum Scheitern gebracht hätten, erinnerten an spätere Auseinandersetzungen in der Genfer Ökumene um den Umgang mit der Apartheidspolitik im südlichen Afrika. Auf dem Feld der Spiritualität gab es recht rasch ein Bedürfnis nach gemeinsamen Abendmahlsfeiern und einer intensiveren Gottesdienstgemeinschaft. Seit ihrer Gründung verstand sich die Allianz als eine ökumenische Bewegung. Man bezog sich auf die gesamte Christenheit sowie auf die Welt als Ganze. Überdies entwickelte die Allianz ein kritisches Potenzial gegen Konfessionalismus und Nationalismus innewohnende Ab- und Ausgrenzungsmechanismen. Seit den 1880er Jahren schwächten sich die genannten Potenziale etwas ab, vor allem bekam die Allianz eine stärkere Schlagseite gegen die kritische Theologie liberaler Prägung.21
Besonders intensiv war die Kooperation von Christen unterschiedlicher protestantischer Konfessionen bzw. Denominationen in der Missionsbewegung, von ihr sollten zunächst die stärksten ökumenischen Impulse ausgehen. Die konfessionelle Zersplitterung galt als ein wesentliches Hindernis für die Missionstätigkeit an der indigenen Bevölkerung in Afrika und Asien. Deshalb entstand ein wachsendes Interesse an einer Zusammenarbeit unter den Kirchen und auch an Schritten zu einer innerchristlichen Einheit, was zunehmend durch den Begriff "ökumenisch" charakterisiert wurde. Seit 1854 kam es wiederholt zu internationalen Missionskonferenzen.
Bei der Weltmissionskonferenz in Edinburgh 1910, besonders geprägt durch den US-Amerikaner John R. Mott (1865–1955), Mitbegründer des Christlichen Studentenweltbundes, und den ebenfalls in der christlichen Studentenbewegung aktiven Schotten Joseph H. Oldham (1874–1969), waren die beiden in der Missionsarbeit engagierten ökumenischen Grundströmungen (Kirchen und Netzwerke) präsent. Die Versammlung formulierte programmatisch drei ökumenische Grundanliegen:
- Evangelisierung der Menschheit ("Evangelisation der ganzen Welt in dieser Generation");22
- Verpflichtung zu Frieden und sozialer Gerechtigkeit;
- Suche nach der Einheit der Kirche.23
Der Weg zum Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK)
Die drei in Edinburgh formulierten Grundanliegen äußerten sich institutionell in drei ökumenischen Bewegungen bzw. drei Traditionsströmen. Sie waren Vorläufer des Ökumenischen Rates der Kirchen: Die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order, 1910),24 die Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work, 1920)25 und der Internationale Missionsrat (1921). Diese ökumenischen Stränge trafen sich in der Folgezeit jeweils zu Weltkirchenkonferenzen. Überdies gab es personelle Überschneidungen mit den konfessionellen Zusammenschlüssen.
Die Missionsbewegung empfand als eines der Defizite der bisherigen Missionstätigkeit in Afrika, Asien und Lateinamerika, dass die europäische konfessionelle Spaltung dorthin übertragen wurde. Deshalb entstanden seit den 1920er Jahren in vielen dieser Länder "Nationale Christenräte". Dort kam es zur Kooperation zwischen verschiedenen protestantischen Denominationen. Hier ist zudem der Ursprung des Rätesystems als ökumenisches Strukturprinzip zu sehen. Nach und nach entstanden in den Missionsländern eigenständige "Junge Kirchen".26
Ein wichtiger Vorläufer der Bewegung für Praktisches Christentum (Life and Work) war der Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen, gegründet am 2. August 1914 in Konstanz, einen Tag nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Angesichts des zunehmenden Rüstungswettlaufs erwuchs der Weltbund aus dem Empfinden einer wachsenden Gefährdung des Friedens. Führende Akteure waren die britischen liberalen Unterhausabgeordneten Joseph Allen Baker (1852–1918), ein Quäker, und Willoughby Dickinson (1859–1943) sowie der Berliner Pfarrer Friedrich Siegmund-Schultze (1885–1969) und die nordamerikanischen Theologen William P. Merrill (1867–1954) ein Presbyterianer, und Frederick Lynch (1867–1934), Sekretär des Federal Council of Churches of Christ und der Church Peace Union.
