Einleitung
Kooperationen zwischen den Osmanen und verschiedenen christlichen Gruppen und Personen begannen bereits im frühen 14. Jahrhundert, als der osmanische Staat selbst entstand. Trotz ihres muslimischen Glaubensbekenntnisses zögerten die Osmanen nicht, aus praktischen Gründen mit Christen zusammenzuarbeiten. Dagegen verbergen eine falsche Lesart der Ghaza (Heiliger Krieg)-Literatur1 und die konsequente Romantisierung des osmanischen Kampfes unter dem Banner des Islam die wahre Natur der Beziehungen zwischen Muslimen und Christen. Im Vordergrund stand kein unvermeidlicher Konflikt, sondern eine Kooperation, durch die kulturelle, ethnische und religiöse Abgrenzungen zu verschwinden schienen.
Die Osmanen kamen in Kontakt bzw. verbündeten sich mit Christen auf zwei Ebenen. Erstens gab es eine Reihe von einzelnen Christen, die in den Diensten der Osmanen standen. Meist, aber nicht immer, war dafür die Konversion zum Islam Voraussetzung. Es sollte nicht vergessen werden, dass die Osmanen ihre Herrschaft zunächst auf dem christlichen Balkan etablierten. Ihre pragmatische Haltung angesichts der komplexen ethnischen und religiösen Zusammensetzung der Grenzgebiete ermöglichte es ihnen, Christen in ihre Dienste zu nehmen, was zur Integration beitrug. Die Christen waren entscheidend für die frühen Erfolge des Osmanischen Reiches.2 Die Osmanen blieben keine fremde Herrscherkaste, sondern versuchten lokale Elemente in ihre Herrschaft einzubinden, um die Effizienz ihrer Regierung zu verbessern. Sie zögerten außerdem nicht, sich der Expertise ausländischer Christen zu bedienen oder ihnen Verträge anzubieten, wann immer es ihren eigenen Interessen entsprach. Zweitens verfügten die Osmanen über eine Anzahl von christlichen Bündnispartnern auf staatlicher Ebene. Sie waren mit ihren christlichen Nachbarn nicht permanent in Kämpfe verstrickt. Die Gesamtstrategie des Osmanischen Reiches basierte mehr auf strategischen, logistischen und pragmatischen Kalkulationen als auf religiösen Überzeugungen. Sie ermöglichte es den Osmanen, Bündnisse und Heiraten sowie Verträge mit christlichen Staaten zu schließen.3
Christen im Dienste der Osmanen
In der multikulturellen Umgebung der nordwestlichen anatolischen Grenzgebiete beruhten die frühen Erfolge der Osmanen auf ihrer Fähigkeit, lokale christliche Eliten, deren Kooperation die osmanische Herrschaft in der Region erleichterte, zunächst zu mobilisieren und mit der Zeit zu assimilieren. Zwei der bekanntesten dieser Elitefamilien, die in der frühen osmanischen Geschichte eine bedeutende Rolle spielten, waren die Mihaloğulları und die Evrenosoğulları. Der Begründer der ersten Familie, Köse Mihal (gest. ca. 1340), war ein Mitglied der byzantinischen Aristokratie,4 der Begründer der zweiten, Evrenos Beğ (gest. 1417), war entweder griechischer oder katalanisch/aragonesischer Herkunft.5 Ironischerweise erlangten Nachkommen der beiden Familien die erbliche Position des Kommandeurs der akıncı ("Angreifer")-Gruppen, deren Aufgabe es war, feindliche Gebiete zu attackieren und im Namen des Islam Ghaza, also Heiligen Krieg, zu führen.
An der Peripherie der islamischen Welt mussten die Osmanen Soldaten und Bürokraten aus den muslimischen Ländern des Ostens importieren. Dieser Mangel an Personal erleichterte das Eindringen christlicher Elemente in die osmanische Staatsstruktur. Neben der Etablierung bestimmter akındjı-Familien im osmanischen System wurden auch andere Institutionen ins Leben gerufen, um Christen im osmanischen Staatsapparat zu beschäftigen. Die bedeutendste war das System der devşirme ("Knabenlese"). Im Bemühen der Zentralregierung, die Kampftruppen aus dem Grenzgebiet, deren Loyalität fragwürdig war, durch ein loyales Militärkorps abzulösen, holten die Osmanen junge Männer aus christlichen Dörfern und assimilierten sie in das System der devşirme.6 Nachdem ihre Erziehung, bei der sie Türkisch lernen und zum Islam konvertieren mussten, abgeschlossen war, wurden sie in Militär und Verwaltung eingesetzt. Sie gehörten nun zum Hof des Sultans, der sich ihrer Loyalität sicher sein konnte, da sie im Gegensatz zu ihren muslimischen Kollegen weder unabhängig waren noch über Familienbindungen verfügten. Mit der Zeit wurde die devşirme-Gruppe stark genug, um sich gegenüber der türkisch-muslimischen Fraktion durchzusetzen und die osmanische Politik zu dominieren. Von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, als das System abgeschafft wurde, waren nur elf von insgesamt 78 osmanischen Großwesiren türkischer Herkunft. Alle andere waren devşirme mit folgenden ethnischen Hintergründen: bosnisch, kroatisch, armenisch, griechisch, italienisch, ungarisch, tscherkessisch, georgisch, pomakisch und abchasisch.7
Einige der hochrangigen Amtsträger mit devşirme-Hintergrund kamen aus prominenten christlichen Familien. Hass Murad Pasha (gest. 1468) und sein jüngerer Bruder Mesih Pasha (gest. 1501) waren Neffen des letzten byzantinischen Kaisers Konstantin XI. Palaiologos (1404–1453), während der am längsten dienende Großwesir von Mehmed II. (1432–1481)[], Mahmud Pascha (gest. 1474),8 zur serbischen Familie der Angelović gehörte, die wiederum mit dem byzantinischen Adel verwandt war.9 Die Osmanen nutzten nicht nur den byzantinischen Adel. Wo immer sie ein neues Territorium eroberten, versuchten sie das alte Steuer- und Verwaltungssystem zu bewahren und lokale Eliten in ihre eigene Administration zu integrieren.10 Diese Familien erleichterten den Übergang zur osmanischen Herrschaft und wurden dafür von den Osmanen gebührend belohnt. Einige wurden zur Bekehrung gezwungen, wie der Sohn des bulgarischen Zaren Konstantin II. (ca. 1370–1422), den Bayezid I. (1354–1403) hinrichten ließ.11 Andere dagegen ließen sich wegen der materiellen Anreize gerne auf das System ein. 1463 zum Beispiel gab es eine Massenkonversion von Bosniern, die aber darum baten, ihre Kinder trotzdem für das devşirme zu berücksichtigen.12 Einige Familien aus der Elite vertrauten ihre Söhne dem devşirme-System an, um ihren privilegierten Status zu bewahren. Mehrere Großwesire wie Rum Mehmed Pascha (gest. 1474/1475), Gedik Ahmed