Einführung
Das Schwarze Meer wird mittlerweile von den historischen Wissenschaften mit gutem Grund als eine distinkte Geschichtsregion betrachtet und damit als ein Raum verdichteter Kommunikation, vergleichbar etwa mit dem der Ostsee oder dem Mittelmeer.1 Eine nationalstaatliche Betrachtungsweise, die dort erst seit dem 20. Jahrhundert dominiert, erscheint unzulässig.2 An das Schwarze Meer, das Südosteuropa, Osteuropa und die vorderasiatischen Gebiete miteinander verbindet, grenzen seit 1991 folgende Staaten: die Ukraine, die Russische Föderation, Georgien, die Türkei, Bulgarien und Rumänien. Für eine Betrachtung aus der Perspektive der longue durée ist ein solcher historisch sehr junger nationalstaatlicher Referenzrahmen wenig zielführend.3 Als vorherrschend und dauerhafter als Nationalstaaten erwiesen sich nämlich die Einflüsse nomadischer und sesshafter Kulturen sowie wechselnder und miteinander konkurrierender Imperien. Damit einher gingen umfassende Migrationsprozesse, die teils friedlich, teils gewaltsam verliefen und Multiethnizität sowie Multireligiosität beförderten. Unter dieser Prämisse ist die in diesem Beitrag vorgenommene Fokussierung auf den nördlichen Schwarzmeerraum, d.h. vorwiegend auf die heute zur Ukraine gehörenden Gebiete, einerseits willkürlich. Andererseits lässt sich dieser Zuschnitt aber gut begründen, können doch exemplarisch Bezüge und Strukturen aufgezeigt werden, welche die Geschichtsregion insgesamt kennzeichnen. Dazu zählt etwa die Bedeutung der Region als klassischer und moderner Mythenraum, als Wirtschaftsregion sowie als Kontaktzone zwischen nomadischen und sesshaften Kulturen oder zwischen Islam und Christentum. Das im Folgenden untersuchte Gebiet umfasst ungefähr die ehemaligen zarischen Verwaltungseinheiten Neurussland (Novorossija) und das Taurische Gouvernement (Tavričeskaja gubernija). Diese Region, die heute als südliche Ukraine bezeichnet wird, liegt etwa zwischen dem Donaudelta und der Straße von Kerč' (russ.; ukr.: Kerč) einschließlich des Hinterlandes.4
Mythen- und Legendenraum
Das Gebiet am nördlichen Schwarzen Meer ist bereits seit Urzeiten besiedelt und war ein elementarer Teil der antiken Welt, was es zu einem komplexen Mythen- und Legendenraum macht. Die mit ihm verbundenen Erzählungen weisen zum Teil einen realen Kern auf, der aber unablässig verfremdet und den jeweiligen Erinnerungsbedürfnissen angepasst wurde. Indem die Sintflut immer wieder in dieser Region verortet wurde, ist das Schwarze Meer auch mit einem kulturübergreifend präsenten Topos verbunden.5 Dieser Befund wird kontrovers diskutiert und hat die ewige Suche nach dem "wirklichen" Ort nicht beendet.6 Letztlich ist die Frage, ob sich die Sintflut im Schwarzen Meer ereignet hat für eine kulturwissenschaftliche Sicht auf den Raum jedoch zweitrangig.7 Dank des Iphigenie-Themas hat die Nordküste des Schwarzen Meeres zudem in der klassischen Mythenwelt ihren Platz.8 Von Euripides (480–406 v. Chr.) über Christoph Willibald Gluck (1714–1787) und Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)[] bis hin zum zypriotischen Filmregisseur Michalēs Kakogiannēs (1922–2011) bearbeitet,9 avancierte es zu einem quasi-zeitlosen Sujet der Künste.10 Bekanntlich wird das sagenhafte Tauris als die Halbinsel Krim identifiziert.11 Dort musste Iphigenie, die Tochter Agamemnons, als Priesterin der Göttin Artemis (Diana) Fremde opfern, bis sie durch ihren Bruder Orest gerettet wurde. Dass es sich bei dem nördlichen Schwarzmeerraum um ein antikes Gestade handelte, spielte in den russischen Diskursen übrigens eine große Rolle. Seit der berühmten Herrscherreise von Kaiserin Katharina II. (1729–1796)[] auf die Krim 1787 – wenige Jahre nach deren Annexion (nicht ohne Grund als sogenannte "Taurische Reise" überliefert) –, wurde immer wieder auf das antike Erbe und die klassische Sagenwelt verwiesen.12 Seit der Aufklärung, die auch bei den russischen Eliten ihre Spuren hinterlassen hatte, galt das Altertum nämlich als eine besonders bedeutsame Epoche. Mit der Aneignung des Krim-Chanats am Nordufer des Schwarzen Meeres hatte das Zarenreich fortan sein eigenes antikes Territorium.
Mit diesem Raum sind zudem religiöse Mythen und Legenden verbunden, die auch für russisch-imperiale Diskurse wichtig waren. Neben der angeblichen Taufe des Großfürsten Vladimir I. Sviatoslavič' (956–1015) in Chersones im 10. Jahrhundert, auf die noch zurückzukommen sein wird, sei stellvertretend die angebliche Skythenmission des Apostels Andreas (russ.: Andrej Pervozvannyj, "der Erstberufene") erwähnt: Dieser soll über das Schwarze Meer missionierend Richtung Norden den Dnjepr entlang gezogen sein. Mit der apokryphen Schrift Die Legende der Reise des Heiligen Andreas nach Russland fand diese Mission Eingang in die Nestorchronik (Povest' vremennych let). Diese gilt als die wichtigste überlieferte Quelle zur Erforschung der Kiewer Rus'. Zwar heißt es dort eher nüchtern "(a)ls Andreas in Sinopé lehrte und als er nach Korsun' (Chersones) gekommen war, sah er, daß von Korsun' aus die Mündung des Dnepr nahe ist".13 Im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts wurde die beginnende Übernahme des Gebiets durch das Russische Reich jedoch nicht zuletzt durch solche Narrationen gerechtfertigt, die eine alte Verbindung zwischen dem Christentum und dem ostslawischem Territorium zu belegen schienen. Die russische Machtübernahme durch das Osmanische Reich bzw. das Krim-Chanat ließ sich auf diese Weise als Rückkehr zu einem ursprünglichen Zustand umdeuten. Ukrainisch-nationale Narrationen haben diese Mythenbestände übernommen, sie allerdings in eine lineare ukrainische (nicht russische!) Geschichte eingebettet.14
Der nördliche Schwarzmeerraum ist aber nicht allein in russischen bzw. ukrainischen Zusammenhängen ein mythischer, legendärer Ort, wie der Sarmatenmythos des polnischen Adels aus dem 16. Jahrhundert zeigt. So begann die polnische Oberschicht ihre Herkunft sowie ihr Werte- und Normensystem auf das iranische Nomadenvolk der Sarmaten, das zeitweise großen Einfluss auf das Nordufer des Schwarzen Meeres ausgeübt hatte, zurückzuführen.15 Für deutschsprachige Reisende und Ideologen hingegen spielten die im 3. Jahrhundert n. Chr. an das Schwarze Meer vorgedrungen Goten eine Rolle, die als Vorfahren betrachtet wurden. Während der Besatzung der Krim im Zweiten Weltkrieg orientierte sich auch Adolf Hitler (1889–1945) in seinen Germanisierungsplänen an dieser vermeintlichen Abstammungslinie. Die grausamen Versuche der sogenannten "Umvolkung" auf der Halbinsel firmierten entsprechend unter dem Namen "Gotenland".16
Die Bedeutung der Region für die Vorstellungswelten und die kollektive Erinnerung verschiedener Nationalitäten bzw. sozialer Gruppen kann hier nur angedeutet werden. Dass das Schwarze Meer und vor allen Dingen sein nördliches Ufer von jeher emotional aufgeladene Erinnerungsräume waren, die sich auch in dieser Hinsicht exklusiven nationalen Ansprüchen entziehen, ist jedoch offensichtlich.
Der nördliche Schwarzmeerraum in der Antike
Die große ethnische und kulturelle Vielfalt dieser Region besteht seit frühesten Zeiten. Asiatische und griechische Einflüsse führten im Altertum dazu, dass sich "mixed civilizations" bildeten.17 Weil in der Region unterschiedlich wirtschaftende Gruppen in einem komplexen, wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis lebten, erreichte keine von ihnen dauerhafte Dominanz. Dadurch entwickelte sich auch kein Zentrum, das die Region dominierte. Phasen der Koexistenz und der Auseinandersetzung wechselten sich im Zusammenleben der kulturell differenten Gruppen ab.
Aufgrund seiner günstigen Lage und der klimatischen Verhältnisse war der Schwarzmeerraum bereits in vorantiker Zeit besiedelt und Ziel der sogenannten "Ionischen" (11./10. Jahrhundert v. Chr.) sowie der "Großen Kolonisation" (8. bis 6. Jahrhundert v. Chr.) durch die Griechen. Die Zeit bis zum 4. vorchristlichen Jahrhundert gilt als Phase der Prosperität:18 Skythische Stämme und griechische Städte, die diesen gegenüber tributpflichtig waren, schufen untereinander ein engmaschiges Produktions- und Handelsnetz, etwa für Getreide, Pelze, Wachs, Honig sowie Sklaven, das durch die Skythen militärisch abgesichert wurde. Bald ging die Wirtschaftsleistung jedoch zurück, was sich u.a. am Einbruch der Getreideproduktion zeigte. Dies war nicht zuletzt die Folge des zunehmenden Drucks, den die nördlichen und östlichen Steppenbewohner auf die Küstenregionen ausübten: Nomadische und halbnomadische Gruppen, wie die iranischen Sarmaten (ab ca. 4. Jahrhundert v. Chr.),19 verdrängten bzw. assimilierten allmählich die Skythen.