Der Weltbund plädierte für eine praktische Kooperation der Kirchen in Sachen Frieden und Völkerverständigung. Er sah nach dem Ende des Ersten Weltkriegs seine Aufgabe darin, einen Beitrag zur Versöhnung zwischen den Völkern und zur Erhaltung des Friedens zu leisten. 1919 unterstützte der Weltbund auf seiner Tagung in Oud Wassenaar (Niederlande) den Vorschlag des Erzbischofs von Uppsala, Nathan Söderblom (1866–1931),27 einen ökumenischen Kirchenrat (ecumenical council) zu gründen. Dieser Rat sollte die gesamte Christenheit vertreten.28
Söderblom hatte sich schon seit längerem für Friedensfragen und soziale Anliegen engagiert. Im Ersten Weltkrieg hatte er die für ihn schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass zwar einzelne Christen ihre Stimme gegen den Krieg erhoben, ihr Protest jedoch wirkungslos blieb, weil es keine gemeinsame Koordination solcher Bestrebungen gab.29 Friedensinitiativen von Söderblom wie von Papst Benedikt XV. (1854–1922) waren an nationalen Egoismen der einzelnen Kirchen bzw. Bischofskonferenzen gescheitert.
Vom 19. bis zum 30. August 1925 tagte in Stockholm die erste Weltkonferenz für Praktisches Christentum. Fast alle Teilnehmer waren offizielle Delegierte ihrer Kirchen, stark vertreten waren auch orthodoxe Christen;30 1919 hatte das Patriarchat von Konstantinopel beschlossen, alle Kirchen zur Gründung eines "Bundes der Kirchen" einzuladen. Die Bewegung beschränkte sich auf Fragen nach einem gemeinsamen christlichen Handeln, Lehrdifferenzen sparte man weitgehend aus ("Lehre trennt, Dienst vereint"). Die Stockholmer Konferenz forderte, dass im internationalen, wirtschaftlichen, sozialen und öffentlichen Leben christliche Grundsätze gelten sollten. Sie berief einen Fortsetzungsausschuss; aus ihm erwuchs 1930 der "Ökumenische Rat für Praktisches Christentum". 1937 kam die Bewegung in Oxford zu ihrer zweiten Konferenz zusammen ("Kirche, Volk und Staat"). Sie bezog Stellung zu Fragen des Nationalismus und der Ökonomie und solidarisierte sich mit der Bekennenden Kirche in Deutschland. Im Blick auf den durch totalitäre Regime gefährdeten Frieden plädierte sie für eine internationale Rechtsordnung zur Bewahrung und Sicherung des Friedens.31
Vom 3. bis zum 12. August 1927 versammelte sich in Lausanne die erste Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung. Die Bewegung konzentrierte sich auf Fragen der Glaubenslehre und der Kirchenstruktur bzw. des Kirchenverständnisses. Wesentliches Ziel war die Überwindung der Trennung der Kirchen (Lausanne 1927) bzw. die "Wiedervereinigung" der getrennten Kirchen (Charles H. Brent, 1862–1929, anglikanischer Bischof USA). Auf ihrer zweiten Konferenz 1937 in Edinburgh wurde ein Konsens in der Gnadenlehre erreicht. Die Kirchen sollten die Einheit, die sie in Christus hätten, deutlich sichtbar machen.
