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Wettbewerb: geistige und soziale Voraussetzungen
Das ältere englische Sportideal war ein Gentleman-Ideal: Es ging um zweckfreie Beschäftigung, um "Spiele", um gesellschaftlichen Zeitvertreib, der oft mit dem Ausdruck "to compete together" belegt wurde.1 Vor allem seit den 1820er Jahren wurde in Großbritannien propagiert, dass der Mann einen gesunden Körper haben sollte, der sich mit anderen Körpern in freiem Wettbewerb messen sollte. Dabei stellten die Befürworter des Sports sich vor, dass heute dieser und morgen jener gewinnen könnte. Die Unsicherheit und relative Gleichheit der Ausgangssituation gehörte zum Spiel: Wenn von vornherein feststehen würde, wer am Ende als Sieger dasteht, dann ist es für den Zweiten ein frustrierendes Spiel, das er nicht oft wiederholen wird. Zum Wettbewerb dieser Art gehört die Möglichkeit der Wette: Dass der Wettende wirklich oder potentiell eine Vorhersage abgeben kann darüber, wer den Sieg davonträgt, und diese Wette vielleicht mit einem Geldeinsatz bekräftigt, um das Risiko des Spiels zu erhöhen. Es muss aber auch mit annä
Das Wettbewerbsverhalten gehörte besonders zum Lebenshintergrund führender Schichten in England seit den 1820er Jahren. Vor allem an den Public Schools, also den privaten Internatsschulen der Eliten, die aber sozial nie völlig abgeschottet waren, entwickelten sich aus den Schüler- bzw. Studentenschaften heraus immer mehr Aktivitäten, die diesem Typus der Freizeitbeschäftigung folgten. Es waren, wohlgemerkt, anfangs nicht ihre Lehrer oder Vorgesetzten, welche dieses Verhalten forderten oder vorschrieben; es kam vielmehr von Seiten der Schüler selbst. Möglicherweise steht dies im Zusammenhang mit sozialen Bewegungen, mit der Konkurrenzsituation zwischen Erbadel und dem auf seine Leistung pochenden Bürgertum. Es empfiehlt sich freilich nicht, derartige holzschnittartige Kategorisierungen vorzunehmen, solange das Phänomen nicht genauer untersucht ist. Zur Vorsicht mahnt schon die Einsicht, dass die englische Aristocracy sich auf einen sehr kleinen Kreis von Familien bezog, in denen jeweils nur der älteste männliche Nachkomme Namen, Titel und Vermögen erbte, während die jüngeren Söhne bekanntlich ins Bürgertum "abstiegen" bzw. sich mit Bürgerlichen in verschiedenen Karrieren messen mussten. Vielleicht ist es aber auch gerade dieser Mechanismus, der das Wettbewerbsfeld des Sports so attraktiv machte. Schließlich hatten die Sprösslinge adliger Familien, also eine schon weit zahlreichere Gruppe als die Adligen im eigentlichen Sinne, in ihrem sozialen Wettbewerb mit Bürgerlichen zahlreiche Vorteile durch Herkunft, Erziehung und Vermögen, so dass Patronage in vielen Fällen eben doch Leistung überwog. Möglicherweise war es also diese Situation, welche die sportlichen Wettbewerbe zu einem für alle Seiten interessanten Feld symbolischer Kommunikation um Vorzüge machte.
