Komponist, Dirigent[]
evangelisch-lutherisch
* 22.02.1817 in Kopenhagen
† 21.12.1890 in Kopenhagen
Zur Person
Der Däne Niels Wilhelm Gade bietet ein eindrucksvolles Beispiel für erfolgreichen kulturellen Transfer zwischen Deutschland und Dänemark im 19. Jahrhundert. Gade durchlief seine musikalische Ausbildung zunächst als Violinist in der Königlichen Kapelle in Kopenhagen. Gleichzeitig jedoch nahm er Theorieunterricht bei dem dänischen Komponisten Andreas Peter Berggreen (1801–1880). Dieser beeinflusste seinen Schüler besonders im Hinblick auf die Entwicklung einer nationalen Identität, die Berggreen mit musikalischen Mitteln auszudrücken versuchte.1 Als einer der ersten in Dänemark formulierte Berggreen eine Art Ästhetik der Nationalmusik. Ihre Grundlage war nach Berggreens Meinung die Volksmusik, die – ganz im Sinne Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778)2 – der Darstellung des Volkscharakters dienlich sein konnte. Gade nahm diese Vorlage an und komponierte auf der Basis von folkloristischen Modellen sinfonische Werke, die in Deutschland, insbesondere in Leipzig, einen unvergleichlichen Erfolg erzielten. Mit der Ouvertüre Efterklange af Ossian ("Nachklänge an Ossian") op. 1 von 1840 und der Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 5 von 1842 brachte der Däne einen fremdartigen Klang nach Mitteleuropa, den Robert Schumann (1810–1856) erstmalig als "Nordischen Ton"3 bezeichnete. Zentral für Gades späteres Wirken als Reformator im Kopenhagener Musikleben waren seine fünf Leipziger Jahre von 1843 bis 1848, in denen er in intensiven Kontakt mit u. a. Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) und Robert Schumann trat.
Die Leipziger Jahre regten Gade dazu an, das rückständige Kopenhagener Musikleben durch eine Umstrukturierung nach Leipziger Vorbild zu reformieren . Als Dirigent von Musikforeningen ("Musikverein") sowie als Direktor des 1867 gegründeten ersten dänischen Konservatoriums transferierte Gade den Leipziger Geist nach Kopenhagen und sorgte für seine dauerhafte Aneignung.
Andererseits vollzog sich auch im kompositorischen Schaffen Gades ein Wandel. Im Zentrum der Diskussionen mit Mendelssohn und Schumann stand die Begrenztheit von Nationalmusik, jener Musikästhetik, der Gade in seinen frühen Werken breiten Raum gegeben hatte. Während seiner Leipziger Zeit setzte sich der Däne jedoch verstärkt mit der Kompositionsästhetik der Leipziger Schule auseinander, die einen universellen Anspruch hatte.4 Nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen ist in Gades Werk deutlich der Einfluss der Leipziger Schule zu bemerken, der Stil der frühen Jahre mit seinen formalen Schwächen, aber reizvollen Klängen verschwand damit zunächst. Erst in den letzten 20 Jahren seines Lebens fand Gade zu seinem nordischen Stil zurück.5
Dieses Kosmopolitentum entwickelte sich für Gade zum Nachteil. Sowohl von dänischer als auch von deutscher Seite wurde er kritisiert, sich dem "anderen" Stil zugewendet zu haben. Gade rieb sich zwischen nationalem und internationalem Anspruch auf und wurde gerade von dänischer Seite als Epigone Mendelssohns abgewertet. In diese Bewertung floss die Ansicht mit ein, dass Gade sich im Gegensatz zum eindeutig der Nationalmusik verhaftet gebliebenen Johann Peter Emilius Hartmann (1805–1900) von der als positiv eingeschätzten Position des Nationalkomponisten abgewendet habe.6
1. Hörbeispiel: Niels Wilhelm Gade: 1. Sinfonie c-Moll op. 5, 1. Satz "Moderato con moto – Allegro energico": Gades 1. Sinfonie wurde 1842 komponiert und ein Jahr später in Leipzig uraufgeführt. Sie demonstriert den "Nordischen Ton", den Gade vor seinem Aufenthalt in Leipzig pflegte.
2. Hörbeispiel: Niels Wilhelm Gade: 4. Sinfonie B-dur op. 30, 3. Satz "Scherzo: Allegro, ma non troppo tranquillamente": Die Sinfonie Nr. 4 komponierte Gade im Jahr 1850. Uraufführung war in Leipzig im Jahr 1851. Deutlich ist hier der Einfluss Mendelssohns zu hören, der Gades Abkehr vom "Nordischen Ton" bewirkte.