Die Weltkirchenkonferenzen in den 1930er Jahren – hinzu kam die Weltmissionskonferenz 1938 in Tambaram (Madras), Indien – dokumentierten eine Stabilisierung der ökumenischen Bewegung, die mittlerweile an Kontinuität gewonnen hatte. Im Leben der an ihr beteiligten Kirchen, so in Nordamerika, England, Schweden oder auch der Bekennenden Kirche in Deutschland, hatte sie einen festen Platz gewonnen. Allerdings war der ökumenische Gedanke in den Ortsgemeinden weniger präsent. Um eine effektive Arbeit auf internationaler Ebene zu erleichtern, wurde seit 1933 konkreter an einen Zusammenschluss der existierenden ökumenischen Organisationen gedacht. Zudem gab es zwischen den einzelnen Bewegungen Personalunionen; man gelangte zu der Erkenntnis, dass theologische und praktische Frage- und Themenstellungen einer integrativen Behandlung bedurften – das war auch eine Erfahrung aus dem in Deutschland beginnenden "Kirchenkampf".32
1937 fiel in London die Entscheidung, einen Ökumenischen Rat der Kirchen zu gründen; der Plan fand die Billigung der Konferenzen von Oxford und Edinburgh. 1938 entstand in Utrecht ein "Vorläufiger Ausschuss für einen Ökumenischen Rat (im Aufbau begriffen)". Erzbischof William Temple (1881–1944)[] (York) wurde sein Vorsitzender, der Niederländer Willem A. Visser't Hooft (1900–1985) wurde Generalsekretär und war fortan die eigentliche Führungspersönlichkeit des Ökumenischen Rates. Das provisorische Büro wurde in Genf eingerichtet.
Der Beginn des Zweiten Weltkriegs am 1. September 1939 verzögerte diese Pläne, jedoch vermittelte die ökumenische Bewegung in allerdings zum Teil geringem Umfang Kommunikationskanäle, verbreitete Informationen über die kirchliche Lage in den Krieg führenden Ländern und koordinierte praktische Hilfe (v. a. zwischenkirchliche Hilfe – Unterstützung von Flüchtlingen – bereits 1933 wurde das International Christian Council for Refugees eingesetzt, Betreuung von Kriegsgefangenen, Hilfe in verwaisten Missionsgebieten). Zudem gab es Überlegungen für eine globale und europäische Nachkriegsordnung.33
Nach Kriegsende gab es die verbreitete Überzeugung, alles daran setzen zu müssen, die Wiederholung einer solchen Katastrophe zu vermeiden. Dies war ein wesentliches Motiv für die Gründung der Vereinten Nationen (UNO) 1945. In diesen Kontext gehört die Entstehung der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten (KKIA/CCIA) im Folgejahr.34 Sie übernahm im Wesentlichen die Aufgaben des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen, der sich 1948 auflöste, allerdings mit einem größeren Maß an Verbindlichkeit und Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Zu ihrem Aufgabenkatalog gehörten die Durchsetzung der Menschenrechte, die Förderung von Dekolonisation und wirtschaftlicher Entwicklung,35 die Regelung der Rüstungsfrage sowie die Unterstützung der Weiterentwicklung internationaler Organisationen und Rechtsnormen.36
1946 gründete der Vorläufige Ökumenische Rat das Ökumenische Institut in Bossey bei Genf, zunächst vor allem zur Bildung und Ausbildung ökumenischer Mitarbeiter. Es diente der Kommunikation über theologische Fragen, dem ökumenischen Studium und der theologischen Forschung.37
Mit der Stuttgarter Schulderklärung, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in Gegenwart einer ökumenischen Delegation mit Vertretern aus den USA und Westeuropa im Oktober 1945 abgegeben hatte, erfolgte zeitlich sehr viel früher als in der internationalen Politik oder auf vielen anderen Feldern38 in einem "Brückenschlag der Versöhnung"39 die Wiederaufnahme des deutschen Protestantismus in die Ökumenische Bewegung.40 Damit einher gingen materielle Hilfeleistungen.41
Die ökumenischen Konfessionsverbünde im Ost-West- und Nord-Süd-Konflikt
Die Gründung des Ökumenischen Rates
Die offizielle Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen (World Council of Churches) erfolgte Ende August 1948 auf der ersten Weltkirchenkonferenz in Amsterdam, vertreten waren 147 Kirchen aus 44 Ländern. Sie stand unter dem Thema "Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan". Das Leitmotiv nahm Bezug auf den beginnenden Kalten Krieg zwischen den Supermächten USA und UdSSR, der die Ökumene in den Folgejahrzehnten intensiv beschäftigen sollte,42 zudem auf die zunehmende Säkularisierung im Westen und auf die religionsfeindliche Politik hinter dem sogenannten "Eisernen Vorhang" in Ost(mittel)europa. Überdies wurde in der sogenannten "Dritten Welt" die Position des Christentums schwächer. Im Kontext nationaler Unabhängigkeitsbestrebungen kam es hier zu einer Renaissance traditionsverhafteter indigener Religionen. Mit dem immer virulenter werdenden Ende des Kolonialismus sank zudem der politische Einfluss des Christentums.
