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Frauenbewegungen
Die erste Welle einer länderübergreifenden Frauenbewegung entwickelte sich im späten 19. Jahrhundert aus einer Reihe von Beziehungen, die über nationale Grenzen hinweg geknüpft worden waren. Weibliche Reisende, Migrantinnen, Missionarinnen und Schriftstellerinnen nahmen über den Atlantik hinweg Kontakte auf, die den Weg für stärker formalisierte Interaktionen ebneten. Eine ganze Reihe von Bewegungen, darunter der Abolitionismus, der Sozialismus, die Friedensbewegung, die Abstinenzbewegung und die Moralreform, machten den Frauen die übernationale Natur ihrer Anliegen bewusst und führten Aktivistinnen aus verschiedenen Ländern in gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen zusammen.1 Mit den ersten Ansätzen eines organisierten Feminismus in den Vereinigten Staaten und Europa verfestigten sich die Verbindungen zwischen den Frauen. Die transnationale Entwicklung feministischer Weltanschauungen führte zur Ausbildung formalisierter Kontakte speziell beim Einsatz für Frauenrechte. Der erste internationale Frauenkongress, der Congrès international des droits des femmes, trat in Paris 1878 im Rahmen der Weltausstellung zusammen.2 Diese Aktivitäten bereiteten den Boden für die Gründung internationaler Frauenorganisationen, die den Antrieb zur Arbeit für die Interessen der Frauen länderübergreifend institutionalisierten und auf Dauer sicherten.3
Der International Council of Women
Die zweite Internationale Frauenkonferenz, die 1888 von der US-amerikanischen National Suffrage Association in Washington D.C. ausgerichtet wurde, brachte die erste dauerhafte, breiter ausgerichtete internationale Frauenorganisation hervor, den International Council of Women (ICW).4 Die Anführerinnen der US-amerikanischen Suffragettenbewegung, Elizabeth Cady Stanton (1815–1902) und Susan B. Anthony (1820–1906)[], waren 1882 und 1883 nach England und Frankreich gereist, wo sie mit Reformerinnen zusammentrafen und an der Gründung eines internationalen Suffragetten-Vereins arbeiteten. Verwirklicht wurde diese Idee, als Anthony die US-Suffragetten dazu brachte, zu ihrer Tagung 1888 internationale Vertreterinnen einzuladen. Trotz der Verbindung zur Wahlrechtskampagne wurden Einladungen vor allem an Frauen-Literaturvereine, Abstinenzgesellschaften, Arbeiterinnengruppen, Gesellschaften für moralische Reinheit, Friedensgesellschaften und an Gruppen von organisierten Frauen in gehobenen Berufen verschickt.
Die Konzeption des ICW sah vor, dass bestehende Frauengruppen Nationalräte aufbauen würden, die dann dem ICW beitreten sollten. Der erste dieser Nationalräte wurde in den Vereinigten Staaten gegründet, gefolgt von Kanada, Deutschland, Schweden, Australien, Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden. Im Jahr 1914 bestand der ICW aus 23 Nationalräten, bis 1939 wuchs er auf 36 an. Während sich die Nationalräte bildeten und dem ICW beitraten, blieb die internationale Organisation selbst im Hintergrund; über die Planung der alle fünf Jahre stattfindenden Kongresse hinaus engagierte sie sich zunächst wenig. In der Folge jedoch verfestigte sich die internationale Struktur, und der ICW nahm sich bei dem Kongress für 1899 wesentlicher Fragen an. Der Vorstand berief dazu Ständige Internationale Ausschüsse für Frieden und für die rechtliche Stellung verheirateter Frauen. Bei späteren Kongressen kamen Ausschüsse für Wahlrecht, Frauenhandel, Gewerbe und Freie Berufe, öffentliches Gesundheitswesen und Kinderwohlfahrt sowie Einwanderung hinzu.