Es war üblich, sich auf Wettkämpfe vorzubereiten. Wo aber lagen die Grenzen des Erlaubten? Doping mit Medikamenten oder chemischen Substanzen spielte noch keine Rolle, aber kräftigende Nahrung beispielsweise war eine Selbstverständlichkeit. Doch kann auch noch von fairen Ausgangsbedingungen gesprochen werden, wenn ein Teilnehmer sich zum Beispiel durch spezielle körperliche Übungen auf Wettkämpfe vorbereitete? Schließlich hatten Adlige und andere Gutsituierte nahezu unbegrenzt Zeit, während Bürgerliche im Allgemeinen durch ihren beruflichen Alltag nur über eine knappe Freizeit verfügten. Auf Seiten der herkömmlichen Eliten gab es jedoch auch noch andere Hindernisse für athletisches Training: Ein Gentleman unterschied sich von anderen Menschen nicht zuletzt dadurch, dass er nichts mit ausschließendem Ernst oder gar mit Verbissenheit betrieb. Nebenbei seine Kraft oder Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen – das wurde gebilligt und geschätzt; aber sich systematisch auf eine Sache vorbereiten, um den Erfolg gewissermaßen zu erzwingen, war keineswegs gentlemanlike. Außerdem gehörte es zum Ideal des Gentlemans seit der Renaissance, dass er ein uomo universale zu sein habe, einer, der sich durch ganz verschiedene Fertigkeiten auszeichnete. Wenn ein Sportler aber für eine bestimmte Sportart trainierte, bedeutete dies auch eine Spezialisierung, eine Einschränkung – und diese war als solche schon nicht mehr gentlemanlike. Wenn sich ein Teilnehmer nebenbei in ganz verschiedenen Sportarten betätigte und auszuzeichnen verstand, erntete er viel mehr Hochachtung, als wenn er beispielsweise nur im Tontaubenschießen oder im Polo Preise abräumte.
Dieses Ideal wurzelte tief im englischen Denken – nicht nur in Fragen der Standesethik und sozialen Abgrenzung, sondern als wesentliches Element des Gesellschaftsentwurfs.2 Das liberale Ideal, das sich seit dem 17. Jahrhundert durchgesetzt hatte, ging davon aus, dass sich in der Auseinandersetzung widerstreitender Kräfte schließlich die Besten durchsetzen würden. Auch international sah man den Aufstieg des British Empire gewissermaßen als Leistungsnachweis, als Beweis für die Überlegenheit britischer Waren und Werte in der Welt. Der Handel, so dachte man seit der Aufklärungszeit, befördere den Austausch verschiedener Völker und trüge mithin zu einer Zivilisierung der Sitten auf allen Seiten bei. Handel und Austausch wurden grundsätzlich positiv gesehen, als soziales und wirtschaftliches Ideal. Auch wenn jemand seine Interessen noch so selbstsüchtig verfolgte, kam am Ende dabei, gesamtgesellschaftlich betrachtet, doch etwas Positives heraus.3
Montesquieu (1689–1755) bezeichnete diese Einstellung mit dem Schlagwort "doux commerce": Aus dem "süßen, sanften Verkehr" der Menschen untereinander entstünde alles Gute; als Einzelne blieben die Menschen Barbaren, in gesellschaftlichem Verkehr müssten sie ihre kommunikativen Fähigkeiten entwickeln und würden so schließlich wirklich zivilisiert. Die Aufklärer priesen insofern grundsätzlich den geselligen Umgang der Menschen miteinander. Dieses Prinzip der "Soziabilität" wurde auch auf wirtschaftliche Beziehungen ausgedehnt.
Dies ist der geistesgeschichtliche Hintergrund für den englischen Sport: In erster Linie schätzten Sporttreibende das Zusammentreffen, die Kommunikation mit Gleichgesinnten. In zweiter Linie maßen sie ihre Kräfte in einem regelgeleiteten Spiel. Sportliche Betätigung zielte in dieser Vorstellung nicht eigentlich auf das Übertreffen des Gegners oder auf Rekorde, sondern auf das Zusammentreffen mit einem Gegner, der sich auf dieselben Ideale verpflichtet hatte und nach denselben Regeln um den Sieg kämpfte. Die Grundvorstellung war dabei, dass man sich selbst in dieser Anstrengung verbessere und veredle, wie sich gleichzeitig auch der Gegner, der um denselben Preis kämpfte, seinerseits verbessere und veredle. Alles, was nach Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen aussah – und dazu gehörte schon auffallendes körperliches Training – war sozial geächtet. Es war völlig undenkbar, sich Vorteile dadurch zu verschaffen, dass man die Regeln brach. Wohl konnte es in der Hitze des Gefechts eines Fußball- oder Rugbyspiels vorkommen, dass sich die Spieler nicht völlig regelkonform verhielten, aber dies konnte allenfalls versehentlich geschehen, weil ja alle im Prinzip auf dieselben Regeln eingeschworen waren. Als es deshalb im späten 19. Jahrhundert zu Zusatzregeln wie Strafstößen kam, wurden diese anfangs abgelehnt, da sie ein absichtliches Fehlverhalten, foul play, voraussetzten. Schiedsrichter gab es bei den Fußball- und Rugbyspielen in den Public Schools der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert noch nicht, weil sich alle Beteiligten über das Regelkonforme völlig einig waren, so dass jede Unterstellung einer absichtlichen Regelverletzung ein Angriff auf die Ehre gewesen wäre. Die Sporttreibenden spielten nicht, um sich jenseits der Regeln Vorteile zu verschaffen und den anderen zu hintergehen, sondern in freiem Wettbewerb unter Gleichen. Nur so konnten sie auf einen Sieg wirklich stolz sein.