Der Ökumenische Rat setzte sich "die Erneuerung oder vielmehr die Wiedergeburt der gegenwärtigen Kirchen" zum Ziel, so lautete der Gründungsaufruf von 1947.43 Die Christenheit könne in der Welt nur dann eine glaubwürdige Stimme erheben, wenn sie nicht innerlich zerrissen war. Deshalb gingen dem Dienst an der Welt voran: Gemeinsames Hören des Evangeliums, gemeinsamer Gottesdienst und die Erfahrung der geistlichen Einheit in Christus. Die "Basisformel" lautete: "Der ÖRK ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen."44 Damit (Gemeinschaft von Kirchen, Reduktion der Glaubensgemeinsamkeiten auf das Bekenntnis zu Christus) war der ÖRK offen für Kirchen mit unterschiedlichen Kirchenverständnissen. Das galt ebenso für die noch abseitsstehende römisch-katholische Kirche.
Die Toronto-Erklärung aus dem Jahr 1950 definierte den ÖRK als ekklesiologisch neutral, das heißt der ÖRK sah sich nicht als Kirche, sondern als eine Gemeinschaft von Kirchen, die sich in ihrer Verschiedenheit anerkennen; der ÖRK verpflichtet die Gliedkirchen nicht auf eine bestimmte Einheitskonzeption oder Ekklesiologie, er hat auch keine Gesetzgebungskompetenz (legislative Macht) ihnen gegenüber; allerdings weiß sich der ÖRK für seine Mitgliedskirchen verantwortlich. Der ÖRK stellt den organisatorischen Rahmen für ökumenische Bestrebungen und Aktivitäten seiner Mitgliedskirchen her und ermöglicht ihnen, sich gemeinsam zu konkreten Problemen zu positionieren. Es geht in der Tätigkeit des ÖRK folglich um Koordination, die Bereitstellung von Informationen und die Ermöglichung von Austausch – ihm obliegt keine kirchenrechtliche, sondern "weisheitliche Autorität".45
In Amsterdam kam es zu einer gegensätzlichen Beurteilung des Ost-West-Konflikts, der Kalte Krieg hatte mit der Berlin-Blockade einen ersten Höhepunkt erreicht. Der US-amerikanische Politiker John Foster Dulles (1888–1959) (Der christliche Staatsbürger in einer sich wandelnden Welt)46 verfolgte das Ziel, die im ÖRK vereinte Christenheit als ethisches Gegengewicht zum östlichen Kommunismus darzustellen. Dulles schwebte das friedliche Zusammenleben freier, demokratischer Gesellschaften in einer Weltgemeinschaft vor. Dem stand nach seiner Auffassung der Kommunismus entgegen, der auf Gewalt und Zwang setzte.47 Der ÖRK wurde wohl auch aus diesen Motiven in seinen Anfangsjahren durch den Industriellen John D. Rockefeller, Jr. (1874–1960) finanziell unterstützt.48
Vor dem Hintergrund der Preisgabe der demokratischen Tschechoslowakei 1938 glaubte der tschechische Theologe Josef L. Hromádka (1889–1969) (Unsere Verantwortung in der Nachkriegszeit)49 hingegen nicht, dass die westlichen Demokratien in der Lage seien, die Probleme der Zeit zu lösen. Sie hätten sich bis vor dem Zweiten Weltkrieg als zu schwach erwiesen, den deutschen Nationalismus in Schranken zu halten. Die westlichen Völker hätten damit ihre moralische Autorität und ihren Anspruch auf eine führende Rolle in der Welt verspielt. Kommunismus sei nicht einfach mit Totalitarismus gleichzusetzen, auch wenn Hromádka dem System innewohnende Gefahren nicht leugnete. Es verfüge über eine soziale Dynamik, die zum Beispiel im Urchristentum und in der Reformation auch in der Kirche wirksam geworden sei. Die Kirche Christi habe die Aufgabe, die Schranken von Nationen, politischen Systemen und Blöcken zu überschreiten.50