Ab dem 3./2. Jahrhundert v. Chr. verschlechterte sich die finanzielle Situation und die Sicherheitslage für die griechischen Städte am nördlichen Ufer des Schwarzen Meeres zunehmend: (Halb-)nomadische Stämme aus dem Norden und Süden forderten immer höhere Tribute und gewaltige Kosten für Festungsbauten mussten aufgebracht werden. Zu diesem Zeitpunkt gehörten Städte wie Olbia, Chersones oder Feodossija bereits zum Bosporanischen Reich mit seinem Zentrum Pantikapaion. Vor den kriegerischen Einfällen bot letzteres aber keine Sicherheit;20 vielmehr suchte Pantikapaion selbst den Schutz des Königsreichs von Pontos. Dessen Herrscher Mithridates VI. (ca. 132–63 v. Chr.) versuchte seinen Einflussbereich auf kleinasiatische Gebiete auszuweiten und geriet so in Konflikt mit Rom.21 Die ehemaligen griechischen Gründungen wurden somit auch zu Schauplätzen der sogenannten Mithridatischen Kriege (89–63. v. Chr.). Nachdem Rom unter Pompeius (106–48 v. Chr.) 63 v. Chr. Mithridates VI. endgültig besiegt hatte, wurde Pontus ein von Rom abhängiger sogenannter Klientelstaat. Das Städtewesen am nördlichen Schwarzmeerufer entwickelte sich nun recht unterschiedlich: Das westlich gelegene Olbia wurde zu einer weitgehend bedeutungslosen Siedlung, während Pantikapaion seinen hellenischen Charakter allmählich verlor.22 Chersones entwickelte sich hingegen zu einer oligarchischen Republik, die Rom unterstützte und die Basis für die römische Herrschaft auf der Halbinsel bildete. Während im Verlauf des 13. Jahrhunderts weite Teile der Krim unter den Einfluss der Goldenen Horde gelangten, geriet Chersones unter die Kontrolle Genuas, das einige florierende Handelsniederlassungen an der Küste der Krim unterhielt. Chersones wurde oft zerstört, aber immer wieder aufgebaut. Erst nach der Verwüstung der Stadt im Jahr 1399 durch die Truppen der Goldenen Horde unter Edigü (ca. 1350–ca. 1419) wurde sie nicht wieder rekonstruiert.23
In den ersten Jahrhunderten nach Beginn unserer Zeitrechnung blieb die Region ein Kontakt- und Migrationsraum, der von zahlreichen Gruppen durchquert, erobert und besiedelt wurde. Neuankömmlinge und Altsiedler trafen teils friedlich, teils gewaltsam aufeinander. Viele Gruppen akkulturierten sich, andere hingegen, wie der germanische Stamm der zumeist vereinfacht genannten "Goten", wanderten weiter. Die Ankunft der Goten ist für das Jahr 255 erstmalig auf der Krim nachgewiesen. Viele von ihnen wurden von Nomaden, die abermals aus den zentralasiatischen Steppen stammten, Richtung westliches Europa verdrängt. Andere blieben auf der Krim. Diese sogenannten Krimgoten waren politisch und kulturell mit Ostrom verbunden und traten zum Christentum über. Ihr Fürstentum Theodoro, im bergigen Teil der Halbinsel gelegen, gaben sie erst um 1475 auf, als die Krimtataren das Gebiet vollständig erobert hatten.24
Ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. entwickelte sich vor allem Chersones am Nordufer des Schwarzen Meers zu einem Ort des Frühchristentums. Die an der Peripherie Roms gelegene Stadt bot Kirchenmännern, die in Konflikt mit der kaiserlichen Macht geraten waren, häufig Exil.25
Vom Chazarenreich bis zum Krim-Chanat und den Osmanen
Seit Ende des 7. Jahrhunderts weiteten die turkstämmigen Chazaren ihre Herrschaft auf weite Teile des nördlichen und östlichen Ufers des Schwarzen Meeres aus. Für knapp drei Jahrhunderte avancierten sie – neben dem beispielsweise noch über Chersones herrschenden Ostrom – zur regionalen Ordnungsmacht.26 Gebiete wie das krimgotische Theodoro entrichteten Tribut an die Chazaren, die zudem weitgehend den Fernhandel kontrollierten und sich dadurch finanzieren konnten. Das Verhältnis zwischen den Chazaren und Konstantinopel war unbeständig:27 Bündnisse gegen eindringende nomadisierende Gruppen, wie die Petschenegen, oder auch gegen das persische Sassanidenreich wurden geschlossen und wieder gelöst. Die Chazaren waren dem andauernden Druck aus den Wald- und Steppengebieten schließlich nicht mehr gewachsen. Neben den Alanen bedrohte nun ein neuer Gegenspieler das Reich: die Kiewer Rus'.
In den 960er Jahren versetzte Swjatoslaw I. (ca. 942–ca. 972) den Chazaren den entscheidenden Schlag.28 Von einer dauerhaften Kontrolle der Region durch die Slawen kann zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht die Rede sein, auch wenn dies im 18. und 20. Jahrhundert Apologeten russischer Herrschaft über den nördlichen Schwarzmeerraum zu beweisen versuchten.29 Zweifellos bestanden allerdings friedliche Handelskontakte, die sich mit Raubzügen Kiews gegen Konstantinopel abwechselten. Zudem gab es das slawische Fürstentum Tmutarakan auf der Halbinsel Taman, das aus der griechischen Gründung Hermonassa hervorgegangen war und Ende des 10./Anfang des 11. Jahrhunderts unter die Herrschaft der Rjurikiden-Dynastie gelangte.30 1094 wurde es letztmalig in russischen Chroniken erwähnt.31
Der Kiewer Großfürst Vladimir I. Sviatoslavič war bereits um das Jahr 988 mit seinem Heer Richtung Schwarzes Meer auf die Krim gezogen. Die Gründe dafür werden unterschiedlich interpretiert.32 Unstrittig ist, dass sich Vladimir I. ungefähr zur gleichen Zeit taufen ließ, was die berühmte Massentaufe zu Kiew und den Beginn der Christianisierung der Rus' nach sich zog.33 Dass dieses Ereignis der Nestorchronik zufolge in Chersones stattgefunden haben soll,34 wurde seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum wesentlichen Element einer russisch-orthodoxen Narration, die dazu diente, die zaristische Herrschaft über das Territorium zu legitimieren.35
Im 13. Jahrhundert etablierten die Seerepubliken Venedig und Genua entlang der Küste Handelskolonien. Neben dem bei Konstantinopel gelegenen Pera (heute Beyoğlu, ein Stadtteil von Istanbul) wurde Kaffa, das ehemalige Theodosia, die wichtigste genuesische Kolonie.36 Über Kaffa wurde nicht nur ein Großteil des europäischen Seidenimports, sondern auch der Sklavenhandel kontrolliert. Wie die anderen Siedlungen, so darf man sich auch diese sogenannten italienischen Kolonien nicht als ethnisch-kulturell homogenen Bereich vorstellen. In Kaffa etwa waren nur ein Fünftel der Bewohner Italiener; die Mehrheit bildeten Griechen, Slawen, Armenier und auch muslimische Gruppen.37 Kaffa und eine Reihe anderer Küstenstädte fielen Ende des 15. Jahrhunderts unter die Verwaltung der Osmanen (als eyalet = Provinzen) bzw. des Krim-Chanats; ihre Bewohner assimilierten sich schnell und nahmen in der Gesamtökonomie des Raumes auch weiterhin eine wichtige Rolle ein.38 Der grundsätzlich multiethnische und multireligiöse Charakter des Raumes blieb auch unter muslimischer Herrschaft erhalten.
Mit dem Krim-Chanat entstand in den 1440er Jahren, so vermerken es europäische und arabische Quellen, die Einheit, die gemeinsam mit dem Osmanischen Reich den nördlichen Schwarzmeerraum bis in das 18. Jahrhundert nachhaltig prägen sollte. Während an der Küste die italienischen Handelsstädte entstanden, wurden im Norden nomadisch siedelnde, zumeist turkstämmige Gruppen sesshaft; viele von ihnen waren zum Islam konvertiert. In die Region waren diese sogenannten Krimtataren mit der Goldenen Horde gelangt, die weite Teile der slawischen Gebiete der Kiever Rus', die in Teilfürstentümer zerfallen war, unter Tributherrschaft gezwungen hatte.39 Die Geschichte der Tataren auf der Krim begann im heutigen Staryj Krim (deutsch: Alte Festung, tatarisch: Eski Kırım), das im nordöstlichen Gebiet der Halbinsel zwischen Bergland und Steppe liegt. Die von Griechen und Armeniern als Solchat in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts gegründete Stadt wurde im 13. Jahrhundert Sitz der lokalen Vertreter der Horde, die nach Westen vorstieß. Der Ort erlangte überregionale Bedeutung als ein wirtschaftliches und religiöses Zentrum.40 Als im 14. Jahrhundert der Konglomeratstaat der Goldenen Horde durch äußere41 wie innere Faktoren42 erodierte, entstanden im Verlauf des 15. Jahrhunderts mehrere unabhängige Chanate. Eines davon war das Krim-Chanat, dessen Territorium über die Landenge von Perekop hinausging.43 Schon bald gelang es diesem neuen Akteur, Tribute von den Küstenstädten einzutreiben.44
Als Begründer des Krim-Chanats (1424/1443–1774/1783) gilt der vermutlich in Litauen geborene Haçi Giray (gest. 1466/1475),45 der mit Unterstützung der einflussreichen Clan-Führer der Şirins und Barins Chan wurde.46 Krim-Chan Mengli I. (1445–1515) hatte zu diesem Zweck ein Bündnis mit dem Moskauer Reich unter Ivan III. von Moskau (1440–1505) geschlossen. Obwohl das Verhältnis zu den nördlichen Nachbaren in der Folge häufig angespannt war, erwies sich die Außenpolitik des Chanats später als flexibel und pragmatisch. Erstens zielte sie darauf, die ehemaligen Länder der Goldenen Horde, als dessen Erbe man sich verstand, unter Führung des Chanats zu sammeln; zweitens wollte man keinem der Staaten in der Region die Vorherrschaft überlassen. Seit Mitte des 15. Jahrhunderts ging man darum gegen die Goldene Horde gerichtete Allianzen mit Polen und Moskau ein oder führte, oft gemeinsam mit dem Osmanischen Reich,47 Beutezüge gegen beide Staaten.48 Dennoch war mit dem Chanat ein wichtiger Gleichgewichtsfaktor sowohl in der Region als auch im östlichen Europa entstanden.49
Unter der Ägide des Osmanischen Reiches und des Krim-Chanats entwickelte sich in der Region in der Frühen Neuzeit eine bedeutende islamisch geprägte Kultur.50 Einerseits stand diese fremden Religionen toleranter gegenüber als dies umgekehrt zeitgleich im christlichen Europa der Fall war.51 Andererseits unternahmen diese Mächte jedoch zahlreiche Einfälle in die offenen, von Slawen bewohnten nördlichen Steppen- und Waldgebiete, um reiche Beute an Mensch und Material zu machen.52 Für die Bewohner des polnisch-litauischen (ab 1569) und des Moskauer Staats bedeuteten diese Raubzüge unermessliches Leid und große finanzielle Belastungen. Die von Moskau und der polnischen Krone zur Grenzsicherung eingesetzten Kosakenverbände konnten die Übergriffe nicht effektiv verhindern.53 Es war nicht möglich, die fruchtbaren Gebiete an den offenen Grenzen agrarisch intensiv zu nutzen, vom Schwarzmeerhandel war der Norden weitgehend abgeschnitten und der Bevölkerungsmangel – ohnehin ein Problem frühneuzeitlicher Gesellschaften – verschärfte sich durch den Sklavenhandel zusätzlich.54
Die Raubzüge der Beherrscher des nördlichen Schwarzen Meeres waren zweifellos ein wesentlicher Teil der eigenen Wirtschaftskraft. Langfristig verhinderte dies Modernisierungsbestrebungen, da Innovationen im Handwerk und in der Protoindustrie nicht oder nur verspätet eingeführt wurden. Auch auf dem Terrain der Militärtechnik und Taktik gerieten das Osmanische Reich und das Chanat55 gegenüber Polen-Litauen, vor allen Dingen aber gegenüber dem erstarkenden Zarenreich, im Verlauf des 17. Jahrhunderts in Rückstand.