Von Anfang an trat der ICW als eine allgemeine Frauenorganisation mit einem umfassenden Arbeitsbereich auf. Er war die konservativste der großen internationalen Gruppierungen. In den Anfangsjahren standen adelige Frauen an seiner Spitze, und es wurde darauf geachtet, strittige Positionen zu vermeiden. Der Versuch, einen für alle Frauen akzeptablen Kurs zu steuern, fand allerdings bei vielen von ihnen keine Zustimmung. Auf dem Kongress von 1899 bestand der Vorstand darauf, dass Gegnerinnen des Frauenwahlrechts bei einer Sitzung über die politischen Rechte der Frauen gehört werden sollten. Dies führte schließlich zur Gründung der zweiten transnationalen Frauenorganisation, der International Alliance of Women, ursprünglich unter dem Namen International Woman Suffrage Alliance.
Die International Alliance of Women
Als Reaktion auf die Haltung des ICW 1899 beriefen die deutschen Wahlrechtsaktivistinnen Lida Gustava Heymann (1868–1943)[] und Anita Augspurg (1857–1943)[] ein alternatives Treffen ein, das die Gründung eines internationalen Frauenstimmrechtsvereins propagierte.5 Daraufhin lud die US-Wahlrechtsorganisation für ihre Zusammenkunft 1902 wiederum internationale Vertreterinnen ein; Abgeordnete von zehn Ländern planten dabei die Abhaltung einer Gründungskonferenz während des nächsten ICW-Kongresses 1904 in Berlin.
Anders als der ICW verfolgte die Alliance von Anfang an ein genaues Ziel. Sie hielt alle zwei Jahre einen Kongress in einem anderen Land ab, um die nationalen Wahlrechts-Aktivitäten anzuregen und zu unterstützen. Von sechs ursprünglichen nationalen Unterabteilungen in Australien, Deutschland, den Niederlanden, Schweden, den Vereinigten Staaten und Großbritannien wuchs die Alliance bis auf 26 im Jahr 1913 und 51 im Jahr 1929. Ursprünglich durften die nationalen Abteilungen kein anderes Ziel als das Wahlrecht verfolgen; als aber die ersten Länder kurz vor oder nach dem Ersten Weltkrieg das Frauenstimmrecht einführten, begann die Alliance sich auch anderer Fragen anzunehmen, darunter Prostitution, Lohngleichheit, die Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen, Sklaverei und insbesondere Frieden. Bis 1920 wurde in rascher Abfolge in vielen Staaten das Frauenstimmrecht eingeführt, was nach dem Krieg zu einer Spaltung zwischen Wahlberechtigten und vom Wahlrecht Ausgeschlossenen geführt hatte. Einige Anführerinnen meinten, die Organisation solle sich nun einfach auflösen, während andere dafür eintraten, den Kampf für nicht wahlberechtigte Frauen überall auf der Welt weiterzuführen. Eine dritte Gruppe schließlich wollte jetzt den Einsatz für den Frieden in den Mittelpunkt stellen. Letztendlich setzte die International Alliance of Women den Kampf für das Wahlrecht dort fort, wo es noch nicht gewährt wurde, nahm sich aber auch anderer Anliegen an. Im Einklang mit dem verbreiterten Programm änderte das Bündnis seinen Namen zu "International Alliance of Women for Suffrage and Equal Citizenship", was schließlich zu "Internatioanl Alliance of Women" verkürzt wurde. Auch wenn seine Arbeit sich zunehmend mit der des ICW überschnitt und die beiden Organisationen die Möglichkeit einer Vereinigung diskutierten, behielt die Alliance ihre Eigenständigkeit als ausdrücklich feministische Organisation.