Das Aufeinandertreffen beider Positionen machte deutlich, dass nicht nur Deutschland, sondern auch Europa und die Welt zweigeteilt waren. Die Vollversammlung empfahl einen "Dritten Weg" zwischen den Gesellschaftssystemen. Die Kirchen sollten sich für eine "verantwortliche Gesellschaft (responsible society)" einsetzen.51 Dieser Begriff sollte für das kommende Jahrzehnt Leitmotiv der ökumenischen Sozialethik werden. Er inkludierte das Feld der Menschenrechte sowie die Forderungen nach individuellen Freiheiten unter Einschluss der Religionsfreiheit, demokratischem Verfassungsstaat und Gerechtigkeit. Von hier aus ließen sich beide politischen Systeme kritisieren, doch standen die skizzierten Postulate dem Modell der westlichen Demokratie näher. Mit dem Ausruf "Krieg soll nach Gottes willen nicht sein" reagierte die Versammlung auf den Eintritt in das Atomzeitalter.52
Leitendes Organ des ÖRK wurde die Vollversammlung, die ca. alle sieben Jahre zusammentritt.53 Die ÖRK-Vollversammlung in Evanston (USA) im August 1954 "Christus – die Hoffnung der Welt" akzentuierte die Gemeinsamkeit des Handelns der Kirchen. Tiefe Glaubensunterschiede sollten die Ausnahme sein. Sie erklärte: "Wir richten an die Vertreter der Kirchen in jenen Ländern, zwischen denen Spannungen bestehen, den Appell zu gegenseitigen Besuchen, damit sie ... die Bande der Gemeinschaft verstärken und die Versöhnung der Nationen fördern."54
Die Christliche Friedenskonferenz
Daraufhin verstärkten sich die Kontakte deutscher Kirchenvertreter und Universitätstheologen vor allem in die Tschechoslowakei und die Sowjetunion.55 Diese Verständigungsbemühungen mündeten in zwei Wegen, die Ost-West-Kontakte zu institutionalisieren: Der Konferenz Europäischer Kirchen und der Christlichen Friedenskonferenz. Beiden Initiativen lag die Überzeugung zugrunde, dass der ÖRK (ebenso wie der Lutherische Weltbund) zu sehr westlich dominiert sei. Es ging um eine geistige und vor allem geistliche Überwindung des Ost-West-Gegensatzes, eine Annäherung über die politisch-ideologischen Grenzen hinweg und um einen Beitrag für eine neue und bessere Ostpolitik. Der Konferenz Europäischer Kirchen – Initiatoren waren Ernst Wilm (1901–1989), Heinrich Held (1897–1957) und Heinz Kloppenburg (1903–1986) – ging es zunächst um gegenseitige Information über das kirchliche Leben in beiden Gesellschaftsordnungen und um Beratung. Die Kirchen sollten zwischen Ländern, zwischen denen keine politische Verständigung möglich war, eine Brückenbauerfunktion wahrnehmen. Ab Januar 1959 fanden regelmäßige Tagungen in Dänemark (Nyborg, Liselund) statt, die 1964 in die offizielle Gründung des Zusammenschlusses mündeten.56
Ungefähr zeitgleich entstand die Christliche Friedenskonferenz. Hauptinitiator war der tschechische Theologe Josef Hromádka. Es war einerseits die Reaktion darauf, dass Hromádka in der entstehenden Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) nicht mitwirken konnte wie gewünscht. Ein wesentlicher Grund dafür war seine im Dezember 1956 erschienene Einschätzung des Ungarischen Volksaufstandes. Hier hatte er dem lutherischen Bischof Lájos Ordass (1901–1978) und dem ungarischen reformierten Kirchenführer Professor László Pap (1908–1983) Unterstützung der "Konterrevolution" vorgeworfen.
Vom 1. bis zum 3. Juni 1958 fand in Prag die erste Tagung der Christlichen Friedenskonferenz statt. Sie knüpfte formal an die Prager Zusammenkunft des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen 1928 an. Von Beginn an erhielt die Christliche Friedenskonferenz finanzielle und logistische Unterstützung von Seiten staatlicher Stellen des Ostblocks. Diese versprachen sich von dem Projekt größere Einflussmöglichkeiten auf den ÖRK und eine Stärkung der schwachen Position Hromádkas in der Genfer Ökumene. Das Vorhaben sollte sich auf die Friedensfrage konzentrieren und andere Fragen wie das Verhältnis von Christentum und Kommunismus unbehandelt bleiben lassen. Das geplante Unternehmen sollte Christen ansprechen, die durch säkulare sowjetfreundliche Organisationen wie den Weltfriedensrat nicht zu erreichen waren.