Diese Voraussetzungen des Sports in England hatten eine soziale Komponente, weil sie dazu geeignet waren, bürgerliche Leistung gegenüber adliger Nichtleistung in Stellung zu bringen bzw. einen Fortschritt der Gesellschaft und der Menschheit erwarten ließen, insofern dass sich auch Adlige (mit ihrem Vorsprung durch Geburt, Erziehung und Reichtum) der Konkurrenz von unten stellen mussten, sich also am selben Leistungsprinzip zu orientieren hatten.
Im späten 19. Jahrhundert gewann neben der sozialen eine nationale Komponente des sportlichen Wettkampfes an Bedeutung für den Aufstieg des Sports in der modernen Gesellschaft. In verschiedenen Sportarten wie Fußball, Rugby oder Kricket kam es zu Wettbewerben zwischen England, Schottland, Wales und Irland. Auch auf der internationalen Bühne setzte sich dieses Prinzip mehr und mehr durch: Wenn es gelang, in einem Spiel einen Wettbewerb zu entfachen, in dem alle Beteiligten gleiche Regeln anerkannten, konnten sich zum Beispiel Engländer mit Deutschen oder Franzosen messen, ihren Hauptgegnern in der Politik und Wirtschaft dieser Epoche. Von dieser Idee eines internationalen Wettbewerbs war es nur noch ein kleiner Sprung zu der Utopie, dass Kriege durch sportliche Wettbewerbe unnötig gemacht werden könnten. Das Prestige einer Nation – und um Prestige ging es ja wesentlich bei den diplomatischen und militärischen Auseinandersetzungen nicht nur im späten 19. Jahrhundert – ließ sich in einem regelgeleiteten Wettbewerb in einer sportlichen Disziplin unblutig, mithin menschlicher auskämpfen. Streit konnte freilich darüber entstehen, welche Disziplinen sich dafür eigneten, schließlich gab es deren viele.
Die Vielzahl der Sportarten bot auch die Möglichkeit der sozialen Differenzierung. Trotz der Idee des gemeinsamen, regulierten Wettbewerbs bestand die Versuchung, dass sich Adlige und Bürgerliche in jeweils eigenen Verkehrskreisen zu sportlicher Betätigung trafen. Es war möglich, dass sich Adlige, die keine Konkurrenz der Bürgerlichen und auch keinen Verkehr mit diesen wünschten, auf Sportarten zurückzogen, die entweder traditionell von Adligen ausgeübt wurden wie die Jagd oder sich bevorzugt mit Sportarten abgaben, die höhere materielle Aufwendungen benötigten: teures Equipment, aufwendige Sportanlagen, hohe Mitgliedsgebühren (beispielsweise Golf, Segeln, Polo). Es lässt sich durchaus eine Tendenz des Rückzugs des Adels auf bestimmte Sportarten erkennen. Auf der anderen Seite ist zu bedenken, dass in all diesen Sportarten jeweils auch Angehörige anderer sozialer Schichten vorhanden waren, insofern also ein gemischtes Zusammentreffen im Sinne des geschilderten Geselligkeitsideals durchaus zustande kam. Dies geschah allerdings in unterschiedlicher Weise. Während die "neuen" Sportarten eher demokratisch strukturiert waren, konnten die Adligen sicher sein, bei der Jagd unter sich zu sein und allenfalls noch mit ihren geladenen Gästen zusammenzutreffen. Polo war besonders aufwendig, weil in jedem Wettbewerb immer vier Ponys pro Teilnehmer zum Einsatz kamen. Von daher blieb der Adel auch hier weitgehend unter sich. Golf, Tennis, Rudern und Segeln wurden durch bestimmte Etikette- und Bekleidungsregeln, aber auch durch hohe Aufnahmegebühren so reguliert, dass nur eine plutokratische Elite von Bürgerlichen teilnehmen konnte. Im Kricket bestand insofern eine Sondersituation, als dort klar definierte Grenzen gezogen waren zwischen Gentlemen (adligen Amateuren) und Players (Profis aus der Arbeiterschaft, vor allem auf dem Lande). Mannschaftskapitäne waren stets Gentlemen. Players und Gentlemen hatten getrennte Kabinen. Bei den Mannschaftsaufstellungen im Kricket wurden Gentlemen stets mit vorangestellten Initialen aufgeführt, Players dagegen mit Initialen hinter ihren Namen.4
