Osmanische Diplomatie
Die methodischen und konzeptionellen Innovationen, die seit einigen Jahren unter anderem von globalgeschichtlichen und praxeologischen Ansätzen in der historischen Forschung ausgegangen sind, haben unseren Blick auf das Osmanische Reich und die osmanische Diplomatie radikal verändert. Zuvor hatte sich die Geschichtswissenschaft – zumeist unter Voraussetzung einer vermeintlich unüberwindbaren kulturellen Differenz zwischen Osmanen und Europäern – lange Zeit schwer damit getan, den "muslimische[n] Koloß"1 am Rande Europas in die eurozentrische Meistererzählung von der parallelen Herausbildung des internationalen Staatensystems und der modernen Diplomatie auf plausible Weise zu integrieren. Mittlerweile betont die Forschung dagegen bei allen Unterschieden im Detail der sozialen und politischen Organisationsformen die strukturellen Ähnlichkeiten der politischen Kulturen, die Anpassungsfähigkeit der imperialen Eliten sowie die vielfältigen sozialen, ökonomischen und politischen Verflechtungen in einer zwischen Osmanen und Europäern geteilten mediterranen und südosteuropäischen Welt.2
Dass die osmanische Diplomatie aus europäischer Sicht über so lange Zeit zumindest als "unkonventionell"3 galt, hatte allerdings auch wesentlich mit dem imperialen Selbstverständnis des Reichs zu tun – sah es sich doch seit der Eroberung Konstantinopelsdurch Mehmed II. (1432–1481)[] in der Nachfolge Roms, was sich nicht zuletzt im diplomatischen Zeremoniell am Sultanshof niederschlug. Im Konkurrenzkampf mit den persischen Safawiden im Osten und den Habsburgern im Westen verfestigte sich im 16. Jahrhundert der Weltherrschaftsanspruch der osmanischen Dynastie und lud sich unter den Sultanen Selim I. (1470–1520) und Süleyman I. (ca. 1494–1566) auch mit religiöser Bedeutung auf.4 Die imperiale Herrschaftsauffassung der Osmanen fand ihre sakrale Legitimation im islamischen Recht, wobei ihnen durchaus daran gelegen war, die Beziehungen zu christlichen Mächten nicht allein mit Waffengewalt, sondern auch diplomatisch zu regeln.5
Tatsächlich verfolgten Osmanen wie Europäer in der Frühen Neuzeit bei der Gestaltung ihrer Außenbeziehungen einen pragmatischen Ansatz, bei dem die Religion zwar eine wichtige, aber keineswegs die einzige Rolle spielte. Wie ihre christlichen Pendants setzten auch die osmanischen Sultane vor allem auf eine Strategie des dynastischen Machterhalts und der territorialen Expansion, wobei Vertragsschlüsse mit nicht-muslimischen Herrschern ein Gebot der Vernunft bzw. der Staatsräson darstellten. Zahllose Friedens- und Handelsverträge zwischen Osmanen und Europäern zeugen von der Intensität der diplomatischen Kontakte. Diese Verträge waren das Ergebnis einer Überlagerung islamischer Rechtsnormen mit sultanischem Recht, byzantinischen Traditionen, vielfältigen lokalen Gewohnheitsrechten sowie nicht zuletzt auch mit westeuropäischen Vorstellungen von Präzedenzrecht und ius gentium.6
Der Blick auf diplomatische Verträge und Verhandlungen zwischen Osmanen und Europäern macht also vor allem eines deutlich: Zumindest für die Frühe Neuzeit stellt das Konzept der "Verwestlichung", verstanden als Prozess eines unidirektionalen Kulturtransfers, keinen adäquaten Ansatz zum Verständnis der osmanischen Diplomatie dar.7 Eine stärkere und immer einseitigere Orientierung an lateineuropäischen Völkerrechtsnormen und Verfahrensweisen seitens der politischen Elite des Osmanischen Reichs lässt sich erst ganz am Ende des 18. Jahrhunderts konstatieren, als das Reich unter Sultan Selim III. (1762–1808) dazu überging, ständig residierende Botschafter nach westeuropäischem Modell in europäische Hauptstädte zu entsenden.8 Bis dahin waren die diplomatischen Beziehungen zwischen Osmanen und Europäern durch eine Vielfalt transkultureller Verfahren und Praktiken gekennzeichnet, die in Istanbul ihren zentralen Schauplatz fanden:9 Erst im multikulturellen Setting der osmanischen Hauptstadt erhielten sie ihre charakteristische Ausprägung.10
Spielarten europäischer Diplomatie in Istanbul
Europäische Diplomatie war im frühneuzeitlichen Istanbul durch Vielfalt und Konkurrenz gekennzeichnet, denn die Emissäre der verschiedenen europäischen Mächte agierten mindestens bis zum Ende des 17. Jahrhunderts auf der Grundlage sehr unterschiedlicher Voraussetzungen. Für ihren Status, ihre Handlungsspielräume, ihre Bewegungsfreiheit und selbst den Ort ihrer Residenz innerhalb der Hauptstadt war entscheidend, in welcher Beziehung ihre Auftraggeber zum osmanischen Sultan standen. Ihrer Funktion und historischen Entwicklung nach lassen sich deshalb vor dem 18. Jahrhundert idealtypisch zwei Modelle europäischer Diplomatie in Istanbul unterscheiden: Die westeuropäische Vertretung nach dem historischen Modell des venezianischen Bailo, der eine Doppelfunktion als Botschafter und Konsul innehatte; und das osteuropäische Modell, das auf anlassbezogene, repräsentative Großbotschaften setzte und das alltägliche Geschäft durch einfache Residenten abwickelte. Nach 1700 verschwammen allmählich die Grenzen zwischen beiden Modellen.
Das westeuropäische Modell
Die westeuropäischen Handelsmächte Venedig, Frankreich, England und die Niederlande handelten mit dem Sultan sogenannte Kapitulationen (ʿahdnāme) aus, die den rechtlichen Status ihrer im Osmanischen Reich lebenden Untertanen regelten und die Rechte und Pflichten ihrer Botschafter definierten.11 Unter dem Schutz der Kapitulationen konstituierten sich in den osmanischen Hafenstädten privilegierte westeuropäische Handelskolonien: Im zeitgenössischen europäischen Sprachgebrauch war zum Beispiel von der französischen nation in Konstantinopel oder von der englischen nation (bzw. factory) in Smyrna (Izmir) die Rede.12 Die Angehörigen einer nation13 waren von der Kopfsteuer (jizya/ cizye) befreit, wodurch sie sich von den nicht-muslimischen Untertanen des Sultans unterschieden, mit denen sie nicht selten Kirchen oder Schulen teilten. Darüber hinaus genossen sie Zoll- und Gerichtsprivilegien sowie weitere Sonderrechte, die in den Kapitulationen jeweils im Detail festgelegt wurden. Während Venedig bereits 1454 von Mehmed II. Kapitulationen erhalten hatte, handelte Frankreich 1569 als erste christliche Monarchie eigene Kapitulationen aus; England und die Niederlande folgten 1580 resp. 1612. Im 17. und 18. Jahrhundert stellten die regelmäßige Erneuerung und Erweiterung der Kapitulationen sowie die Überwachung ihrer Einhaltung ein zentrales Tätigkeitsfeld der westeuropäischen Diplomaten in Istanbul dar. Die Verhandlungen waren dabei durch die innereuropäische Konkurrenz um die jeweils günstigsten Bedingungen im Levantehandel geprägt. Doch es ging nicht ausschließlich um Wirtschaftspolitik: Auch Präzedenz- und Religionsfragen wurden im Rahmen der Kapitulationserneuerungen verhandelt. Außerdem verfolgten die westeuropäischen Mächte an der Hohen Pforte immer auch machtpolitische Ziele.14
Unter dem rechtlichen Schirm der Kapitulationen fungierten die westeuropäischen Botschafter als verantwortliche Ansprechpartner für die osmanische Regierung in allen Belangen, die Angehörige ihrer nation, aber auch das politische Verhältnis zu ihren Auftraggebern betrafen. Damit waren nicht nur weitreichende richterliche, polizeiliche, administrative und fiskalische Rechte verbunden, sondern auch steuerliche Privilegien und Immunitäten für die Botschafter selbst und ihre Haushalte. Die Kapitulationen verschafften den europäischen Handelskolonien im Osmanischen Reich damit faktisch so etwas wie einen extraterritorialen Status. Die permanente Residenz der westeuropäischen Diplomaten in Istanbul war ebenso sehr dem islamischen Fremdenrecht und der in ihren Wurzeln bereits in die Antike zurückreichenden mediterranen Konsularsfunktion geschuldet wie den gerade erst entstehenden neuen diplomatischen Gepflogenheiten innerhalb der lateinchristlichen Fürstengesellschaft.15 Ihre charakteristische Doppelfunktion als Botschafter/Konsuln behielten die westeuropäischen Vertreter in Istanbul über die gesamte Frühe Neuzeit.16 Im Falle Frankreichs und Englands zeigte sich dies nicht zuletzt im Finanzierungsmodell: So wurde der englische Botschafter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von der Levant Company bezahlt und der französische erhielt die Hälfte seiner Gratifikationen direkt von der Handelskammer in Marseille. Das änderte freilich nichts daran, dass beide Kronen wie auch Venedig ihre Vertreter am Sultanshof mit dem Rang eines Ambassadeurs versahen. Da in der europäischen Völkerrechtspraxis der Frühen Neuzeit mit der Vorstellung verschiedener diplomatischer Rangstufen auch ein kompliziertes Präzedenzrecht verknüpft war und die Funktion des Ambassadeurs in diesem Kontext auf den Souveränitätsanspruch des entsendenden Monarchen verwies, entstand hier ein erhebliches Konfliktpotenzial sowohl zwischen den europäischen Diplomaten vor Ort als auch im Verhältnis zu den Osmanen.17
Galata/Pera: Europäisches Botschaftsviertel und "urban middle ground"
Die westeuropäischen Botschafter residierten in den Weinbergen von Pera oberhalb von Galata (heute Stadtteil Beyoğlu), in unmittelbarer Nähe zu ihren Handel treibenden Landsleuten. Es war also der engen Verflechtung von Handel und Politik geschuldet, dass das europäische Botschaftsviertel ausgerechnet in Galata/Pera entstand, obwohl es damit weit entfernt von den Palästen des Sultans und des Großwesirs lag und man für jede Verhandlung mit einem osmanischen Amtsträger eigens eine Bootspassage über das Goldene Horn organisieren musste. Schon in byzantinischer Zeit hatte sich an diesem Ort eine genuesische Handelskolonie angesiedelt. Nach der osmanischen Eroberung wurde die bis dahin autonome italienische Kommune in die neuen Verwaltungsstrukturen der Hauptstadt integriert und entwickelte sich zum multikulturellen Zentrum des Fernhandels und der Diplomatie, das mit seinem Hafenviertel, seinen Märkten, Tavernen und anderen einschlägigen Etablissements in der osmanischen Gesellschaft bald die ebenso zweifelhafte wie faszinierende Reputation eines "fränkischen" Sündenpfuhls erlangte.18 Christen bildeten allerdings in der Frühen Neuzeit nur eine Minderheit unter den Einwohnern dieses Stadtteils: Eine kleine katholische Gemeinde aus alteingesessenen italienischen Familien, die seit dem 15. Jahrhundert als Magnifica Communità di Pera vom Sultan anerkannt war, umfasste um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert nur noch rund zwei Dutzend Familien, also wenige hundert Individuen. Die Mehrzahl der Einwohner von Galata/Pera waren armenische, griechische, jüdische und muslimische Untertanen des Sultans, die hier Seite an Seite mit den zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallenden Angehörigen der westeuropäischen Handelskolonien sowie vielleicht einigen Tausend christlichen Sklaven lebten und arbeiteten.19 Ab Mitte des 16. Jahrhunderts siedelten sich darüber hinaus vermehrt auch spanische Morisken an, die vor der Verfolgung unter Philipp II. (1527–1598) ins Osmanische Reich flohen. Schon ab 1600 bestand die Einwohnerschaft von Galata/Pera mehrheitlich aus Muslimen.20