Die russische Herrschaft: Die Region als Novorossija
Mit dem Frieden von Küçük Kaynarca gelang 1774 nach mehreren begrenzten Erfolgen56 der Durchbruch Sankt Petersburgs ans Schwarze Meer.57 Durch den 1768 begonnenen Russisch-Osmanischen Krieg kam es zu umfangreichen Gebietsverlusten Istanbuls, u.a. am Bug und Dnjepr. Formal erlangte das Krim-Chanat 1774 seine Unabhängigkeit, stand tatsächlich aber innen- und außenpolitisch unter russischer Ägide. Nach diversen Aufständen gegen den von ihr protegierten Chan Şahin Giray (1745–ca. 1787) ließ Katharina II. die Halbinsel 1783 annektieren.58 Bis dahin war Istanbul mittels der Kalifenwürde des Sultans ein gewisser Einfluss auf das Chanat sicher gewesen.59 Der Verlust von strategisch wichtigen Festungen wie Kerč', Enikale oder Kinburn am nördlichen Ufer war für die Osmanen schmerzhaft.
Obwohl der strategische und vor allen Dingen symbolische Erfolg Sankt Petersburgs immens war, fiel die Bilanz russischer Herrschaft über den nördlichen Schwarzmeerraum gemischt aus.60 Die zaristische Administration erzielte bedeutende, weithin sichtbare Erfolge, indem die bereits von Peter I. (1672–1725) erprobte Strategie, zur Sicherung neueroberter Gebiete neue Städte zu bauen (gradostroenie), weiter verfolgt wurde. Neben Sewastopol (gegründet 1783),61 das im Krimkrieg (1853–1856) zu militärisch-nationalmythischem Ruhm gekommenen war, galt vor allem Odessa (1794) als gelungenste Neugründung.62 Die Stadt konnte ihren Ruf als südliches Handelszentrum kontinuierlich ausbauen und diente als Motor für den beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung der Region.63 Odessas Aufstieg ging aber zu Lasten anderer Gebiete wie der Krim.64 Indem die russische Seite die nördliche Schwarzmeerküste dauerhaft gegen Ansprüche der Osmanen bzw. Tataren verteidigte und sich das Gebiet zudem in politischer, mentaler und ökonomischer Hinsicht aneignete, erwies sich die russische Politik als erfolgreich. Im 20. Jahrhundert stand Russland damit allerdings in Konkurrenz zu anderen nationalen Projekten (vor allen Dingen mit den krimtatarischen und ukrainischen).
Die Region erfuhr keine Sonderbehandlung, sondern durchlief in zaristischer Zeit im Wesentlichen alle Stadien der zentralrussischen Gebiete:65 Unter Katharina II. entsprach die dortige Politik alles in allem den zeitgenössischen Paradigmen aufgeklärter absoluter Herrschaft, d.h. den Maximen der Toleranz und des Pragmatismus. Vor allen Dingen unter Alexander III. (1845–1894) wurde dann vermehrt zu – in Europa zeittypischen – homogenisierenden Maßnahmen gegriffen. Die Konjunkturen der zaristischen Politik lassen sich gut am Beispiel der Krim zeigen: Getreu des von der Zarin Katharina II. erlassenen Manifests anlässlich der Annexion im April 1783 sollte diese "auf ewig" zum Russischen Reich gehören,66 zumal sich mit diesem Erwerb weitergehende außenpolitische Pläne verbanden.67 Der Wille zur "ewigen" Herrschaft zeigte sich nicht nur in einer komplexen diskursiven Legitimationsstrategie, welche "beweisen" sollte, dass die zaristische Herrschaft über die Krim "gut", "gerecht" und nützlich sei,68 sondern auch darin, dass sie kaum einmal als Kolonie bezeichnet wurde.69 Gleichwohl wies die russische Politik im ehemaligen Krim-Chanat Merkmale kolonialer und direkter Hegemonie auf.70 Dafür sprechen die dort implementierten Herrschaftsbeziehungen zwischen Metropole und Peripherie als auch die Nutzung als slawische Siedlungskolonie. Durch den Bau von Städten (gradostroenie) sowie Kolonisierungs- und Umsiedlungsmaßnahmen (als pereselenie bezeichnet) gestalteten die Herrscher den kolonialen Raum. Bis 1819 wurde in der Region konsequent ein Kolonisierungsprogramm durchgeführt, dem im 19. Jahrhundert weitere staatlich gelenkte und andere Migrationswellen folgten.71 Ausländer wurden angesiedelt, die die russische Administration als nützlich einschätzte; dazu zählten u.a. Deutsche, Schweden und Schweizer (zumeist also konfessionell divergente Gruppen) sowie orthodoxe Bulgaren oder Gagausen aus dem Osmanischen Reich.72 Ergänzend dazu ergriff das Regime weitere Maßnahmen, um den Anteil der Bevölkerungsgruppen, die als "gefährlich" und/oder "wenig nützlich" galten, zu verringern. Dies betraf vor allen Dingen die muslimischen Tataren. Bis zum Ende des Zarenreichs sank der krimtatarische Bevölkerungsanteil signifikant, da viele Krimtataren teils aus religiösen, teils aus wirtschaftlichen Gründen ins Osmanische Reich emigrierten.73
Am Beispiel der Krimtataren als der aus russischer Perspektive wohl wichtigsten religiös und kulturell "fremden" Gruppe können einige grundlegende Erkenntnisse zu Inklusions- und Exklusionsmechanismen kolonialer Herrschaft gewonnen werden. Die Praktiken zielten theoretisch auf eine weitgehende Inklusion ab. Die muslimischen Bewohner waren also – ebenfalls in der Theorie – nicht per se eine benachteiligte Gruppe. Beispielsweise wurde der tatarische Adel in das russische Adelssystem einbezogen, um die "Trennung der Tataren von der türkischen Macht"74 zu fördern. Durch Eintragung in die russische Rangtabelle (tabel' o rangach) war die tatarische Aristokratie zumindest in der Theorie (in der Praxis gelang dies weniger) der russischen gleichgestellt. Die vom Staat bezahlten muslimischen Geistlichen kontrollierten bis zum Ende der Monarchie alle religiösen und erzieherischen Angelegenheiten der religiösen Gemeinschaft der Muslime (umma).75 Muslimische Bauern waren in der Region – diesem "Land der Freiheit" – vielfach besser gestellt als die Bauernschaft in den russischen Kernlanden, da sie nicht in die bis 1861 im Zarenreich existierende Leibeigenschaft gezwungen wurden.76 Auch von den Großen Reformen, etwa des Justizwesens oder der Einführung der Landschaftsvertretungen (zemstva), profitierten die Muslime in dieser Region.77
Die russische Herrschaft über den multikulturellen, polyreligiösen und fremden Schwarzmeerraum gestaltete sich also ambivalent: Städte wie Odessa oder auch das an der Südküste der Krim gelegene Touristenzentrum Jalta78 waren boomtowns, in der Region offenbarten sich aber infrastrukturelle Versäumnisse, besonders während des Krimkriegs. Gleichfalls ambivalent ist das russische Vorgehen gegenüber Teilen der neuen Untertanen: Als "fremd" identifizierte Gruppen wie die Muslime, zunehmend aber auch die sich nur wenig in die slawische Mehrheitsgesellschaft integrierenden Schwarzmeerdeutschen79 wurden einerseits misstrauisch beobachtet, andererseits hatten sie auf rechtlicher Ebene kaum Nachteile zu befürchten. Unstrittig ist jedoch eins: Bald nach seiner Eroberung wurde der Bereich als elementarer, unveräußerlicher Bestandteil des Russischen Reichs angesehen und emotional angeeignet, was sich nicht zuletzt in der großen Bedeutung des Topos der "eigenen" Schwarzmeerküste in der russischen Literatur und in den Bildenden Künsten zeigt.80
Weltkrieg, Revolutionen und sowjetische Herrschaft