Diese verschiedenen Formen zeigen: Das neue Feld des Sports, das in Großbritannien im Laufe des 19. Jahrhunderts eine bis dahin unbekannte Bedeutung und Ausdehnung erlangte, bot sowohl Möglichkeiten zur sozialen Differenzierung als auch zur sozialen Integration. Wahrscheinlich lag der größte Reiz für die Zeitgenossen gerade in dieser symbolischen Kommunikation, in einem hochformalisierten, aber auch hochdifferenzierten Wettbewerb. Den Grundgedanken teilten alle Mitglieder der Gesellschaft. Die kulturelle Ausformung jedoch war denkbar verschieden in den unterschiedlichen Sportarten und sozialen Schichten. Nicht zuletzt bot der Sport auch der neu entstehenden Arbeiterschaft der Industriegesellschaft Möglichkeiten nicht nur zu einer attraktiven Freizeitbetätigung, sondern unter Umständen auch zu sozialem Aufstieg.
Kulturtransfer: Englischer Sport in Deutschland und Europa
Bei Überlegungen zum Kulturtransfer steht zunächst die Frage nach der Gleichheit oder Verschiedenheit der Ausgangs- und der Aufnahmebereiche im Vordergrund. Überlegungen zur Sozialgeschichte des englischen Sports müssen also einerseits die deutlichen Unterscheide zwischen den europäischen Sozialsystemen beachten, andererseits aber auch eine relative Angleichung im Zuge der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung der Industrialisierung, Massengesellschaft und Demokratisierung. England hatte im Bereich des Sports aufgrund seiner spezifischen Geschichte ein kulturelles Angebot zu machen, das in verschiedenen europäischen Gesellschaften unterschiedlich aufgenommen wurde.
Die deutsche Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts ist nicht zuletzt gekennzeichnet durch eine eigene historische Entwicklung des Sports – die Turnerbewegung, wie sie von Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) angestoßen wurde.5 Konstitutiv für diese ist die identitätsstiftende Bedeutung einer "deutschen Bewegung", einer antifranzösischen Bewegung (Freiheitskriege/Befreiungskriege) und einer Jugendbewegung. Mit dem Sport im englischen Sinne hatten diese Übungen zur Körperertüchtigung und Wehrhaftigkeit zunächst nichts zu tun. Am Ende des 19. Jahrhunderts, in einer Phase ideologischer Polarisierungen, wurden sie sogar in einen absoluten ideologischen Gegensatz zum englischen Sport gebracht.6 Allerdings erwies sich die Turnerbewegung auch als Projekt einer (liberalen) Generation, dessen Ausstrahlungskraft gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich nachgelassen hatte. In dieser Situation breitete sich nun der englische Sport als ein Modephänomen auch in Deutschland aus. Er wurde dort und darüber hinaus in ganz Europa als etwas durchaus Neues und Attraktives wahrgenommen; auf führende Schichten, neue Berufsgruppen wie die Angestellten und die junge Generation der urbanisierten Regionen übte er eine besondere Anziehungskraft aus. Allerdings wurde er auch als eine Kulturerscheinung kritisiert, die in starkem Gegensatz zur bürgerlichen Identität der Deutschen der vorangegangenen Epoche stand.7
Die zweite Überlegung soll der Frage gelten, welche Wege der Kulturtransfer in diesem Fall nahm. So wichtig die Englandreisen der Deutschen des 18. Jahrhunderts für den englisch-deutschen Kulturtransfer auch gewesen waren – im 19. Jahrhundert spielten Reisen für die Vermittlung im Bereich des Sports keine große Rolle. Gewiss konnten deutsche Reisende in England eine Kultur des Sports erleben, die ihnen unbekannt war, dies führte aber nicht dazu, dass sie diese auch auf den Kontinent hätten verpflanzen wollen. Es waren vielmehr in erster Linie englische Reisende, die ihre gewohnten Sportarten auf den Kontinent mitbrachten und dafür schließlich auch deutsche Interessenten fanden.