Pascha (gest. 1482), Hersekzâde Ahmed Pascha (1456–1517), Dukakinzâde Ahmed Pascha (gest. 1514) und Hadım Sinan Pascha (gest. 1517) waren aristokratischer Abstammung. Das bekannteste Bespiel ist Mehmed Sokolović (ca. 1505–1579), der das Vermögen seiner Familie vermehrte, indem er Verwandten einflussreiche Positionen zuschanzte. Sein Nepotismus war so stark, dass er sogar das Patriarchat von Peć im nordwestlichen Kosovo wiederbegründete und entweder seinen Bruder oder seinen Neffen als ersten Patriarchen installierte.13 Schließlich benutzten die Osmanen auch junge Adlige, die sie im Krieg gefangen genommen hatten, indem sie sie in ihren Verwaltungsapparat eingliederten, wie zum Beispiel Djighâlâzâde Yusuf Sinan Pascha (ca. 1545–1605), der Mitglied der aristokratischen Genueser Familie der Cicala war. Er war zusammen mit seinem Vater, der ein berühmter Korsar im Dienste der Habsburger gewesen war, 1561 gefangen genommen worden. Der Vater wurde gegen Lösegeld freigelassen, aber sein Sohn musste bei den Osmanen bleiben und wurde in die Palastschule Enderûn geschickt.14 Er wurde zu einem bedeutenden Staatsmann und bekleidete wichtige Ämter, u.a. wurde er Großwesir (1596) und Groß-Admiral (1591–1595, 1599–1604). Gleich zweifach wurde er außerdem ein Schwiegersohn der osmanischen Dynastie.15
Eine andere Art, durch die christliche Adlige in Kontakt mit der osmanischen Welt kamen, war die osmanische Praxis, ihre christlichen Vasallen zu zwingen, Söhne als Geiseln zur Verfügung zu stellen. Dies brachte den Osmanen zwei Vorteile: Sie konnten erstens die jungen Prinzen als Druckmittel gegen ihre Väter nutzen, wenn Letztere ihren Verpflichtungen gegenüber den Osmanen nicht nachkamen. Zweitens lernten diese zukünftigen osmanischen Vasallen, die in der christlichen Enklave des osmanischen Hofes aufwuchsen, die osmanische Kultur und Administration kennen. Als Beispiele illustrer Geiseln seien genannt: vier Söhne von Carlo I. Tocco (1370–1429), dem Despoten von Epirus, zwei Söhne von Vlad Dracul (ca. 1390–1447), dem Woiwoden der Walachei (einer von ihnen wurde der berüchtigte Vlad Ţepeş, Vlad der Pfähler (ca. 1431–1476)[], der als Vorlage für die literarische Figur des Dracula diente) sowie der albanische Nationalheld Georg Kastriota (ca. 1405–1468), auch bekannt als Skanderbeg[] und drei seiner Brüder. Skanderbeg, Sohn eines lokalen Herrschers in Albanien, wuchs im osmanischen Palast auf, konvertierte zum Islam und erhielt den muslimischen Namen İskender. Nachdem er die Palastschule absolviert hatte und sich als fähiger Kommandeur erwiesen hatte, bekam er eine Pfründe in seinem Herkunftsland Albanien, wo er sich schließlich gegen die Osmanen wandte.16
Während eine Rekrutierung in das System der devşirme mit der Bekehrung einherging, konnten Christen auf der Provinzebene im osmanischen Militär dienen, ohne ihre Religion aufzugeben.17 Normalerweise wurden sie als Hilfstruppen eingesetzt; sie hatten aber auch Zugang zum angeseheneren Timarsystem. Dabei handelte es sich um eine Art Lehenswesen, in welchem dem Timariot (Timar-Inhaber) im Tausch für Militärdienste für eine begrenzte Zeit Land zur Verfügung gestellt wurde.18 Außerdem gab es in der osmanischen Armee einige Kontingente aus christlichen Vasallen, die an der linken Flanke der Armee postiert wurden und zwar dort, wo die Rumili askeri, "die Balkansoldaten", standen. Diese Christen kämpften gut: In der Schlacht von Ankara (1402) kämpfte das serbische Kontingent unter dem serbischen Knez Stefan Lazarević (1374–1427) länger als die meisten muslimischen Soldaten, die entweder die Seiten wechselten oder flohen.19
Es gab auch Christen in der Marine. Wir wissen nicht viel über die frühe osmanische Marine. Aus verstreuten Informationen in westlichen Quellen wissen wir jedoch, dass die Osmanen in ihren Flotten bereits im 15. Jahrhundert auch Christen einsetzten. Im Jahr 1416 fand der venezianische Admiral Pietro Loredan (ca. 1482–1570) Genueser, Sizilianer und Katalanen unter gefangengenommenen osmanischen Seeleuten vor.20 Weitere Beispiele lassen sich unter den osmanischen Korsaren in Nordafrika finden. Diese Kämpfer aus den Grenzgebieten, die zwischen zwei Zivilisationen operierten, hatten Ähnlichkeiten mit den frühen osmanischen Ghazîs,21 mit denen sie ihrer tolerante Natur und die kosmopolitische Umgebung, in der sie sich bewegten, teilten. Die Osmanen hatten keine Vorbehalte, die armen, aber fähigen Seeleute der westlichen Mittelmeerinseln, vor allem aus Sardinien und Korsika, zu beschäftigen, die nur durch Piraterie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten.22 Einer der berühmtesten dieser Korsaren, Giovanni Dionigi Galeni (1519–1587), bekannt als Uluç (Kılıç) 'Alî Pasha, war der Sohn eines kalabrischen Fischers. Als Gefangener der Korsaren machte er bei ihnen eine brillante Karriere, die er als osmanischer Groß-Admiral (1571–1587) beendete.23
Die Osmanen nutzten Christen aber nicht nur als Soldaten, sondern bedienten sich auch ihrer militärischen, diplomatischen, kulturellen und linguistischen Kenntnisse. Ein gutes Beispiel davon lässt sich am osmanischen Arsenal beobachten. In pragmatischer Weise entschieden die Osmanen, sich in maritimen Angelegenheiten fast ausschließlich auf christliche Expertise zu verlassen. Einige dieser Christen waren Sklaven, und die Osmanen zögerten, sie frei zu lassen, weil sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst waren. Einige Sklaven konvertierten und gründeten Familien mit einheimischen Frauen. Für diejenigen, die Christen blieben, bauten die Osmanen eine Unterkunft, die Calabria Nuova genannt wurde.24 Die Venezianer, die Hauptrivalen der Osmanen in der Levante, erwogen ernsthaft, diese Sklaven, die "das Rückgrat der osmanischen Seestreitkräfte" ausmachten, gegen Geld auszulösen.25 Weiterhin dienten viele Christen, zumeist Griechen von den ägäischen Inseln, die unter venezianischer Kontrolle standen, freiwillig im osmanischen Arsenal – sehr zum Ärger der Venezianer. Letztere unternahmen große Anstrengungen, den Zustrom dieser armen Christen in osmanische Dienste zu verhindern – allerdings ohne Erfolg.