Der Erste Weltkrieg hatte am Schwarzen Meer anfangs weniger Auswirkungen als z.B. an den westlichen Grenzen des Russischen Reichs, da hier nur geringe Truppenbewegungen und vereinzelt Operationen zur See stattfanden.81 Auch der Umsturz im Februar 1917 verlief vergleichsweise "unproblematisch und gewaltarm".82 Die von der Petrograder Regierung nicht gelösten drei großen Probleme – Land, Brot und Frieden – führten aber zur Entfremdung zwischen der Bevölkerung und den Repräsentanten der neuen Ordnung. Die in Petrograd und Moskau zu beobachtende Bildung paralleler Machtstrukturen – Provisorische Regierung vs. Bauern- und Soldatenräte – vollzog sich auch im nördlichen Schwarzmeergebiet. Dies galt vor allen Dingen in den Städten mit ausgeprägter militärischer Infrastruktur bzw. vergleichsweise hohem Arbeiteranteil, also in Sewastopol oder Odessa.83 Ähnlich wie in anderen Teilen des Russischen Reichs kam es zudem zur Politisierung der nationalen Minderheiten. So veränderten beispielsweise die politisch aktiven Krimtataren im Verlauf des Jahres 1917 ihre Forderungen: Während sie im Frühjahr noch die kulturelle Autonomie innerhalb eines zukünftigen föderativen, demokratischen Russlands angestrebt hatten, zielten sie Ende des Jahres bereits auf die vollständige Unabhängigkeit vom russischen Staat.84 Gleichzeitig eskalierte die Gewalt. Nach dem Oktoberumsturz kämpften in der Region verschiedene Gruppen gegeneinander; "revolutionäre" Verbände gingen gegen "bourgeoise" Russen vor, und örtlich griffen national oder sozial motivierte Partisanenverbände in das Geschehen ein. Insgesamt blieb die Lage bis zum endgültigen Sieg der Bol'ševiki unübersichtlich. Es bildeten sich Interimsstaaten, wie die UNR, die Ukrainische Volksrepublik (Ukraїns'ka Narodna Respublika), die sich im linken politischen Spektrum verortete, aber eine von Russland unabhängige, nationale Lösung anstrebte,85 oder ein unabhängiger Krim-Staat, den einige tatarische Politiker mittelfristig mit dem Osmanischen Reich verbinden wollten,86 die u.a. von der Roten Armee hinweggefegt wurden. Hinzu kamen zahlreiche externe Akteure:87 Nach dem Vertrag von Brest-Litowsk Anfang 1918 besetzten Truppen der Mittelmächte große Gebiete der Region.88 Im Russischen Bürgerkrieg waren schließlich die sogenannten Weißgardisten und die alliierten Truppen, die diese unterstützten, involviert. Krieg und Zerstörung überzogen das Schwarzmeergebiet einschließlich seiner nördlichen Küste.89
In den ersten Jahren der sowjetischen Herrschaft nach dem Ende des Bürgerkriegs begann für das Gebiet eine Phase der Konsolidierung. Wie in der übrigen Sowjetunion, beruhigte die Neue Ökonomische Politik (Novaja Ėkonomičeskaja Politika) die Wirtschaft. Die gesamtsowjetische Politik hatte allerdings auch negative Folgen: Die Hungersnöte der Jahre 1921/1922 – als Folge von Welt- und Bürger-Krieg – und 1932/1933 – Resultat der Kollektivierung und eines "Krieges gegen die Bauern" – suchten auch die ehemaligen Gouvernements Neurussland und Taurien heim.90 Die sogenannte Kulakenverfolgung während der Kollektivierung seit 1929 betraf auch die dortigen Bauern.91 Die militant antireligiösen Kampagnen der sogenannten Bezbožniki (russ.: Gottlosen) seit Mitte der 1920er Jahre fanden hier ebenso statt92 wie ab 1934 die Säuberungen (russ.: čistki) kommunistischer Kader.93 Zugleich profitierten sowohl die ukrainische Bevölkerung als Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) als auch die Krimtataren von der unionsweit durchgeführten Indigenisierungspolitik, der korenizacja (Einwurzelung) bzw. der ukrainizacja (Ukrainisierung). Die 1921 erfolgte Gründung der krimtatarischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (Krymskaja ASSR)94 muss vor diesem Hintergrund gesehen werden. Sowohl die USSR als auch die ASSR der Krim sind Ergebnis des seit 1918 von den Bol'ševiki propagandistisch vertretenen föderativen Elements, das Teil eines größeren nationalpolitischen Projektes Vladimir Il'ič Lenins (1870–1924) und Iosif V. Stalins (1879–1953)[] war und die nichtrussischen Nationalitäten an die neue Macht binden sollte. Dabei war die Aufgabe territorialer Ordnungsprinzipien zugunsten national abgegrenzter Verwaltungsstrukturen für die historisch polyethnische Bevölkerungsstruktur der Region eigentlich wenig zielführend, war der nördliche Schwarzmeerraum doch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs von hoher ethnischer Diversität.95 Bis zur partiellen Einstellung der "positiven Diskriminierung" Anfang der 1930er Jahre profitierten Ukrainer und Krimtataren des nördlichen Schwarzmeerraumes trotzdem von der Indigenisierungspolitik.96 Besonders mit Blick auf die Bildung, die Sprache, die Kultur und die allgemeine gesellschaftliche Teilhabe gab es Fortschritte, welche allerdings besonders in der Zeit des sogenannten "Großen Terrors" teilweise rückgängig gemacht wurden.
Vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der Sowjetunion
Die traditionelle Bedeutung des Schwarzmeerraumes einschließlich seines nördlichen Ufers als Migrationsgebiet zeigte sich in seiner brutalsten Form nach dem Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941, als die Region durch die deutschen und rumänischen Truppen besetzt wurde. Odessa wurde nach langen, für beide Seiten verlustreichen Kämpfen im Herbst 1941 eingenommen und als Teil der als Transnistrien bezeichneten rumänischen Besatzungszone bis zur Rückeroberung durch die Rote Armee 1944 mit harter Hand verwaltet.97 Neben sowjetischen Partisanen – Odessa wurde nach dem Kriegsende für den Widerstand als eine der sogenannten Heldenstädte (gorod geroj) geehrt – wurden vor allem die jüdischen Einwohner[] Opfer einer bis dahin präzedenzlosen Gewalt: "Ohne Zwang von Seiten Deutschlands … traf der Holocaust vor allem die Juden Bessarabiens und des von Rumänien eroberten Teils der Ukraine".98
Die im nördlichen Schwarzmeerraum zum Teil seit Generationen ansässigen Deutschen unterstützten mehrheitlich das Besatzungsregime. Bei der Verwaltung und Ausbeutung der Halbinsel verfolgten die nationalsozialistischen Akteure unterschiedliche Pläne und Strategien. Der Besatzungsalltag auf der Krim unterschied sich zwar kaum von dem im übrigen "Osten", erlangte aber nicht zuletzt durch die poetisch-mythische Aufladung der Halbinsel als potentieller "Gotengau" ein "unverwechselbares, eigenes Gepräge".99 Von Erich von Manstein (1887–1973), Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Süd, ist bekannt, dass er Befehle zur Deportation der örtlichen Bevölkerung aussetzte, wenn dies der effektiven Kriegführung diente,100 und zuweilen die von örtlichen SS-Kräften durchgeführten Deportationen von Juden aus pragmatischen Gründen verzögerte.101 Unstrittig ist, dass die deutsche Seite die krimtatarische Bevölkerung aus Nützlichkeitserwägungen an sich zu binden versuchte. Von einem "erdrutschartigen Vertrauensvotum des krimtatarischen Volkes" gegenüber den Besatzern102 kann allerdings nicht die Rede sein. Auch wenn es nach den Repressionserfahrungen in den 1930er Jahren auch auf der Krim Bewohner gegeben hatte, die die deutschen Truppen begrüßt hatten, kann nicht von einer krimtatarischen Massenkollaboration gesprochen werden. Krimtataren dienten in der Roten Armee und bekämpften die Besatzungsmacht, unterstützten diese aber zugleich in sogenannten Dorfschutztruppen oder als sonstige Hilfswillige.