Außer den Diplomaten, die immer schon gekommen waren, gewannen im Laufe des 19. Jahrhunderts die englischen Touristen mehr und mehr Gewicht. An den Orten, an denen sie ihre Ferien verbrachten, begannen sie auch mit den vertrauten Spielen – vom Pferderennen bis zum Tennis. Bereits im späten 18. Jahrhundert hatten sie bestimmte Orte am Mittelmeer für sich entdeckt, wie Genua und Nizza. Im 19. Jahrhundert kamen modische Bäder in Deutschland hinzu, die auch von zahlreichen Engländern frequentiert wurden: Bad Homburg, Wiesbaden, Baden-Baden. Ende des 19. Jahrhunderts schließlich wurden die Wintersportorte in der Schweiz modisch, wie Davos oder St. Moritz. Alle diese Orte waren überlaufen mit englischen Touristen. Hotelbesitzer, die sich für diese Klientel interessierten, begannen Tennisplätze und Eisbahnen anzulegen.
Eine weitere Mittlergruppe bestand aus englischen Ingenieuren und Technikern. Vor allem mit dem Eisenbahnbau waren nicht wenige von ihnen nach Deutschland gekommen, als die Deutschen selber noch nicht das nötige Know-how besaßen. In größerer Zahl kamen außerdem englische Studenten der Naturwissenschaften und der technischen Fächer nach Deutschland, weil ihr Heimatland mit seinen traditionellen Universitäten Oxford und Cambridge nur ungenügend auf die Veränderungen der modernen Welt einging. In Deutschland blühten früh Technische Hochschulen in Karlsruhe, Aachen, München, Dresden und Berlin-Charlottenburg. Englische Studenten an solchen Orten gründeten Vereine und übten die Sportarten aus, die sie von ihren heimischen Schulen und Colleges mitbrachten.
Hinzu kamen schließlich im späten 19. Jahrhundert noch Journalisten deutscher Sportzeitschriften.8 Dazu gehörte etwa John Bloch, ein in Birmingham aufgewachsener deutschstämmiger Jude, der in Berlin mehrere Fußball- und Kricketorganisationen gründete und seit 1891 eine Zeitschrift herausgab mit dem Titel Spiel und Sport. Dazu gehörte auch der Engländer Fred Manning (1871–1960), der 1900 zu den Mitbegründern des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) zählte. 1904 gründete er eine Zeitschrift mit dem Titel Der Lawn-Tennis-Sport, die 1908 in Lawn-Tennis und Golf umbenannt wurde. Zu nennen wäre schließlich auch der Schotte Andrew Pitcairn-Knowles (1871–1956), der in Deutschland studiert hatte und 1895 die erste ganz mit Photographien ausgestattete Illustrierte gründete: Sport im Bild.
Es braucht nicht weiter erwähnt zu werden, dass sich mit diesen Aktivitäten auch kommerzielle Interessen verbanden. Englische Hersteller von Sportgeräten und Sportbekleidung hatten ein natürliches Interesse an der Expansion ihres Marktes. Sie setzten selbstverständlich auf die neuen Publikationsorgane, auf die britischen Mittler und auf die publikumsträchtigen sportlichen Wettbewerbe.
Insgesamt blieb die Resonanz auf englische Sportpropaganda jedoch schwach. Erst kurz vor 1900 lässt sich eine breitere englische Sportbewegung in Deutschland erkennen. In den letzten Jahrzehnten des Kaiserreiches trat sie zunehmend ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. In verschiedenen Sportarten entwickelten sich allerdings durchaus divergierende Sportkulturen; es stellt eine starke Vereinfachung dar, sich English sports einheitlich vorzustellen. Da hier nicht das ganze Spektrum der Möglichkeiten dargestellt werden kann, sollen zumindest drei divergierende Sportkulturen angedeutet werden:9 Pferdesport, Fußball und Tennis.
Die erste englische Sportart, die eine gezielte Expansion nach Deutschland versuchte, war der Pferdesport. Der Londoner Pferdehändler Richard Tattersall (1785–1859) bereiste in den 1820er Jahren die norddeutschen Küstengegenden, um für hochrassige Pferde zu werben. In den neuen Küstenbadeorten wie Bad Doberan veranstaltete er sogar Pferderennen als Werbeveranstaltungen. Es entstand eine Spekulationswelle in Mecklenburg und Preußen, die auf Rassepferde zur Verbesserung der Pferdezucht setzte. Bis dahin hatte man Pferde, wie sie beispielsweise für die Kavallerie benötigt wurden, teilweise von weit her aus Osteuropa importiert. Im Zeitalter der Restauration war es durchaus auch für den Adel von sozialem Interesse, sich als "Kriegerkaste" im Stil des Mittelalters in Erinnerung zu bringen und sich im Pferdesport zu üben, der in enger Beziehung zu seiner militärischen Bedeutung stand. Umgekehrt gab es aber auch bürgerliche Reiter, die sich in Vereinen zusammenschlossen und Pferderennen als Flach- oder Hindernisrennen organisierten. Sie sahen darin etwas Demokratisches im Vergleich mit der höfischen Reitschule des hohen Adels. Die englische Reitpraxis und die englischen Wettrennen kamen ihnen insofern entgegen.
Insgesamt gesehen, waren allerdings die Adligen, die meistens in der Kavallerie Stellungen hatten, die Hauptinteressenten des Pferdesports. Im Gegensatz zu ihren englischen Standesgenossen ließen sie ihre Paradepferde nicht von Jockeys in Rennen reiten, sondern ritten selbst als sogenannte "Herrenreiter". Manche von ihnen versuchten sich mit Rennsiegen und Zuchterfolgen ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Größere Publikumsmengen zog der Pferdesport aber erst an, als Berlin nach 1871 zur Hauptstadt des deutschen Reiches geworden war und sich in Hoppegarten ein Renngelände geschaffen hatte, das es mit Newmarket in England aufnehmen konnte. Pferderennen wurden nun zum gesellschaftlichen Ereignis, auf dem auch Damen ihre Kleider und Hüte präsentieren konnten. Pferderennen wurden von der höfischen Gesellschaft dominiert, waren aber nicht sozial abgeschlossen. Sowohl unter den aktiven Reitern wie auch unter den Zuschauern machten sich viele Bürgerliche geltend. Im Gegensatz zu England spielten Wetten nur eine untergeordnete Rolle. Die deutschen Staaten achteten darauf, dass die Rennplätze "respektabel" blieben, dass Glücksspiel eng begrenzt wurde und auch das Pferdetoto nicht überhandnahm. Da die Kosten sowohl der Pferdezucht als auch der Rennteilnahme, der Ausrüstung usw. relativ hoch waren, blieben Pferderennen eine Sache der Wohlhabenden. Auch dies bildete einen Gegensatz zu England, wo einerseits der Adel sich für Pferderennen interessierte, andererseits aber durch das Jockey-System und andere Traditionen auch Personen aus den Unterschichten einbezogen wurden, während sich das Bürgertum eher vom Pferdesport fernhielt. In Deutschland kamen Bürgerliche, nicht aber Arbeiter und Unterschichten zu den Pferderennen.
Die zweite englische Sportart, deren Siegeszug auf dem Kontinent Beachtung verdient, ist der Fußball. Anfangs bestanden auch in Deutschland beide Formen des Fußballs nebeneinander: Rugby und Soccer, wie man das Spiel nannte, das sich nach den Regeln der Football Association richtete und insbesondere vorschrieb, dass man den Ball nur mit dem Fuß vorwärtstreiben durfte. Allerdings vermochte Rugby in Deutschland nicht dauerhaft Fuß zu fassen, während Soccer als "Fußball" zu einem beliebten Volkssport werden sollte – wenn auch erst im 20. Jahrhundert.
Die Durchsetzung der Soccer-Variante des Fußballs hat auch etwas damit zu tun, dass mehrere einflussreiche Lehrer, die Englanderfahrung hatten, diese an ihren Schulen einführten und auch in Schriften propagierten. Hier ist in erster Linie der Braunschweiger Gymnasialprofessor Konrad Koch (1846–1911) zu nennen, der auch die Regeln der englischen Football Association ins Deutsche übersetzte. Der erste Fußballverein in Deutschland war übrigens der Deutsche Fußballverein zu Hannover 1878. Eine wichtige Figur dieser Gründerzeit war auch Walther Bensemann (1873–1934), der als Sohn eines jüdischen Arztes in einem Schweizer Internat mit dem Fußball Bekanntschaft gemacht hatte und schon als Sechzehnjähriger 1889 in Karlsruhe den ersten Fußballverein gründete – weitere sollten folgen. Bensemann wurde später Lehrer in Oxford und ein erfolgreicher Sportjournalist, der 1920 die noch heute bestehende Wochenzeitschrift Der Kicker begründete.
Der frühe Fußball in Deutschland ging von den erwähnten Kolonien der Engländer aus, dann von einigen Schulen. Er war Sache der Gebildeten, der höher gestellten Bürgerlichen, vor allem aber der neuen Berufsgruppe der Angestellten. Diese hatten in der Kaiserzeit im Zusammenhang mit der Expansion der deutschen Industrie stark zugenommen. Sie waren weder voll anerkannte akademische Bürger (meist hatten sie kein Universitätsstudium hinter sich gebracht, sondern eine Fachausbildung, eventuell an einer der neuen Technischen Hochschulen) noch Arbeiter im klassischen Sinne. Gerade sie interessierten sich für Freizeitvergnügungen, für Sport, vor allem für Fußball. Dass sie die tragende Schicht der frühen Fußballbewegung in Deutschland waren, geht auch daraus hervor, dass sie ihren Vereinen Namen gaben wie "Alemannia" oder "Borussia". Mit diesen Namen ahmten sie das studentische Verbindungswesen nach, das ihnen zumeist verschlossen geblieben war. Sie trafen sich auch zu Geselligkeiten, die studentische Kommerse nachahmten, und trugen Mützen, die wie Studentenmützen aussahen, und farbige Bänder wie die Burschenschafter. Vor allem waren sie bestrebt, die Orden und Ehrenzeichen, die in der Gesellschaft des Kaiserreiches eine so große Rolle spielten, vor allem aber im Militär und in der Beamtenschaft vergeben wurden, durch sportliche Medaillen zu ersetzen, die sie auch bei gesellschaftlichen Veranstaltungen stolz am Revers trugen.
Die Eigenschaften, die den Pädagogen, welche das englische Fußballspiel empfahlen, besonders am Herzen lagen, waren der Mannschaftsgeist, der unbedingte Wille, sich im Zweikampf durchzusetzen, Entschlossenheit, Ausdauer, Kaltblütigkeit und Übersicht. Es ging einerseits um größtmögliche Entfaltung individueller Persönlichkeitseigenschaften, andererseits aber auch um einen Ausgleich zum Egoismus und um mannschaftliches Zusammenwirken. In mancher Hinsicht war das Fußballspiel, wie es damals betrieben wurde, durchaus ein Spiel mit militärischem Charakter, das soldatische Eigenschaften fördern sollte.