Die Women's International League for Peace and Freedom
Wie die Stimmrechtsfrage zur Gründung der International Alliance of Women aus den Reihen des ICW geführt hatte, so brachte die Friedensfrage eine neue Organisation aus der Alliance hervor. Die Women's International League for Peace and Freedom (WILPF) war eine Idee von Mitgliedern der Alliance, die sich nicht damit abfinden wollten, dass der Ausbruch des Ersten Weltkriegs sämtliche Friedensarbeit zunichtemachte.6 Die Arbeit des ICW kam bei Kriegsbeginn zum Stillstand, und die Alliance musste ihren 1915 in Berlin geplanten Kongress absagen. Das niederländische Alliance-Mitglied Aletta Jacobs (1854–1929)[] lud zu einem Planungstreffen für eine Veranstaltung ein, die schließlich 1915 in Den Haag stattfand. Ein "Aufruf an die Frauen aller Länder" wurde an Frauenorganisationen, gemischtgeschlechtliche Gruppen und einzelne Frauen verschickt. Darin wurden Vertreterinnen zur Teilnahme aufgerufen, sofern sie zwei grundlegende Resolutionen unterstützten: internationale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen und Frauen das Stimmrecht zu geben. Es kamen Frauen sowohl aus neutralen Ländern als auch von den Kriegsparteien. Beteiligt waren Frauen aus Belgien, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Italien, Kanada, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden, Ungarn und den Vereinigten Staaten. Die Vertreterinnen riefen dazu auf, die Vermittlungsbemühungen zwischen den Kriegsparteien fortzusetzen, verlangten das Wahlrecht für Frauen, die Gründung einer internationalen Staatengesellschaft, die Einberufung eines Frauenkongresses parallel zu der dem Krieg folgenden Friedenskonferenz sowie – aufgrund eines umstrittenen Beitrags der ungarischen Pazifistin Rosika Schwimmer (1877–1948)[] – die Abordnung von Gesandten des Kongresses zu den Kriegsparteien und den neutralen Staaten die sich dafür einsetzen sollten, den Krieg zu beenden. Der Den Haager Kongress setzte einen Internationalen Frauenausschuss für dauerhaften Frieden ein und bereitete den Aufbau nationaler Sektionen vor. Bei Kriegsende hielt die Gruppe einen Kongress in Zürich ab, auf dem sie den bis heute beibehaltenen Namen Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit annahm.
Die neue Organisation bezog ihr Hauptquartier in Genf; anders als der ICW und die Alliance konnte sie ihre Arbeit unverzüglich auf Grundlage einer funktionstüchtigen internationalen Struktur beginnen. Im Jahr 1915 wies sie 13 nationale Sektionen auf, und bis 1921 wuchs ihre Zahl auf 22 an. Im Gegensatz zum ICW, der eine breite Mitgliedschaft anstrebte und eifrig die Zahlen seiner Nationalräte aufsummierte, betrachtete die WILPF sich als eine Avantgarde-Organisation, die größeren Wert auf Prinzipientreue legte als auf hohe Mitgliederzahlen. Sie war die radikalste der drei großen internationalen Gruppen, wenn auch Vorstellungen wie absoluter Pazifismus, die Notwendigkeit revolutionärer sozialer Transformationen und Widerstand gegen den Imperialismus in den eigenen Reihen umstritten blieben. Im Gegensatz zum ICW und zur Alliance, die beide die Autonomie ihrer nationalen Mitgliedsgruppen zu bewahren suchten, war die Liga stolz darauf, dass man sich selbst während des Ersten Weltkriegs traf, in den 1930er-Jahren die Stimme gegen den Faschismus erhob und am Vorabend des Zweiten Weltkriegs eine klare Position bezog. Wegen ihres fortschrittlichen Charakters wurde die Organisation wiederholt von rechts gerichteten Gruppen und den Medien angegriffen.
Trotz innerer Konflikte und des Abfalls von Mitgliedern, die beim Heraufziehen eines neuen, deutlicher mit der Verteidigung der Freiheit verbundenen Krieges dem Pazifismus abschworen, behielt die Liga den beim Frauenkongress 1915 bestimmten Kurs bei und setzte ihre Arbeit für Frieden und die völlige Emanzipation der Frauen fort.