Die Osmanen beschäftigten Christen wegen ihrer technischen Kenntnisse auch in der Armee. Eine Anzahl von deutschen, ungarischen, slawischen, französischen, venezianischen, genuesischen, spanischen, sizilianischen und englischen Militärexperten, wie zum Beispiel Meister Orban (gest. 1453) "der Ungar" und Jörg von Nürnberg, dienten in der osmanischen Armee und halfen den Osmanen, mit der neuen europäischen Militärtechnologie bezüglich Schusswaffen und Kanonen Schritt zu halten.26 Ausländer spielten in späteren Jahrhunderten eine noch wichtigere Rolle im Technologietransfer, als die Militärreform das wichtigste Anliegen der Osmanen wurde.27
Außerdem beschäftigte der osmanische Palast bisweilen eine kleine Anzahl christlicher Wissenschaftler und Künstler. Mehmed II., der als "Ost-West Mensch" bezeichnet wurde,28 zeigte zum Beispiel ernsthaftes Interesse an europäischer Wissenschaft und Kultur. Er beschäftigte bekannte Christen in seinem Palast: den Geographen Georgios Amyrutzes (1400–1470) und seinen Sohn Mehmed Bey, den Archäologen Cyriacus von Ancona (ca. 1391–1452), die Historiker Michael Critoboulos von Imbros (ca. 1410–ca. 1470) und Vincento G. Mario Angiolello (ca. 1451/1452–1525), den Maler Gentile Bellini (ca. 1429–1507) und den Bildhauer Matteo de' Pasti (gest. 1467).29 Schließlich profitierten die Osmanen auch von der linguistischen und kulturellen Expertise ihrer christlichen Untertanen und setzten sie als Übersetzer und Diplomaten ein.30
Interessanterweise gab es auch Europäer außerhalb des osmanischen Verwaltungssystems, die über einen beträchtlichen Einfluss in der osmanischen Hauptstadt verfügten,31 zum Beispiel Andrea Gritti (1455–1538) und Alvise (Ludovico) Gritti (1480–1535).32 Bevor Ersterer ein gefeierter General und Doge von Venedig (1523–1538) wurde, war er ein Getreidekaufmann in Konstantinopel gewesen, wo er wichtige Kontakte zur osmanischen Verwaltung knüpfte. Die Karriere von Alvise Gritti, einer von seinen drei illegitimen Söhnen, berühmt geworden unter dem Namen Beyoğlu ("der Sohn des Dogen"), ist sogar noch interessanter. Seine Umstände verbesserten sich durch die Freundschaft, die ihn sowohl mit Süleyman I. (1494–1566) als auch mit dessen mächtigen Großwesir İbrahim Pascha (ca. 1493–1536) verband. Er versuchte sich von Erstgenanntem zum König von Ungarn krönen zu lassen. Obwohl er von seinen Rivalen ermordet worden war, bevor sich seine Ambitionen erfüllten, war er nicht der letzte seiner Art. Viele andere Christen hatten bedeutenden Einfluss in Konstantinopel: flüchtige Adlige wie Comte Claude Alexandre de Bonneval, auch bekannt als Humbaracı Ahmed Pasha (1675–1747), und Tököly Imre (1657–1705), Militärexperten wie Baron François de Tott (1733–1793) und Graf Helmuth von Moltke (1800–1891)[] sowie exilierte Monarchen, wie der schwedische König Karl XII. (1682–1718), der in Konstantinopel nach seiner Niederlage gegen die Russen bei Poltawa (1709) Schutz gesucht hatte.
Die Beschäftigung von Christen vereinfachte den Transfer von Informationen, Ideen und Technologien zwischen Europa und den Osmanen. Der Transfer wissenschaftlicher Kenntnisse aus Europa in das Osmanische Reich und umgekehrt beschränkte sich auf wenige Werke, wie die berühmte Landkarte von Pîrî Re'îs (1470–1554/1555)33 und Arbeiten von Mustafa Fayzî,34 Kâtib Çelebi (1609–1657)35 und Vasîm 'Abbas,36 sowie auf einige Übersetzungen aus europäischen Quellen.37 Deshalb spielten Christen nur eine geringe Rolle in diesem begrenzten Transfer – bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als die europäische Kultur und Wissenschaft begannen, das Osmanische Reich gründlich zu durchdringen.38 Vor dieser Zeit bestand der tatsächliche Beitrag der Christen eher darin, den direkten Transfer europäischer Technologie (u.a. auch von Gegenständen nicht-militärischer Natur, wie zum Beispiel die Druckerpresse)39 dank ihrer Vertrautheit mit westlichen Ideen und Innovationen zu erleichtern.
Osmanische Bündnisse mit christlichen Staaten
Die Vorstellung, dass die Osmanen eine konstante Bedrohung für die europäischen Staaten darstellten, beruht auf zwei Trugschlüssen. Der erste besteht a priori in der Annahme, dass zwei gegensätzliche kulturelle Einheiten unweigerlich miteinander in Konflikt geraten müssen. Nach dieser Logik hätten sich die Osmanen in permanenter Auseinandersetzung mit dem christlichen Europa befinden müssen. Diese Behauptung lässt sich kaum mit historischen Fakten belegen. Arbeiten jüngeren Datums heben hervor, dass die Osmanen mit ihren christlichen Rivalen sowohl kooperierten als auch mit ihnen in Wettbewerb standen.40 Meistens war der Transfer von Menschen, Ideen, Technologien und Waren, nicht zu reden von militärischen Allianzen und kommerziellen Abkommen, die Norm. Selbst zwischen den größten Rivalen existierte in gewissem Maße auch ein gegenseitiges Verständnis.