Ab 1960 beteiligte sich die Russisch-Orthodoxe Kirche direkt an dem Unternehmen. Vom 13. bis zum 18. Juni 1961 kam es zur Ersten Allchristlichen Friedensversammlung in Prag mit nahezu 700 Teilnehmern unter dem Motto "Friede auf Erden". Vor Beginn der Tagung hatte das Internationale Sekretariat der CFK Arbeitsmaterialien, einige Referate und Beschlussvorlagen den kommunistischen Staatsämtern für Kirchenfragen zur Begutachtung vorgelegt. Das sollte in der Folgezeit zu einer üblichen Praxis werden. Westeuropäer sowie US-Amerikaner nutzten CFK-Veranstaltungen zunächst intensiver, weil sie darin eine gute Gelegenheit für das Knüpfen und die Pflege von Ost-West-Kontakten sahen. Mit einseitigen Stellungnahmen zum Nahost-Konflikt und nach der Absetzung der mittlerweile reformsozialistisch orientierten Führungspersonen Josef Hromádka und Jaroslav N. Ondra (1925–2000) 1969 erlitt die CFK einen deutlichen Glaubwürdigkeitsverlust.57
Der Ökumenische Rat und die große Politik
Auf der dritten ÖRK-Vollversammlung vom 19. November bis zum 5. Dezember 1961 in Neu-Delhi kam es zu einer deutlichen Erweiterung des Mitgliederspektrums des ÖRK: Erstmals nahmen orthodoxe Kirchen aus Russland, Rumänien, Bulgarien und Polen und als Folge des Dekolonisierungsprozesses eine Reihe von "jungen Kirchen" aus Afrika und Asien teil, zugleich wurde der Internationale Missionsrat integriert (1971 folgte der World Council of Christian Education).
Die bisherige Dominanz Westeuropas und Nordamerikas im ÖRK begann damit zu schwinden, ein "Entwestlichungsprozess" setzte ein.58 Das galt in der Folge auch für die anderen internationalen Konfessionsverbände sowie mit einer gewissen Verzögerung für die katholische Kirche. Insgesamt sprach man im Blick auf Neu-Delhi von einer "Wende" in der Ökumene. Politische Themen bestimmten die Verhandlungen stärker als zuvor 1954 in Evanston. Überdies fehlte scharfe Kritik an der Politik des Ostblocks und der marxistisch-leninistischen Ideologie. Ausnahme war die Situation in der DDR; indem man die staatliche Reiseverweigerung für ostdeutsche Delegierte kritisierte, rückten die Restriktionen gegenüber Christen in der DDR in die Weltöffentlichkeit. Allerdings hatte es über die Bewertung des Mauerbaus in Berlin letztlich keine Einigung gegeben. Einmütigkeit bestand darin, dass es anstelle der Wiedervereinigung (das Wort fand keine Erwähnung) um die Entspannung zwischen beiden deutschen Staaten zu gehen habe.59
Den Auftrag des ÖRK definierte die Vollversammlung in ihrer Selbstbeschreibung nun als "Zeugnis – Dienst – Einheit" (statt zuvor "Einheit – Zeugnis – Dienst"). Die Ethik erhielt damit einen höheren Rang; gemeinsames Tun wurde zu einer der Voraussetzungen für die Einheit der Weltchristenheit.60
Die 1960er und frühen 1970er Jahre waren auch in der Ökumene von einem Reform-Optimismus gekennzeichnet. Zugleich wuchs im Genfer Stab und unter den Mitgliedern das Bewusstsein, "Teil der einen Welt zu sein",61 wovon etwa die Entstehung neuer Kirchenpartnerschaften zwischen "Erster" und "Dritter Welt" zeugten.62 Auf der vom ÖRK ausgerichteten "Weltkonferenz für Kirche und Gesellschaft" (12. bis 26. Juli 1966 in Genf) wurde das "Recht auf Revolution" neu bewertet, allerdings war die Haltung zur Theologie der Revolution nicht einmütig; zugleich nahm die Distanz gegenüber den westlichen Demokratien zu. Die Hinzuziehung von Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern war Ausdruck für eine steigende Professionalisierung des ÖRK.63