Transnationale Koalitionen
Diese drei wichtigsten transnationalen Frauengruppen, die in ihren Ursprüngen verwandt, aber in ihrer Ausrichtung und Entwicklung unterschiedlich waren, kooperierten und konkurrierten in der Zwischenkriegszeit mit einer Vielzahl anderer Vereinigungen. Über Staatsgrenzen hinweg trafen sich Frauen als Sozialistinnen, Aktivistinnen für einzelne Themen (wie Gleichberechtigung), Angehörige von Berufsgruppen, Anhängerinnen verschiedener Religionen und Bewohnerinnen verschiedener Weltgegenden. Einige multinationale Verbände verkehrten regelmäßig mit ICW, Alliance und WILPF, während andere Abstand wahrten. Dies galt insbesondere für die sozialistische Frauenbewegung, die zumindest bis zur Phase der Volksfront jede Zusammenarbeit mit den als bürgerlich wahrgenommenen Frauenorganisationen ablehnte, trotz der Anwesenheit von Sozialistinnen in Gruppen wie der WILPF. Beim Heraufziehen der Faschismusgefahr, als ein Krieg immer wahrscheinlicher wurde, beteiligten sich Frauen aus den großen transnationalen Gruppen an zwei Volksfrontorganisationen, dem Comité Mondial des Femmes contre la Guerre et le Fascisme, das 1934 in Paris ins Leben gerufen wurde, und dem Frauenausschuss des Rassemblement Universel pour la Paix, gegründet 1936.
Zwischen den bürgerlichen Gruppen gab es von Anfang an unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit. Auf dem einfachsten Niveau begrüßten Organisationen regelmäßig "schwesterliche" Abgeordnete von anderen Vereinigungen bei ihren Kongressen. Die drei größten Organisationen versuchten Zeit und Ort ihrer Zusammenkünfte abzustimmen, um Mehrfachmitgliedern und Anreisenden aus Übersee die Teilnahme zu erleichtern. Manche Organisationen nutzten Büroräume gemeinsam, unterhielten oft einen Schriftentausch und berichteten über die Aktivitäten der jeweils anderen. Trotz ihrer eifersüchtig bewachten Eigenständigkeit und gelegentlicher Konkurrenz gelang es ihnen, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren, eine institutionelle Form der Zusammenarbeit aufzubauen.
In diesen beiden Jahrzehnten bildeten sich vier Koalitionen zur Förderung der Zusammenarbeit innerhalb des gesamten Spektrums transnationaler Frauenorganisationen. Im Jahre 1925 unternahm der ICW Schritte zum Aufbau des später so genannten Joint Standing Committee of the Women's International Organisations, das sich für die Ernennung von Frauen zum Völkerbund stark machte. Diese Einrichtung sollte feministische oder speziell mit Frauenfragen befasste Organisationen zusammenbringen. Ihre Arbeit begann mit der Suche nach Frauen, die zur Mitarbeit in Ausschüssen des Völkerbundes geeignet waren. Das Komitee vermeldete einige Erfolge bei der Ernennung von Frauen zu verschiedenen Ausschüssen, wenn auch überwiegend zu solchen, die sich speziell mit Frauen und Kindern beschäftigten.
Auf Druck der organisierten Frauen gründete der Völkerbund selbst eine zweite Koalition, das Women's Consultative Committee on Nationality. Diese Gruppe sollte Grundsätze für die Staatsbürgerschaft von Frauen ausarbeiten, die mit einem Bürger eines anderen Landes verheiratet waren. Bislang gestatteten manche Länder diesen Frauen, ihre Staatsbürgerschaft beizubehalten, währen andere verlangten, dass sie die Staatsangehörigkeit ihres Ehemanns annehmen. Dies führte dazu, dass manche Frauen staatenlos wurden, wenn sie durch Heirat ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft verloren, während gleichzeitig das Land ihres Ehemannes sie nicht einbürgerte. Verschärft worden war das Problem während des Ersten Weltkriegs, als Britinnen, die mit Deutschen verheiratet waren, zu feindlichen Ausländerinnen wurden, während deutsche Frauen britischer Männer die britische Staatsbürgerschaft erhalten konnten. Die transnationalen Frauenorganisationen waren uneins darüber, wie diese Situation am sinnvollsten bereinigt werden sollte, was zu einem Patt im Ausschuss führte.