Derartige Differenzierungen wollten die verantwortlichen sowjetischen Stellen nach der Rückeroberung der Halbinsel im Frühjahr 1944 nicht machen: Die fast 200.000 Menschen zählenden Krimtataren wurden genauso wie die Krim-Griechen oder andere als fremd empfundene Nationalitäten unter menschenunwürdigen Bedingungen in andere Teile der Union deportiert. Ihnen unterstellte man die Kollaboration mit den nationalsozialistischen Besatzern; ein Vorwurf, der in seiner Totalität nicht zutraf. Viele Deportierte starben bereits auf dem Transport in das zentralasiatische Usbekistan,103 und bis heute ist diese Verbannung (sürgün) ein kollektives nationales Trauma. Im Juni 1945 wurde die ohnehin von ihrer quasi-Titularnationalität ethnisch gesäuberte krimtatarische ASSR schließlich aufgelöst und das Gebiet ein Bezirk (oblast') ohne weitere Sonderrechte innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Insgesamt hatte der Zweite Weltkrieg dem Gebiet nicht nur ein ungeheures Maß an Zerstörung und Tod gebracht, sondern auch eine bis dahin nicht denkbare ethnische Homogenisierung. Es ist seitdem ganz überwiegend von Ostslawen, also Ukrainern und Russen, besiedelt. Die jahrtausendealte kulturelle, religiöse und ethnische Vielfalt zwischen dem Donaudelta und der Straße von Kerč' wurde zerstört. Den Anstoß dazu hatten freilich nicht die sowjetischen Verantwortlichen gegeben, allen voran Stalin, sondern die Nationalsozialisten.104 Die bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in den Köpfen mancher russischer Politiker und Intellektueller herum spukende Idee, die nördliche Schwarzmeerküste sei ohne muslimische oder sonstige als fremd und gefährlich empfundene Bevölkerungssegmente "besser", hatte sich nun weitgehend erfüllt.105
Die Nachkriegsjahre der ethnisch homogenisierten nördlichen Schwarzmeerküste standen unter dem Zeichen des Neuaufbaus der Infrastruktur, die durch Krieg und Menschenverluste zerstört worden war, sowie einer verschärften Industrialisierung. Auf der Krim entstand neben einer Agrar- vor allen Dingen eine der größten Kur- und Tourismusindustrien der Sowjetunion, was der Halbinsel den Beinamen "All-Unions-Sanatorium" einbrachte.106 Westlich davon wurde abermals Odessa das Zentrum der Küste: Es entwickelte sich nicht nur zu einem der wichtigsten Bildungszentren der Region, sondern war aufgrund seiner exponierten Lage auch im Schiffbau, in Raffinerieförderung oder im Fischfang führend. Die kulturelle Bedeutung freilich, welche die Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg hatte, erlangte sie nicht wieder, zumal die ehemals so bedeutende jüdisch-intellektuelle Kultur von den deutschen und rumänischen Besatzern ausgerottet worden war.107
Das nördliche Schwarzmeerufer war auch in der Nachkriegszeit alle Konjunkturen der gesamtsowjetischen Politik unterworfen. Das Vorhaben Katharinas II., die Region "auf ewig" an einen russischen Staat zu binden, schien verwirklicht zu sein, dominierte in der Sowjetunion doch ohne Zweifel das russische Element. Zwar gehörte der nordwestliche Küstenabschnitt zur ukrainischen Sowjetrepublik, doch spielte dies aus Moskauer Perspektive keine Rolle, war ein Zerbrechen der UdSSR doch undenkbar. Daran glaubte offenbar auch Nikita Chruschtschow (1894–1971), der 1954 anlässlich des 300. Jahrestages des Vertrags von Perejaslav108 zwischen den Zaporoger Kosaken und dem Moskauer Staat die Halbinsel Krim kurzerhand aus dem Verband der RSFSR herauslöste und der Ukrainischen Sowjetrepublik "schenkte". Dieser bereits seinerzeit umstrittene Schritt führte seit dem Zerbrechen der UdSSR immer wieder zu Problemen zwischen Kiew und Moskau, besonders wegen der emotionalen Bedeutung, die das Gebiet für Russland hat.109
Durch die Übergabe an die Ukraine änderte sich für die deportierten Krimtataren vorerst nichts. Anders als andere von diesem Schicksal betroffene Nationalitäten wurden sie in Folge des 20. Parteitages der KPdSU und der berühmten sogenannten Geheimrede Chruschtschows nicht rehabilitiert.110
Zusammenfassung und Ausblick
Die Geschichtsregion Schwarzes Meer erscheint als Epochen- und Völkergrenzen überschreitende Kontaktzone, die allerdings im Verlauf des 20. Jahrhunderts aufgeteilt und retrospektiv nationalisiert wurde. Die nördliche Schwarzmeerküste ist Teil eines komplexen Beziehungsgeflechts, dessen wesentliche historische Merkmale bis heute der Handel und die dauerhafte Hybridisierung der Lebenswelten sind. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts zerbrachen Imperien, die Zusammensetzung der Bevölkerungsgruppen veränderte sich tiefgreifend und zumeist auf gewaltsame Weise.
Das Gebiet, das seit dem Ende der Sowjetunion zur unabhängigen Ukraine gehört, wird mehrheitlich – die Krim mit über sechzig Prozent russischstämmigen Einwohnern ausgenommen – von ethnischen Ukrainern bewohnt, ist aber zugleich eines der Gebiete, das am stärksten russophon geprägt ist.111 Während die Zugehörigkeit des westlichen Teils dieser Region in Moskauer Kreisen und auch von der Mehrheit der Bevölkerung der Russischen Föderation mehr oder weniger klaglos akzeptiert wurde, gibt es über die staatsrechtliche Zugehörigkeit der Krim seit den 1990er Jahren immer wieder Debatten. Die zuweilen geäußerten Befürchtungen, die Halbinsel könne sich zu einem "neuen Kosovo" entwickeln,112 scheinen sich 2014 zu erfüllen. Bereits in der Vergangenheit gab es Streit um die Reste der Schwarzmeerflotte und die Nutzung Sewastopols als russische Militärbasis. Hinzu kamen teilweise handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen den mehrheitlich russophonen, slawischen Krimbewohnern und Tataren, die zurückgekehrt waren.113 Deren soziale und politische Integration der Ukraine, die von gravierenden wirtschaftlichen Problemen betroffen war, blieb eine zentrale und ungelöste Aufgabe. Dies gilt letztlich aber auch für diejenigen slawischen Bevölkerungsteile der Region, die sich primär von der Zugehörigkeit zur Russischen Föderation eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen versprechen.114
Für die überwiegend slawische Bevölkerung ist seit den 1990er Jahren zumeist der ukrainische oder der russische Staat Orientierungszentrum. Die Ansätze für Bezugsrahmen, der das Schwarzmeergebiet gesamt einbeziehen könnte, sind gegenwärtig wenig ausgeprägt, obgleich es mehr denn je zahlreiche gemeinsame Probleme gibt.115
Kerstin S. Jobst
Anhang
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Anmerkungen
- ^ Vgl. hierzu beispielsweise programmatisch Özveren, A Framework 1997; Troebst, "Geschichtsregion" 2010.
- ^ Dies haben u.a. folgende Arbeiten deutlich gemacht: Ascherson, Schwarzes Meer 1996; King, The Black Sea 2004. King bezieht sich ausdrücklich auf das aus den 1930er Jahren stammende Werk Brătianus: Brătianu, La Mere Noire 1969.
- ^ Dieser strukturgeschichtliche Zugriff wurde bekanntlich maßgeblich von Fernand Braudel propagiert. Dessen Werk Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II. inspirierte auch Historiker der Schwarzmeerregion wie King. Vgl. Braudel, Das Mittelmeer 2001, vol. 1–3.
- ^ In der Geschichtswissenschaft, zumal der russischsprachigen, war der Terminus "Südukraine" nicht sehr gebräuchlich. Eine Ausnahme ist z.B. Družinina, Južnaja Ukraina 1970.
- ^ Die US-Amerikaner Walter Pitman und William Ryan beispielsweise stellten in den 1990er Jahren ihre ozeanographischen Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit vor. Einen nach der letzten Eiszeit gewaltigen Wassereinbruch in das Schwarze Meer deuteten sie als die große biblische Sintflut: Pitman / Ryan, Noah's Flood 1999.
- ^ Vgl. hierzu u.a. eine zustimmende Position bei Dimitrov / Dimitrov, The Black Sea 2004. Dagegen sprechen sich hingegen einige Beiträge in Yanko-Hombach, The Black Sea Flood Question 2007 aus.
- ^ Zudem ist nicht von der einen, einzigen "Weltflut" auszugehen, sondern vielmehr von einer Vielzahl katastrophaler Überschwemmungsereignisse; Mythen wie das in vielen Kulturen existierende Sintflut-Thema können somit als ein Ausdruck kollektiver, symbolisch verfremdeter Urerfahrungen gelten.
- ^ Seit der Antike gilt das Schwarze Meer einigen Autoren auch als Ort der Irrfahrt Odysseus'. Vgl. zu den Versuchen der Lokalisierung der Odyssee Wolf / Wolf, Die wirkliche Reise 1990, S. 143–206, besonders S. 146.
- ^ Michalis Kakogiannis wurde 1978 für seine auf Euripides basierende Iphigenie-Interpretation für den Auslands-Oscar nominiert.
- ^ Zu diesem Topoi in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts vgl. Hermann, Iphigenie 2005.
- ^ Zahllose Besucher der Halbinsel versuchten sich seitdem darin, authentische oder auch imaginierte Spuren dieses Mythos auf der Krim zu entdecken. Vgl. hierzu z.B. Jobst, Die Perle 2007, S. 115f. und S. 162f.
- ^ Ebd., S. 158–176.
- ^ Müller, Die Nestorchronik 2001, S. 8, Vers 43.
- ^ Einführend dazu Jilge, Von der Perestrojka 2008.
- ^ Letztlich handelte es sich dabei um eine Legitimationsstrategie, welche die besonderen Privilegien (gegenüber den Nichtadligen und auch den konfessionell Anderen) als auch moralische Überlegenheit (gegenüber anderen ethnischen Gruppen) rechtfertigen sollte. Vgl. einführend Cynarski, Sarmatyzm 1974; Długosz u.a., Sarmatismus 2013. Die Ergebnisse eines am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Ostmitteleuropa (GWZO) durchgeführten Forschungsprojektes "Der Sarmatismus in Polen – der Orient und die Kultur der polnischen Adelsgesellschaft in der frühen Neuzeit" sind leider noch nicht veröffentlicht.
- ^ Jochmann, Adolf Hitler 1980, besonders S. 39, 48, 90f. und 124 sowie Kunz, Die Krim 2005, S. 41–73.
- ^ So drückte es Michael Ivanovitch Rostovtzeff (1870–1952), ein wichtiger Altertumswissenschaftler, bereits Anfang der 1920er Jahre aus (vgl. Rostovtzeff, Iranians and Greeks 1922, S. 7). Er verwarf die von griechischen Autoren propagierte und so wirkungsmächtige Vorstellung der Scheidung zwischen "zivilisierten", d.h. griechischen, und "barbarischen" (etwa skythischen) Bevölkerungsgruppen; implizit stellte er damit auch die Vorstellung von "reinen" Kulturen in Frage, welche gerade in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine brutale Wirkung entfaltete. Zuvor hatte allen voran Herodot (um 484–um 425 v. Chr.) mit seinen Historien nichtgriechische Völker, wie die Skythen, als "anders" und im Vergleich mit den Griechen als weniger "zivilisiert" beschrieben (vgl. Herodots Skythenbeschreibung in: Herodot, Historien 2001, vol. 1, hier relevant IV. Buch). Anders als viele nachfolgende Autoren sei er jedoch nicht in einen "kulturellen Suprematismus" verfallen (so das Urteil Neals in Ascherson, Schwarzes Meer 1996, S. 86). Rostovtzeff war es dagegen wichtig, diesen von ihm zeittypisch als "Südrussland" bezeichneten Raum zwischen Steppenregion und Küste, von nomadischen und sesshaften Gruppen geprägt, als hochentwickelt und Resultat einer kulturellen Symbiose verschiedener Kulturen zu beschreiben. Diese These untermauerte er u.a. mit Ergebnissen, die archäologische Ausgrabungen skythischer Grabhügel, sogenannter Kurgany, ergeben hatten (vgl. Rostovtzeff, Iranians and Greeks 1922, S. 20–25). Seine Auffassung von der kulturellen Gleichwertigkeit nomadischer und sesshafter Kulturen wird von den modernen Kulturwissenschaften geteilt, für die 1920er war dieser Ansatz aber höchst umstritten. Gegenwärtig bietet der Raum ein vielversprechendes Untersuchungsfeld für die seit geraumer Zeit diskutierte Analysekategorie des historischen Zivilisationsvergleichs (vgl. Kaelble, Zivilisationsvergleich 1999).