Ganz im Kontext des Reformgeistes der 1960er Jahre stand auch die ÖRK-Vollversammlung in Uppsala (Schweden) (4. bis 20. Juli 1968). Hier wurde erstmals intensiver die Armut des größeren Teils der Menschheit thematisiert. Damit einher gingen Fragen nach einem angemessenen christlichen Lebensstil und Überlegungen zur Bekämpfung des Rassismus – die Konferenz initiierte das Anti-Rassismus-Programm, das wegen der Unterstützung bewaffneter Befreiungsbewegungen nicht unumstritten war.64 Anstatt von Revolution sprach die Konferenz allerdings nun etwas pragmatischer von der Erneuerung der Welt und der Menschheit hin zu einer gerechten Gesellschaft, zugleich von der Notwendigkeit einer Erneuerung der (ökumenischen) Theologie und der kirchlichen Strukturen.65 Dem entsprach das Motto der Vollversammlung "Siehe, ich mache alles neu" (Offenbarung 21,5). Auch die Kooperation mit dem Vatikan intensivierte sich in der Folge weiter, eine reguläre Mitgliedschaft unterblieb jedoch.66
In den 1970er Jahren nahm der ÖRK Anliegen der neuen Frauenbewegung auf. Aus der "Sexismus-Konsultation" 1974 in West-Berlin67 erwuchs das Studienprogramm "Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche" (abgeschlossen 1981). 1988 erfolgte der Aufruf zu einer Dekade der Kirchen in Solidarität mit den Frauen, die jedoch zu wenig konkreten Veränderungen in den Kirchen führte.68
In den 1970er Jahren rückte der Nord-Süd-Konflikt immer stärker in den Fokus (Vollversammlung in Nairobi 1975),69 auch in der katholischen Kirche aufgrund der lateinamerikanischen Befreiungstheologie.70 Im KSZE-Prozess (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) war der Vatikan im Unterschied zu der Genfer Ökumene dank seiner zugleich staatlichen Struktur direkt beteiligt, wirkte moderierend und engagierte sich für eine Integration des Menschenrechtsgedankens in die Schlussakte (insbesondere Festschreibung des Rechts auf Religionsfreiheit).71 In gewisser Hinsicht als kirchliches Pendant zum KSZE-Prozess kann die Konkordie reformatorischer Kirchen Europas ("Leuenberger Konkordie"; März 1973) gelten. Seitdem besteht zwischen den meisten lutherischen, den reformierten und unierten Kirchen Europas sowie den Kirchen der Waldenser und der Böhmischen Brüder volle Kirchengemeinschaft, insbesondere Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft.72
Ökologische Probleme wurden ebenfalls thematisiert. Die Weltkonferenz "Die Bedeutung von Wissenschaft und Technik für die Entwicklung des Menschen" (Bukarest 1974) formulierte die sozialethische Programmformel "sustainable and just society". Auf der Vollversammlung in Nairobi wurde daraus "just, participatory and sustainable society".73 Deutlicher als bisher wurde, dass die globalen Überlebensfragen der Menschheit eng miteinander verbunden waren. Es kam zwar nicht zu dem von dem bundesdeutschen Physiker, Philosophen und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007) auf dem Düsseldorfer Kirchentag 1985 anvisierten Friedenskonzil, aber, eingeleitet auf der ÖRK-Vollversammlung in Vancouver 1983 durch Delegierte aus der DDR, u.a. der Erfurter Propst Heino Falcke (geb. 1929), zu einem Konziliaren Prozess eines gemeinsamen Nachdenkens. Dieser Prozess sollte dazu beitragen, Positionierungen zu den Fragen "Peace, Justice, Integrity of Creation" zu finden; er fand zunächst auf Regional- und Kontinentalebene statt und mündete 1990 in der Weltversammlung in Seoul.74 Besondere politische Brisanz gewannen in diesem Kontext die Ökumenischen Versammlungen in der DDR 1988/1989. Sie legten – den über 10.000 Zuschriften von Gemeindegliedern und Mitgliedern von Initiativgruppen im Vorfeld unter dem Leitwort "Eine Hoffnung lernt gehen" entsprechend – einen Schwerpunkt auf innergesellschaftliche Probleme. Daraus resultierten Forderungen nach einer demokratischen Umgestaltung der DDR, die zum Teil wörtlich in die Programmtexte der im Spätsommer und Herbst 1989 gegründeten neuen Parteien und Bürgerbewegungen eingingen.75
1989 endete zugleich die Apartheidspolitik in Südafrika, mit der sich die ökumenische Bewegung kritisch und intensiv auseinandergesetzt hatte.76 Auf seiner Vollversammlung 1984 in Budapest hatte der Lutherische Weltbund (LWB) beschlossen, die Mitgliedschaft von zwei "weißen" Kirchen aus Südafrika und Namibia ruhen zu lassen.77 Auf der anderen Seite wählte der LWB zeitgleich den wegen seiner Staatsloyalität höchst umstrittenen ungarischen Bischof Zoltán Káldy (1919–1987) zu seinem Präsidenten.78
Das zeigte den ambivalenten Umgang mit den sozialistischen Staaten in Ostmitteleuropa seit den 1970er Jahren: Einerseits trug die Ökumene durch die Ermöglichung von Begegnungen und den Austausch von Informationen zu einer größeren Durchlässigkeit des Eisernen Vorhangs bei, Positionierungen auf Genfer Ebene konnten östlichen Kirchen "Rückenwind" für ihr sozialethisches Handeln geben79 und der Konziliare Prozess war eine der Voraussetzungen für die Friedliche Revolution in der DDR. Andererseits ging in offiziellen Erklärungen die Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Ostmitteleuropa zurück, es gab häufig eine stärkere Hinwendung zu den offiziellen Kirchenspitzen als zu von den Machthabern Benachteiligten, zu verfolgten Christen an der "Basis" oder gar zu Regimekritikern bzw. Dissidenten.80 "Im Großen und Ganzen" taten sich nach dem Ende des Staatssozialismus sowjetischen Musters in Europa die ökumenischen Zusammenschlüsse "mit einer tiefergehenden Aufarbeitung ihrer eigenen Rolle" im Kalten Krieg "schwer".81
Fazit
Nachdem bereits im 19. Jahrhundert verschiedenste vereinsmäßig organisierte ökumenische Kooperationen und Initiativen entstanden waren, gewann die Ökumenische Bewegung seit den 1920er Jahren nicht zuletzt aufgrund der mit dem Ersten Weltkrieg verbundenen Erfahrungen eine stärkere organisatorische Gestalt. Auch wenn es in der Folge zu einer stärkeren Verkirchlichung der Bewegung kam, blieb das Gewicht von Einzelpersonen, die Initiativen entwickelten und Netzwerke bildeten, bestehen.82 Nach dem Ende der NS-Diktatur dominierten der Ost-West- und seit 1961 zunehmend auch der Nord-Süd-Konflikt die Arbeit der ökumenischen Zusammenschlüsse. Gewisse Sozialismusaffinitäten und Kapitalismuskritik führten seit den 1970er Jahren zu einer zumindest öffentlichen Marginalisierung von Kritik an Menschenrechtsverletzungen durch Regierungen sowjetischer Prägung. Auf der anderen Seite nahm der ÖRK christliche Basisinitiativen auf und stärkte sie, was mit zum Sturz des SED-Regimes und zur Beendigung der Apartheidspolitik im südlichen Afrika beitrug.
Seit 1990 leidet die Genfer Ökumene unter einem zunehmenden Bedeutungsverlust. Weiterhin ist die katholische Kirche nicht Mitglied, Vertreter der Orthodoxie blockieren Vorhaben, zu spüren sind auch eine weitgehende Zufriedenheit mit dem bislang Erreichten und Ängste einzelner Kirchen, bei verstärktem ökumenischem Engagement an Bedeutung zu verlieren. Der Rückgang der Finanzmittel lässt die Frage nach einer Konzentration der Kräfte analog zur EKD aufkommen, in der die konfessionellen Zusammenschlüsse, Union Evangelischer Kirchen und Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, mittlerweile stärker in Synode und Kirchenamt integriert sind.