Die Osmanen besaßen eine "Gesamtstrategie", wenn es um ihre Außenpolitik ging. Dokumente aus den osmanischen Archiven über Informationsgewinnung, militärische Versorgung und strategische Planung zeigen, wie umsichtig die Osmanen waren, wenn es darum ging, vorhandene Kapazitäten und logistische Hindernisse ebenso einzuschätzen wie die möglichen Vorteile militärischer Aktionen.41 Diese Berechnungen waren die Basis osmanischer Außenpolitik, die mehr auf Rationalität als auf kulturellen oder religiösen Überzeugungen beruhte. Dasselbe galt für die Europäer. Sie waren nicht nur untereinander zerstritten, was konzertierte Aktionen gegen die Osmanen behinderte. Vielmehr suchten sie auch osmanische diplomatische und militärische Unterstützung und verfolgten ihre eigenen Interessen auf Kosten der Universitas Christiana.
Der zweite Trugschluss liegt darin, dass der osmanische Einfluss auf die europäische Diplomatie nicht gewürdigt wird. Da die Osmanen eine andere Religion und Kultur sowie eine andere Regierungsform (Despotismus) besaßen,42 wurden sie nicht als Teil Europas angesehen und ihre Rolle in der europäischen Diplomatiegeschichte entsprechend heruntergespielt. Diese Position wurde wiederholt von einigen Historikern kritisiert.43 Die Osmanen versuchten, sich selbst als Europäer darzustellen, besonders wenn es darum ging, sich in den Augen ihrer europäischen Untertanen zu legitimieren und Ansehen unter den europäischen Staaten zu gewinnen. Einige osmanische Sultane strebten danach – und glaubten es vielleicht sogar selbst –, römische Cäsaren, Kayser-i Rum, zu sein. Mehmed II., der Eroberer von Konstantinopel, hatte keine Scheu, die Propaganda zu nutzen, die die osmanische mit der Dynastie der Komnenen verband. Er betrachtete sich selbst nach 1453 als den wahren Erben des römischen Thrones und beseitigte die letzten Rest-Enklaven byzantinischer Macht in Morea und Trapezunt. Im Jahr 1532 antwortete Süleyman I. auf die Krönung Karls V. (r. 1515–1556) in Bologna zwei Jahre zuvor, indem er eine Krone im europäischen Stil trug und Militärparaden europäischer Art veranstaltete – mit europäischen Gesandten an seiner Seite, und zwar in Belgrad statt in Konstantinopel.44 Offensichtlich war das Bestandteil seines Propagandakrieges gegen die universalistischen Ansprüche des habsburgischen Kaisers. Die osmanische Kanzlei des Sultans bezeichnete Letzteren in völliger Ablehnung seines kaiserlichen Status nur als kral ("König").45
Dennoch beweist allein die Tatsache, dass die Osmanen sich selbst als einen Bestandteil der europäischen Diplomatie betrachteten, noch nicht, dass sie tatsächlich ein solcher waren. Der Autor dieses Beitrages hat nicht die Absicht, das negative Image der Osmanen unter den Christen zu übersehen, die ihre muslimischen Nachbarn als eine konstante Bedrohung wahrnahmen. Er ignoriert auch nicht das sich daraus ergebende Reputationsproblem, das einem christlichen Herrscher entstanden wäre, wenn er sich auf ein offenes Bündnis mit dem ungläubigen osmanischen Sultan, der größten Bedrohung der Christenheit, eingelassen hätte. Die bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts beständige osmanische Expansion in Europa war für dieses negative Image verantwortlich. Der Fall christlicher Bastionen, wie Konstantinopel (1453), Belgrad (1521), Rhodos (1522), Buda (1541) und Zypern (1571), ebenso wie die Belagerungen von Wien (1529) und Malta (1565), erzeugten Misstrauen und Angst unter den Christen.
Dieses negative Image hatte offensichtliche politische Konsequenzen. Es führte zu einer Anzahl von kreuzzüglerischen Expeditionen, die bis 1683 ohne militärischen Erfolg blieben – mit der erwähnenswerten Ausnahme von Lepanto (1571). Bis zu einem gewissen Grad verhinderten es diplomatische Beziehungen zwischen Osmanen und Christen, jedoch waren diese Hindernisse keineswegs unumgehbar und unabänderlich. Christliche Herrscher, die erkannten, dass sich die Osmanen gegen ihre regionalen Rivalen nutzen ließen (eine lange Liste, auf der auch Päpste zu finden sind), fanden Wege, um ein Bündnis mit dem "Ungläubigen" einzugehen, bisweilen auch auf Kosten der eigenen Reputation. Das galt insbesondere für geographisch weiter entfernte Staaten, wie Frankreich, England, die Niederlande und Schweden. Je ferner die Bedrohung, desto geringer die Furcht. Selbst diejenigen, die ständig von einer osmanischen Invasion bedroht waren, wie zum Beispiel die italienischen Staaten im 15. Jahrhundert, erbaten osmanische Unterstützung gegen ihre regionalen Widersacher. Kurz: Trotz der oben erwähnten Gegensätze, die aufgrund von Wahrnehmung, Rhetorik und Propaganda entstanden waren, waren die Osmanen Bestandteil der europäischen Diplomatie; ein besonderer Bestandteil, gewiss, aber auf alle Fälle ein Bestandteil.