Der Verbindungsausschuss der internationalen Frauenorganisationen, die dritte Koalition, beschäftigte sich mit einem breiten Spektrum von Themen. Es ist unklar, warum die Mitglieder des Joint Standing Committee eine neue Koalition gründeten, statt das Arbeitsgebiet der alten zu erweitern, jedenfalls entwickelte der Verbindungsausschuss, gegründet 1931, rasch ein reges Eigenleben. Aus ihm spaltete sich noch 1931 eine vierte Koalition ab, der Abrüstungsausschuss (später Friedens- und Abrüstungsausschuss), der sich für die Abrüstungskonferenz des Völkerbundes engagierte.
Die Bildung dieser vier Koalitionen stellt den Höhepunkt der transnationalen Frauenbewegung vor dem Zweiten Weltkrieg dar. Wie auch die gemischtgeschlechtlichen und männlichen transnationale Organisationen, die sich unzähligen Themen, von Landwirtschaft bis Rechtswesen, widmeten, vervielfältigten sich Frauengesellschaften in der Zwischenkriegszeit, als der Völkerbund ihren Mitgliedern neue Gelegenheiten bot, in Genf als Lobbyisten auf die Abgeordneten einzuwirken.7 Trotz oft stürmischer Verhältnisse innerhalb und zwischen den Koalitionen ist das Verlangen der Frauengruppen nach Zusammenarbeit zwischen den Kriegen beeindruckend. Die starke Zunahme der transnationalen Organisationen war keineswegs ein Zeichen von Uneinigkeit und Niedergang, sondern verlieh der transnationalen Frauenbewegung im Gegenteil Stärke und Stabilität.
Das Profil der transnationalen Frauenbewegung
Theoretisch hießen die drei größten transnationalen Frauenorganisationen Frauen jedweder Klasse aus allen Winkeln der Erde willkommen. Praktisch allerdings entstanden und gediehen diese Gruppen in erster Linie in Europa und den "Neu-Europas", Ländern wie den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien, die von europäischen Siedlern bewohnt wurden. Trotz feierlicher Bekenntnisse zu Universalität zeigten die realen Hürden, die die gleichberechtigte Teilnahme randständiger Frauengruppen verhinderten, die Grenzen der globalen Ambitionen der Organisationen auf, so dass die Bewegung von europäisch-stämmigen, christlichen, älteren Frauen der Eliten dominiert wurde.
Praktisch alle führenden Mitglieder blickten auf ein europäisches Erbe zurück, ungeachtet ihres tatsächlichen Wohnortes. Offizielle Sprachen waren Englisch, Französisch und Deutsch, was die Vorherrschaft der Europäerinnen und Amerikanerinnen verstärkte, ebenso wie die Tatsache, dass die Kongresse fast ausschließlich entweder in Nordamerika oder in Europa stattfanden. Dazu bestimmte eine Art feministischer Orientalismus die internationalen Frauenorganisationen, die davon ausgingen, dass Frauen in Asien, Afrika, dem Nahen Osten und Lateinamerika auf ihrem Weg zu Freiheit und Gleichheit der Anleitung durch westliche Frauen bedürften.
Außerdem verfügten nur Frauen der Eliten – durch eigenes Vermögen oder nationale Prominenz – über die Mittel, die nötig waren, um zu Zusammenkünften und Kongressen zu reisen, insbesondere wenn sie den Atlantik überqueren mussten. Reiche Frauen konnten sich selbst finanzieren und ihre Organisationen unterstützen, und prominente nationale Führungsfiguren, sofern selbst nicht ausreichend wohlhabend, konnten für ihre Reisekosten auf die Unterstützung durch ihre Organisationen oder Sponsoren zählen.