Eine ganz andere Welt war das Tennisspiel, das damals im Allgemeinen auch in Deutschland als Lawn Tennis bezeichnet wurde, wenn es auch meist auf Hartplätzen aus Kies, Schotter oder Sand gespielt wurde. Das Tennis ging ebenfalls zunächst von den Engländerkolonien in Deutschland aus. Der erste Tennisclub wurde bereits 1879 in Bad Homburg gegründet, ein zweiter 1881 in Baden-Baden. Anfangs interessierten sich gehobene Kreise der Gesellschaft für dieses Spiel, wie sie es als Bestandteil des englischen Lebens kennengelernt hatten. Tennisplätze wurden seit den 1880er Jahren oft privat in Gärten von Landhäusern angelegt. Die Landhausbewegung, die ebenfalls von England ausging und in Berlin hauptsächlich von dem Architekten Hermann Muthesius (1861–1927) propagiert wurde, setzte auf eine neue Art des Wohnens: statt in vielstöckigen städtischen Mietskasernen in freistehenden oder Reihenhäusern mit Garten in Vorstädten.10 Haus und Garten bildeten eine Einheit. Das Spiel im Garten wurde zum gesellschaftlichen Ereignis, das die Vergnügungen der Großstadt wie Konzert, Theater, Ball und Diner ersetzen oder ergänzen sollte. Deshalb gehörte zum eigenen Haus im Grünen oft ein Tennisplatz.
Häusliche Sportgeselligkeit boomte um 1900, sowohl in England als auch in Deutschland. Im Unterschied zu anderen Sportarten wurde Tennis auch von Frauen ausgeübt. Freilich schwangen sie die Schläger anfangs noch in den damals üblichen stoffreichen Roben und trugen auch beim Spiel die ausladenden Hüte. Sie waren noch durch Korsetts eingeengt und durch Stöckelschuhe behindert, die sich gerne im bodenlangen Rocksaum verfingen. Sportbekleidung für die Frauen kam erst nach dem Ersten Weltkrieg auf: Die Französin Suzanne Lenglen (1899–1938)[] wagte beim Wimbledon-Turnier 1919 erstmals einen revolutionären Auftritt in einem wadenlangen Leinenkleid mit Faltenrock – ohne Strümpfe, ohne Korsett. Tennis für Damen bedeutete deshalb damals: Schläge von der Grundlinie aus, hin und zurück. Eine sportlichere Variante des Tennisspiels übten damals schon die Männer. Im gemischten Doppel konnte es interessant werden, mit Damen auf der Grundlinie und Männern am Netz.
Die Popularität des neuen englischen Spiels in Deutschland beruhte nicht in erster Linie auf sportlichen Aspekten, sondern vielmehr auf gesellschaftlichen. Die Tennisplätze entwickelten sich zum Heiratsmarkt gehobener Schichten. Hier konnten sich Männer und Frauen in verschiedenen Posen und Bewegungen sehen, zuweilen auch in körpernäherer Kleidung als im bürgerlichen Leben. Statt auf Bälle gingen junge Akademiker im späten Kaiserreich auf Tennisplätze. In vielen Städten wurden Tennis-Clubs gegründet. Tennisturniere wurden ausgetragen. Ein Kranz von Geselligkeiten entwickelte sich um den Tennissport herum. Tennisplätze außerhalb des privaten Gartens entstanden in vielen Städten, in denen sich die Obrigkeiten, die aus denselben sozialen Schichten wie die Tennisspieler stammten, leicht für die Einrichtung solcher Sportanlagen gewinnen ließen – an manchen Orten unter dem Protest der Arbeiter. Tennis war offenkundig etwas anderes als Turnen und als alle athletischen Disziplinen. Es bot den führenden Schichten in Deutschland um 1900 eine perfekte Gelegenheit zur zwanglosen Begegnung der Geschlechter. Es war modisch, gleichzeitig körperlich, aber nicht zu stark fordernd. Die Teilnehmer unterhielten sich dabei an der frischen Luft, was dem Lebensgefühl der Jugendbewegung entsprach. Außerdem konnten die Spieler jederzeit entscheiden, ob sie eher dem sportlichen Vergnügen nachgehen wollten oder die Gelegenheit zu einem Flirt wahrnehmen wollte. Auch dieses Wort ging zu dieser Zeit aus dem Englischen in den deutschen Sprachgebrauch ein.11