- ^ Rostovtzeff, Iranians and Greeks 1922, S. 64f.
- ^ In älteren Schriften werden die Bezeichnungen "Sarmaten" – "Sauromaten" zum Teil different, zum Teil synonym benutzt. Mittlerweile wird der Sarmaten-Begriff als übergeordneter Terminus für nomadisch wirtschaftende Stämme iranischer Herkunft aufgefasst. Vgl. einführend Brzezinski / Mielczarek, The Sarmatians 2002.
- ^ Rostovtzeff, Iranians and Greeks 1922, S. 146–148.
- ^ Vgl. hierzu McGing, The Foreign Policy 1986.
- ^ Rostovtzeff, Iranians and Greeks, S. 155: "... it was no longer a real Greek city. Hellenism in Panticapaeum was perishing daily."
- ^ Ich folge hier und im Weiteren meinem Eintrag "Chersones" im Handbuch "Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa", hrsg. von Joachim Bahlcke und Thomas Wünsch: Jobst, Art. "Chersones" 2013, S. 3–12.
- ^ Wolfram, Die Goten 2001, S. 87; Vasil'ev, The Goths 1936.
- ^ So zum Beispiel Papst Martin I. (gest. 655), der dort 655 sein Martyrium erlitt.
- ^ Dieses Großreich hat insbesondere deshalb immer wieder das Interesse der Forschung auf sich gezogen, da seine Oberschichten – bei strikter Toleranz gegenüber anderen Glaubensformen – offenbar mehrheitlich dem Judentum angehörten. Vgl. einen aktuellen Forschungsüberblick bei Alikberov, Chazary 2010. Im ostkirchlichen Zusammenhang spielt auch die vergebliche Missionsreise der sogenannten Slawenapostel Kyrill (ca. 826–869) und Methodius (ca. 825–ca. 884) ins Chazarenreich eine Rolle, welche sich in eine lineare Geschichtsinterpretation über die Verbindung zwischen Schwarzmeerraum und Orthodoxie einfügen lässt. Vgl. hierzu Bujnoch, Zwischen Rom und Byzanz 1972, besonders S. 54–106.
- ^ King, The Black Sea 2004, S. 74, spricht von einer "inconstant relationship" zwischen dem Chazarischen und dem Oströmischen Reich.
- ^ In der Nestorchronik wird das Ereignis folgendermaßen beschrieben: "Svjatosláv zog gegen die Chasaren. Als aber die Chasaren das hörten, zogen sie aus, mit ihrem Fürsten, dem Kagán. Und sie trafen zusammen, [gegeneinander] zu kämpfen. Und als es zur Schlacht kam, gewann Svjatosláv die Oberhand". Müller, Die Nestorchronik 2001, S. 79–80, Abschn. 965.
- ^ So z.B. der russische Universalgelehrte Michail V. Lomonosov (1711–1765), der Mitte des 18. Jahrhunderts glaubte, beweisen zu können, dass die Sarmaten eigentlich Slawen gewesen seien. Vgl. dazu Slezkine, Naturalists 1997, S. 50 und 57. Zu den Versuchen Stalins, für die Region eine slawische Autochthonie nachzuweisen, vgl. Ascherson, Schwarzes Meer 1996, S. 74f.
- ^ Der Nestorchronik zufolge nahm Mistislav, ein Sohn des Großfürsten Vladimirs I., die Stadt nach einem siegreichen Ringkampf mit dem bis dahin Tmutarakan beherrschenden Fürsten Rededja ein. Dieser hatte vorgeschlagen, nicht die Heere, sondern die beiden Heerführer gegeneinander antreten zu lassen: "Und wenn du gewinnst, so magst du meine Habe und mein Weib und meine Kinder und mein Land nehmen; wenn aber ich gewinne, so nehme ich all das Deine." Als Mistislav zu verlieren drohte, rief dieser die Mutter Gottes um Beistand an – und er "schlachtete den Rededja". Als Dank stiftete er eine Maria geweihte Kirche. Vgl. Müller, Die Nestorchronik 2001, S. 181, Abschn. 1022.
- ^ Später unterstand Tmutarakan verschiedenen Herrschern, u.a. war es eine genuesische Kolonie. Vgl. Čchaidze, Tmutarakan' 2010 (kyrill.).
- ^ Nach einer Variante schlug Vladimir I. im Auftrag Ostroms eine Rebellion nieder und sollte als Gegenleistung nach der christlichen Taufe die Hand einer Kaiser-Schwester, der sogenannten purpurgeborenen Anna, erhalten; nach einer anderen Version war er zum Zeitpunkt seines Aufenthaltes auf der Halbinsel bereits getauft. Vgl. hierzu Jobst, Die Perle 2007, S. 289–311 und die dort angegebene Literatur.
- ^ Dazu im Detail Poppe, The Political Background 1982.
- ^ Müller, Die Nestorchronik 2001, S. 137, Abschn. 988, Vers 52; dort heißt es u.a. "Er ließ sich aber taufen in der Kirche der Heiligen Gottesmutter, und es steht diese Kirche in der Stadt Korsun' [Chersones]".
- ^ Vgl. hierzu Jobst, Die Perle 2007, sowie Kozelsky, Christianizing Crimea 2010.
- ^ Dazu immer noch Brătianu, Recherches 1929; vgl. auch Hryszko, Z Genui nad Morze Czarne 2004.
- ^ Veinstein, From the Italians to the Ottomans 1986, S. 223.
- ^ Dies gilt insbesondere für Kaffa/Keffe, welches auch in der Frühen Neuzeit ein bedeutender Sklavenumschlagplatz blieb.
- ^ Das Moskauer Zarentum konnte sich erst 1480 von dieser Tributpflicht befreien.
- ^ Für den im 19. Jahrhundert für die Geschichte der Region wichtigen Historiker F. Chartaraj war Eski Kırım in der zeittypischen Gleichsetzung von "Islam = Asien" im Mittelalter "eine der wichtigsten Städte Asiens" gewesen. Chartaraj, Istoričeskaja sud'ba 1867, S. 154.
- ^ Als externe Gründe sind vor allen Dingen zu nennen: Die Aufstiege Litauens und des Moskauer Staates sowie kriegerische Einfälle aus dem Osten, z.B. durch die Armeen Tīmūr Lenks (1336–1405) in den Jahren 1391 und 1395.
- ^ Besonders zwischen den einzelnen Clans entbrannte eine erbitterte Konkurrenz, was die Ausbildung einer starken Zentralgewalt verhinderte.
- ^ An der Wolga entstanden die Chanate von Kazan' und Astrachan. Weitere waren das Chanat von Sibir, das der sogenanten Weißen Horde auf dem Gebiet des heutigen Kasachstans und die Nogaische Horde.
- ^ Fisher, The Crimean Tatars 1978, S. 2. Fishers Arbeit ist immer noch das Standardwerk über die Krimtataren. Vgl. auch Williams, The Crimean Tatars 2001, der sein Hauptaugenmerk auf krimtatarische Migrationen legt.
- ^ Zur Biographie Haçi Girays vgl. u.a. das Werk des bedeutenden österreichischen Orientalisten Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856): Hammer-Purgstall, Geschichte der Chane 1970, S. 31–33; Smirnov, Krymskoe Chanstvo 1887 (kyrill.).
- ^ Seitens der Horde wurde dies aber erst 1502 anerkannt. Smirnov, Krymskoe Chanstvo 1887, S. 227 (kyrill.).
- ^ Mit diesem war das Chanat ab 1478 in eine "von der Historiographie nicht eindeutig zu bestimmende rechtliche Beziehung" getreten, die nur "stark vereinfacht … als Suzeränitätsverhältnis zu fassen" ist. Jobst, Krim-Khanat 2011, S. 15. Warum es zu dieser Form der Unterstellung unter die Osmanen kam, ist nicht restlos zu klären, vgl. die Diskussion bei Fisher, The Crimean Tatars 1978, S. 8–12.
- ^ Zum Chanat vgl. die konzise Beschreibung in Jobst, Krim-Khanat 2011, sowie insgesamt die Arbeit von Fisher, The Crimean Tatars 1978.
- ^ Kołodziejczyk, Das Krimkhanat 2012; vgl. auch Kołodziejczyk, Krymskoe chanstvo 2004.
- ^ Brentjes, Islamische Architektur 1997.
- ^ Vgl. zum Beispiel Kaffas Fisher, The Ottoman Crimea 1981.
- ^ Um die Zahl dieser Einfälle ist eine geschichtswissenschaftliche Debatte entstanden. Die Schätzungen der Überfälle auf polnisch-litauisches Gebiet variieren zwischen 75 und 300. Vgl. die Diskussion bei Podhorodecki, Chanat krymski 1987, S. 109.
- ^ Vgl. hierzu seit kurzem Kappeler, Die Kosaken 2013. Von großem Wert immer noch: Stökl, Die Entstehung 1953. Sie verschärften die Situation in der Region sogar noch, als sie zwischen 1550 und 1650 zunehmend auf eigene Rechnung handelten und zu Wasser und zu Land auf osmanisches und krimtatarisches Gebiet vordrangen. Anfang des 17. Jahrhunderts etwa fielen kosakische Verbände wiederholt in Kaffa/Keffe ein, um in Gefangenschaft geratene orthodoxe Slawen zu befreien, aber auch um reiche Beute zu machen. Skorupa ist der Auffassung, viele kosakische Überfälle auf krimtatarisches und osmanisches Gebiet seien eher räuberischer denn defensiver Art gewesen. Vgl. Skorupa, Stosunki polsko-tatarskie 2004, S. 261.
- ^ Khodarovsky (vgl. Russia's Steppe Frontier 2002, S. 223) geht davon aus, dass in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zwischen 150.000 und 200.000 russische Untertanen in die Sklaverei gelangten (zu den Belastungen des polnisch-litauischen Staates vgl. Davies, Warfare 2007, S. 23–27). Der Sklavenhandel hatte im Schwarzen Meer bereits in der Antike eingesetzt, wurde lange Zeit von christlichen Händlern dominiert, nahm jedoch niemals das Ausmaß des transatlantischen Menschenhandels an (vgl. King, The Black Sea, S. 116 und die dort angeführte Literatur). Das Phänomen, für das zu Unrecht allein Tataren und Türken verantwortlich gemacht werden, hat sich gleichwohl in das (ost-)europäische kollektive Gedächtnis eingeprägt. So lässt sich auch "das schlechte Image des Krim-Khanats in der christlichen Welt als Reich von Räubern und Sklavenhändlern" (Jobst, Krim-Khanat 2011, S. 21) erklären. Zum russischen Blick auf Krimtataren als Volk von Kriegern und Sklavenhändlern vgl. Jobst, Die Perle 2007, S. 195–199.
- ^ Insbesondere die lange so schlagkräftigen muslimischen Reiterheere waren den militärtechnischen Innovationen nicht länger gewachsen, so dass Türken und Tataren zu "technologically simple people" wurden, so Taagepera, An Overview 1987, S. 6, Anm. 1.
- ^ Erste Versuche wurden 1687 und 1689 unter Vasilij V. Golicyn (1643–1714) unternommen und endeten nördlich von Perekop gegen die Truppen des Krim-Chan Selim I. Giray (ca. 1631–1704). 1696 gelang für kurze Zeit die Einnahme der osmanischen Festung von Asow.
- ^ Neben territorialen Gewinnen profitierte das Zarenreich vom freien Schiffsverkehr auf dem Schwarzen Meer und der Durchfahrt durch den Bosporus. Zudem hatte Sankt Petersburg sich eine besondere Schutzfunktion gegenüber christlich-orthodoxen Untertanen im Osmanischen Reich gesichert, was im Vorfeld des Krim-Kriegs eine Rolle spielen sollte. Hierzu immer noch relevant: Družinina, Kjučuk-Kajnardžijskij mir 1955.
- ^ Fisher, The Russian Annexation 1970.
- ^ Schon deshalb kann von einer völligen Niederlage der Pforte bzw. einem totalen russischen Triumph nicht gesprochen werden. Vgl. allerdings die unterschiedlichen Positionen von Davison, Russian Skill 1976, der diese Auffassung stützt, und Weisband, Turkish Foreign Policy 1973, S. 211.
- ^ Jobst, Vision und Regime 2012.
- ^ Eine modernen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Darstellung der Geschichte Sewastopols liegt bislang nicht vor. Zur Gründung der Stadt und dem Sewastopol-Mythos vgl. Jobst, Die Perle 2007, S. 351–406 sowie die dort angegebene Literatur. Sewastopol spielt auch in der Literatur eine Rolle. Vgl. etwa Tolstoj, Sewastopoler Erzählungen 1947.
- ^ Herlihy, Odessa 1986; King, Odessa 2011. Andere Städte wie das 1778 gegründete Cherson an der Dnjepr-Mündung – nicht zu verwechseln mit dem antiken Chersonnes auf der Krim – oder Nikolajew (Mykolajiw, gegr. 1789) an der Bug-Mündung waren u.a. aufgrund ihrer Lage weniger erfolgreich. Sie waren z.B. wegen des starken Wellengangs im Schwarzen Meer nicht ganzjährig schiffbar. Vgl. Jones, Opening a Window 1996, S. 128.
- ^ Das heute zur Ukraine gehörende damalige sogenannte Südrussland kann geradezu als Modernisierungsinsel innerhalb des Zarenreichs gelten, dessen Wirtschaft im Vergleich zu Westeuropa rückständig war (vgl. Lindner, Unternehmer 2006).
- ^ Dass die Infrastruktur der Krim nach einer halbwegs energischen Aufbauphase stark vernachlässigt wurde, rächte sich im Krimkrieg. Insgesamt sollten sich die großen wirtschaftlichen Erwartungen, die an die Krim geknüpft worden waren, nur eingeschränkt erfüllen. Vgl. Gloger, Rezeption des Krimkrieges 1985 (unveröffentlicht); diese leider unveröffentlichte Magisterarbeit zeigt anschaulich die innerrussischen Debatten über das sogenannte Rückständigkeitsparadigma nach dem verlorenen Krieg. Zum Krim-Krieg insgesamt, aber auch zum Schauplatz Krim, sei hier nur auf die Arbeit Figes, The Crimean War 2010, verwiesen.
- ^ Neurussland und das Taurische Gouvernement wurden, anders als z.B. die meisten zentralasiatischen Eroberungen im 19. Jahrhundert, nicht als corpus separatum behandelt.
- ^ Vgl. dieses Manifest bei Vernadsky, A Source Book 1972, vol. 2, S. 412.
- ^ Zumeist wird das Vordringen des Zarenreichs an das nördliche Ufer des Schwarzen Meeres mit dem sogenannten "Griechischen Projekt", also der Wiedererrichtung eines orthodoxen Reichs, einschließlich Konstantinopels, unter der Ägide Russlands, in Zusammenhang gebracht. Vgl. Hösch, Das sogenannte "Griechische Projekt" 1964.
- ^ Dazu ausführlich Jobst, Die Perle 2007.
- ^ Fürst Grigorij A. Potemkin (1739–1791), der die Eliminierung des Krim-Chanats militärisch geleitet hat, wurde im vertrauten Briefwechsel mit Katharina II. deutlicher; er stellte die Annexion der Krim in den Kontext der Expansionspolitik der europäischen Großmächte und betonte das Recht Russlands, daran teilzunehmen. Vgl. Potemkin an Katharina II., 14.12.1782, in: Lopatin, Ekaterina II 1997, Brief 635, S. 155 (kyril.).
- ^ Jürgen Osterhammel definiert Kolonialismus als "eine Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen." Osterhammel, Kolonialismus 2003, S. 21.
- ^ Die südliche Peripherie lockte ohnehin: Vor allen Dingen Odessa zog die Menschen an, besonders unterdrückte Gruppen wie die russischen Juden. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es allerdings in Odessa wiederholt zu Pogromen. Insgesamt galt die Region jedoch insofern zu Recht als Land der Freiheit, als dort der Anteil an Leibeigenen weitaus geringer war als in den zentralrussischen Gebieten. Vgl. hierzu Herlihy, Odessa 1986, S. 79f. und S. 114–126. Zum Bild Odessas in der Literatur vgl. Babel, Geschichten aus Odessa 1926.
- ^ Vgl. hierzu Brandes, Von den Zaren 1993; Auerbach, Die Besiedlung 1965; Neutatz, Die "deutsche Frage" 1993.
- ^ Ohnehin verband Krimtataren und Türken nicht nur der Islam und eine gemeinsame Geschichte, sondern auch eine sehr ähnliche Kultur. Russischerseits bewertete man diese Auswanderung positiv und förderte sie aktiv, etwa durch großzügige Passausgaben oder indirekt durch das ein Klimas des Misstrauens bzw. die Nichtbeseitigung wirtschaftlicher Schieflagen (vgl. dazu im Detail Jobst, Die Perle 2007, S. 219–250). Von direkter, physischer Gewalt kann zu diesem Zeitpunkt allerdings, anders als dann nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht die Rede sein.
- ^ Laškov, Statističeskie svedenija 1886, S. 91.
- ^ Djuličev, Rasskazy 2003, S. 241.
- ^ Auf der Krim waren nur etwa sechs Prozent der bäuerlichen Bevölkerung Leibeigene. Im Gouvernement Kiev gab es hingegen 1857 fast 61 Prozent unfreie Bauern. Vgl. Herlihy, Odessa 1986, S. 80.
- ^ Kirmse, Dealing with Crime 2012 sowie Law and Empire 2013.
- ^ Mal'gin, Russkaja Riv'era 2006.
- ^ Myeshkov, Die Schwarzmeerdeutschen 2008.
- ^ Zur Krim vgl. Jobst, Die Perle 2007 und zu Odessa z.B. Konstantin Paustowskijs autobiographische Erzählung Der Beginn eines verschwundenen Zeitalters (2002, S. 227–481); vgl. auch die erst unlängst erfolgte deutsche Übersetzung des Odessa-Romans Die Fünf (2012) von Vladimir Jabotinsky, der in Fachkreisen zumeist als Zionist wahrgenommen wird.
- ^ Bereits vor der russischen Kriegserklärung hatte das Osmanische Reich prophylaktisch die russischen Marinebasen in Sewastopol, Noworossijsk und Odessa bombardiert, ohne größere Schäden anzurichten. Die russische Marine verminte daraufhin Teile der anatolischen Küste und blockierte den für die Schifffahrt wichtigen Kohlennachschub. Vgl. King, The Black Sea 2004, S. 211.
- ^ Ich folge hier Jobst, Im Spiel 2001, S. 88.
- ^ In Odessa existierte z.B. das sogenante Rumčerod (Abk. von: Central'nyj ispolnitel'nyj komitet sovetov Rumynskogo fronta, Černomorskogo flota i Odessy, "Zentrales Exekutivkomitee des Rates der rumänischen Front, der Schwarzmeerflotte und Odessas"), welches zwischen Frühjahr 1917 bis Mai 1918 die Macht in den Gebieten Odessa, Cherson, Bessarabien und in Teilen des Taurischen Gouvernements für sich beanspruchte. Dieses Komitee spiegelte auch insofern die Zustände im übrigen Russland wider, als auch hier Sozialrevolutionäre und Men'ševiki die Mehrheit stellten (Men'ševiki –"Minderheitler"–, eine Fraktion in der SDARP neben den Bol'ševiki, den "Mehrheitlern").
- ^ Vgl. Kirimal, Der nationale Kampf 1952, S. 34–39, der als Exponent der Nationalbewegung von einem hohen Grad der krimtatarischen Politisierung ausgeht.
- ^ Zur UNR vgl. zuletzt Velychenko, State Building 2011.
- ^ Jobst, Ordnungsversuch 2001.
- ^ 1919 wurde die Region u.a. von den Truppen des selbsternannten Ataman Nikifor A. Grigor'ev (ca. 1885–1919) mit Gewalt überzogen, auf deren Konto auch zahlreiche Pogrome gingen. Grigor'ev zeigte sich bei der Wahl seiner Bündnispartner äußerst flexibel, kämpfte mal an der Seite der UNR, mal an der der Bol'ševiki und suchte auch zeitweilig die Verbindung mit Nestor Ivanovič Machno (1889–1934). Fedorovskij, O vzaimootnošenijach 1998.
- ^ Dazu im Überblick Dornik, Die Besatzung 2008. Dieser Band bewertet allerdings insgesamt die Seite der Mittelmächte zu positiv.
- ^ Nicht ohne Grund wird diese Region den in der letzten Zeit von der Forschung diskutierten "Räume[n] des Schreckens" im östlichen Europa zugerechnet. So etwa Schnell, Räume des Schreckens 2012, besonders das Kapitel "Die Ukraine als Schlachtfeld, 1919–1920", S. 176–186.
- ^ Vgl. den zeitgenössischen Artikel Seydahamet, Famine 1931.
- ^ Zu den Ausschreitungen der ländlichen Krim-Bevölkerung vgl. Fisher, The Crimean Tatars 1978, S. 143.
- ^ Die Muslime der Region sollen allerdings insofern weniger betroffen gewesen sein, als vergleichsweise wenig Moscheen zerstört wurden: Poljakov, Krym 1998, S. 51.
- ^ Vgl. beispielsweise zur krimtatarischen KP Williams, The Crimean Tatars 2001, S. 366f.
- ^ Diese war Teil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR). Autonome Republiken durften sich – anders als Unionsrepubliken – nach der Unionsverfassung nicht von der Union lösen.
- ^ Neben Russen, Ukrainern und Krimtataren sind u.a. Griechen, Armenier, Deutsche, Polen und Juden zu nennen; letztere galten in der UdSSR als Nationalität. Seit Ende des 19. Jahrhunderts machten Juden z.B. ein Drittel der Bevölkerung Odessas aus (vgl. Ascherson, Schwarzes Meer 1996, S. 223). Zur sogenanten "Produktivierungskampagne" auf der Krim, die dazu dienen sollte, ein jüdisch-autonomes Gebiet in Birobidžan zu schaffen, vgl. Kuchenbecker, Zionismus 2000, S. 91–112.
- ^ Dazu Martin, The Affirmative Action Empire 2001.
- ^ Vgl. hierzu den allgemeinen Überblick von Völkl, Transnistrien 1996, sowie die komparatistisch angelegte Studie Baum, Varianten 2011.
- ^ Portmann, Politische Geschichte 2011, S. 588. Nach dem Krieg gab es in Odessa nur noch 48 Juden (vgl. King, Odessa 2011, S. 248). Maßnahmen zur Judenvernichtung und ein Verhaltensspektrum zwischen Passivität, aktivem Widerstand bis zur hin zur Partisanentätigkeit und Kollaboration, das in Besatzungsgebieten üblich war, prägten auch andere Gebiete der Region, etwa die Krim.
- ^ Kunz, Die Krim 2005, S. 10.
- ^ Etwa im Zusammenhang mit der Partisanenbekämpfung und wenn Transportkapazitäten anderweitig in Anspruch genommen wurden.
- ^ Ob deshalb allerdings von einem "in mancher Hinsicht moderatere[n] Besatzungsregime" unter Manstein zu sprechen ist, ist höchst fraglich, zumal die Wehrmachtsstellen mit der für die Judenvernichtung beauftragten Einsatzgruppe D eng zusammenarbeiteten (vgl. Kunz, Die Krim 2005, S. 236, in seiner insgesamt gelungenen Arbeit). Siehe dazu auch Angrick, Besatzungspolitik 2003.
- ^ Hoffmann, Die Ostlegionen 1976, S. 44.
- ^ Naimark, Fires of Hatred 2001, S. 85–107.
- ^ Hier nicht zu behandeln ist das Schicksal der sogenannten Schwarzmeerdeutschen; sie waren teilweise bereits 1910 als Folge des Hitler-Stalin-Pakts in das Reich umgesiedelt worden.
- ^ Dazu grundlegend Jobst, Die Perle 2007, besonders S. 219–249.
- ^ Zu den Anfängen Jobst, Die Perle 2007, S. 311–339, sowie Mal'gin, Russkaja Riv'era 2006.
- ^ King, Odessa 2011, S. 251–268.
- ^ Dieses Abkommen wird von ukrainischer bzw. russischer Seite höchst unterschiedlich interpretiert. Nationalukrainische Historiker sehen darin meist nur ein temporäres Bündnis mit dem Zaren, das vor dem Hintergrund politischen Drucks durch die Rzeczpospolita zustande gekommen war. Russischerseits geht man dagegen von einer "Wiedervereinigung" der Kiever Rus' aus, die in Teilfürstentümer zerfallen war. Vgl. dazu im Überblick Kumke, Zwischen der polnischen Adelsrepublik 1993.
- ^ Die Endkorrektur dieses Beitrags erfolgt unter dem unmittelbaren Eindruck des am 16. März 2014 abgehaltenen – und von der Weltgemeinschaft überwiegend als völkerrechtswidrig eingeschätzten – sogenannten Referendums auf der Halbinsel Krim. Erwartungsgemäß stimmten bei dieser durch Unregelmäßigkeiten und Beeinflussungen im Vorfeld gekennzeichneten "Wahl" weit über neunzig Prozent der daran teilnehmenden Krimbevölkerung für den Anschluss an die Russische Föderation.
- ^ Vgl. den Text dieser sogenannten Geheimrede: [Chruschtschow], Rede des Ersten Sekretärs 1956. Vgl. vor allen Dingen die überzeugende Interpretation der Chruschtschowschen Schenkung bei Sasse, The Crimea Question 2007, S. 107–126. Die Schenkung erfolgte erst 1967, beinhaltete allerdings nicht das Recht auf Rückkehr auf die Halbinsel. Dennoch wanderten einzelne Krimtataren in die alte Heimat zurück. Erst in der Zeit der perestrojka wurde der Strom der Rückwanderer größer, gegenwärtig stellen sie ca. 15 Prozent der Bewohner der Halbinsel. Dazu Williams, The Crimean Tatars 2001, besonders S. 411–464.
- ^ Über die auch erinnerungspolitischen Dimensionen dieses Befundes vgl. z.B. Münz / Ohliger, Die Ukraine 2000.
- ^ [Anonymus], Spannung am Schwarzen Meer 2003, S. 93.
- ^ Dazu grundlegend Sasse, The Crimea Question 2007.
- ^ Die Halbinsel Krim wurde Anfang der 1990er Jahre als einziges Gebiet der Ukraine von Kiew mit Autonomierechten ausgestattet und bildet schon durch die exponierte geopolitische Lage einen besonderen Raum: Die Halbinsel ist heutzutage im Spannungsfeld zwischen dem ukrainischen, dem russischen und dem türkischen Staat, welcher sich als eine Art Schutzmacht für die krimtatarischen Brüder und Schwestern sieht, zu verorten. Vgl. dazu auch Jobst, Geschichte der Ukraine 2010, S. 238–247.
- ^ Nicht erst die Krim-Krise im Jahr 2014, sondern bereits der August-Krieg von 2008 zwischen Georgien und der Russischen Föderation warf ein Schlaglicht auf die sicherheitsrelevante Lage der Region. Die von der Türkei formulierten Ansprüche, eine regionale Ordnungsmacht zu sein, könnten dazu führen, dass diese verstärkt die krimtatarische Karte spielt. Zudem ist die Europäische Union durch die Mitgliedschaft Rumäniens und Bulgariens sozusagen an die Ufer des Schwarzen Meeres vorgedrungen. Neben Sicherheitsaspekten spielen auch wirtschaftliche und ökologische Fragen eine Rolle (vgl. dazu King, The Black Sea 2004, vor allen Dingen das Kapitel "Facing the Water", S. 239–247). Zumindest diesbezüglich hat Ankara 1992 mit der Gründung der sogenannten Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (BSEC, Organisation of the Black Sea Economic Cooperation) die Initiative ergriffen. Die Anrainerstaaten sowie weitere sechs Staaten haben sich das Ziel gesetzt, intensiver auf den Gebieten der Friedenserhaltung, der Stabilität und des Wohlstands zusammenzuarbeiten. Die Europäische Union hat ihrerseits die sogenannte Schwarzmeersynergie initiiert, um die regionale Zusammenarbeit zu stärken. Diese ist Teil der EU-Nachbarschaftspolitik, welche Nicht-EU-Anrainer-Staaten – unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft – an die Union binden soll, sowie der "strategischen Partnerschaft" mit der Russischen Föderation. Auch diese Organisation soll die Zusammenarbeit in der Region fördern. Dabei wird durchaus in größeren regionalen Zusammenhängen gedacht, sind doch neben den unmittelbaren Anrainern auch Griechenland, Moldawien, Armenien und Aserbaidschan eingebunden. Vgl. dazu auch die offizielle Website der Schwarzmeersynergie der Europäischen Union, online: http://eeas.europa.eu/blacksea/index_en.htm. Ob diese Initiativen tatsächlich geeignet sind, einen gemeinsamen Bezugs- und Identitätsrahmen zu befördern, muss sich erst noch erweisen.