Weiterhin bestand die überwiegende Mehrheit der Mitglieder aus Christinnen, und eine christliche Grundhaltung kennzeichnete die Organisationen. So begegneten jüdische Frauen nicht nur christlichen Grundannahmen und Traditionen sondern auch Antisemitismus. Dennoch nahmen einige von ihnen, im Gegensatz zu Frauen aus anderen Religionen, wichtige Führungspositionen ein. Die einzige prominente Muslimin war Huda Sha`rawi (1879–1947)[], eine wichtige ägyptische Feministin, die dem Vorstand der Alliance angehörte. Musliminnen mussten sich nicht nur mit christlichen Überzeugungen auseinandersetzen, sondern trafen insbesondere auf die Vorstellung, dass islamische Gesellschaften rückständig und besonders frauenfeindlich seien. Darüber hinaus bestand das heikle Problem der jüdischen Einwanderung nach Palästina, das zu einer Auseinandersetzung zwischen Sha`rawi und Rosa Manus (1881–1943) führte, einem prominenten niederländisch-jüdischen Alliance-Mitglied, das im Holocaust ermordet wurde.
Eine weitere Einschränkung für die Teilnahme an den transnationalen Frauenorganisationen war oft das Alter, da die meisten Aktivistinnen einer älteren Generation angehörten. Dies war keineswegs beabsichtigt, sondern eher eine strukturelle Selektion, da ältere Frauen eher über Mittel zur Finanzierung ihrer Reisen verfügten. Immer wieder beklagten so Führerinnen der Organisationen das Fehlen junger Frauen und plädierten für eine Verjüngung der Mitgliedschaft. Im Laufe der Zeit geriet die separatistische Organisationsform bei den jüngeren Generationen aus der Mode, so dass sie die transnationalen Organisationen als altmodisch und unattraktiv empfanden.
Diese Ausschlusskriterien bildeten jedoch die Grundlage für Solidarität unter den Angehörigen dieser Gruppe. Christliche, ältere Frauen der Eliten mit europäischem Ursprung betonten ein gemeinsames Band der Weiblichkeit. Motivation für die Organisation von Frauen über Staatsgrenzen hinweg war die vorherrschende Abgrenzungsideologie zwischen Frauen und Männern, die auf der Fähigkeit der Frau zur Mutterschaft und der systematischen Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern basierte. Trotz gewisser Differenzen der Mitglieder verschiedener Gruppen bei einzelnen Themen reduzierte die relative Einheitlichkeit der Mitgliedschaft mögliche Konflikte.
Feministischer Internationalismus
Die Frauen von ICW, Alliance und WILPF teilten nicht nur den Wunsch, sich über Ländergrenzen hinweg zu organisieren, sondern auch das Interesse an ihrem Status als Frauen sowohl in der nationalen als auch in der globalen Szene. Sie empfanden ihre Weiblichkeit als Teil dessen, was die Grenzen ihrer Gruppe ausmachte, aber ihr feministisches Bewusstsein ging über jegliche einfache Gemeinsamkeit von Biologie und Sozialisierung hinaus. Wenn auch uneins über die genaue Vorgehensweise, so suchten sie doch alle ihre Situation als Frauen zu verbessern. Einige verwendeten die Bezeichnung "Feministin", andere vermieden dies. Auch gab es kein völliges Einvernehmen über einzelne Aspekte des feministischen Programms. Gemeinsam war ihnen jedoch die Selbstwahrnehmung als eine Gruppe, deren Interessen sich von denen der Männer unterschieden, im Bewusstsein, dass die gegenwärtigen Gesellschaftsstrukturen, so unterschiedlich sie auch von Land zu Land waren, Frauen benachteiligten. Und so engagierten sie sich alle für die Verbesserung der Stellung der Frau in der Gesellschaft.