Religiös-konfessionelle, ethnische, sprachliche und soziale Grenzen verliefen hier wie auch in den anderen urbanen Zentren des osmanischen Mittelmeers allerdings weder kongruent, noch waren sie undurchlässig oder eindeutig zu definieren. So gab es im frühneuzeitlichen Istanbul zwar konfessionell bzw. ethnisch geprägte Wohnviertel, aber keine scharfe Trennung der Einwohnerschaft im Sinne von "Ghettos". Die westlichen Botschaften lagen in unmittelbarer Nähe zueinander, die venezianische und die französische waren sogar durch eine Pforte miteinander verbunden. In der Nachbarschaft befanden sich aber auch private Wohnhäuser wohlhabender osmanischer Renegaten, eine Moschee und ein Hamman, ein Derwischkonvent sowie die von Sultan Bayezid II. gegründete Galata-Palastschule.21 Galata/Pera war also nicht einfach nur ein europäisches Botschaftsviertel, sondern ein "urban middle ground", ein Ort der grenzüberschreitenden Begegnung.22
Die westlichen Botschaften als Zentren diplomatischer Soziabilität
Die Botschaften waren Zentren multikultureller Soziabilität, transimperialer Netzwerkbildung und sozialer Durchlässigkeit. Hier liefen die Fäden all jener personalen Netzwerke zusammen, die für das diplomatische Alltagsgeschäft unabdingbar waren und deren Qualität und Reichweite über Erfolg oder Misserfolg einer Mission entscheiden konnten. Die inmitten ihres multikulturellen Umfelds gelegenen Botschaftsgebäude beherbergten nicht nur den Botschafter und seine Familie, sondern auch ihren oftmals mehrere Dutzend Personen umfassenden Haushalt und den von diesem nicht immer klar getrennten diplomatischen Mitarbeiterstab. Der französische Botschafter Pierre Girardin (gest. 1689) z.B. reiste 1685 mit mehr als 50 Bediensteten aus Frankreich an, darunter Sekretäre, Pagen, Stallburschen, Lakaien, Sänftenträger, Kammerdiener und -zofen für sich selbst und seine Frau, aber auch Köche, Gärtner, ein Polsterer und ein Schneider.23 Vor Ort wurden in der Regel weitere Bedienstete rekrutiert. Ebenfalls zu den ständigen Bewohnern des Palais de France gehörten einige Janitscharen und seit dem späten 17. Jahrhundert auch die "jeunes de langue", für das Studium der orientalischen Sprachen ausgewählte Jungen, die später als königliche Dolmetscher in der Levante arbeiten sollten. Dazu konnte eine Vielzahl weiterer Personen kommen, die nur vorübergehend im Palast Quartier bezogen: durchreisende Kavaliere, befreite Sklaven, untergetauchte osmanische Würdenträger,24 Künstler und Forschungsreisende. Dass die französische Botschaft in dieser Hinsicht keine Ausnahme darstellte, zeigt das berühmte Zeugnis von Lady Mary Wortley Montagu (1689–1762)[], die Anfang des 18. Jahrhunderts als Gattin des britischen Botschafters in Istanbul lebte:
"I live in a place that very well represents the Tower of Babel; in Pera they speak Turkish, Greek, Hebrew, Armenian, Arabic, Persian, Russian, Slavonian, Wallachian, German, Dutch, French, English, Italian, Hungarian; and what is worse, there are ten of these languages spoke in my own family. My grooms are Arabs, my footmen French, English, and Germans; my nurse an Armenian; my housemaids Russians; half a dozen other servants Greeks; my steward an Italian; my janissaries Turks, that I live in perpetual hearing of this medley of sounds, which produces a very extraordinary effect upon the people that are born here. They learn all these languages at the same time and without knowing any of them well enough to write or read in it."25
Ein Anfang des 18. Jahrhunderts angefertigter Grundriss des Palais de France zeigt einen größeren Gebäudekomplex auf einer terrassenförmig abfallenden Fläche von umgerechnet etwas mehr als einem Hektar.26 Die zugehörige Beschreibung listet neben Wohn- und Repräsentationsräumen, Höfen und Gärten, Ställen, Waschräumen und Küchen auch eine Kanzlei und eine Krankenstation auf sowie eine Kapelle, Schulräume und einen direkt an die Botschaft anschließenden Kapuzinerkonvent. Der Empfangssaal der Botschaft war so angelegt, dass er den Gästen einen Ausblick auf den Sultanspalast am gegenüberliegenden Ufer des Goldenen Horns ermöglichte.27
Die komplexe architektonische Struktur des Palais de France spiegelt die Multifunktionalität der europäischen Botschaften als repräsentative Residenzen sowie Zentren diplomatischer Soziabilität und transkultureller Netzwerkbildung wider. In den repräsentativeren Räumen fanden diplomatische Verhandlungen sowie die Visiten und Gegenvisiten statt, die sich die christlichen Botschafter gemäß dem europäischen Präzedenzrecht gegenseitig bei Ankunft und Abreise abstatteten. Hier empfing der Botschafter außerdem zu bestimmten Anlässen ausgewählte Mitglieder seiner nation sowie der multikulturellen Oberschicht von Galata/Pera zum Festbankett – etwa im Anschluss an seine Antrittsaudienzen beim Sultan und beim Großwesir oder auch zur Feier eines militärischen Sieges, aus Anlass der Geburt eines Thronfolgers oder eines anderen dynastischen Ereignisses. Die Gästelisten der Istanbuler Botschaften spiegelten dabei stets auch die gerade herrschenden innereuropäischen Konfliktlinien wider.28
Der Botschaftspalast diente aber nicht nur repräsentativen Zwecken, sondern bildete auch das soziale, administrative, ökonomische und kulturelle Zentrum für die jeweilige nation: Hier liefen Informationen zusammen, fanden Versammlungen der nation statt, wurden deren Sprecher gewählt, Streitfälle entschieden, Pässe ausgestellt, Posten vergeben, Reisende empfangen, Petitionen überbracht, aber auch Feste gefeiert, Theatervorstellungen organisiert und Wettkämpfe veranstaltet. Dabei kamen oft nicht nur die Angehörigen der jeweils eigenen nation zusammen, sondern auch andere Europäer sowie Untertanen des Sultans – entscheidend war im Zweifelsfall nicht die konfessionelle Zugehörigkeit, sondern der soziale Status. Zahlreiche Zeugnisse belegen, dass europäische Botschafter – und gegebenenfalls auch ihre Ehefrauen – in ihren Palästen nicht nur osmanische Amtsträger empfingen und sich wechselseitig Besuche abstatteten, sondern auch mit muslimischen Gelehrten debattierten und mit Vertretern armenischer oder griechischer Christen zusammentrafen.29 Ähnliche Begegnungen dürfte es auch auf den – quellenmäßig weniger gut dokumentierten – niedrigeren sozialen Rängen gegeben haben.
Das osteuropäische Modell
Die zentral- und osteuropäischen Diplomaten agierten in Istanbul dagegen zunächst unter ganz anderen Voraussetzungen als ihre westeuropäischen Pendants, denn das Verhältnis ihrer Auftraggeber zum Osmanischen Reich stand im 16. und 17. Jahrhundert überwiegend im Zeichen kriegerischer Konfrontation. Im Zuge der osmanischen Expansion nach Südosteuropa gerieten die besiegten Fürsten in den Rang von Vasallen- bzw. Tributärstaaten – oder wurden im Fall der Habsburger zumindest analog behandelt. Die Waffenstillstands- und Friedensverträge mit den Osmanen beinhalteten unter anderem die Verpflichtung, einen diplomatischen Residenten in Istanbul zu unterhalten. Seit dem habsburgisch-osmanischen Friedensvertrag von 1547 gab es dementsprechend einen habsburgischen Residenten am Bosporus. Zusätzlich trafen aus Wien auch regelmäßig repräsentative Sondergesandtschaften in der osmanischen Hauptstadt ein.30 Deren Hauptaufgabe bestand in der zeremoniellen Übergabe der im Friedensschluss vereinbarten Geldzahlungen, wobei sowohl die Zeitgenossen als auch spätere Historiker darüber stritten, ob es sich bei diesen Zahlungen um Tribute oder um Ehrengeschenke handelte.31
Obwohl der Waffenstillstand von Zsitvatorok (1606) den Habsburgern das faktische Ende ihrer Tributpflicht brachte, hielten sie auch weiterhin an dieser Form der "doppelten" diplomatischen Repräsentation durch einen niederrangigen kaiserlichen Residenten für das diplomatische Tagesgeschäft sowie anlassbezogene, dafür aber besonders prunkvolle und hochrangige Großbotschaften fest.32 Das war aus Sicht des Kaisers vor dem Hintergrund der imperialen Konkurrenz zwischen Habsburgern und Osmanen sowie der europäischen Vorstellungen von diplomatischer Repräsentation auch durchaus sinnvoll, denn eine einseitige hochrangige diplomatische Vertretung am Sultanshof wäre mit seinem eigenen universellen Herrschaftsanspruch kaum vereinbar gewesen. Außerdem war es auch im Hinblick auf die innereuropäische Mächtekonkurrenz zweckdienlich: So konnte ein Sondergesandter wie Wolfgang Graf zu Oettingen-Wallerstein (1626–1708), der im Februar 1700 zur Besiegelung des Friedens von Karlowitz in feierlicher Prozession als kaiserlicher Großbotschafter in Istanbul einzog, gemäß dem europäischen Präzendenzrecht den hervorgehobenen Rang eines ambassadeur extraordinaire beanspruchen – sehr zum Leidwesen des französischen Botschafters, der in Istanbul traditionell den ersten Rang unter allen christlichen Diplomaten für sich reklamierte, als residierender Botschafter aber eben nur ambassadeur ordinaire war und deshalb auf explizite Anweisung seines Königs ein Zusammentreffen mit Oettingen-Wallerstein tunlichst zu vermeiden hatte.33
Strukturell ähnelte die diplomatische Präsenz der Habsburger in Istanbul damit allerdings auch lange nach dem Ende ihrer Tributpflicht noch der Art und Weise, wie die Osmanen die Beziehungen zu ihren europäischen Tributärstaaten diplomatisch gestalteten: So waren z.B. auch die Fürstentümer Siebenbürgen, Moldau und Walachei sowie das islamische Krimkhanat nicht nur dazu verpflichtet, alljährlich diplomatische Delegationen zur Überreichung der Tributzahlungen an den Sultanshof zu entsenden, sondern auch dauerhaft einen Repräsentanten in Istanbul zu stationieren, der zugleich Ansprechpartner für die osmanische Regierung und potentielle Geisel war.34 Und genau wie die Repräsentanten der Tributärstaaten waren auch die habsburgischen Residenten zunächst im Elçi (oder auch: Nemçe) Han untergebracht, einer speziellen Unterkunft für auswärtige Diplomaten in der Nähe des Topkapı Sarayı. Seit dem 17. Jahrhundert mieteten sie in der Regel Unterkünfte im Stadtteil Fener und blieben damit weiterhin nahe am politischen Zentrum der Hauptstadt – aber weit entfernt von den westeuropäischen Vertretern in Galata/Pera.35 Von den alltäglichen und niederschwelligen Praktiken diplomatischer Soziabilität, wie sie im westeuropäischen Botschaftsviertel gepflegt wurden, blieben sie in der Regel also ausgeschlossen, und zwar sowohl aufgrund der räumlichen Entfernung als auch aus Ranggründen und wohl auch aufgrund von machtpolitischen Erwägungen.
Ganz ähnlich verhielt es sich auch mit den polnischen Emissären, die bereits seit dem 15. Jahrhundert anlassbezogen und meist mit besonderem Prunk in Istanbul eintrafen: Auch sie residierten zunächst im Elçi Han und zogen nach vollendeter Mission wieder ab. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts bezogen die polnischen wie auch die habsburgischen Vertreter feste Residenzen – dann jedoch genau wie ihre westeuropäischen Kollegen im Stadtteil Pera.36
Das 18. Jahrhundert: Vereinheitlichung als "Verwestlichung"?
Die räumliche Trennung und zugleich rangmäßige Differenzierung von osteuropäischen Residenten in Fener und westeuropäischen Ambassadeuren in Pera wurde bereits von den Zeitgenossen als intendierte Maßnahme der Osmanen gedeutet: Sie habe eine stärkere Kontrolle der diplomatischen Aktivitäten der Habsburger ermöglicht und sie überdies zumindest symbolisch in die Nähe der abhängigen Tributärstaaten gerückt. Die westeuropäischen Diplomaten dagegen seien im Grundsatz als Vertreter souveräner Mächte anerkannt gewesen und hätten dementsprechend im entfernten Galata/Pera weitaus größere Freiheiten genossen.37 Da allerdings die Kategorie der Souveränität zwar im europäischen Völkerrecht, nicht aber im Rechtsverständnis der Osmanen verankert war, ist diese Deutung zumindest problematisch. Ob bewusste Intention oder schlicht historischer Zufall: Die offenkundige räumliche Trennung von west- und osteuropäischen Diplomaten in Istanbul markierte im 16. und 17. Jahrhundert auch eine funktionale und symbolische Differenzierung zwischen zwei Spielarten europäischer Diplomatie in der osmanischen Hauptstadt. Erst als sich nach dem Frieden von Karlowitz (1699) die machtpolitische Balance in Südosteuropa zugunsten der Habsburger und ihrer Verbündeten verschob und mit dem russischen Zarenreich zudem ein neuer, mächtiger Akteur auf der Bildfläche erschien, verschwammen zunehmend auch die funktionalen wie symbolischen Grenzen zwischen ost- und westeuropäischer Diplomatie in Istanbul. Es kam häufiger zu Absprachen und gemeinsamen Interventionen der europäischen Diplomaten, es bildete sich so etwas wie ein europäisches diplomatisches Corps heraus und westeuropäische Normen prägten mehr und mehr die diplomatische Praxis.38
Ob dies alles jedoch ausreicht, um von einer "Verwestlichung" der diplomatischen Praxis in Istanbul vor dem späten 18. Jahrhundert zu sprechen, bleibt zumindest diskutabel – zumal ein wesentlicher Impuls für diese Entwicklungen vom russischen Zarenreich ausging. Durch die Annäherung und die zunehmenden wechselseitigen Absprachen der west- und osteuropäischen Diplomaten vor Ort konnte aber geschlossener gegenüber den osmanischen Gesprächspartnern aufgetreten und so ein gewisser Verhandlungsdruck erzeugt werden; die beschriebene funktionale Differenzierung der beiden europäischen Diplomatiemodelle wurde jedenfalls im Verlauf des 18. Jahrhunderts allmählich obsolet. Äußerlich sichtbar wurde diese Vereinheitlichung der diplomatischen Praxis in Istanbul unter anderem daran, dass sich im Laufe des 18. Jahrhunderts nicht nur die habsburgischen und die polnischen Vertreter, sondern auch alle neu hinzukommenden europäRussland, Schweden und Preußen, in Galata/Pera niederließen – auch wenn sie, anders als ihre französischen oder englischen Pendants, gar keine Handelskolonien beaufsichtigten und keine konsularischen Funktionen wahrnahmen.
Die Stadt als Bühne: Das diplomatische Zeremoniell am Sultanshof
Im Rahmen der imperialen Herrschaftsstrategie der osmanischen Sultane kam dem Empfang auswärtiger Diplomaten eine zentrale Funktion zu, denn das diplomatische Zeremoniell war das Medium, durch das die Osmanen ihren Weltherrschaftsanspruch symbolisch geltend machten und sich als sakral entrückte Herrscher inszenierten.39 Zwei Momente spielten dabei eine besonders hervorgehobene Rolle: Öffentliche Audienzen und der Austausch von Geschenken.
Einzug und Empfang
Der urbane Raum der osmanischen Hauptstadt war integraler Bestandteil der Empfangszeremonien für auswärtige Repräsentanten. Istanbul und der von Mehmed II. erbaute Topkapı-Palast an der Landspitze zwischen Goldenem Horn und Marmarameer fungierten dabei als Bühne, während Einwohnern und Besuchern die wichtige Rolle als Zuschauer zufiel: Sie säumten Straßen und Plätze, wenn die Abgesandten asiatischer, europäischer oder afrikanischer Herrscher in feierlicher Prozession mit zahlreichem Gefolge und wertvollen Geschenken über die zentrale Prachtstraße (heute: Divan Yolu Caddesi) in den Topkapı-Palast zogen. Dabei war von außen kaum zu unterscheiden, ob es sich um die aus freien Stücken entsandte Delegation eines souveränen Fürsten oder um die erzwungene Huldigung tributpflichtiger Kriegsverlierer handelte: Sie alle mussten auf ihrem Weg zum Sultan auf vorgeschriebene Weise verschiedene architektonische wie zeremonielle Schwellen überschreiten, bevor sie die "Pforte der Glückseligkeit" erreichten, das dritte und letzte Tor zum streng abgeschirmten Innersten der weitläufigen Palastanlage. Dort angekommen kleidete man die Gäste in Ehrengewänder (hil'at), womit man sie symbolisch in die osmanische Weltordnung eingliederte, und führte sie dann in den direkt hinter der Pforte liegenden Audienzsaal, um "den Rocksaum des Sultans zu küssen", wie es schon bald metonymisch verkürzt in europäischen Berichten hieß.40 Tatsächlich wurden die christlichen Botschafter von zwei Bediensteten des Sultans an den Armen festgehalten und mehr oder weniger sanft zum Kniefall vor den Sultan geführt. Im Zentrum der Hauptstadt und im Innersten des Palastes erheischten sie so einen Blick auf das personifizierte Machtzentrum des Reiches: Hier zeigte sich der Sultan umgeben von seinen ranghöchsten Dienern und wichtigsten Würdenträgern in regungsloser Stille auf seinem Thron, als "Sultan der Sultane", "Kronenspender der Erde", "Herrscher der Länder der Rhomäer, der Perser und der Araber", "Held des Kosmos" und "Schatten Gottes auf Erden".41
Das osmanische Empfangszeremoniell war die perfekte symbolische Inszenierung von Weltherrschaft – und entsprach damit genau wie die zitierten Titulaturen Süleymans I. aus seinen Schreiben an die Habsburgerkaiser einem Selbstverständnis, demzufolge es so etwas wie "Außenbeziehungen" eigentlich gar nicht geben konnte. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass das diplomatische Zeremoniell keineswegs unflexibel war. Denn obgleich sich am Ablauf der Empfangszeremonien für auswärtige Diplomaten im Grundsatz in der gesamten Frühen Neuzeit kaum etwas änderte, konnten sie im Detail doch erheblich variieren: Die Dauer von Wartezeiten, die Positionen im Raum, die Größe des Gefolges, die Pracht der Ausschmückung, Art und Umfang von Geschenken, die Modalitäten ihrer Übergabe – all das und noch vieles mehr wurde von den Europäern in die Sprache ihres eigenen Präzedenzrechts übersetzt und im Vorfeld der Zeremonien jeweils genauestens mit den osmanischen Gesprächspartnern aushandelt. Noch ehe ein diplomatischer Vertreter offiziell empfangen und "akkreditiert" war, fanden also bereits intensive Verhandlungen auf verschiedenen offiziellen wie informellen Kanälen statt. Zudem war der Empfang beim Sultan nur die letzte und prächtigste Etappe des komplexen und sich zum Teil über Wochen hinziehenden osmanischen Empfangsrituals: Zuvor musste der Emissär nämlich noch in feierlicher Audienz vom Großwesir begrüßt werden – eine Zeremonie, die mindestens seit dem 17. Jahrhundert ebenso detailliert im Vorfeld ausgehandelt wurde wie jene beim Sultan. Reiste er gar, wie z.B. die habsburgischen Vertreter, auf dem Landweg an, dann waren ähnliche Zeremonien bereits während der Anreise bei den osmanischen Provinzgouverneuren fällig.42
Dessen ungeachtet konnte jede konkrete Zeremonie Anlass zu Streitigkeiten und Zwischenfällen geben. Als beispielsweise der französische Botschafter Charles de Nointel (1635–1685) im Mai 1677 zur Antrittsaudienz bei Kara Mustafa Pascha (1634/35–1683) erschien, verließ er den Audienzsaal noch vor Ankunft des Großwesirs unter Protest, weil er mit der ihm zugedachten Sitzgelegenheit nicht einverstanden war.43 Rund zwanzig Jahre später provozierte sein Amtsnachfolger Charles de Ferriol (1652–1722) mitten im Topkapı-Palast auf der Schwelle zum Audienzsaal ein lautstarkes Handgemenge, weil er darauf bestand, mit seinem Degen vor Sultan Mustafa II. (1664–1704) zu erscheinen. Er verließ den Palast schließlich ohne Audienz.44 Hatte man diese und andere Ritualkonflikte lange Zeit auf die mangelnde interkulturelle Kompetenz der beteiligten Akteure zurückgeführt, sie dementsprechend als kulturelle Missverständnisse gedeutet und damit die These einer vermeintlich grundsätzlichen Inkompatibilität der politischen Sinnsysteme untermauert, so werden sie heute mit den Methoden der historischen Ritualforschung untersucht und ebenso wie innereuropäische Ritualkonflikte als gezielte Versuche zur Durchsetzung politischer Geltungsansprüche in ihren jeweils konkreten historischen Kontexten analysiert.45
Geschenke
Ein zentraler und besonders konfliktreicher Aspekt des diplomatischen Zeremoniells am Sultanshof war die Frage der Geschenke. Wie bereits berichtet, mussten Vasallenstaaten und unterlegene Kriegsgegner dem Sultan alljährlich ihre als "Ehrengeschenk" bezeichneten Tributzahlungen im Rahmen öffentlicher Zeremonien überbringen. Doch auch die Botschafter der mit Kapitulationen versehenen westeuropäischen Handelsmächte mussten im Rahmen ihrer Antrittsaudienzen nach genau reglementierten Verfahren und in zuvor ausgehandeltem Umfang Geschenke an den Sultan, die höchsten Würdenträger und deren Bedienstete verteilen. Überhaupt beschrieben die Osmanen bereits die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in der Sprache des Schenkens und Beschenkt-Werdens: Frieden, so ließ der Sultan die westlichen Monarchen wissen, gebe es nur unter Freunden, und Freundschaft werde durch Geschenke begründet. Als Voraussetzung für die Gewährung von Kapitulationen wurde deshalb das schriftliche und von angemessenen Geschenken flankierte Freundschaftsgesuch eines Herrschers betrachtet.46
Sowohl am Sultanshof als auch in den westlichen Botschaften in Istanbul ließ man detaillierte Geschenkregister anfertigen. Dabei ging es beiden Seiten nicht nur um die Dokumentation des materiellen Wertes der Geschenke, sondern auch um ein Verzeichnis von Präzedenzfällen. Die westlichen Geschenkregister unterschieden in der Regel sorgfältig zwischen dem sogenannten Pflichtgeschenk und dem außerordentlichen Geschenk. Beim Pflichtgeschenk handelte es sich um Textilien, die am Tag der Audienz an den Sultan und alle hochrangigen Würdenträger sowie deren Bedienstete bis hinab zum Stallburschen verteilt wurden, und zwar jeweils in unterschiedlicher Qualität und Quantität entsprechend dem jeweiligen Rang. Das außerordentliche Geschenk war dagegen nur den höchsten Würdenträgern vorbehalten. In der Regel fielen darunter besonders wertvolle Uhren, Schmuck, technologische Innovationen wie nautische Messinstrumente, aber auch Tiere oder exotische Waren, die zugleich dem Schenkenden und dem Beschenkten zur Ehre gereichten. Hier waren die Botschafter durchaus mit sehr spezifischen "Bestellungen" seitens der Osmanen konfrontiert, was immer wieder zu Irritationen führte, da sich dies mit europäischen Vorstellungen vom Schenken nur schlecht vereinbaren ließ.47
Die europäischen Diplomaten erhielten im Gegenzug bei ihren Audienzen zeremonielle Ehrengewänder (hil'at), die einen hohen Symbolwert hatten und nach osmanischem Verständnis den Empfangenden als hierarchisch untergeordnet markierten.48 Anzahl und Qualität dieser Gewänder galten als Gradmesser für die Ehrerbietung, die den jeweiligen Botschaftern bzw. ihren Auftraggebern seitens der Osmanen entgegen gebracht wurde. Die Europäer hatten dies schnell begriffen, und die Behauptung, mehr Ehrengewänder erhalten zu haben als jeder andere europäische Diplomat zuvor, wurde zu einem verbreiteten Topos in ihren Berichten.49 Die Frage der Ehrengewänder gab immer wieder Anlass zu komplizierten und langwierigen Verhandlungen im Vorfeld der Zeremonien, denn die Europäer nutzten dieses Element auch als Medium der Prestigekonkurrenz, um ihre internen Präzedenzstreitigkeiten auszutragen.50
Das diplomatische Geschenkwesen in Istanbul war also in die sehr spezifische und ritualisierte osmanische Ökonomie des Schenkens eingebettet: Pflichtgemäße Ehrengeschenke zum Amtsantritt oder zu regelmäßig wiederkehrenden Terminen hatten in der osmanischen Kultur einen festen Platz und bildeten als Bestandteil von Ritualen der Investitur eine eigene Kategorie von Geschenken (pīşkeş).51 Sie mussten im Übrigen von den europäischen Diplomaten nicht nur den höchsten Würdenträgern wie dem Sultan oder dem Großwesir im Rahmen öffentlicher Audienzen gemacht werden, sondern auch allen anderen Funktionsträgern, mit denen sie zu tun hatten, wie etwa Schreibern oder Zollbeamten. Geschenke stellten in den Etats der Botschafter deshalb einen erheblichen Kostenfaktor dar und gaben immer wieder Anlass zu Klagen, zumal die Europäer für diese Art von Geschenken keine andere Gegenleistung erwarten durften, als dass die Amtsträger ihres Amtes walteten.52 Immer wieder versuchten einzelne europäische Diplomaten deshalb, ihre Amtskollegen zu einem konzertierten Vorgehen gegen diese kostspielige und auch ehrenrührige Praxis zu überreden – was jedoch meistens an der innereuropäischen Konkurrenz scheiterte.53
Diplomatie als transkulturelle Praxis
Die europäische Diplomatie in Istanbul umfasste ein breites Spektrum unterschiedlicher Akteure und ein Kontinuum von Praktiken, das von ritualisierten und hoch formalisierten offiziellen Begegnungen vor großem Publikum über alltägliche Interaktionen im überschaubaren Rahmen bis hin zu informellen oder gar geheimen Treffen im kleinsten Kreis reichte. Dabei galt: Je höher der soziale Rang der Beteiligten und je größer die Öffentlichkeit der Interaktion, desto mehr prägten konkurrierende imperiale Geltungsansprüche von Europäern und Osmanen Form und Gestalt des Austauschs. Das multikulturelle Setting der osmanischen Hauptstadt prägte die diplomatische Praxis ebenso sehr wie die besondere Topographie der Stadt, in der räumliche Nähe oder Distanz stets auch eine symbolische Dimension hatten. Dabei war die diplomatische Praxis in Istanbul keine Einbahnstraße, auch wenn es zunächst die Osmanen waren, die vor Ort den Rahmen festlegten. In der alltäglichen Interaktion wurden Spielregeln immer wieder neu verhandelt, Grenzen verschoben und überschritten.
Vielfalt diplomatischer Akteure
Um den Ablauf offizieller diplomatischer Zeremonien, aber auch den Inhalt von Verträgen und Vereinbarungen auszuhandeln, um Konflikte anzubahnen und wieder auszuräumen, Informationen einzuholen oder Desinformation zu streuen, kurz: um das diplomatische Alltagsgeschäft zu bestreiten, trat eine Vielzahl von Akteuren in Aktion, von denen nur wenige ein offizielles Amt bekleideten. Die feierliche Begegnung zwischen dem Botschafter und dem Sultan oder auch dem Großwesir im Rahmen einer öffentlichen Audienz war nur die zeremonielle Spitze des diplomatischen Eisbergs – das Tagesgeschäft lief über verschiedene, teils offizielle und öffentliche, teils informelle und geheime Kanäle. Allerdings war das diplomatische Ritual insofern grundlegend, als es auf dem komplexen Feld der diplomatischen Praxis im frühneuzeitlichen Istanbul einen Bereich der offiziellen Interaktion gleichsam performativ abgrenzte: All jene Akteure, die im Rahmen feierlicher Antrittsaudienzen nach den Regeln des Rituals miteinander interagierten, konnten auch in der Folge miteinander verkehren, indem sie entweder "en cérémonie" oder inkognito zusammentrafen: Das Ritual diente also gewissermaßen dazu, die Gruppe der offiziellen diplomatischen Akteure sichtbar zu machen.54
Zu den offiziellen Gesprächspartnern des Botschafters auf Seiten der Osmanen gehörten damit neben dem Sultan und dem Großwesir all jene Würdenträger, denen er bei seinem oder ihrem Amtsantritt im Rahmen öffentlicher Audienzen seine feierliche Aufwartung machte. Dieser Personenkreis variierte im Verlauf der Frühen Neuzeit: Gegebenenfalls waren dies z.B. der kaimakam, der Stellvertreter des Großwesirs in Istanbul, der kapudan paşa, der Oberbefehlshaber der Flotte, oder auch der şeyhülislam, der oberste islamische Rechtsgelehrte des Reichs.55
Im diplomatischen Alltag konnte und musste allerdings auch vieles auf der Arbeitsebene geklärt werden. Eine wichtige Funktion hatte auf der Seite der Osmanen etwa der reisülküttâb, der "Vorsteher der Kanzleischreiber", der für die Abfassung von Schriftstücken zuständig war. Ursprünglich nur ein Bediensteter des Divans, fielen seit dem 18. Jahrhundert zunehmend die diplomatischen Beziehungen zu den europäischen Mächten in seinen Zuständigkeitsbereich, bis er im 19. Jahrhundert schließlich die Funktion eines Außenministers wahrnahm.56 Auch die Sekretäre des Botschafters oder der kethüda des Großwesirs oder des reisülküttâb wurden für kleinere Verhandlungen eingesetzt.
Institutionalisierte Vermittler: Die Dragomane
Eine hervorgehobene und absolut zentrale Funktion hatten die Dragomane (aus dem osmanischen "tercüman"), offiziell bestellte Dolmetscher, die sowohl am Sultanshof als auch an den Botschaften tätig waren. Sie traten nicht nur im diplomatischen Zeremoniell in Erscheinung, sondern waren praktisch in jeder Unterredung zwischen Osmanen und Europäern präsent und führten mitunter auch selbst Verhandlungen im Namen ihrer Auftraggeber. Diese Allgegenwart der Dragomane war zunächst einmal der Tatsache geschuldet, dass die Sprache eine der großen Hürden in der osmanisch-europäischen Diplomatie darstellte.57 Zwar diente zur alltäglichen Verständigung auf Istanbuls Straßen und Märkten wie auch in anderen mediterranen Hafenstädten ein Pidgin aus Italienisch, Spanisch, Arabisch, Türkisch und Provenzalisch; und de facto beherrschten viele osmanische Würdenträger ebenso wie auch die meisten westeuropäischen Diplomaten, die sich länger im Osmanischen Reich aufhielten, mehrere Sprachen, so dass sie sich nicht selten zumindest im Prinzip auch ohne Dragomane – beispielsweise auf Italienisch – hätten verständigen können.58 Doch das Osmanische hatte als Verwaltungs- und Elitensprache nicht nur ein besonderes kulturelles Prestige innerhalb des Osmanischen Reichs, sondern auch eine zentrale Funktion für die Integration des Imperiums und seiner multikulturellen politischen Eliten, so dass ihm insbesondere im diplomatischen Verkehr ein hoher symbolischer Stellenwert zukam.59 Der Einsatz offiziell bestallter Dragomane in diplomatischen Verhandlungen und feierlichen Audienzen war deshalb nicht allein einer pragmatischen Notwendigkeit geschuldet, sondern bildete ebenso einen wichtigen Bestandteil imperialer Repräsentation.
Es ist deshalb nur folgerichtig, dass das Amt des Pfortendolmetschers im 16. Jahrhundert unter Süleyman dem Prächtigen zeitgleich mit der Durchsetzung des Osmanischen als imperialer Amtssprache entstand. In dieser frühen Zeit wurde es ausschließlich an Konvertiten vergeben, die die nötigen sprachlichen Fähigkeiten aus ihren Herkunftskulturen mitbrachten und zugleich der Dynastie loyal verbunden waren.60 Seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts bis ins 19. Jahrhundert rekrutierte das Reich die Pfortendolmetscher unter den Mitgliedern der griechisch-orthodoxen Oberschicht Istanbuls, der sogenannten Phanarioten. Ihr bedeutendster Vertreter war Alexander Mavrocordatos (1641–1709), der dieses Amt von 1673 bis zu seinem Tod innehatte und erheblich zur Ausweitung der politischen Funktionen des Pfortendolmetschers beitrug.61 Nach seinem Tod übernahm sein Sohn Nicolas Mavrocordatos (1680–1730) das Amt und begründete später als erster griechischer Fürst der Moldau und der Walachei die Phanariotenzeit in den Donaufürstentümern. Der eindrucksvolle Aufstieg der Familie Mavrocordatos erfolgte also im Kontext der osmanisch-europäischen Diplomatie und prägte zugleich deren Strukturen nachhaltig: Die griechisch-orthodoxen Pfortendolmetscher etablierten sich als unentbehrliche Vermittler, bauten umfangreiche und weit verzweigte grenzüberschreitende Patronage- und Klientelnetzwerke auf und setzten diese Schlüsselposition konsequent zugunsten des eigenen Familienclans ein.
Dies funktionierte ganz ähnlich, wenn auch auf einer niedrigeren sozialen Ebene, für die an den europäischen Botschaften angestellten Dragomane.62 Sehr häufig rekrutierten sich diese aus den alteingesessenen italienischstämmigen Familien der magnifica comunità di Pera, also aus den Reihen der katholischen Untertanen des Sultans, mitunter aber auch unter den orthodoxen oder jüdischen Familien Galatas. Durch den Eintritt in den Dienst eines westlichen Botschafters wurden die Dragomane Mitglieder in dessen Haushalt, standen unter seinem Schutz und erlangten damit einen besonderen Rechtsstatus, der ihnen durch ein Dragomanpatent (berat) des Sultans auch offiziell bestätigt wurde. Damit genossen sie im Vergleich zu anderen osmanischen Untertanen umfangreiche rechtliche und fiskalische Privilegien und erlangten gleichsam einen "extraterritorialen Status im eigenen Land".63 Als Einheimische brachten sie für die Botschafter wichtige soziale Kontakte mit, und da sie häufig über Generationen derselben Botschaft verpflichtet waren, verkörperten sie gewissermaßen deren institutionelles Gedächtnis: So waren sie meist die ersten Ansprechpartner der mit den ortsüblichen Gepflogenheiten bei ihrer Ankunft zumeist wenig vertrauten Diplomaten. Die Aufgabe der Dragomane erschöpfte sich also keineswegs in rein linguistischen Translationsleistungen, sondern bestand in kulturellen Übersetzungsleistungen im weitesten Sinne.
Aufgrund ihrer zutiefst ambivalenten Loyalitätsverhältnisse schlug den osmanischen Botschaftsdragomanen allerdings seitens ihrer westlichen Patrone notorisches Misstrauen entgegen: Klagen über die Unfähigkeit, Illoyalität und Ängstlichkeit der levantinischen Dragomane gehören zu den verbreitetsten Topoi in westlichen Botschaftsberichten. Da sie allerdings durch ihre Übersetzungstätigkeit auch Geheimnisträger der Botschaft waren und somit immer die Gefahr bestand, dass andere Botschaften sie als Spione anwerben könnten, konnte man sich unfähiger oder widerständiger Dragomane auch nicht ohne Weiteres entledigen. Frankreich und Venedig unternahmen denn auch wiederholt Versuche, vor Ort "eigene" bzw. "nationale" Dolmetscher auszubilden: Diese venezianischen und französischen "Sprachknaben" ("jeunes de langue", "giovani di lingua") gingen allerdings alsbald durch Heirat oder Konversion in der "transnationalen und auch interkulturellen Elite" der osmanischen Metropole auf: Durch immer komplexere und dichtere Verwandtschaftsbeziehungen, die quer lagen zu ethnischen, sprachlichen, politischen und auch ständischen Abgrenzungen, etablierten sich in Istanbul die Dragomane nach und nach als eigene soziale Gruppierung, in der einige besonders einflussreiche Dynastien wie die Testa, Grillo oder Fornetti dominierten und den Markt der westlichen Botschaften mit ihren lukrativen Beschäftigungsmöglichkeiten unter sich aufteilten.64
Diplomatische Netzwerkbildung im multikulturellen Setting
Ganz so wie an den christlichen Fürstenhöfen Europas lag auch am Sultanshof die eigentliche politische Macht nicht immer bei den offiziellen Amtsinhabern. Es war für die westlichen Diplomaten deshalb wichtig, neben ihren offiziellen Gesprächspartnern auch die weiteren relevanten und politisch einflussreichen Personen am Sultanshof zu identifizieren und mit ihnen in Kontakt zu kommen: etwa mit den zeitweise politisch besonders einflussreichen Sultansmüttern oder mit hochrangigen Palastdienern aus dem abgeschirmten Inneren des Topkapı Sarayı.65 Nicht anders als in Wien oder Versailles war deshalb auch im frühneuzeitlichen Istanbul der Aufbau eines effizienten Netzwerks die Voraussetzung für eine erfolgreiche diplomatische Arbeit, und hier wie dort waren Verwandtschaft, Freundschaft und Patronage die grundlegenden Modi sozialer Vernetzung und Vertrauensbildung. Allerdings unterschieden sich die Rahmenbedingungen und die Spielregeln des sozialen Miteinanders im multikonfessionellen Setting der osmanischen Hauptstadt durchaus von den Gepflogenheiten an den christlichen Höfen Europas. Dafür bot sich hier aber auch ein besonders großes und vielfältiges Reservoir an potentiellen Informanten, Spionen und Vermittlern von Kontakten zwischen westlichen Botschaftern und osmanischen Würdenträgern.
Einen ersten Ansatzpunkt für den Aufbau eines eigenen lokalen Klientel- bzw. Informantennetzwerks bildete für die westlichen Botschafter die jeweils eigene nation, deren Mitglieder häufig bereits seit Generationen vor Ort lebten. Die englischen, französischen, venezianischen und niederländischen Kaufleute und Handwerker, die in Galata/Pera wohnten, waren durch Geschäfts- und Verwandtschaftsbeziehungen nicht nur untereinander, sondern auch mit osmanischen Untertanen unterschiedlicher Konfessionen verbunden. Ihre grenzüberschreitenden personalen Verflechtungen machten sie zu wichtigen Maklern im Prozess der diplomatischen Netzwerkbildung. Die Botschafter wiederum konnten durch geschickte Klientelpolitik diese bestehenden Netzwerke in ihre eigenen integrieren und sie so für diplomatische Zwecke nutzbar machen. 66 Für die westlichen Botschafter in Istanbul gehörten solche Dragoman-Patente zu den wichtigsten Patronageressourcen, weil sie die Möglichkeit boten, sich nicht-muslimische Untertanen des Sultans als Klienten zu verpflichten und so Zugang zu den wichtigen politischen Haushalten im osmanischen Reich zu erhalten.
Die Logik des Gabentauschs und das Patronageethos bestimmten also auch die diplomatische Netzwerkbildung in Istanbul, und beides war den westlichen Diplomaten aus ihrer eigenen Kultur im Prinzip bestens bekannt.67 Allerdings folgte die konkrete Ausgestaltung hier den Spielregeln der Osmanen, die soziale Beziehungen durch Praktiken des Schenkens ausdrückten. Bereits erwähnt wurden die pflichtgemäßen Geschenke an Amtsinhaber (pīşkeş), die – für europäische Akteure gewöhnungsbedürftig – keine persönliche Beziehung zwischen Schenkendem und Beschenktem stifteten und deshalb auch keine weitergehenden Verpflichtungen seitens des Beschenkten beinhalteten. Insofern waren diese Geschenke nur für die "offizielle" Seite der diplomatischen Netzwerkbildung relevant. Davon klar zu unterscheiden waren Freundschaftsgaben, die ausschließlich der Beziehungsbildung dienten und als eine eigene, wichtige Geschenkkategorie in der osmanischen Kultur ebenfalls begrifflich fest verankert war (hibe). Diese Art des Schenkens hatte eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die diplomatische Praxis, ist allerdings aufgrund ihres informellen Charakters und ihres Übergangs zur Korruption in den Quellen oftmals nur schwer zu fassen.68 Anders als die pflichtgemäßen Geschenke an Würdenträger kam es bei dieser Geschenkkategorie nicht primär auf den materiellen Wert an, sondern auf die Geste des Schenkens selbst. Häufig wurden deshalb Verbrauchsgüter verschenkt, die eher symbolischen als materiellen Wert hatten: bestickte Taschentücher, leicht exotische Lebensmittel, Duftwasser oder Pharmazeutika. Auf diese Weise ließen sich Kontakte an der offiziellen Amtshierarchie vorbei bis in die unmittelbare Umgebung des Sultans knüpfen.69
Istanbul als Zentrum transkultureller diplomatischer Praxis in der Frühen Neuzeit
Zu wahrer Freundschaft mit Europäern seien die Türken nicht fähig, so ließ es Ende des 17. Jahrhunderts der langjährige englische Botschaftssekretär Paul Rycaut (1629–1700) sein europäisches Publikum wissen.70 Die Verfasser der einschlägigen Traktatliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts ließen keinen Zweifel daran, dass der Botschafterposten in Istanbul eine Zumutung war: Wer von seinem Fürsten an den Sultanshof entsandt wurde, müsse auf jeden Fall mit der "Tyranney und [dem] Hochmuth" der "Türcken" rechnen und sich auf Erniedrigungen und Beleidigungen aller Art einstellen.71 Auch die offizielle diplomatische Korrespondenz bediente spätestens seit dem 17. Jahrhundert immer wieder den Topos der orientalischen Despotie und bewegte sich damit im Diskursfeld der Türkengefahr.72 Vieles spricht dafür, dass dieser Alteritätsdiskurs für die europäischen Diplomaten ein probates Mittel zur Kompensation der symbolischen Erniedrigungen war, die sie im Empfangszeremoniell am Sultanshof ertragen mussten: Nur wenn die Osmanen als Barbaren markiert und damit aus dem Kreis der zivilisierten Völker ausgeschlossen wurden, ließen sich die symbolischen Praktiken am Sultanshof mit dem Ehrverständnis der europäischen Fürstengesellschaft und der dort herrschenden Souveränitätslehre vereinbaren. Die diskursive Abgrenzung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf der Interaktionsebene die osmanisch-europäische Diplomatie jahrhundertelang funktionierte und sich im urbanen Raum der osmanischen Hauptstadt ein Set von transkulturellen Praktiken herausbildete, das die Verständigung über konfessionelle und sprachliche Grenzen sicherstellte.
Dabei erfüllten für die diplomatische Praxis in Istanbul jene Menschen eine besonders wichtige Funktion, die als Grenzgänger zwischen den Religionen, den Sprachen und den konkurrierenden Imperien der Habsburger, Venezianer und Osmanen vermittelten. In der neueren Forschung wurde der Begriff "transimperiale Subjekte" geprägt, um zu betonen, dass diese Menschen zwar durch Mobilität, Verwandtschaft oder Patronageverhältnisse politische, sprachliche und religiöse Grenzen überschritten, dabei zugleich aber zu deren institutioneller Festschreibung beitrugen, indem sie sich im imperialen Grenz- und Konkurrenzraum auf ihre Expertise für das Fremde und ihre "Andersartigkeit" beriefen.73 Paradigmatisch hierfür waren die Dragomane als institutionalisierte Vermittler in der osmanisch-europäischen Diplomatie; dazu zählten aber eben auch all jene informellen Akteure, die das multikulturelle Umfeld der europäischen Botschaften in Istanbul prägten: befreite Sklaven, Konvertiten, Kaufleute und nicht zuletzt Juden, die wegen ihrer transimperialen Verwandtschaftsnetzwerke besonders häufig in diplomatischen Kontexten auftauchen.74 In gewisser Weise trifft diese Definition allerdings letztlich auf alle diplomatischen Akteure in Istanbul zu, und zwar bis hinauf zu den Botschaftern, die zumindest in der Kommunikation mit ihren höfischen Auftraggebern genau diese Rolle als Experten der Vermittlung und Agenten einer Institutionalisierung von Grenzziehungen wahrnahmen. Insofern stellt sich die osmanisch-europäische Diplomatie in Istanbul insgesamt als ein wesentlich von transimperialen Akteuren getragener Praxiskomplex dar.
Christine Vogel
Anhang
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Für seine kritische Lektüre und wertvollen Hinweise danke ich Florian Kühnel.
Anmerkungen
- ^ Duchhardt, Balance of Power 1997, S. 189, 188; hier auch die Rede vom Osmanischen Reich als "der große Außenseiter im europäischen Kräftespiel"; ähnlich im Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen auch bei Malettke, Hegemonie 2012, S. 21; und Schilling, Konfessionalisierung 2007, S. 10; und bei Bély, Relations internationales 1998, S. 46–49. Die eurozentrische Meistererzählung der Diplomatiegeschichte findet sich z.B. bei Frey / Frey, Diplomatic Immunity 1999; Mattingley, Renaissance Diplomacy 1955; Anderson, Modern Diplomacy 1993; Bély, L'art de la paix 2007. Zur Kritik an dieser eurozentrischen Meistererzählung aus globalhistorischer Sicht vgl. Kleinschmidt, Kultur der Diplomatie 2015; Black, History 2010; Hobson, Provincializing Westphalia 2009, Amsler / Harrison / Windler, Introduction 2019; Krischer / von Thiessen, Diplomacy 2018; Osborne / Rubiés: Introduction 2016; sowie, speziell mit Blick auf das Osmanische Reich, Kühnel, Westeuropa 2015; Göl, Europe 2014; Koller, Zwischen Integration und Exklusion 2013; Rudolph, Ottoman Empire 2013; Gürkan, Christian Allies 2010; Goffman, Negotiating 2007; Yurdusev, Ottoman Attitude 2005; Faroqhi, Ottoman Empire 2004.
- ^ Zur Verflechtungsgeschichte des osmanischen Mittelmeers grundlegend Greene, Shared World 2000; Horden / Purcell, Corrupting Sea 2000; Dakhlia, Les musulmans 2013; Dakhlia, Les musulmans 2011; Firges, Well-Connected Domains 2014; Van Gelder / Krstić, Introduction 2015; sowie die Forschungsberichte von Dursteler, Bazaars 2011; Trivellato, Renaissance Italy 2010. Zum osmanischen Südosteuropa: Koller, Das osmanische Europa 2014; Spannenberger, Raum im Wandel 2014; Strohmeyer, Frieden 2013; Born, Osmanischer Orient 2014; Born, Türkenkriege 2014; Rohdewald, Transottomanica 2019; Koller, Das Osmanische Reich 2017; Barth-Scalmani, Politische Kommunikation 2013.
- ^ So im Untertitel bei Yurdusev, Ottoman Diplomacy 2005.
- ^ Vgl. Necipoğlu, Architecture 1991, S. 12–16; Koller, Zwischen Integration und Exklusion 2013, S. 119–124; zur weiteren Entwicklung Ágoston, Information 2007, S. 75–193; Karateke, Legitimizing 2005; Murphey, Exploring 2008.
- ^ Das islamische Recht unterschied traditionell zwischen dem "Haus des Islam" (Dâr al-Islâm) und dem "Haus des Krieges" (Dâr al-Hârb) und leitete aus dieser Differenz in der Regel eine Verpflichtung des islamischen Herrschers zum Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen (jihad) ab. Für Diplomatie und friedliche Beziehungen zu nicht-muslimischen Mächten scheint hier auf den ersten Blick kein Platz zu sein. Doch anders als man lange unterstellt hatte, basierte das Verhältnis der Osmanen zu den sie umgebenden Mächten weder auf einer simplen Dichotomie zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Herrschern, noch gehorchte es ausschließlich einer Ideologie des Heiligen Kriege. Umgekehrt scheuten sie auch keineswegs davor zurück, den Krieg in das "Haus des Islams "hineinzutragen, wenn es etwa gegen die Mamluken oder die Safawiden ging. Letztere wurden von sunnitischen Rechtsgelehrten am osmanischen Sultanshof kurzerhand zu Ungläubigen deklariert und damit in das "Haus des Krieges " verschoben. Vgl. Masters, "dar al-harb" 2009, S. 174–175.
- ^ Vgl. İnalcık, Imtiyāzāt 1971; Goffman, Negotiating, S. 65–66; De Groot, Historical Development 2003, S. 575–604; Van den Boogert, Capitulations 2005; Eldem, Capitulations 2006, S. 283–335.
- ^ Das Paradigma der Verwestlichung vertreten etwa Naff, The Ottoman Empire 1983, S. 166–169; Hurewitz, The Europeanization 1961; Hurewitz, Ottoman Diplomacy 1961; Arı, Early Ottoman Diplomacy 2005. Dagegen kritisch und wesentlich nuancierter mit Blick auf die "Sattelzeit": Windler, La diplomatie 2002.
- ^ Vgl. Kürkçüoğlu, Adoption 2004, S. 131–150; Koller, Zwischen Integration und Exklusion 2013, S. 128–132; Hurewitz, Europeanization 1961; Hurewitz, Ottoman Diplomacy 1961, S. 141–152; Arı, Early Ottoman Diplomacy 2005, S. 36–65; Aksan, War and Peace, S. 107–114.
- ^ Der Begriff multikulturell wird hier in Anlehnung an Andreas Reckwitz verwendet und als eine Konstellation beschrieben, in der "unterschiedliche lebensweltliche Praxis-Komplexe und entsprechende verschiedene lebensweltliche Wissensordnungen […], etwa unterschiedliche historische Traditionen, Moralen, Ethiken des guten Lebens etc., somit unterschiedliche für die Lebensführung und die Form der eigenen Identität konstitutive background languages" aufeinandertreffen. In multikulturellen Konstellationen sehen sich Akteure also mit kulturellen Interferenzen konfrontiert und stehen zugleich unter unmittelbarem Handlungsdruck. In Reaktion darauf können Akteure "unterschiedliche Sinnelemente zu neuartigen lebensweltlichen Wissensordnungen und Praxiskomplexen" kombinieren, vgl. Reckwitz, Multikulturalismustheorien 2010, S. 81–87. Für die in solchen multikulturellen Konstellationen entstehenden neuartigen Praktiken und Wissensordnungen wird hier in Anlehnung an neuere globalhistorische Arbeiten der Begriff transkulturell verwendet, vgl. auch Flüchter, Vielfalt, S. 124–125; Flüchter, Grußpraktiken 2014, S. 22; Brauner, Kompanien 2015, S. 29–34.
- ^ Zu Istanbul als diplomatischer Welthauptstadt vgl. Rudolph, The Ottoman Empire 2013, S. 174; sowie Mansel, Constantinople 2006, S. 189–219; Gürkan, Bir Diplomasi 2015, S. 372–399; Gürkan, Mediating Boundaries 2015, S. 107–128; sowie Gürkan, Christian Allies 2010. Zu den diplomatischen Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und seinen südosteuropäischen Vasallenstaaten: Kármán, European Tributary States 2013. Die Erforschung dieser transkulturellen diplomatischen Praxis im frühneuzeitlichen Istanbul steht freilich noch am Anfang, entwickelt sich derzeit aber ausgesprochen dynamisch im größeren Kontext der Neuen Diplomatiegeschichte sowie der Verflechtungsgeschichte des Mittelmeerraums und Südosteuropas: Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem diplomatischen Zeremoniell, den verschiedenen offiziellen wie informellen Akteuren der Diplomatie sowie den Praktiken grenzüberschreitender Netzwerkbildung. Darüber hinaus rücken aber auch Fragen nach den Kommunikationsflüssen oder der Materialität transkultureller Diplomatie ins Zentrum. Obgleich die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reich und Europa nach wie vor einen klaren Schwerpunkt darstellen, innerhalb dessen wiederum die Rolle der Handelsmächte Venedig, Frankreich und England besonders gut erforscht ist, werden zunehmend auch globale Verflechtungen jenseits Europas in den Blick genommen. Wegweisend, obgleich nicht immer ausdrücklich diplomatiehistorisch ausgerichtet, sind die Monographien von Dursteler, Venetians 2006; Ghobrial, The Whispers 2013; Goffman, Britons 1998; Talbot, British-Ottoman Relations 2017; Graf, The Sultan’s Renegades 2017; Rothman, Brokering Empire 2012. Zahlreiche Fallstudien zu einzelnen Aspekten der diplomatischen Praxis im frühneuzeitlichen Istanbul finden sich darüber hinaus in neueren Sammelbänden und diplomatiehistorischen Schwerpunkten von Zeitschriften, z.B. in: Biedermann, Global Gifts 2018; Sowerby, Practices 2017; Burschel, Die Audienz 2014; Garnier, Interkulturelle Ritualpraxis 2016; Gelder van, Cross-Confessional Diplomacy 2015; Talbot, Contacts 2016; Amsler / Harrison / Windler, Introduction 2019, S. 943–946; außerdem: Koller, Einblicke 2017; Koller, Osmanisches Reich 2017, S. 77–90; Do Paço, Social History 2018; Gürkan, Dishonorable Ambassadors 2018; Gürkan, Espionage 2012; Gürkan, Mediating Boundaries 2015; Gürkan, Touting for Patrons; Gürkan, Early Modern Istanbul 2015; Kühnel, Professionalisierung 2019; Vogel, Gut ankommen 2013; Rudolph, Ökonomische Grundlagen 2013, S. 239–263; Rudolph, Material Culture 2013, S. 213–238.
- ^ Zu den Kapitulationen allg. s.o., Anm. 6. Speziell zu den Kapitulationen für Venedig: Theunissen, Ottoman-Venetian Diplomatics 1998, S. 1–698. Für Frankreich: Panaite, French Capitulations 2014, S. 71–87; Poumarède, Négocier 1998, S. 71–85. Für England: Talbot, A Treaty of Narratives 2016, S. 375–398. Zu den Kapitulationen als Urkundentyp und osmanisches Rechtsinstitut, mit dem das Reich z.B. auch die Beziehungen zu seinen christlichen wie muslimischen Vasallen- bzw. Tributärstaaten regelte, vgl. Papp, System 2013, S. 375–419; sowie mit Beispielen für Polen: Kołodziejczyk, Ottoman-Polish Diplomatic Relations 2000, S. 3–7.
- ^ Zur französischen nation in den verschiedenen Handelsplätzen Levante vgl. Robert Paris, Histoire 1957, S. 231–262; zur englischen bzw. britischen nation Wood, History 1935, S. 59–79; Goffmann, Britons 1998, S. 14; Vlami, Trading 2015; sowie Talbot, British-Ottoman Relations 2017; zur venezianischen nation: Eric R. Dursteler, Venetians 2006, S. 23–102.
- ^ Im Folgenden wird der Begriff kursiv und klein geschrieben, um ihn vom modernen Nationsbegriff zu unterscheiden.
- ^ Zu Frankreich zuletzt Isom-Verhaaren, Allies with the Infidel 2011; zu England Heywood, English Diplomatic Relations; Laidlaw, The British 2010; Berridge, British Diplomacy 2009; Talbot, British-Ottoman Relations 2017; zu Venedig: Dursteler, Venetians 2006; Coco / Manzonetto, Baili 1985; zu den Niederlanden Arı, Four Centuries 2014; de Groot, Ottoman Empire 2012.
- ^ Zum extraterritorialen Status der lateinchristlichen nations in der Levante vgl. Goffman, Negotiating 2017, S. 66; sowie Windler, La diplomatie 2002, S. 223. Zur mediterranen Konsularsfunktion vgl. Ulbert, Introduction 2006, S. 9–20, hier 11; vgl. auch Poumarède, Naissance 2001, S. 65–128. Geoffrey Berridge sieht in Istanbul den Ursprung des neuzeitlichen "diplomatischen Corps", vgl. Berridge, Origins 2008, S. 15–30.
- ^ Als Zeichen von Rückständigkeit ließe sich das freilich nur im Rahmen des eurozentrischen Fortschrittsnarrativs der älteren Diplomatiegeschichte werten, der die Entflechtung von konsularischer und politischer Funktion als Modernisierungsmerkmal galt. Wie problematisch ein solches Narrativ gerade im Hinblick auf die allgegenwärtige Verflechtung von Handel und Politik ist, machte John Watkins zuletzt 2008 in seinem Plädoyer für eine Neue Diplomatiegeschichte deutlich, als er mit Blick das Aufgabenspektrum moderner Diplomaten im Zeitalter der Globalisierung konstatierte: "The ambassador is becoming once again a bailo […]", Watkins, Toward a New Diplomatic History 2008, S. 5.
- ^ Zum Zusammenhang von europäischen Souveränitätsvorstellungen und diplomatischem Zeremoniell bzw. diplomatischen Rangstufen Krischer, Gesandtschaftswesen 2011, S. 197–239; Krischer, Souveränität als sozialer Status 2009, S. 1–32.
- ^ İnalcık, Ottoman Galata 1991, S. 17–116; Goffman, Britons 1998, S. 35; Mansel, Constantinople 2006, S. 14; Talbot, British-Ottoman Relations 2017, S. 145; Dursteler, Ventians 2006, S. 152–158; Eldem, Ottoman Galata 2006, S. 19–36, hier insbes. 29–33; Eldem, Istanbul 1999, S. 135–206, hier S. 142–152.
- ^ Dursteler, Venetians 2006, S. 23–24; Boyar / Fleet, A Social History 2010, S. 16–17; Goffman, Britons 1998, S. 31–35; Eldem, Ottoman Galata 2006; Mansel, Constantinople 2006, S. 12–15; Borromeo, Catholiques 2005.
- ^ Krstić, Elusive Intermediaries 2015, S. 132–133. Zur multikonfessionellen Einwohnerschaft von Galata/Pera vgl. Eldem, Foreigners 2007, S. 114–131; Eldem, Ottoman Galata 2006; Mansel, Constantinople 2006, S. 7–21; Dursteler, Venetians 2006, S. 155; Goffman, Britons 1998, S. 35.
- ^ Vgl. Talbot, British-Ottoman Relations 2017, S. 145. Hoenkamp-Mazgon, Palais de Hollande 2002.
- ^ Dursteler, Venetians 2006, S. 151–185; Goffman, Britons 1998, S. 18–23; Gürkan, Early Modern Istanbul; Ghobrial, Whispers, S. 65–87.
- ^ Girardin, Journal de mon ambassade à la Porte, BNF FR 7162, fol. 40v–41r (Auflistung des Gefolges); 43v (Empfehlungen De la Haye). Vgl. auch Vogel, Gut ankommen 2013, S. 165.
- ^ Belegt ist das Beispiel des Pfortendolmetschers Alexander Mavrocordatos sowie ein ähnliches Hilfegesuch des Schwertträgers von Sultan Mehmed IV. aus dem Jahr 1687, vgl. Camariano, Alexandre Mavrocordato 1970, S. 35; Giradin, Journal, BNF FR 7170, fol. 173v. Während der Rebellion von 1703 suchten außerdem Familienmitglieder von Alexander Mavrocordatos in der französischen Botschaft Schutz, vgl. Păun, "Well-born of the Polis", S. 66 und Anm. 86.
- ^ Lady Mary Wortley Montagu, Letter 41. In: Heffernan, Turkish Embassy Letters 2013, 163. Vgl. auch Mansel, Constantinople 2006, S. 207–210; Dursteler, Speaking in Tongues 2012, S. 47–48.
- ^ Memoire du Palais de France situé a Pera lez constantinople par le Sr. Vigny architecte et dessinateur ordinaire des bâtiments du Roy a la fin de l’année 1722, MAE Nantes, 166 PO A 252, fol. 4.
- ^ Charles de Nointel an Arnauld de Pomponne, Sept. 1676, MAE La Courneuve, CP Turquie 13, fol. 121v–122r; vgl. auch Casa, Palais de France 1995.
- ^ Beispiele von Festveranstaltungen im Palais de France bei Vandal, Les voyages 1900, S. 205–213; Vogel, Sonnenkönig 2016, S. 123–143.
- ^ Einschlägige Beispiele u.a. bei Dursteler, Venetians 2006, S. 173–180; Ghobrial, The Whispers 2013, S. 73–79; Mansel, Constantinople 1995, S. 189–219.
- ^ Vgl. Müller, Der umworbene "Erbfeind" 2005, S. 270–272; Petritsch, Der habsburgisch-osmanische Friedensvertrag 1985, S. 49–80; Petritsch, Zeremoniell 2009, S. 303.
- ^ Petritsch, Tribut oder Ehrengeschenk 1993; Windler, Tribut und Gabe 2000.
- ^ Von einer eindeutigen Abschaffung der Tributpflicht durch das Vertragswerk von Zsitvatorok kann allerdings nicht die Rede sein, vielmehr verschwamm diese Frage zwischen den verschiedenen Versionen und vagen Übersetzungen des Vertragswerks vgl. Bayerle, The Compromise of Zsitvatorok 1980, S. 27–28.
- ^ Vgl. Memoire du Roy pour servir d’instruction au sieur de Ferriol allant à Constantinople en qualité d'ambassadeur de sa Majesté [28.5.1699]. In : Duparc, Recueil des Instructions 1969, S. 163–174, hier 173–174. Zu dem vom französischen Botschafter Ferriol in diesem Kontext provozierten Präzedenzkonflikt vgl. Vogel, Caftan 2015, S. 25–44.
- ^ Zur Begrifflichkeit und Abgrenzung der "Tributär"- bzw. "Vasallenstaaten" von den osmanischen Provinzen vgl. Papp, System 2013, S. 375–419; zum Ort der Tributärstaaten in der Osmanischen Diplomatie vgl. Kármán, Sovereignty and Representation 2013.
- ^ Vgl. Petritsch, Zeremoniell 2009, S. 309; Kármán, Sovereignty and Representation 2013, S. 168.
- ^ Vgl. Kołodziejczyk, Ottoman-Polish Diplomatic Relations 2000, S. 171–178.
- ^ Kritisch zu dieser These jetzt Kármán, Sovereignty and Representation 2013, S. 172–173.
- ^ Vgl. auch Berridge, Origins 2008, S. 15–30.
- ^ Vgl. zum Folgenden grundlegend Necipoğlu, Architecture, 1991; Boyar / Fleet, A Social History 2010, S. 28–71; Murphey, Cultural and Political Meaning 1999, S. 247–255; Petritsch, Zeremoniell 2009, S. 301–322; Dilger, Untersuchungen 1967.
- ^ Zu Herkunft und symbolischer Bedeutung der osmanischen Ehrengewänder vgl. Stillman, "Khila" 1986, S. 6–7; Pelletier, Les robes d’honneur 1999, S. 89–100; Springbert-Hinsen, Hil’a 2000, S. 242; Faroqhi, Introduction 2004, S. 15–48.
- ^ So einige Elemente der Titulaturen, die Sultan Süleyman I. in seinen Schreiben an die habsburgischen Kaiser verwendete, vgl. Schaendlinger, Schreiben Süleymāns 1983, S. XIX.
- ^ Vgl. etwa Petritsch, Zeremoniell 2009, S. 301–322.
- ^ Vgl. Poumarède, La querelle du sofa 2001, S. 185–197; Vogel, Marquis 2014, S. 221–245.
- ^ Ferriol an Ludwig XIV., 8. Januar 1700, MAE Paris CP Turquie 33, fol. 64v–74r ; Relation, de ce qui s'est passé entre Monsieur de Feriol, Ambassadeur du Roy de France, a Constantinople, et les Premiers-Ministres de l'Empire Ottoman, touchant le ceremoniel, qui se doit observer aux audiences solennelles du Grand-Seigneur, [s.l.], [ca. 1700] ; vgl. Vogel, Caftan 2015, S. 25–44.
- ^ So etwa bei: Grygorieva, Zur Selbstdarstellung 2014, S. 81–99; Grygorieva, Symbols and Perceptions 2010, S. 115–131; Kühnel, No Ambassadour 2016, S. 95–122; Burschel, Der Sultan 2007, S. 408–421; Burschel, Topkapı Sarayı 2007, S. 29–40; Hanß, Udienza, S. 195–216; Vogel, Caftan 2015, S. 25–44.
- ^ Talbot, A treaty of Narratives 2016, S. 367 u. 383; Talbot, British-Ottoman Relations 2017, S. 108.
- ^ Vgl. z.B. Estat des presents que l'Ambassadeur de France est obligé de faire à l'audience du Grand Seigneur […] MAE La Courneuve MD Turquie 105, fol. 83r–85r. Dazu auch Burschel, Der Sultan 2007, S. 408–421; Kühnel, Fascination [im Erscheinen]; Rudolph, Material Culture 2013; sowie am Beispiel Tunis, das aber ähnlich funktionierte, Windler, Diplomatie 2002, S. 485–548. Siehe auch Rudolph, Entangled Objects 2016 und Talbot, Gifts of Time 2016.
- ^ Vgl. oben, Anm. 40.
- ^ Vgl. hierzu Kühnel, No Ambassador 2016, S. 95–122.
- ^ Ein Beispiel bei Vogel, Caftan 2015, S. 25–44.
- ^ Vgl. Talbot, British-Ottoman Relations 2017, S. 110; Reindl-Kiel, Der Duft der Macht 2005, S. 195–258; Reindl-Kiel, Pracht und Ehre 1997, S. 161–189; Reindl-Kiel, East is East 2005, S. 113–123; Faroqhi, Bringing Gifts 2011, S. 383–402.
- ^ Zum Geschenkwesen als Kostenfaktor im Botschaftsetat und Element einer Geschichte der Materialität von Diplomatie vgl. Talbot, British-Ottoman Relations 2017, S. 105–140; Graf, Preis der Diplomatie 2016; Rudolph, Ökonomische Grundlagen 2013, S. 239–263.
- ^ Vgl. z.B. den Bericht des französischen Botschafters Girardin vom 2. Mai 1686, BNF FR 7164, fol. 180r; sowie Talbot, British-Ottoman Relations 2017, S. 131–132, über eine erfolgreiche Absprache im Jahr 1775.
- ^ Zur Schwierigkeit der Abgrenzung von informeller und formaler Interaktion bzw. offiziellen und inoffiziellen Akteuren vgl. Osborne / Rubiés, Introduction 2016, S. 319 sowie demnächst Pohlig, Formalität.
- ^ Zur diplomatischen Funktion des şeyhülislam vgl. White, Fetva Diplomacy 2015, S. 199–221; sowie Yurkadul, Şeyhülislam 2009, S. 524–525.
- ^ Akyıldız, "reisülküttab" 2009.
- ^ Schon der Vergleich der mehrsprachig ausgestellten Urkunden und Friedensverträge macht deutlich, dass Übersetzungen immer auch "Verdolmetschungen" bestehender Machtverhältnisse waren, wobei sie diese sowohl hervorheben als auch kaschieren konnten, vgl. Baramova, Übersetzung 2012, S. 197–205.
- ^ Vgl. Dursteler, Speaking in Tongues 2012, S. 47–77. Zur mediterranen "lingua franca" vgl. Dakhlia, Lingua franca 2008; Wansbrough, Lingua Franca 1996.
- ^ Gerade die Renegaten unter den osmanischen Funktionsträgern stellten durch ihre Beherrschung des Osmanischen ihre Loyalität mit dem Reich und der Dynastie unter Beweis, vgl. Woodhead, Ottoman Languages 2011, S. 143–158; Krstić, Of Translation and Empire 2011, S. 131–132.
- ^ Tijana Krstić hat gezeigt, dass die Pfortendolmetscher des 16. Jahrhunderts nicht nur eine pragmatische Funktion in der diplomatischen Praxis erfüllten, sondern unter anderem durch ihre literarischen Aktivitäten einen wichtigen Anteil an der Verbreitung des imperialen osmanischen Herrschaftsdiskurses in Europa hatten und damit zu wichtigen Akteuren im Prozess der transimperialen Kulturübersetzung wurden. Vgl. Krstić, Of Translation and Empire 2011, S. 131–132.
- ^ Zum Folgenden vgl. Janos, Panaiotis Nicousios 2005, S. 177–197; Camariano, Alexandre Mavrocordato 1970; Mansel, Constantinople 1995, S. 148–162; Livanios, Pride 2000, S. 1–22; Irmscher, Alexandros Mavrocordatos 1999, S. 589–592; Păun, "Well-born of the Polis" 2014, S. 64–66. Zu Mavrocordatos’ Rolle bei den Friedensverhandlungen von Karlowitz vgl. Mólnar, Friede von Karlowitz 2013, S. 197–220.
- ^ Vgl. de Testa / Gautier, Drogmans 2003; De Groot, Dragomane 2005; Rothman, Interpreting Dragomans 2009, S. 771–800.
- ^ De Groot, Dragomane 2005, S. 477.
- ^ Rothman, Interpreting Dragomans 2009, S. 781; De Groot, Dragomane 2005, S. 478–488 (Zitat S. 479); de Testa / Gautier, Drogmans 2003.
- ^ Peirce, Imperial Harem 1993; Pedani, Safiye’s Household 2000; Koller, Einblicke 2017; Gürkan, Touting 2015.
- ^ So gelang es beispielsweise dem französischen Botschafter Pierre Girardin direkt nach seiner Ankunft im Januar 1686, über seinen Klienten Jean-Baptiste Fabre, einen französischen Kaufmann, der seit Jahrzehnten in Istanbul die Geschäfte seines Marseiller Familienunternehmens führte, vorteilhafte Bedingungen für seine Antrittsaudienz beim kaimakam auszuhandeln.[66] Ein wichtiger Mittelsmann war dabei ein jüdischer Geschäftspartner Fabres namens Zafir, der zugleich ein Klient des kaymakam Kara Hassanağazade war.[66] Zafir wurde auf Fabres Initiative zu einem Dragoman der französischen Botschaft ernannt, womit er zwar weiterhin Untertan des Sultans blieb, gleichzeitig aber unter dem besonderen Schutz des Botschafters stand und die steuerlichen und rechtlichen Vorrechte der französischen nation genoss; der Posten als Dolmetscher blieb in diesem Fall rein nominell. Relation véritable de l’agence du S.r Jean Baptiste Fabre de Constantinople, MAE La Courneuve MD Turquie 105, fol. 93r–112v.
- ^ Vgl. von Thiessen, Diplomatie 2010.
- ^ Vgl. Talbot, British-Ottoman Relations 2017, S. 110; Vogel, Geschenke 2017.
- ^ Dokumentiert ist etwa die unter anderem durch informelle Geschenke wie Parfüms und Konfitüren besiegelte Freundschaft zwischen dem französischen Botschafter Pierre Girardin und dem Schwertträger (silâhdar aga) von Sultan Mehmed IV., Moralı Hasan. Der Schwertträger war ein hochrangiger Palastdiener, der in den bewegten Jahren nach der zweiten Wiener Türkenbelagerung gemeinsam mit dem Vorsteher der schwarzen Palasteunuchen (kızlar ağası) eine einflussreiche Machtposition am Sultanshof erlangt hatte, die allerdings nach dem Sturz Mehmeds IV. im Jahr 1787 gefährdet war. Über diese Krisenzeit hinweg gelang es Girardin und Moralı Hasan, einen regelmäßigen Kontakt zu pflegen, wobei sie fast ausschließlich über Mittelsmänner, etwa einen italienischen Renegaten, kommunizierten und nur einmal persönlich zusammentrafen. Beide profitierten für ihre persönlichen Karrieren erheblich von dieser Freundschaft. Vgl. Girardin, Journal de mon ambassade, BNF FR 7163, fol. 431r ; FR 7169, fol. 261r u. 326v°; FR 7170, fol. 173v. Zu Moralı Hassans Karriere Abou-El-Haj, The 1703 Rebellion, S. 84–85, 112.
- ^ Rycaut, The Present State 1686, S. 170.
- ^ Lünig, Theatrum ceremoniale 1719, S. 442–443. Vgl. auch Rycaut, The Present state 1686, S. 167–171.
- ^ Hierzu grundlegend Höfert, Feind 2003; Konrad, Türkengefahr 2011. Beispiele für die Verwendung des Topos aus der diplomatischen Korrespondenz der französischen Botschafter bei Vogel, A Sublime Illusion 2013.
- ^ Das von Natale Rothman eingeführte Konzept "trans-imperial subjects" wirkt der Gefahr einer Essentialisierung kultureller oder politischer Grenzen entgegen, indem es deren prozessualen und dynamischen Charakter hervorhebt und zugleich betont, dass die Hervorbringung und Aufrechterhaltung solcher Grenzen nicht allein ein Diskursphänomen ist, sondern an orts- und institutionengebundene Praktiken individueller Akteure geknüpft ist. Grenzen werden also gerade von jenen hervorgebracht, die sie überschreiten, vgl. Rothman, Brokering Empire 2012, S. 4–5, 11–15; zur Rezeption des Konzepts vgl. zuletzt Graf, Sultan's Renegades 2017; Van Gelder / Krstić, Introduction 2015, S. 93–105; Gürkan, His Bailo's Kapudan 2016, S. 280.
- ^ Vgl. Pedani, Safiye's Household 2000; Dursteler, Venetians 2006, S. 111–112; Gürkan, Touting 2015; Gürkan, Dishonorable Ambassadors? 2018.