Einleitung: Globale Massenspektakel des 19. Jahrhunderts
Die Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations, von Queen Victoria (1819–1901) und ihrem deutschen Ehemann Prinz Albert (1819–1861) am 1. Mai 1851 im Londoner Hyde Park eröffnet, gilt als die erste internationale Großausstellung neuen Typs. Noch nie waren so viele Menschen unterschiedlicher Nationalität an einem Ort wie diesem zusammengekommen, dem eigens zu diesem Zweck errichteten Crystal Palace.1 Die seit dem Mittelalter veranstalteten Messen verfolgten rein gewerbliche Ziele, während die seit dem späten 18. Jahrhundert abgehaltenen Industrieausstellungen nicht auf internationale Beteiligung ausgerichtet waren. Die Great Exhibition hingegen markierte den Beginn einer rasanten Entwicklung, in deren Verlauf sich große Ausstellungen als das populärste und massenwirksamste Medium des 19. Jahrhunderts etablierten – und das keineswegs nur in Europa. Weltausstellungen wurden ebenfalls in den USA veranstaltet (ab 1876), kurze Zeit später in Australien (ab 1880) und, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auch in Asien (ab 1970). Sie galten als Ausweis von Fortschritt, Wohlstand, Zivilisiertheit und Modernität, welche sie einem Massenpublikum mit Hilfe einer oftmals abfällig diskutierten, indes als unabdingbar erachteten Mischung aus "Belehrung" und "Weltlust" nahezubringen trachteten.2 Als aufwendig gestaltete Spektakel der gesellschaftlichen Selbstrepräsentation und viel beachtete Orte des globalen Austausches von Personen, Ideen und Gütern waren Weltausstellungen insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von weltgeschichtlicher Bedeutung.
Zumindest mit den internationalen Universalausstellungen des 19. Jahrhunderts war ein enzyklopädisch-dokumentarischer Anspruch verbunden. Ziel war es, für einen begrenzten Zeitraum an einem fest umrissenen Ort innerhalb der ausstellenden Großstadt eine möglichst maßstabsgetreue Miniaturversion der "Welt" der Öffentlichkeit zu zeigen. In periodischen Abständen wurden für repräsentativ erachtete und aus allen Erdteilen zusammengetragene Objekte nach immer neu entworfenen, zusehends komplexeren und immer mehr Gebiete umfassenden Klassifikationsschemata zur Schau gestellt.3 Weltausstellungen wurden von einem lokalen, regionalen, nationalen wie internationalen Millionenpublikum besucht, das in dieser Weise mögliche Formen einer zukünftigen Massen- und Weltgesellschaft erprobte. Weltausstellungen standen dabei in einem Spannungsfeld von Lokalität, Nationalität und Globalität. Zudem waren sie durch eine dezidiert europäische Dimension charakterisiert: Durch die in Europa veranstalteten Ausstellungen wurde "Europa" kulturell erfahren und erfahrbar. Weltausstellungen setzten Weltverkehr, Weltkommunikation und Weltgesellschaft indes nicht nur voraus, sondern hatten selbst maßgeblichen Anteil an deren Konstituierung. Im Kontext der so genannten ersten Globalisierungswelle erwiesen sie sich als aktive Agenten im Prozess internationaler Verflechtung.