Die wesentlichen Themen, mit denen sich die drei transnationalen Organisationen beschäftigten, waren Stimmrecht, Rechtsgleichheit, Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen sowie Moralpolitik. Bei jedem dieser Themen gab es Meinungsverschiedenheiten unter den Frauen darüber, wie Gleichheit am besten zu erreichen sei. War allgemeines Wahlrecht unabdingbar oder konnte man jede Art von Wahlrecht akzeptieren? Waren militante Aktionen beim Kampf um das Wahlrecht notwendig oder gefährlich? War spezifisches Arbeitsrecht für Frauen Schutz oder Diskriminierung? Sollte das Staatsbürgerschaftsrecht für Frauen gleich dem für Männer sein oder sollten Frauen das Recht bekommen, ihre Staatsangehörigkeit zu wählen? Waren Gesetze und politische Grundsätze im Bereich der Moral sinnvoll, etwas zum Schutz vor Frauenhandel, oder stellten sie eine Beeinträchtigung ihrer Freiheiten dar? Durch ernsthafte Debatten und auch durch aggressive Auseinandersetzungen entwickelten Frauen ihre gemeinsamen Interessen, indem sie auf die ihnen gemeinsame Benachteiligung verwiesen und das Recht einforderten, als Frauen selbst zu entscheiden, wie sie ihre Lebensbedingungen verbessern konnten.
Die Entwicklung des transnationalen Feminismus
Der Kontakt zwischen den internationalen Frauenorganisationen war während des Ersten Weltkriegs abgerissen, aber der Krieg befeuerte paradoxerweise die länderübergreifende Frauenbewegung. Die Mehrzahl der Organisationen zur Vertretung der Interessen von Frauen auf internationaler Ebene entstand in der Zwischenkriegszeit. Anders war es im Zweiten Weltkrieg. Nachdem die Gruppen schon unter der Weltwirtschaftskrise gelitten hatten, versuchten sie so gut wie möglich weiterzumachen. Nach der Invasion Belgiens, bei der das Brüsseler Büro des ICW geplündert wurde, verlegte der ICW seinen Vorsitz und das Hauptquartier nach Genf. Das Londoner Büro der Alliance schloss, als Deutschland Großbritannien angriff, und die Alliance bereitete eine mögliche Übergabe des Vorsitzes an Mitglieder in Brasilien und den Vereinigten Staaten vor. Das Hauptquartier der WILPF, das Maison internationale in Genf, öffnete 1933 seine Türen für pazifistische Flüchtlinge, und nach Kriegsausbruch widmete sich die Gruppe der Aufgabe, Menschen bei ihrer Flucht aus Europa zu helfen. Aber nach dem Krieg stellten sich alle drei Organisationen neu auf und hielten 1946 wieder Kongresse ab.
Die Zustände im Jahr 1946 stellten die transnationale Frauenbewegung vor ganz neue Herausforderungen. Nicht nur mussten die Organisationen ihre Kontakte neu aufbauen und mit dem Verlust von Mitgliedern und nationalen Untergruppen fertig werden. Darüber hinaus spaltete die zunehmende Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion die Welt in feindliche Lager. So berief 1945 die kommunistisch dominierte Union des Femmes Françaises eine internationale Tagung in Paris ein, aus der eine neue Gruppe hervorging, die Internationale Demokratische Frauenföderation (Women's International Democratic Federation, WIDF).8 Die WIDF verfügte über ausreichende Finanzierung und behauptete, für 80 Millionen Frauen zu sprechen. Sie baute erfolgreiche Organisationen in weiten Teilen der Dritten Welt auf und konkurrierte mit den bestehenden Gruppen, mit denen sie sogar um den Vertretungsanspruch für Frauen bei den Vereinten Nationen stritt. Während so der Kalte Krieg die Welt der transnationalen Frauenorganisationen erfasste, führte die Rivalität zwischen den beiden Lagern zu einer Zunahme des internationalen Organisierens. Somit war der Zweite Weltkrieg ein Wendepunkt für länderübergreifendes Organisieren unter Frauen, keineswegs aber ein Endpunkt oder ein Beginn.