Religiöse Unterschiede schufen auch ein Reputationsproblem für die Sultane. Trotz des rationalen Charakters osmanischer Außenpolitik musste ein offenes Bündnis mit Ungläubigen immer noch religiös gerechtfertigt werden. Nach Ansicht muslimischer Juristen konnte ein Friede zwischen einem christlichen und einem muslimischen Herrscher existieren, so lange Ersterer die Oberherrschaft von Letzterem anerkannte und ihm Tribut zahlte.46 Auf der Basis dieser Formel legalisierten die Osmanen ihre Vasallen-Abkommen und politischen Bündnisse mit christlichen Mächten bis zum 19. Jahrhundert. In der Theorie wurden solche Abkommen deshalb nicht zwischen gleichrangigen Mächten geschlossen, sondern stellten eher einseitige Konzessionen des muslimischen Herrschers dar. Die Unterordnung der christlichen Seite wurde in den Klauseln der 'ahdnâmes ausdrücklich vorgeschrieben.47 Dennoch gab es verschiedene Ausnahmen von diesem Anspruch der Überlegenheit. Sie kamen nicht nur in der frühen osmanischen Geschichte vor, als es Bündnisse auf gleicher Ebene sowie Heiraten zwischen den Osmanen und christlichen Dynastien gab.48 Auch auf dem Höhepunkt seiner Macht erkannte das osmanische Reich, zum Beispiel im Frieden von Zsitvatorok (1606),49 den habsburgischen Kaiser als Gleichgestellten des Sultans an.50
Die frühen Osmanen verfolgten eine vielschichtige Politik gegenüber dem byzantinischen Reich. Statt es die ganze Zeit zu bekämpfen, schlossen die Osmanen Allianzen mit den byzantinischen Kaisern, insbesondere wenn Bürgerkrieg herrschte. Diese Politik ermöglichte den osmanischen Angreifern, sich mit dem Terrain Thrakiens bekannt zu machen und es am Ende zu erobern. Als die Osmanen alle byzantinischen Territorien außer Konstantinopel besetzt hatten, reduzierten sie den Spielraum der byzantinischen Kaiser darauf, Kontingente für die osmanische Armee zu senden und diese manchmal sogar persönlich zu kommandieren. Die Byzantiner leisteten den Osmanen auch diplomatische Dienste. Es war der byzantinische Kaiser Johannes V. Palaiologos (1332–1391), der zweimal nach Phokaia reiste und 1356 den Genuesern 100.000 Dukaten zahlte, um Orkhans (gest. 1362) Sohn Halil (1347–1362) auszulösen. Außerdem zahlten sie den Osmanen Tribut. Manuel II. (1350–1425) lieferte ihn 1399 sogar persönlich in der osmanischen Hauptstadt ab. Osmanische Sultane, wie Murad I. (1326–1389), der 1347 seine Stiefmutter, die byzantinische Prinzessin Theodora Kantakouzenos (geb. 1332), begleitete, und Mehmed I. (1382–1421), der aus Anatolien nach Thrakien über den Bosporus reiste, besuchten ihrerseits auch Konstantinopel. Byzantinische Kaiser mischten sich auch in die osmanische Politik ein und intervenierten in osmanischen Bürgerkriegen. Sie boten rebellischen osmanischen Prinzen und Thronanwärtern Zuflucht, um sie als politisches Druckmittel zu nutzen. Ironischerweise starb der osmanische Prinz Orhan (gest. 1453) bei der Verteidigung von Konstantinopel gegen die Osmanen. Schließlich sollte auch das byzantinische Zögern erwähnt werden, die Kirchenunion des Konzils von Basel-Ferrara-Florenz (1431–1445) zu bestätigen. Der letzte Megas Doux ("Großherzog" bzw. "Groß-Admiral") Loukas Notaras (gest. 1453) notierte, dass die Byzantiner den muslimischen Turban in Konstantinopel der lateinischen Mitra vorzögen. Die byzantinische Kirche schien von der osmanischen Herrschaft profitiert zu haben, unter der sie relativ frei operieren konnte. 1454 ernannte Mehmed II. den Hauptgegner der Kirchenunion, Georgios Scholarios (ca. 1400–ca. 1473), zum Patriarchen Gennadios II. von Konstantinopel. Der Patriarch besaß nicht nur die geistliche, sondern auch die zivile Autorität (z.B. zur Erhebung von Steuern und Klärung rechtlicher Streitigkeiten) über das orthodoxe millet im Reich. Er hatte als Vermittler zwischen der osmanischen Administration und der orthodoxen Gemeinschaft zu fungieren. Deshalb konnten die byzantinischen Eliten innerhalb der Struktur der orthodoxen Kirche ihren privilegierten Status bewahren.51 Außerdem erwarben Geschäftsleute und Bankiers, wie zum Beispiel Michael Kantakouzenos im 16. Jahrhundert, eigene Vermögen, während es griechisch sprechenden Phanarioten-Familien52 gelang, sich zu hospodars ("Fürsten") ernennen zu lassen und die lokalen voivodas in der Walachei und Moldawien im 18. Jahrhundert abzulösen.
Die Osmanen fanden zusätzliche Alliierte auf dem Balkan. Der politisch zerstrittene Balkan erwies sich als hilfreich für das Vordringen der Osmanen, da er Gelegenheiten bot, eine christliche Macht gegen die andere auszuspielen. Letztere verbündeten sich nicht nur mit den Osmanen, sondern luden sie auch zur Intervention in ihre Bürgerkriege ein. Zuerst etablierten die Osmanen einen Vasallenstatus ihrer Partner und verlangten von ihnen auch militärische Kontingente. Danach gliederten sie diese Fürstentümer und ihre herrschenden Eliten allmählich in das Reich ein.53 Am Ende des 14. Jahrhunderts hatten die Osmanen ein solides Netzwerk von Vasallen aufgebaut, das es ihnen erlaubte, ihre Herrschaft auf dem Balkan zu konsolidieren. Bayezid I. versammelte alle seine Vasallen 1393 in Serez. Einige von ihnen kämpften, so wie Stefan Lazarević (1374–1427), mit den Osmanen 1396 gegen die Kreuzfahrer. Sogar während des elfjährigen Interregnum (1402–1413) nach der osmanischen Niederlage gegen die Timûrîs blieben die meisten von ihnen gegenüber den Osmanen loyal. Es gab aber auch Vasallenstaaten, die nie vollständig in das Reich inkorporiert wurden und ihre Autonomie behielten. Die Republik von Ragusa (osm.: Dubrovnik), die Donau-Fürstentümer Walachei und Moldawien (osm.: Eflâk und Boğdân, zusammen auch bezeichnet als Memleketeyn) und das Königreich Transsilvanien (osm.: Erdel) waren die bedeutendsten unter ihnen.54 Sie hatten gegenüber dem osmanischen Reich unterschiedliche Verpflichtungen: Sie stellten Ressourcen, Rohmaterialien, Agrarprodukte und Soldaten zur Verfügung; außerdem zahlen sie Tribute, sammelten Informationen und dienten als Puffer zwischen den Osmanen und ihren christlichen Rivalen. Um ihre Kontrolle über die Vasallen zu stärken, fügten die Osmanen der Entourage der Vasallen ein Janitscharen-Regiment hinzu. Sie behielten sich das letzte Wort in ihrer Wahl vor, spielten loyale Gruppen gegen andere aus und befestigten strategische Positionen. Deren Garnisonen mussten von der lokalen Bevölkerung finanziert werden. Dieses System funktionierte bis zu einem bestimmten Grad, obwohl die Osmanen in kritischen Zeiten auch plötzliche Seitenwechsel ihrer Vasallen zu ertragen hatten, zum Beispiel während des Langen Krieges zwischen 1593 und 1606.
Mit den italienischen Seefahrerstaaten kamen die Osmanen in Kontakt, als sie die ägäische Küste erreichten, wo die Genueser und die Venezianer einige Kolonien unterhielten. Die Rivalität zwischen diesen beiden und den Byzantinern erlaubte es den Osmanen, sich sowohl mit Genua als auch Venedig zu verbünden. Die früheste osmanisch-genuesische Allianz gegen die Byzantiner und die Venezianer datiert in die Mitte des 14. Jahrhunderts. Der erste Vertrag, der Angelegenheiten, wie kommerzielle Rechte und den Austausch von Gefangenen regelte, wurde 1387 unterzeichnet.55 1402 transportierten die Genueser osmanische Truppen über die Dardanellen, als Letztere vor der anrückenden Armee von Timûr (1336–1405) fliehen mussten. Dies wiederholte sich 1422 und dann noch einmal im Jahr 1444 in einer der schwierigsten Phasen der osmanischen Geschichte, als die osmanischen Armeen in Anatolien festsaßen, während eine Kreuzfahrer-Armee anrückte und Kriegsherren aus dem Grenzland sich der zentralen Autorität widersetzten.56 Die genuesische Kolonie bot sogar an, im Austausch für Baumaterial die Insignien von Murad II. (ca. 1403–1451) in die Christea Turris zu gravieren, den genuesischen Turm in der Zitadelle von Galata gegenüber von Konstantinopel.57
Trotz der unvermeidlichen politischen Spannung in den osmanisch-venezianischen Beziehungen und der verschiedenen Kriege, die beide gegeneinander führten, herrschte doch im allgemeinen Frieden und Kooperation vor.58 Die osmanische Expansion und die gleichzeitige venezianische Schrumpfung im östlichen Mittelmeer hinderten beide Seiten nicht daran, zusammenzuarbeiten. Die Venezianer waren der erste Staat, der dauerhafte diplomatische Beziehungen mit dem Osmanischen Reich aufnahm. Beide Seiten unterzeichneten einige Verträge und tauschten mehrere Botschafter aus.59 Bis zum 16. Jahrhundert hatte Venedig eine einzigartige Position im Westen: Basierend auf einem Netzwerk von diplomatischen Repräsentanten, Spionen und Kaufleuten in verschiedenen osmanischen Städten, war Venedig die einzige Quelle für Staaten, die Informationen über die Osmanen erhalten wollten.60 Um die Qualität ihrer nachrichtendienstlichen Arbeit und diplomatischen Vertretung zu erhöhen, gründeten die Venezianer 1551 sogar eine Sprachschule, Giovani di Lingua, in der Residenz ihres Repräsentanten (bailo) in Konstantinopel.61
Auch ergaben sich Gelegenheiten zur militärischen Kooperation zwischen Osmanen und Venezianern. Zum Beispiel erwog der venezianische Senat im Juli 1509 nach der Schlacht von Agnadello, die Osmanen um militärische Unterstützung gegen Ludwig XII. von Frankreich (1462–1515) zu bitten.62 Wiederholt wurden die Venezianer beschuldigt, die Osmanen nach Europa einzuladen, und dafür kritisiert, sich nicht den Heiligen Allianzen gegen die Osmanen anzuschließen.63 Die ambivalenten Beziehungen der Venezianer können wahrscheinlich mit ihrer Abhängigkeit vom Handel mit der Levante und von osmanischem Getreide erklärt werden. Diese venezianische Abhängigkeit und der Unwille, gegen die Osmanen die Waffen zu erheben, könnte der Kalkulation der Osmanen zugrunde gelegen haben, 1570 einen Botschafter nach Venedig zu senden und die Kapitulation von Zypern zu fordern. Das Angebot wurde im Senat nach ernsten Debatten abgelehnt, dennoch traten die Venezianer erst der Heiligen Allianz bei, als die Habsburger die sizilianischen Getreidespeicher für sie öffneten. Trotz des triumphalen christlichen Sieges 1571 bei Lepanto drängten die Venezianer bereits 1573 auf einen sofortigen Frieden. Sie akzeptierten den Verlust Zyperns, erklärten ihr Einverständnis zur Zahlung einer Kriegsentschädigung und enttäuschten damit ihre christlichen Verbündeten. Schließlich sollte nicht vergessen werden, dass Venezianer und Osmanen ein gemeinsames Problem hatten, seitdem die Portugiesen im Indischen Ozean eingetroffen waren, da die Umleitung der Gewürzhandelswege beide betraf.
Andere italienische Staaten griffen in geringerem Maße auf osmanische Unterstützung zurück und nutzen die osmanische Bedrohung als Druckmittel in diplomatischen Beziehungen. Die meisten der vorgeschlagenen Bündnisse kamen wegen logistischer Schwierigkeiten und dem daraus resultierenden Problem, gemeinsame militärische Aktionen umzusetzen, nicht zustande. Dennoch nahmen die Zeitgenossen die Möglichkeit osmanischer Einbindung in die italienischen Kriege sehr ernst und nutzten sie als Druckmittel in den diplomatischen Beziehungen.
Die Mailänder sahen die Osmanen als nützliches Werkzeug, um ihre diplomatischen Ziele im späten 14. und im 15. Jahrhundert zu verfolgen. Im Jahr 1395 informierte der Herzog von Mailand, Gian Galeazzo (1351–1402), aus Abneigung gegen die Franzosen die Osmanen über die anrückende Kreuzfahrer-Armee, in der sich mehrere führende französische Adlige befanden.64 Sein Enkel Filippo Maria Visconti (1392–1447) versuchte im Jahr 1421, die Osmanen zum Angriff auf Venedig zu überreden.65 Im letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts sandte Ludovico Sforza (1452–1508) verschiedene Botschafter zum osmanischen Sultan und versprach, gegen die Venezianer zu kämpfen, wenn er dafür militärische Unterstützung von den Osmanen bekäme.66
Auch die Könige von Neapel entwickelten gute Beziehungen zu den Osmanen. Um sich gegen ottomanische Angriffe auf die neapolitanischen Küsten zu schützen, begann Ferdinand I. (1423–1494) 1487 die Osmanen über die Pläne des Papstes bezüglich des osmanischen Prinzen Djem (1459–1495) zu informieren, der zu diesem Zeitpunkt in Rom als Geisel gehalten wurde.67 Im Jahr 1489 begleitete ein osmanischer Abgesandter neapolitanische Diplomaten nach Frankreich.68 Die Neapolitaner nutzten ihre Allianz mit den Osmanen auch als Drohung und 1495, als sie wegen einer französischen Intervention in Italien besorgt waren, gaben sie die Allianz öffentlich bekannt.69 Ein neapolitanischer Botschafter drohte den Venezianern sogar explizit, osmanische Soldaten auf die Halbinsel einzuladen.70 In Venedig gab es Gerüchte, die Neapolitaner hätten den Osmanen Otranto, Taranto und Brindisi angeboten, wenn sie für sie venezianische Territorien in Apulien eroberten.71 Auch als das Königreich Neapel unter fremde Herrschaft kam, zögerten sowohl der Adel wie auch die Städte nicht, nach osmanischer Hilfe zu rufen, wenn sie sich unterdrückt fühlten.72
Darüber hinaus unterhielten die Osmanen freundliche Beziehungen zum Herzog von Mantua, Federico II. Gonzaga (1500–1540),73 und forderten Emanuele Filiberto (1528–1580), den Herzog von Savoyen, auf, Ansprüche auf das venezianische Zypern zu erheben.74 Sie erwogen auch ein Bündnis mit den Florentinern gegen die Genueser durch Unterstützung für die rebellischen Korsen,75 deren Führer Sampiero de Bastelica (1498–1567) zu dieser Zeit mit entsprechenden Bitten in Konstantinopel vorstellig wurde.76 Sogar Päpste folgten dieser Praxis und nahmen diplomatische Beziehungen mit dem ungläubigen Sultan auf.77
Ein besonders effektives Bündnis war dasjenige zwischen Frankreich und den Osmanen. In ihrer Eigenschaft als Reges Christianissimi hatten sich französische Könige oft an der Kreuzzugspropaganda beteiligt und 1495 beinahe eine solche Mission unternommen.78 Der Aufstieg der Habsburger in Europa und die Gefangennahme des französischen Königs Franz I. (1494–1547) in der Schlacht von Pavia (1525) initiierte eine lange Periode der Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten. Sie tauschten Informationen aus, versuchten, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, und kooperierten militärisch. Französische Truppen halfen 1537 den Osmanen bei der Belagerung von Korfu. Die osmanische Flotte überwinterte 1543 und 1544 in Toulon nach der gescheiterten Belagerung von Nizza79 und unternahm in den 1550er Jahren gemeinsame militärische Operationen mit der französischen Flotte im Tyrrhenischen und Ligurischen Meer. 1569 gestanden die Osmanen Frankreich capitulations zu80 und förderten 1573 die Wahl des französischen Prinzen Henri de Valois (1551–1589), dem späteren Heinrich III., auf den Thron von Polen-Litauen.81 Die guten Beziehungen setzten sich im nächsten Jahrhundert fort, als beide Seiten nach wie vor in den Habsburgern einen gemeinsamen Feind besaßen. Der Krieg zwischen den Osmanen und der Heiligen Liga, bestehend aus Habsburg, Venedig, Polen, dem Kirchenstaat und Russland, in den Jahren 1683 bis 1699 fiel mit dem Krieg zwischen Frankreich und den Habsburgern in den Jahren 1688 und 1697 zusammen. Frankreich spielte auch die Rolle eines diplomatischen Mittlers zwischen den Osmanen und ihren christlichen Feinden. Im Jahr 1724 half es dabei, einen diplomatischen Vertrag zwischen Russland und dem Osmanischen Reich zu schließen. Der französische Botschafter spielte 1739 die Hauptrolle in den Verhandlungen um den Frieden von Belgrad. Mit einigen Ausnahmen unterhielten Frankreich und das Osmanische Reich fast bis zu Napoleons Invasion in Ägypten 1798 eine freundschaftliche Beziehung.
Eines der wichtigsten Ziele der osmanischen Gesamtstrategie in Europa bestand darin, eine Heilige Allianz zu verhindern. Die hart erkämpften Siege in den Schlachten von Varna (1444) und im Kosovo (1448), die Niederlage bei Lepanto (1571) und der desaströse Polnisch-Türkische Krieg (1683–1699) beweisen die Notwendigkeit dieser Politik. Die Osmanen waren bemüht, das christliche Europa untereinander zerstritten zu halten. Zu diesem Zweck suchten sie nicht nur politische Verbündete, sondern beförderten auch die religiöse Fragmentierung in Europa. Sobald der Protestantismus eine politische Macht wurde und begann, die habsburgische Hegemonie in Europa herauszufordern, entschieden sich die Osmanen, die Situation zu ihrem Vorteil auszunutzen. Im 16. Jahrhundert hatten sie Briefwechsel mit protestantischen Gruppen im Heiligen Römischen Reich,82 Frankreich83 und den Niederlanden.84 Weiterhin unterstützten sie Heinrich von Navarra (den späteren Heinrich IV., 1553–1610) in seinem Anspruch auf den französischen Thron. 1577 versprachen sie, die osmanische Flotte zur Unterstützung der französischen Protestanten im Süden (Midi) zu senden.85 Die anti-habsburgische Politik von Elizabeth I. (1533–1603) führte auch zu einer anglo-osmanischen Annäherung. In der Folge wurde England militärische Unterstützung versprochen und mit einem kommerziellen Abkommen belohnt.86 Diese Kooperation setzte sich auch im 17. Jahrhundert fort. Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges hielten sich Delegationen der böhmischen und ungarischen Stände sowie ein Abgesandter des calvinistischen Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632), des Anwärters auf den böhmischen Thron, in Konstantinopel auf, um militärische Unterstützung gegen die Habsburger zu suchen. Obwohl die Osmanen nicht direkt die habsburgischen Länder angriffen, sandten sie doch einen Botschafter nach Prag. Außerdem attackierten sie Habsburgs Verbündeten Polen und ermunterten ihren Vasallen, den transsilvanischen Fürsten Bethlen Gábor (1580–1629), in habsburgische Territorien einzudringen.87
An der östlichen Front schlossen die Osmanen mit lokalen Kriegsherren, von denen einige Christen waren, Bündnisse und etablierten Vasallenverhältnisse. Unter Druck gesetzt sowohl von den Osmanen als auch von den Safavîs, versuchten diese Kriegsherren ihre Unabhängigkeit zu bewahren, indem sie beide Mächte gegeneinander ausspielten. Für die Osmanen spielt die Hilfe dieser Kriegsherren in ihren Kriegen mit den Safavîs aus diplomatischen wie militärischen Gründen eine zentrale Rolle.
Mit dem Aufkommen der Orientalischen Frage, dem Problem, wie das Osmanische Reich aufzulösen sei, ohne die fragile Machtbalance zwischen den europäischen Staaten zu zerstören, wurde die territoriale Integrität des Osmanischen Reiches zu einem internationalen Problem. Im letzten Jahrhundert seiner Existenz versuchte das Osmanische Reich, sein Bestehen zu sichern, indem es die europäischen Mächte gegeneinander ausspielte und gleichzeitig Unterstützung für Modernisierungsbemühungen suchte. Die Großmächte wiederum fochten um Einfluss in Konstantinopel und versuchten – zumindest bis 1878 – die territoriale Integrität des Osmanischen Reiches zu wahren. Zu diesem Zwecke intervenierten 1840 Russland und England auf Seiten der Osmanen gegen den rebellischen Gouverneur von Ägypten, Muhammad 'Alî (1769–1849). Frankreich, England und Sardinien-Piemont kämpften gegen die Russen im Krimkrieg (1853–1856). Der deutsche Kanzler Otto von Bismarck (1815–1898) berief 1878 den Berliner Kongress ein, um Russlands einseitige Gewinne im Krieg von 1877/1878 rückgängig zu machen. Schließlich überzeugte der wachsende deutsche Einfluss in den letzten Jahren des Reiches die Osmanen davon, am Ersten Weltkrieg teilzunehmen.
Botschaften, die von europäischen Mächten in Konstantinopel und anderen wichtigen Städten eingerichtet wurden, waren bedeutende Zentren des Transfers. Sie beförderten den Handel, indem sie sich um ihre Kaufleute kümmerten; sie versorgten ihr Heimatland regelmäßig mit Berichten, nicht nur über politische Ereignisse, sondern auch über kulturelle und religiöse Besonderheiten der osmanischen Gesellschaft;88 sie stellten Kontakte mit osmanischen Untertanen her, die sie in den Botschaften beschäftigten; sie gaben an die Osmanen selektive Informationen über Ereignisse und Entwicklungen in Europa weiter – selbstverständlich nur bis zu einem bestimmten Grad und sofern es ihren diplomatischen Zielen diente. Einige Beschäftigte in den Botschaften entwickelten eine eindrucksvolle Kenntnis der osmanischen Kultur und Gesellschaft und verfassten darüber im 19. Jahrhundert wichtige Werke. Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856)[], ein Diplomat in der österreichischen Botschaft in Konstantinopel, übersetzte osmanische Manuskripte und verfasste mehrere Bücher über osmanische Kultur und Geschichte.89 Ignatius Mouradgea d'Ohsson (1740–1807), ein osmanischer Armenier im Dienste der schwedischen Botschaft, schrieb ausführlich über Kultur, Religion und Verwaltung des Osmanischen Reiches.90 Sein Sohn Constantin (1779–1851) verfasste Werke zur Geschichte der Mongolen und den Völkern des Kaukasus.91
Obwohl sie selbst bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine festen Botschafter in anderen Staaten hatten, nutzten die Osmanen dennoch die offenen Kanäle der Diplomatie, um Informationen über die christliche Welt zu erhalten.Im Jahr 1721 wurde der osmanische Botschafter für Frankreich, Yirmisekiz Mehmed Çelebi (gest. 1732), angehalten, nicht nur politische Ziele zu verfolgen, sondern auch detaillierte Informationen über Frankreich zu gewinnen. Von osmanischen Botschaftern verfasste Reiseberichte (sefaretnâme) waren beliebter Lesestoff bei der osmanischen Elite. Sie enthielten nicht nur Informationen über Regierungen, Militär und Technik, sondern auch über Künste, Alltagsleben, Architektur, Manieren und Moden des christlichen Europas. Es war kein Zufall, dass Mehmed Çelebis Sohn Sa'îd Çelebi (gest. 1761), der ihn nach Frankreich begleitete, später İbrahim Müteferrika (1674–1745) in seinen Bemühungen unterstützte, den Buchdruck im osmanischen Reich zu etablieren.
Schluss
Dass es pragmatische Überlegungen waren, die die Osmanen veranlassten, sich die Dienste der sie umgebenden Christen zunutze zu machen, zeigt sich an der Einbindung von einzelnen Christen ebenso wie an den Bündnissen, die die Osmanen mit christlichen Mächten schlossen.
Die Osmanen bauten ihr Reich im nordwestlichen Anatolien und auf dem Balkan auf, wo sie sich von ihren christlichen Untertanen eingekreist fanden. Dies veranlasste sie, ihre christlichen Untertanen relativ gut zu behandeln und eine Politik der Beschwichtigung zu betreiben, um die osmanische Herrschaft zu erleichtern (İstimâlet). Durch ihren Status als dhimmi ("beschützt") genossen die Christen im Osmanischen Reich im Allgemeinen Sicherheit und Frieden, zumindest bis zum 19. Jahrhundert. Die Osmanen beschäftigten Christen und banden sie in die osmanische Elite ein, die aus Familien mit diversen ethnisch-religiösen Hintergründen bestand. Kurz gesagt, obwohl das Osmanische Reich ein muslimisches Gemeinwesen war, hatten darin auch die christlichen Untertanen ihren Platz, deren Kooperation die Osmanen zu gewinnen suchten.
Die Osmanen entwickelten auch eine rationale Strategie im Umgang mit christlichen Staaten. Obwohl sie ein Reich regierten, das auch auf den christlichen Balkan ausgriff, bestanden die Beziehungen zwischen den Osmanen und ihren christlichen Gegenübern nicht aus einem unversöhnlichen Konflikt. Diplomatische Allianzen, militärische Kooperation und Handelsabkommen schufen einen modus vivendi zwischen den Osmanen und Europa. Dadurch konnten Ideen, Waren und Technologie mit größerer Leichtigkeit transferiert werden, als man es ursprünglich für möglich gehalten hatte. Dieser Austausch gewann im 19. Jahrhundert besonderen Schwung. Die Bemühungen um Modernisierung und Verwestlichung, die im militärischen Bereich begannen, waren unternommen worden, um den Abstieg des Osmanischen Reiches im Vergleich zu seinen europäischen Rivalen aufzuhalten. Sie umfassten allmählich alle Aspekte der osmanischen Verwaltung, Kultur und Gesellschaft: Europäische Verwaltungspraktiken und politische Ideen sowie kulturelle Aspekte (Kleidung, Bildung, Sprachen oder Kunstformen) wurden in das klassische osmanische System aufgenommen, wodurch es radikal verändert und verwestlicht wurde.