Die Formensprache des neuen Mediums entwickelte sich zunächst im innereuropäischen, intrametropolitanen Konkurrenzkampf zwischen London (1851, 1862) und Paris (1855, 1867, 1878, 1889, 1900, 1937), dann zwischen Paris und Brüssel (1888, 1897, 1910, 1935, 1958), aber im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden große Ausstellungen unter anderem auch in Wien (1873), Antwerpen (1885, 1894, 1930), Barcelona (1888, 1929/1930), Turin (1884, 1911), Lüttich (1905) und Mailand (1906) abgehalten. Schon aus infrastrukturellen Gründen handelte es sich bei Großausstellungen um ein exklusiv städtisches Phänomen. Die ersten beiden europäischen Weltausstellungen, die nicht in der Hauptstadt eines Landes abgehalten wurden, waren die Exposición universal de Barcelona von 1888 und die Lütticher Exposition universelle et internationale von 1905. Neben Großbritannien und Frankreich entwickelte sich vor allem Belgien zu einem einflussreichen, von der florierenden Ausstellungshistoriographie jedoch noch immer unzureichend berücksichtigten Gastgeberland. Deutschland hingegen spielte im Konzert der Großausstellungsmächte bis zur Eröffnung der Hannoveraner EXPO 2000 am 31. Mai 2000 eine eher nachgeordnete Rolle. Mit Ausnahme der 1896 im Treptower Park abgehaltenen Berliner Gewerbeausstellung scheiterten alle Vorhaben, auch in der Reichshauptstadt einmal eine Weltausstellung auszurichten, wie es unterschiedliche politische Kreise insbesondere seit der Reichsgründung immer wieder gefordert hatten.4
Bedeutende Ausstellungen außerhalb Europas fanden vor dem Zweiten Weltkrieg unter anderem in New York (1853/1854, 1939/1940), Philadelphia (1876, 1926), Sydney (1879/1880), Melbourne (1880/1881, 1888/1889), Chicago (1893, 1933/1934), St. Louis (1904) und San Francisco (1894, 1915, 1939/1940) statt. Die in Philadelphia 1876 zur Hundertjahrfeier der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung abgehaltene Centennial Exhibition demonstrierte erstmals die technisch-industrielle Macht der Vereinigten Staaten, welche die Folgen des Bürgerkrieges überwunden hatten. In der Rückschau stellt sich insbesondere die 1893, siebzehn Jahre später, abgehaltene Chicagoer World's Columbian Exposition als ein ähnlich definitorischer Moment wie die Great Exhibition für Großbritannien dar. Mit einem Jahr Verzögerung zur 400-Jahr-Feier der "Entdeckung" Amerikas eröffnet, setzte sie die Standards, an denen Erfolg oder Scheitern jeder nachfolgenden Großausstellung in den Vereinigten Staaten gemessen wurde.5 Binnen Kurzem überzog ein immer wieder erneuertes "World Wide Web" per se flüchtiger Weltausstellungen bzw. great exhibitions (Großbritannien), expositions universelles (Frankreich) und world's fairs (Vereinigte Staaten) die westliche Hemisphäre, an dem zu partizipieren jeden Besucher zum Weltbürger, jede Großstadt zur Weltstadt und jedes Gastgeberland zur "Erdmacht" zu erheben versprach.6
Zeitgenössischen Schätzungen zufolge besuchten etwa 415 Millionen Menschen die in Europa zwischen 1851 und 1958 abgehaltenen internationalen Großausstellungen, drei Viertel davon entfielen auf die Zeit zwischen 1885 und dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 110 Millionen Schaulustige sahen die fünf Pariser Expositions universelles, welche in festgelegten 11-Jahres-Abständen – der so genannten règle des onze années – auf dem Champ de Mars im Zentrum der französischen Hauptstadt abgehalten wurden. Die letzte in dieser Reihe, die Exposition universelle et internationale de Paris 1900, stellte einen Besucherrekord auf, der bis zur Expo 67 in Montreal Bestand hatte: Die über 50 Millionen Zuschauer entsprachen der damaligen Bevölkerung des Deutschen Kaiserreichs und waren deutlich mehr Menschen, als in Frankreich selbst lebten. Vor der Einführung des Fernsehens in den 1930er Jahren erreichte kein anderes Medium ein größeres, internationaleres und heterogeneres Publikum[].7
Formen: Die Welt in der Stadt
Weltausstellungen waren von einer eigentümlichen Mischung aus unauflösbarer Flüchtigkeit und vermächtnisschaffender Beharrungskraft geprägt. Da die Dauer der Ausstellungen zumeist auf ein halbes Jahr, vom Sommer bis in den Herbst, begrenzt blieb und bereits vor der Eröffnung feststand, dass die Mehrzahl der eigens errichteten Pavillons und architektonischen Ensembles im Anschluss abgerissen werden würde, hatten die für diese Anlässe geschaffenen Orte und Bauten einen denkbar transitorischen Charakter. Dieser prägte sie tiefgreifend, denn es galt, die zusehends größer werdenden Ausstellungsgelände in das Weichbild der ausstellenden Stadt einzuschreiben und infrastrukturell anzupassen. Selbst wenn Weltausstellungen in situ eher selten materielle Überreste hinterließen, wurden auf diese Weise langfristige Vermächtnisse geschaffen und lokale Traditionen begründet. Die bekanntesten europäischen Relikte sind der nach Abschluss der Great Exhibition 1854 wiedererrichtete, 1936 jedoch vollständig abgebrannte Crystal Palace im Londoner Süden sowie der Pariser Eiffelturm, zeitgenössisch vor allem als tour de trois cents mètres bekannt. Als Clou der im Rahmen der Hundertjahrfeiern der Französischen Revolution abgehaltenen Exposition universelle von 1889 erbaut, entschied man sich aufgrund des großen Publikumserfolges gegen den ursprünglich vorgesehenen Abriss des zunächst heftig kritisierten Turmes, der bis 1930 das höchste Bauwerk der Welt blieb. Vom symbolischen Brennpunkt der Ausstellung entwickelte sich der alles überragende und omnipräsente Eiffelturm zunächst zum visuellen Dreh- und Angelpunkt der französischen Hauptstadt, dann zum Marker und Universalsymbol der gesamten Nation schlechthin. Erst 1964 wurde er unter Denkmalschutz gestellt.8
Von Weltausstellung zu Weltausstellung nahm nicht nur die Größe der Ausstellungsgelände zu, sondern stieg auch die Anzahl der Aussteller, Objekte, Besucher und Kosten. Gefeiert als friedlicher Wettkampf der Nationen um "peace, progress and prosperity", suchte jede Ausstellung die vorangegangenen zu übertrumpfen.9 Zeitgenössische Beobachter diskutierten immer wieder neu, ob die jeweils aktuelle Ausstellung noch zu überbieten sei. Während auf den frühen Expositionen sämtliche Exponate aller Aussteller unter dem Dach einer einzigen Ausstellungshalle wie dem Londoner Crystal Palace, dem ovalen Pariser Palais (1867) oder dem gewaltigen, um eine Rotunde zentrierten Wiener Ausstellungspalast (1873) angeordnet waren, wurde 1876 in Philadelphia das so genannte Pavillonprinzip eingeführt. Zwei Jahre später fand es mit der Pariser Rue des Nations seine europäische Fortsetzung. Der enzyklopädische Anspruch wurde nunmehr von einem nationalen Prinzip überlagert: Zur Selbstdarstellung war jede teilnehmende Nation angehalten, ein eigenes "Haus", den jeweiligen Nationenpavillon, zu bauen, und wurde damit für die Errichtung einer eigenständigen Attraktion verantwortlich. Nach jahrzehntelangem organisatorischem Wildwuchs im internationalen Ausstellungswesen wurde am 22. November 1928 ein völkerrechtliches Übereinkommen getroffen, das die Einhaltung des Pavillonprinzips zum Definiens der Weltausstellungen als der so genannten "ersten Kategorie" von Ausstellungen erhob. Teil des Übereinkommens war die Einführung eines verbindlichen Bewerbungs- und Vergabeverfahrens, zu dessen Umsetzung wiederum die (1931 erfolgte) Gründung des Bureau International des Expositions (BIE) in Paris beschlossen wurde.10 Waren zuvor die Grenzen zwischen der Vielzahl von Welt-, Industrie-, Gewerbe-, Kolonial- und anderen Formen städtischer Großausstellungen mit nationaler, bi- oder internationaler Beteiligung durchaus fließend und alles andere als trennscharf gewesen, wird seitdem eindeutig zwischen "ordentlichen" Weltausstellungen und eher themenspezifischen internationalen Ausstellungen unterschieden. Erstere werden alle fünf Jahre organisiert und sind durch ihre unbegrenzte Ausstellungsfläche sowie das erwähnte Pavillonprinzip gekennzeichnet; Letztere finden zwischen zwei Weltausstellungen statt, die Ausstellungsfläche ist auf maximal 25 Hektar begrenzt, und die Pavillons werden vom Gastgeberland zur Verfügung gestellt. Beide, Welt- wie internationale Ausstellungen, müssen vom BIE offiziell anerkannt werden.11
Funktionen: Nationales Prestige, imperiale Propaganda und internationale Machtpolitik
Bereits in der zeitgenössischen Publizistik galten Weltausstellungen als "Knotenpunkte des Geschichtslaufes" und Kristallisationspunkte im Modernisierungsprozess, an denen der jeweils erreichte Stand des Fortschritts in materialisierter Form abzulesen sei.12 Zahlreiche historische Ereignisse, Prozesse und Auseinandersetzungen fanden hier ihren visualisierten Niederschlag, geformt von den seit Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten spezifischen Darstellungs- und Zeigbarkeitsregeln und angepasst an die daraus resultierenden, in toto indes kaum jemals explizit formulierten medialen Vorgaben des globalen Weltausstellungssystems. Die den Weltausstellungen zugeschriebenen Wirkungen gingen weit über das reine Sammeln von Objekten und deren periodische Zurschaustellung für ein Massenpublikum hinaus. Als lokale Veranstaltungen konzipiert und durchgeführt, stellten sie für nationale Akteure hochkomplexe Orte des internationalen Austausches und der Begegnung, aber auch des Ver- und Abgleichens, Unterscheidens und Konkurrierens dar. Zahlreiche internationale Kongresse und wissenschaftliche Konferenzen, auf denen es etwa um Fragen der Standardisierung von Maßen, Gewichten und Patenten ging, wurden im Umfeld von Weltausstellungen abgehalten.
Bei aller Bedeutung des Symbolisch-Repräsentativen sollte die machtpolitische und ökonomische Dimension der Ausstellungen nicht unterschlagen werden. Weltausstellungen standen nicht nur im Spannungsfeld von Lokalität, Nationalität und Internationalität, sondern auch von wirtschaftlicher Kooperation, Konfrontation und Konkurrenz einerseits, Eurozentrismus, Kosmopolitismus und Kolonialismus andererseits. Indem sie die Überlegenheit westlicher Technik, Wirtschaft und "Zivilisation" unter Beweis zu stellen suchten, führten die Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts den universalen Anspruch des Westen deutlich vor Augen.13 Sie reflektierten und generierten imperiale Ordnungen von Wissen und Macht, die in den Hauptstädten Europas und Nordamerikas ihren Sitz hatten. Besonders offenkundig wurde dies in dem Bestreben, nicht nur jeweils die neuesten technischen Errungenschaften der Gegenwart vorzuführen, sondern ebenfalls "fremde" Zivilisationen und "exotische" Völker zur Schau zu stellen. Vor Ort sollte koloniale Alterität für ein Heimatpublikum erlebbar sein. Die 1886 in South Kensington abgehaltene Londoner Colonial and Indian Exhibition gilt als die erste in einer bis in die 1930er Jahre nicht abreißenden Serie von Expositionen, die ausschließlich einer imperialen Thematik gewidmet waren.14 Zur selben Zeit entwickelten sich so genannte Eingeborenendörfer zu einem Teil des Standardrepertoires internationaler Großausstellungen. Der Hamburger Unternehmer und Zoobegründer Carl Hagenbeck (1844–1913) entwickelte sich zum Weltmarktführer auf diesem Gebiet und stattete nicht nur umherziehende Völkerschauen, sondern auch größere, nationale wie internationale Ausstellungen auf der ganzen Welt mit "wilden" Tieren und Menschen aus. Für das Gesamtarrangement erwies sich der Beitrag dieser "Eingeborenendörfern" mit ihren Menschen-Exponaten als von zentraler Bedeutung, weil erst ihr Vorhandensein dem übrigen Dargestellten die notwendige Authentizität zu verschaffen vermochte. "Wilde" ließen sich nicht artifiziell reproduzieren und galten daher als Garant für die Echtheit des Spektakels.15
Internationale Großausstellungen spielten als grandiose "marriages of art and industry" (Raphael Samuel) eine bedeutende ökonomische Rolle, die im Vergleich mit dem Phänomen der ethnographischen Ensembles, auf die sich die Forschung häufig zu stark konzentriert, oft unterschätzt wird. "Weltausstellungen sind die Wallfahrtsstätten zum Fetisch Ware", lautet ein klassisches Zitat Walter Benjamins (1892–1940).16 Viele der neuesten gewerblich-industriellen Produkte, Technologien und Erfindungen wurden hier zum ersten Mal ausgestellt. Dazu gehörten die über die Jahre stetig anwachsenden Kruppschen Gussstahlblöcke genauso wie alle nur denkbaren Formen von Maschinen oder die bis 1900 unvermeidliche Riesenkanone. Aus staatlicher Sicht dienten die Weltausstellungen der Förderung des "Gewerbefleißes" und des Konsums, aber auch zur Geschmacksbildung. Frühzeitig wurden Exkursionen organisiert und Stipendienprogramme für Arbeiter, Handwerker und Beamte, später auch Schüler aufgelegt, welche sich vor Ort mit den neuesten Errungenschaften vertraut machen mussten, um nach ihrer Rückkehr ausführlich Bericht zu erstatten. Preise und Auszeichnungen, die mit Vertretern des Ausrichterlandes besetzte Fachjurys für einzelne Exponate vergaben, waren von kommerziellen Ausstellern begehrt, stellten sie doch auf dem heimischen Markt die internationale Konkurrenzfähigkeit ihrer Produkte unter Beweis. Die Goldmedaille, die die Bremer Brauerei Beck 1876 in Philadelphia für ihr Bier gewann, findet sich so als Signet noch immer auf jedem ihrer Flaschenetikette.
Folgen: Architektur, Städtebau und Mega-Events
Die heutigen, von Nachhaltigkeit und Nachnutzungsmöglichkeiten bestimmten Debatten um Sinn und Zweck temporärer Großveranstaltungen und so genannter Mega-Events standen im 19. Jahrhundert nicht im Vordergrund. Zur gezielten Stadtplanung und Infrastrukturentwicklung wurden große Ausstellungen in Europa erst ab der Mitte des 20. Jahrhunderts eingesetzt, beispielsweise in London mit dem 1951 auf der South Bank veranstalteten Festival of Britain und der dafür errichteten Royal Festival Hall. Gleichwohl erwiesen sich auch frühe Weltausstellungen in städtebaulicher wie raumplanerischer Hinsicht als Katalysatoren ersten Ranges. Auf der Wiener Weltausstellung von 1873 wurden die bis dato fertiggestellten Teilabschnitte und Prachtbauten des Ringstraßenkomplexes einem internationalen Publikum vorgestellt. Auch in Barcelona stellte die Exposición universal 1888 einen wichtigen Impuls dar, um lange zuvor begonnene städtebauliche Projekte publikumswirksam zum Abschluss zu bringen.17
Mit größeren und komplexer angelegten Ausstellungsflächen stieg die Notwendigkeit, die Überschaubarkeit der Gelände sicherzustellen und für die Besucher buchstäblich erfahrbar zu machen. Dies schlug sich in der Proliferation so genannter "vertigo machines" wie Aussichtstürmen, Riesenrädern und Heißluftballons nieder, welche als "viewing machines" dazu beitrugen, zumindest in der Wahrnehmung der Zuschauer die Einheit des dargebotenen Spektakels wiederherzustellen, dessen Mannigfaltigkeit und Heterogenität immer wieder neu beklagt wurden.18 Zugleich erwies es sich als notwendig, vor Ort Verpflegungsmöglichkeiten zu organisieren, gewaltige Besucherströme zu lenken und dabei insbesondere den reibungslosen An- und Abtransport der Millionen von Zuschauern zu garantieren. 1893 in Chicago, 1900 in Paris und 1967 in Montreal fungierte die jeweilige Weltausstellung als Anlass für den Bau der ersten Untergrundbahn.
Zuletzt lassen sich zahlreiche komplexe institutionelle Verbindungen ausmachen, sowohl zwischen Weltausstellungen und Museen als auch mit so genannten Mega-Events wie den 1896 wiederbelebten Olympischen Spielen. Die enge Verwandtschaft zwischen Ausstellungen und Museen als gleichermaßen visualisierenden, in ihren Zeithorizonten indes divergierenden Institutionen – Ausstellungen zeigen ihre Exponate für einen begrenzten Zeitraum, während Museen auf Permanenz angelegt sind – lässt sich bis zur Londoner Great Exhibition von 1851 zurückverfolgen. Mit einem Teil der gesammelten Exponate und der erzielten Profite wurde im Jahr darauf in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hyde Park das South Kensington Museum gegründet, der Vorläufer des heutigen Victoria and Albert Museum und des gegenüber gelegenen Science Museum. Ähnliches gilt für das Museum of Science and Industry und das Field Museum of Natural History in Chicago (1893) sowie das Pariser Musée des arts africains et océaniens (1931 – inzwischen wurden seine Bestände großteils in das neue Musée du quai Branly inkorporiert), das ehemalige Museé permanent des colonies und Clou der größten französischen Kolonialausstellung in Vincennes. Auch fanden die zweiten, dritten und vierten Olympischen Spiele der Neuzeit (Paris 1900; St. Louis 1904; London 1908) jeweils im Rahmen einer internationalen Großausstellung statt und waren dort als Unterveranstaltungen neben zahlreichen anderen Attraktionen organisatorisch in diese integriert. Dieses ursprünglich enge institutionelle Verhältnis von Weltausstellungen und Olympischen Spielen hat im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts keine Fortsetzung gefunden. Organisatorisch wie funktional voneinander getrennt, haben sie in ihrer globalen Bedeutung einander abgelöst.19
Schluss: Bedeutungsverluste und -verlagerungen im 20. Jahrhundert
Weltausstellungen ermöglichten ihren Besuchern imaginäre Reisen in Zeit und Raum. Waren die Ausstellungen des 19. Jahrhundert durch die Etablierung, Kanonisierung und eine immer weitere Bereiche umfassende spezifische "Ausstellungssprache" geprägt, kehrte sich dieser Trend zu Beginn des 20. Jahrhunderts um und führte zurück zu einer Spezialisierung und Dezentralisierung, die bisweilen an die Zeit vor 1851 erinnerte. Die Forschung ist sich heute darüber einig, dass internationale Großausstellungen im Laufe des 20. Jahrhunderts zumindest in Westeuropa und den Vereinigten Staaten zusehends an kultureller Prägekraft und Bedeutung verloren haben; Uneinigkeit herrscht höchstens über den genauen Zeitpunkt, zu dem dieser Prozess einsetzte. Von Beginn an Gegenstand einer umfangreichen Ausstellungspublizistik und -kritik, gerieten Weltausstellungen vor dem Hintergrund einer verschärften Konkurrenz zu Film, Radio und Fernsehen und vereinfachten Reisemöglichkeiten ab den 1880er Jahren in eine diskursive Krise und galten spätestens seit der Jahrhundertwende nicht länger als das Leit- und Metamedium moderner Zivilisation. Geführt wurde diese Debatte unter dem Oberbegriff der "Ausstellungsmüdigkeit". Sowohl im aktiven als auch im passiven Sinne verstanden, wurde eine solche "Müdigkeit" auf das Überangebot nationaler und internationaler Ausstellungen zurückgeführt, welches ein nachlassendes Interesse in der Öffentlichkeit und damit wiederum ein gesunkenes Vertrauen in die fortschrittsfördernde Effektivität des Mediums zur Folge habe.20
Diese weitverbreitete Diagnose war paradox. Denn trotz ihres offenkundigen Bedeutungsverlustes fanden auch im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts wichtige Weltausstellungen statt, welche Millionen von Zuschauern anzogen. Zu nennen ist etwa die letzte große Pariser Ausstellung, die Exposition internationale des arts et techniques dans la vie moderne von 1937, erinnerlich durch die symbolträchtige Konfrontation des nationalsozialistischen und des sowjetischen Pavillons unterhalb des Trocadéro am rechten Seineufer.21 Seitdem die New Yorker Weltausstellung von 1939/1940 mit dem Slogan "Building the World of Tomorrow with the Tools of Today" für sich warb, lässt sich neben der Inventur des bis dato erreichten Entwicklungs- und Fortschrittsstandes im universellen Zivilisierungsprozess eine zusehends deutlichere Neujustierung auf als besonders zukunftsträchtig erachtete Schwerpunkte beobachten.22 Futuristische Themen wie die Transportmöglichkeiten der Zukunft, die friedliche Nutzung der Atomenergie und insbesondere die Raumfahrt standen in der Nachkriegszeit im Zentrum der Weltausstellungen, etwa in Brüssel (1958), Seattle (1962), Montreal (1967) und Osaka (1970). Eine solche Neujustierung schlug sich auch in entsprechenden clous nieder: Noch immer gelten das Brüsseler Atomium, die Space Needle in Seattle und die Unisphere in New York als Wahrzeichen eines optimistischen und zukunftsorientierten Atom- und Weltraumzeitalters.
Ob schließlich das seinerseits historische Argument zutrifft, dass Weltausstellungen in einer veränderten Medienlandschaft funktions- und bedeutungslos geworden seien und sich aufgrund des Faktorentrios Spezialisierung, Kommerzialisierung und Disneyfizierung im Informations- und Kommunikationszeitalter schon lange überlebt hätten, hängt nicht zuletzt von der (auch: geographischen) Perspektive des Fragenden ab. Aus westlicher Sichtweise ist ein Bedeutungsverlust kaum zu übersehen, aus globaler Perspektive hingegen eher eine Bedeutungsverlagerung zu konstatieren. Aufgrund des stark hinter den Erwartungen zurückgebliebenen Besucherinteresses wird die erste deutsche Weltausstellung, die Hannoveraner EXPO 2000, allen Nachhaltigkeits- und Nachnutzungsbemühungen zum Trotz gemeinhin als kostspieliger Misserfolg gewertet. Einen Kongressbeschluss aus dem Jahre 1998 umsetzend, demzufolge keine amerikanischen Steuergelder mehr für die nationale Selbstdarstellung auf auswärtigen Ausstellungen ausgegeben werden dürfen, haben die Vereinigten Staaten ihre Mitgliedschaft im BIE 2001 vollständig gekündigt und sich seither an keiner der Ausschreibungen beteiligt. Dem steht der ungeheure Erfolg nicht-westlicher Ausstellungen in den letzten 40 Jahren gegenüber. Mit knapp 65 bzw. 73 Millionen Besuchern waren die japanische Expo '70 in Osaka bzw. die chinesische Expo 2010 in Shanghai mit weitem Abstand die beiden meistbesuchten Weltausstellungen aller Zeiten. Auf genau diesen, seit dem späten 19. Jahrhundert immer wieder vorgebrachten Vorwurf des unzeitgemäß und obsolet gewordenen Charakters internationaler Großausstellungen reagierte Roger de Weck (geb. 1953), der damalige Chefredakteur der ZEIT, als er im Frühjahr 1998 vorschlug, die EXPO 2000 lieber gleich ins Internet zu verlegen, das mediale Weltaustellungsäquivalent des frühen 21. Jahrhunderts.23