Das Wachstumsmuster der transnationalen Frauenbewegung stellt eine Herausforderung dar für das fast alleine vorherrschende Modell von "erster Welle" und "zweiter Welle", das den Aufstieg von Frauenbewegungen im europäisch-amerikanischen Raum Ende des 19. Jahrhunderts, ihren Rückgang nach dem Ersten Weltkrieg und ein Wiedererstarken in den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts postuliert. Global gesehen entstanden Frauenbewegungen in Ländern, die gerade ihre Freiheit erhielten oder um politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit kämpften, und die transnationale Frauenbewegung kulminierte in den Zwanziger- und Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts. Aus globaler Sicht ist die Entwicklungslinie der Frauenbewegung also komplizierter, als man nach dem Wellenmodell vermuten würde.
Die Bedeutung der transnationalen Frauenbewegung
Die Frage nach der historischen Relevanz der transnationalen Frauenbewegung bleibt. Eine Antwortmöglichkeit liegt in der Bestimmung des Einflusses organisierter Frauen auf den Völkerbund. Vor dessen Gründung hatte nur die WILPF ernsthafte Ausflüge in die Weltpolitik unternommen. Die Alliance konzentrierte sich auf Frauenwahlrecht, das nur auf staatlicher Ebene erlangt werden konnte, und der ICW unternahm nur wenige konkrete Aktionen. Der Frauenkongress von 1915 und die von ihm ausgesandten Abordnungen zu kriegsführenden und neutralen Staaten stellte eine effektive Kursänderung der international organisierten Frauen dar. Die Haager Erklärung mit ihrer Forderung nach einer ständigen internationalen Konferenz zur Beilegung internationaler Streitigkeiten nahm Woodrow Wilsons Vierzehn Punkte und den Vorschlag eines Völkerbundes vorweg. Nach Kriegsende brachten sich Frauen aus den internationalen Gruppen konsequent bei der Friedensgestaltung und der Gründung des Völkerbundes ein. Sie erreichten eine offizielle Anhörung vor dem Ausschuss für den Völkerbund und forderten die Zulassung von Frauen zu allen ständigen Einrichtungen des Bundes, Frauenwahlrecht, Verhinderung des Frauen- und Kinderhandels sowie die Einrichtung von Büros für Bildung und Gesundheit.
Sobald der Völkerbund seine Arbeit aufgenommen hatte, setzten sich die transnationalen Frauengruppen nicht nur für die Ernennung von Frauen in seine Gremien und für Frieden ein; sie verfolgten eine ganze Reihe von Anliegen und verabschiedeten Resolutionen auf ihren Kongressen, die an den Völkerbund weitergeleitet wurden. Auch wenn Frauen weiterhin erheblich unterrepräsentiert blieben und ihre Tätigkeit in der Regel auf Felder begrenzt war, die als "frauengeeignet" angesehen wurden, führte die Arbeit der transnationalen Frauenbewegung doch dazu, dass die Stimmen von Frauen beim Völkerbund hörbar waren und gehört wurden. Sie sorgten dafür, dass soziale und humanitäre Fragen auf der Tagesordnung blieben, und wenn diese auch nicht als die dringendsten Themen der Zwischenkriegszeit galten, waren sie doch tatsächlich die Gebiete, auf denen der Bund seine größten Erfolge erzielte. Als der Zweite Weltkrieg endete, spielten Mitglieder der transnationalen Frauenorganisationen eine entscheidende Rolle dabei, dass gleiche Rechte für Frauen einen Platz in der Charta der Vereinten Nationen fanden und dass eine Frauenkommission eingerichtet wurde. Ihr Einsatz stellt ein Bindeglied dar zwischen der transnationalen Frauenbewegung vor 1945 und dem scheinbaren Neuentstehen einer entsprechenden Bewegung in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts.